Behandelter Abschnitt Off 1,20
„Das Geheimnis der sieben Sterne, die du in meiner Rechten gesehen hast, und die sieben goldenen Leuchter: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Versammlungen, und die sieben Leuchter sind sieben Versammlungen“ (1,20).
Diese sieben Versammlungen in der römischen Provinz Asia (dem südwestlichen Kleinasien) stehen hier für die Gesamtheit der Versammlung des Christus auf der Erde. Sieben ist die symbolische Zahl der Vollkommenheit. Darum muss Johannes das ihm Offenbarte nicht in einzelne Briefe schreiben, sondern in ein Buch (V. 11), das an alle Versammlungen gesandt werden und für alle Zeiten Geltung haben sollte. Wenn auch die geschilderten Zustände jeder örtlichen Versammlung damals so waren, so geht doch die Bedeutung der Sendschreiben weit darüber hinaus, und zwar in doppelter Beziehung. Vor allem zeigt der Herr darin die gesamte innere Entwicklung der Kirche von Anfang an bis zu ihrer Entrückung. Diese kann tatsächlich in diesen sieben charakteristischen Zeitabschnitten erkannt werden; dazu zeigen auch die Namen der sieben Versammlungen geradezu den Hauptcharakterzug jeder Epoche an.
Sodann aber gelten die in diesen Mitteilungen enthaltenen Spiegelbilder, Ermahnungen und Warnungen allen Gläubigen zu allen Zeiten an allen Orten. Sie sind also alle auch für uns bestimmt zu aufmerksamer Beachtung, denn auch wir alle brauchen diese Ermahnungen und Warnungen, ebenso wie die Ermunterungen, weil dieselben Gefahren damals wie heute unter uns wirksam sind. Darum hält der Herr diese Sterne fest in seiner Hand, trägt, lenkt und prüft sie. Er selbst erklärt sie als „Engel der Versammlungen“. Damit sind nicht einzelne Führer gemeint, wiewohl solche eine besondere Verantwortlichkeit haben, denn die Mitteilungen betreffen die Versammlungen als solche, wie auch jeden einzelnen Gläubigen. Darum ergeht jedes Mal die ernste Ermahnung zum Schluss: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“. Es geht hier ja um die Verantwortlichkeit, die jeder einzelne Christ hat, nicht nur die Führer. Wir liegen darum nicht falsch, wenn wir in diesen „Engeln“ das Symbol des personifizierten Gewissens der Versammlung, sowie der einzelnen Glieder sehen. Dies dürfte uns nahelegen, welche Wichtigkeit der Herr der Verantwortlichkeit der Seinen beimisst.
Die Sendschreiben haben alle mehr oder weniger denselben Aufbau. Zuerst stellt sich der Herr als der Redende vor, und zwar jeder Versammlung, in dem ihrem Zustand angemessenen Charakter. In Verbindung damit lässt Er sie wissen, dass Er sie bis ins Innerste kennt und alles von ihr genau bis ins Kleinste weiß, sowohl Gutes als auch Böses. „Alles nimmt dein Auge wahr, was es immer sei“, ganz anders als wir Menschen, die mehr nur nach dem Äußeren urteilen, meist nur die Schönheitsfehler sehen und sich über das wahre Innere hinwegtäuschen. Das gibt es bei Ihm nicht, denn Er kennt auch unsere unausgesprochenen Gedanken, unsere Beweggründe und unsere Gesinnung, ja alles Verborgene liegt vor Ihm offen da. Dann spricht Er aus, was Er bei jeder Versammlung sieht, sowohl das zu Lobende als auch das zu Tadelnde, wiederum so ganz anders, als wir es gewohnt sind. Zuerst führt Er das Lobenswerte an, und Er lobt gern alles, was anerkannt werden kann, und erst nachher das Tadelnswerte. Wir aber sehen zuerst das, was uns nicht gefällt, wobei wir dann gerne einseitig das Lobenswerte, das Anerkennenswerte kaum oder gar nicht beachten. So macht es der Herr nicht, denn Er ist auch hierin nach allen Seiten völlig gerecht. Dem folgt notwendigerweise auch ernste Ermahnung und, wo nötig, Androhung ernster Züchtigung. Selbst dann übersieht Er es nicht, den wahren Überrest davon auszunehmen.
Den Schluss bildet die ernste Aufforderung an jeden Einzelnen:
„Wer ein Ohr hat zu hören der höre.“ Diesen Getreuen und Aufmerkenden gibt der Herr stets eine herrliche Verheißung. Man irre sich dabei aber nicht, diesem steht hier kein „Wer nicht überwindet“, kein Verdammungsurteil gegenüber. Es handelt sich hier nur um eine Belohnung für die Gläubigen, die die drohenden Gefahren erkennen und samt dem Bösen in ihrer Mitte überwinden, oder wie jemand gesagt hat: „. . . das Böse und sich selbst vom Herrn Jesus Christus überwinden lassen“.
Noch ein wichtiger Umstand ist zu beachten: Die Sendschreiben sind in zwei unterschiedliche Gruppen geteilt, die ersten drei und die letzten vier.
Bei den ersten drei wendet sich der Herr mit der Mahnung zu hören und mit der Verheißung am Schluss an die ganze Versammlung, mit der Einladung und Erwartung, dass sie wieder zu dem, „was von Anfang gehört worden war“, zurückkehren möge. Daher übernehmen wir zuerst die Ermahnung, zu hören, und danach die Verheißung. Vom vierten Sendschreiben an dagegen sondert der Herr einen treuen Überrest aus, während der Gesamtkörper als unheilbar beiseitegelassen wird. Daher erfolgt von da an die Verheißung zuerst und nur an diesen Überrest, und nachher die Ermahnung. Im sechsten Sendschreiben an Philadelphia redet der Herr nur zu diesem Überrest, während der übrige Körper ganz außer Betracht fällt. Die Betrachtung der einzelnen Sendschreiben wird Gelegenheit geben, näher auf Einzelheiten einzugehen.
Noch einige Datenangaben sind nötig zur Vervollständigung des Bildes. Paulus hat in den Jahren 54– 56 n. Chr., also fast drei Jahre lang, in Ephesus und von dort aus in der ganzen Provinz Asia gewirkt. Im Jahr 61 n. Chr. schrieb er den herrlichen Brief, in dem er die Versammlung in ihrer himmlischen Stellung beschreibt. Nun aber klagt er schon im zweiten Brief an Timotheus im Jahr 66 n. Chr., also nur fünf Jahre später, dass sich alle in der Provinz Asia von ihm abgewandt hätten, wohl weil er ihnen zu streng erschien. Johannes, der 3–4 Jahrzehnte lang in Ephesus gewirkt und im Jahr 100 n. Chr. gestorben ist, hat die Offenbarung ungefähr 96 n. Chr. geschrieben. So kurze Zeit genügte schon, um das vom Herrn so herrlich Errichtete in Verfall zu bringen! Wir werden beim ersten Sendschreiben sehen, womit dieser Niedergang begonnen hat.