Die Gemeinde
Da wir uns in den Kapiteln 2‑3 mit den sieben Gemeinden Kleinasiens beschäftigen wollen, ist es gut, wenn wir einen kleinen Versuch machen, das Urbild der Gemeinde, wie es die Schrift zeigt, vor uns zu stellen, obwohl die Offenbarung selbst nichts davon sagt. Die in den Sendschreiben erwähnten Mängel treten dadurch deutlicher hervor.
Nach göttlicher Ordnung ist die Menschheit eingeteilt in: Völker, Israel und die Gemeinde (1Kor 1.0, 32). Die Gemeinde, mit der wir uns kurz beschäftigen, ist die Ekklesia, die Herausgerufene Gottes, zusammengesetzt aus Juden und Heiden (Nationen). Von der göttlichen Perspektive aus gesehen sind auf dem Boden der Gemeinde alle nationalen Unterschi(de aufgehoben. Hier gilt weder Sklave noch Freier ‑ durch Christi Blut ist die Scheidewand beseitigt, und jedes Gefühl der nationalen Feindschaft hinweggetan, weil Christus unser Friede ist (Eph 2,13-15). Im Alten Testament wird die Gemeinde gar nicht erwähnt, und in den Evangelien nur zweimal (Mt 16,18; 18,17). Sie ist als Geheimnis dem Apostel Paulus geoffenbart worden (Eph 3,2-5).
Ihr Baumeister. Betrachten wir die Gemeinde vom Standpunkt der Ewigkeit aus, von der Zeit vor Grundlegung der Welt her, so ist Gott ihr Schöpfer (Eph 2,10). Wenn aber ihr Erscheinen in der We1t zur Sprache kommt, dann ist der Herr Jesus Christus ihr Baumeister. Sie war in den Tagen Seines Fleisches noch nicht da. Der Herr Jesus musste zuerst sterben und sie mit Seinem Blute erwerben (Apg 20,28). In Cäsarea-Philippi fragte der Herr die Jünger, wer der Menschensohn sei, worauf Petrus die bekannte Antwort gab: «Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.» Daraufhin erwiderte ihm der Herr: «Auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen (Mt 16,18). Der Fels ist nicht Petrus, denn er ist selbst nur ein Stein, eingefügt in den Bau (1Pet 2,4-6). Christus ist der Grundstein, auf dem das Gebäude ruht. Und seit Pfingsten wurde Stein um Stein hinzugetan; an einem Tag dreitausend (Apg 2), kurz darauf fünftausend (Apg 4) und seither viele Millionen. Von Pfingsten hinweg werden die Hinzugetanenen die Gemeinde genannt (Apg 2,47), die mit dem letzten in sie eingefügten Stein vollendet sein wird.
Ihr Haupt und Zentrum ist der auferstandene und erhöhte Herr (Eph 1,20-23). Die Gemeinde Jesu Christi ist da, wo Er der Mittelpunkt ist. Es kommt nicht auf die Zahl der Versammelten an (Mt 18,20). Der Herr ist in der Mitte der sieben goldenen Leuchter. Er, das Haupt der Gemeinde, ist erhaben über alle Mächte und Namen; Er ist unermesslich groß in all Seinem Tun und wird nicht zulassen dass Feuer, Schwert, Verfolgung oder Gefängnis Seine Gemeinde, weiche ist Sein Leib, je vom Feind wird überwältigt werden (Röm 8,35-39).
Ihre Gaben. Sowohl ihre Ämter als auch ihre Gaben sind göttliche Geschenke (Eph 4,11). Der Dienst der Apostel und Propheten war grundlegend am Bau. Evangelisten, Hirten und Lehrer bauen auf dem gelegten Fundament weiter und bleiben bis zur Entrückung tätig. Und gleich wie an einem Körper jedes Glied seine besondere Funktion hat, so hat der Herr der Gemeinde die Gaben ordnungsgemäß verteilt (1Kor 12,27-31).
