Behandelter Abschnitt Off 6,1-2
Das erste Siegel, der Reiter auf weißem Pferd
(Kap. 6, 1-2)
In den Kapiteln 4 und 5 beschäftigten wir uns mit den herrlichen Dingen im Himmel; nun müssen wir sie verlassen und auf die gerichtsreife Erde herniederkommen. Hier hören wir nichts mehr von melodischen Gesängen, sehen keine Harfenspieler mehr, merken nichts vom Weihrauch der goldenen Schalen. Wir wollen aber den Geist, der dort wehte, mit uns in die kalte, arge Welt nehmen.
Die Gewalt und die Macht, die dem Lamm nach Kap. 5 gegeben sind,
werden fortan auf Erden offenbar. Die sieben Siegel stellen eine
Zusammenfassung aller Gerichte dar, welche mit der Zeitperiode, genannt:
«Der Tag des Herrn» (Joel 2,28-30; Mt 24,3-29) verbunden sind.
Kürzlich fragte mich .jemand, in welchem der sieben Siegel wir heute
leben. Der Fragesteller war erstaunt, als ich ihm sagte, in keinem. Ja,
dann kommt der Herr aber noch lange nicht, meinte er. Es sei hier
nochmals mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass in der
Offenbarung die Entrückung mit keiner Silbe erwähnt wird. Die Entrückung
brauchte Johannes nicht mehr geoffenbart zu werden, er kannte sie schon
aus den Schriften des Apostels Paulus (1Kor 15,51-57;
Das Lamm handelt (Vers 1). Wir sahen bereits, dass das versiegelte Buch eine Urkunde darstellt und der Herr der rechtmäßige Eigentümer der Erde ist. Das Lösegeld, das Blut des Lammes, hat die Schuld beglichen, und nun werden uns die Wege gezeigt, wie der Herr Seinen Besitz ergreift. Johannes sieht, wie das Lamm erscheint, das versiegelte Buch, die Urkunde, nimmt, die Siegel bricht und somit die endgeschichtlichen großen Gerichte über die Erde einleitet. Der Herr schickt sich an, das Alte zu beseitigen und ein Neues zu schaffen. Bis nun das geraubte Erbe dem Satan entrissen sein wird, lösen sich unheimliche Gerichte ab. Der Herr wird aber Schlag auf Schlag den Feind bezwingen und den endgültigen Sieg von Golgatha über Satan, Sünde und Welt triumphierend bestätigen. Seine unumschränkte Macht tut sich der Welt in den Siegel‑, Posaunen‑ und Zornschalengerichten kund. Das Lamm wird alles zu Seinen Füßen legen.
Der Ruf der Gerichtsvollstrecker. Während fast 2000 Jahren ließ der Herr Gnade verkündigen, nun aber lässt Er durch Donnerstimme das hereinbrechende Gewitter einleiten. Nicht das Lamm selbst, sondern die vier lebendigen Wesen sind es, die mit Donnerstimme den Vollstreckern der Gerichte rufen. Das erste lebendige Wesen, das mit dem Löwengesicht, befiehlt mit Macht und ruft einem bis dahin Verborgenen zu: «Komm!» Der Kommruf ergeht also nicht an Johannes, sondern an den Reiter. Johannes brauchte nicht mehr zu kommen, er war schon da; seine Aufgabe war: die Sache zu sehen und sie niederzuschreiben.
Der Reiter auf weißem Pferd. Wer ist dieser schon so viel beschriebene Reiter? Gewiss nicht Christus. Das Lamm öffnet die Siegel, somit kann es nicht zugleich der Reiter sein. Der weiße Reiter hier darf also in keinem Fall mit demjenigen in Kap. 19 verwechselt werden. Der Reiter in Kap. 19 kommt vom Himmel und ist Christus; heißt «Treu und Wahrhaftig und trägt außerdem den Namen «König der Könige» und «Herr der Herren». Manche Ausleger haben den weißen Reiter in Kap. 6 als den Siegeszug des Evangeliums hinzustellen versucht, aber dem Evangelium folgt nicht, wie diesem Reiter, Hunger und Tod. Das Evangelium bringt Leben im Überfluss. Und da alle andern Siegel Gerichte enthalten, ist nicht anzunehmen, dass das erste Siegel eine Ausnahme mache. Wir glauben, es handle sich hier um denjenigen Mann, der wohl dem Schein nach als Friedefürst kommt, aber zum «Mensch der Sünde» ausreifen wird (2Thes 2,7-9). Die Tatsache, dass dieser Reiter gekrönt wird, zeigt, dass er nicht Christus ist, denn der Herr ist ,jetzt schon gekrönt (Heb 2,9). Dieser Reiter ist der von Daniel geweissagte, kommende Weltherrscher, das kleine Horn, das sich alles unterwirft (Dan 7, B. 20. 24), ein begabter Mann, der aus dem Volke hervorgeht. Dieser Reiter, der zugleich der falsche Messias ist, zieht mit der berechnenden Absicht aus, viele zu täuschen und zu verführen. Sein Anfang ist Friede, aber sein Ziel die Weltherrschaft, die er schließlich auch erreicht. Sein Reich wird die Welt umfassen.
Die Tätigkeit des Reiters. Er macht den letzten Versuch, das Chaos auf Erden zu ordnen. Was heute den erfahrenen Lenkern der Staaten nicht gelingen will, wird er mit Erfolg durchführen. Die Mittel seiner Macht sind zunächst nicht kriegerisch. Ohne einen Schuß wird er Herr und großer Herrscher werden. Friedlich wie ein Antiochus wird er sein Reich erwerben (Dan 11,21 ff.). Seine überaus geschickten diplomatischen Ränke werden ihm in kurzer Zeit Eingang bei der großen Masse verschaffen, bis endlich alle voll Bewunderung ausrufen werden: «Wer ist dem Tiere gleich!»
Der Erfolg des Reiters. Er schreitet von Sieg zu Sieg. Da zunächst alles ohne Blutvergießen vor sich geht, wird er um so mehr Anerkennung finden. Die Massen werden der Meinung sein, nun sei das langersehnte Zeitalter des Wohlstandes angebrochen. Doch eines Tages werden sie eines andern belehrt werden.
Nach dem Vorbild großer Sieger der Vergangenheit zieht er auf weißem Pferde aus. Seine Erfolge führen ihn zur Überhebung, ja sogar dahin, dass er göttliche Verehrung von seinen Untertanen fordern wird wie einst die römischen Cäsaren.
Sein Lohn. Er wird gekrönt. Er war es also ursprünglich nicht, weil er nicht als geborener Fürst aus einer anerkannten Dynastie stammte, aber sein Erfolg bringt ihm eine Krone ein. Trotz der Krone wird seine Herrschaft nur von kurzer Dauer und sein Ende ein schreckliches sein. Bei seinem Untergang werden die Zuschauer mit Jesaja sagen: «Ist das der Mann, der die Erde beben machte, Königreiche erschütterte; der den Erdkreis der Wüste gleich machte und dessen Städte niederriss, dessen Gefangene nicht in die Heimat entließ» (Jes 14,16-17).