Ihre Aufgabe. Sie soll als Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit inmitten der gottfeindlichen Welt dastehen (l. Tim. 3, 15), und den Verlorenen das herrliche Evangelium des sündenvergebenden Opfers Jesu Christi verkündigen.
Ihre Bestimmung. Die mit dem kostbaren Blute Jesu
Christi teuer erkaufte Gemeinde wird gegenwärtig zubereitet, so daß sie
ohne Flecken und Runzeln heilig und unsträflich Gott dargestellt werden
kann (Eph 5,27). Sie wird rein sein wie der Herr selbst (
Die sieben Sendschreiben
Wir sahen bereits, dass Johannes dieses Buch (die Offenbarung Jesu Christi» nennt, nicht «die Offenbarung des Johannes». Der Herr enthüllt dem Apostel, was in einem späteren Zeitabschnitt geschehen werde, nämlich in der Periode, genannt «Tag des Herrn». Kurz wiederholend sei also gesagt, dass alles, was Johannes sah, Geschehnisse sind, die sich in der Zeit des Tages des Herrn abspielen werden. Johannes sah den verherrlichten Herrn in richterlicher Gestalt, gerade so, wie Er dann kommen wird, die Erde in Besitz zu nehmen. Zugleich wird Johannes der Auftrag gegeben, das Gesehene und Gehörte niederzuschreiben und es den sieben Gemeinden schriftlich mitzuteilen. Auch die sieben Sendschreiben sind, wie alles andere dieses Buches, Weissagungen, die sich wörtlich während der Zeitperiode des Tages des Herrn erfüllen werden. Ein einfacher Vergleich der Sendschreiben mit den andern Schreiben, besonders mit den paulinischen Episteln, muss jedem unvoreingenommenen Leser deutlich zeigen, dass hier große Unterschiede bestehen; nicht zuletzt, wenn wir an die vielen Zitate aus dem Alten Testament denken. Wären wir nicht von jeher belehrt worden, dass die Sendschreiben an den Leib Christi gerichtet seien, dann hätte schon mancher Schriftforscher es gewagt, auch die andere Seite hervorzuheben. Es ist uns zwar klar, dass die sieben Gemeinden dem Buchstaben nach in die Endzeit gehören, doch gilt es auch hier, nicht ausschließlich diese Richtung zu betonen. Erstens sagt uns die Bibel, dass alle Schrift nütze ist zur Belehrung, dann scheinen aber auch noch andere Momente mitzuspielen, die uns die Auffassung erlauben, dass die Sendschreiben nicht allein die Gemeinden der Zukunft angehen. Und so möchten wir folgende Linien geltend machen: a) Die Sendschreiben galten an erster Stelle den sieben Gemeinden in Kleinasien. Johannes hatte den Befehl erhalten, das Buch der Offenbarung zu schreiben und es den sieben Gemeinden zu senden. Dies hätte er ja nicht tun können, wäre das Geoffenbarte ausschließlich Gemeinden angegangen, die erst nach der Entrückung bestehen werden. Warum er nur an die mit Namen genannten sieben Gemeinden schreiben musste und nicht auch an andere, wissen wir nicht. Es steht außer Frage, daß die sieben Sendschreiben an damals bestehende Gemeinden geschickt wurden. b) In den Sendschreiben glauben viele hervorragende Ausleger ein prophetisches Bild der Gesamtgemeinde Jesu Christi zu sehen, und zwar von den Tagen des Johannes an bis zu ihrer Hinwegnahme. Jedes der Sendschreiben soll gleichsam einen Zeitabschnitt der Gemeinde schildern; somit sind von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet die Sendschreiben auch Weissagungen über die Gemeinde. Mit andern Worten, Gott schrieb die Kirchengeschichte im voraus. Wenn diese Darstellung auch keine direkte Schriftauslegung ist, so ist es immerhin erlaubt, in den Sendschreiben ein Bild der Entwicklung der Gemeinde zu sehen. So zum Beispiel:
In E p h e s u s die apostolische Zeit.
In S m y r n a die leidende Gemeinde zur Zeit der römischen Kaiser.
In P e r g a m o s die Zeit, da das Christentum zur öffentlichen Anerkennung gelangte; also von Kaiser Konstantin an, als die Kirche zur Staatsreligion ernannt wurde.
In T h y a t i r a die Kirche des Mittelalters mit der Abgötterei Roms und all den aus dem Heidentum herübergeholten, christianisierten Lehren und Gebräuchen dieser Kirche.
In S a r d e s die Reformationszeit, die protestantische Kirche, die als lebendig galt und doch tot war. Es vollzog sich damals bei vielen einzelnen, ja sogar bei ganzen Ländern nur ein Religionswechsel ohne Wiedergeburt, die doch allein zur Aufnahme in die Gemeinde berechtigt.
In P h i l a d e 1 p h i a sehen diese Ausleger die gesegneten Erweckungszeiten der letzten zwei Jahrhunderte, sowie das Festhalten am Wort und am Namen des Herrn.
In L a o d i c ä a erblicken sie die letzte Phase der Kirchengeschichte, gekennzeichnet durch Lauheit, Gleichgültigkeit und Selbstzufriedenheit. Immerhin finden sich in Laodizäa wie in den andern Gemeinden etliche Überwinder, die zur Entrückung gelangen und so schließt das Zeitalter der Gemeinde ab. c) In gleicher Weise dürfen wir die Sendschreiben auch rückblickend auf Israel anwendend betrachten, und zwar in folgender Reihenfolge:
E p h e s u s entspricht dem Brautstand Israels (2. Mose 19,4-6; Jer 2,2; Hes 16). Dort wird auch die erste Liebe hervorgehoben.
S m y r n a deutet auf Israels Wüstenwanderung mit ihrer vierzigjährigen Prüfungszeit hin; deutlich geschildert im 4. Buche Mose.
P e r g a m u s . Hier wird auf Bileam Bezug genommen, auf dessen Rat hin das Volk von Gott abwendig gemacht werden sollte (4. Mose 22-25; z. Petr. 2, 15 ff.; Jud 1013).
T h y a t i r a entspricht der Zeit der Könige Israels mit ihrem furchtbaren Götzendienst, wie er in den Büchern der Könige beleuchtet wird. Der anfängliche Rat des Bileam ist in Ahab zur Ausführung gekommen.
S a r d e s deutet auf die Zeit der Wegführung Israels hin. Wohl hatte das Volk den Namen, «Gottes Volk» zu sein, daneben war es aber allen göttlichen Lebens bar. Dan und Ephraim marschierten im Götzendienst voran, ja, sie führten ihn ein. Die Drohung erfüllte sich hier wörtlich, indem die zehn Stämme verschwunden sind ‑ ihre Namen sind wie ausgetilgt. Gott wird sie allerdings zu Seiner Zeit wieder finden, wie wir aus Offenbarung 7 ersehen.
P h i 1 a d e 1 p h i a entspricht dem Glanz der Zeit der Könige Judas. Wir erinnern vor allem an die Könige David und Salomo.
L a o d i c ä a weist auf die Zeit der Wegführung Judas hin.
Ferner sind die Sendschreiben für rein persönliche Erbauung von großem Wert, und von diesem Gesichtspunkte aus, verbunden mit der geschichtlichen Deutung, wollen wir sie kurz miteinander durcheilen.
Schließlich greifen wir noch einmal zur Hauptsache zurück, nämlich dass die Sendschreiben resp. die ganze Offenbarung an Gemeinden gerichtet sind, die erst entstehen werden, nachdem der Leib Christi entrückt sein wird. Ihnen wird dieses kostbare Buch das reichste Trostbuch in dunkelster Zeit sein.