Behandelter Abschnitt Mt 23,37-39
Jerusalem, Jerusalem! Mt 23,37-39.
Viele oberflächliche Menschen sagen, daß die Bibel ein nach der Willkür der Juden zusammengestelltes Buch sei, aus welchem der Jude seine Vorteile ziehe. Welch ein törichtes und unüberlegtes Reden! Solche Kritiker zeigen, daß sie nie die Schrift gründlich gelesen haben; denn niemals hätten die Juden Mt 23 und vieles andere geschrieben, weil sie sich damit ihr eigenes Urteil fällen. Die Bibel ist das einzige Buch der Wahrheit. Wahr sind ihre herrlichen Verheißungen, wahr auch ihre ernsten Drohungen. Schonungslos sind des Herrn "Wehe" dieses Kapitels; und dennoch scheint Seine Liebe durch alles hindurch, die Sein tiefbewegtes Herz erkennen läßt. Verweilen wir einige Augenblicke bei dieser Warnung.
I. Israels schreckliche Bosheit.
"Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten." Großes hatte Gott an Israel getan. Ihre Antwort auf Gottes Liebeserweisungen war "ein Leben in Sünde". Gott schickte die wunderbarsten Männer, hochbegabte wie Moses, Hesekiel, Daniel und einfache wie etliche der kleinen Propheten. Alle kamen mit derselben herzlichen Liebe beseelt, um Israel zur Buße zu rufen. Israels Geschichte aber zeigt, wie diese Boten behandelt wurden, man tötete sie (Apg 7,52-53). Man denke nur an das Gleichnis von den Weingärtnern (Mt 21,33-46). Alle diese Männer, sowie der Sohn selbst, kamen ja nicht in ihrem Namen, sondern als Beauftragte Gottes. Und das war es, was Israels Sünde so entsetzlich machte und sie zu Rebellen und Mördern stempelte. Ist es heute anders? Redet nicht Sein Wort auch auf mancherlei Weise (Heb 1,1)? Er redet durch die Schrift, durch den Sohn, durch das Kreuz, durch die vielen Katastrophen und drohenden Kriege. Den ganzen Tag hält der Herr Seine Liebesarme ausgebreitet (Jes 65,2). Israel aber erwiderte diese Liebe mit Ablehnung.
II. Die Gnade unseres Herrn.
"Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen." Ja, das hat Er getan, indem Er die erstaunlichsten Zeichen und Wunder tat, ihre ungezählten Kranken heilte und tausende Hungriger speiste. In Städten und Dörfern, in den einfachsten Hütten, im Tempel, überall suchte Er sie zu sammeln. Das "Wie oft" zeigt des Herrn innerstes Empfinden, Seine Liebe, Sein Ausharren, und Seine Absicht, sie um jeden Preis zu retten. Ja, mit heißen Tränen benetzte Er diese Liebessaat. So kam Er mit Worten der Gnade, dieses Mal aber mit Worten des Gerichts; denn Menschen, von denen Er sagen mußte: "Ihr habt nicht gewollt", - konnte Er unmöglich neue Gnade anbieten, sie wiesen ja das Angebot kraß ab.
III. Die besonders liebevolle Art der Gnade.
Sie tritt hervor in dem lieblichen Bilde von Henne und Küken. Wer hätte dieses zutrauliche Verhältnis nicht schon bestaunt? Wie sicher, wie geborgen, wie wohl und mollig fühlen sich da die kleinen Küken! Dasselbe, und weit mehr wollte Gott dem Volke Israel sein. Sie sollten nicht nur ganz sicher sein vor allen Widersachern, sondern so glücklich, so zufrieden wie die kleinen Küken, die lustig und vergnügt ihre Köpflein unter den Flügeln der Henne hervorstrecken und ihr "Piep, Piep" wie ein Lob erklingen lassen.
IV. Das oftmalige Angebot.
Der Herr sagt: "Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen." Wie oft hatte Er es denn versucht? Seine Rettungsversuche gleichen einer lückenlosen Liebeskette (2Chr 36,15). So ist es nicht bei den Menschen. Sie hören bald zu lieben auf, wenn andere nichts von ihnen wollen. Können wir die "Oft" aus unserem eigenen Leben zählen? Von Adam hinweg bis zum Schluß der Offenbarung erklingt dieser wunderbare "Kommruf". Viele ruft Er von der frühen Kindheit an bis zum hohen Alter, und das sowohl durch reiche Segnungen, als auch durch ernste Führungen und harte Prüfungen. Das "Wie oft" zeigt auch den ganzen Ernst Christi. Und weshalb ruft der Herr? Wegen dem Tage des Gerichtes, der dem Tage der Gnade folgt. Israel aber hörte nicht und kam deshalb in das angekündigte Gericht. Schutz vor dem kommenden Gericht ist der Herr allein, wie die Henne für ihre Küken. Die Fluten des gerechten Zornes Gottes sind über den Herrn hereingebrochen, und die Wehen des Todes hat Er geschmeckt. Darum ist keine Verdammnis für die, die in Ihm sind (Röm 8,1).
V. Die schlimme Folge (Vers 38).
Euer Haus wird euch wüst gelassen werden, ja, nicht ein Stein wird auf dem andern bleiben (Mt 24,2). Das war die Folge ihres "Nicht-Wollens". Ich wollte, und ihr wolltet nicht, das ist der Höhepunkt ihrer Sünde. Folglich bleibt für die Tochter Jerusalems und ihren Tempel nur noch Gericht übrig. Der Tempel war das Zentrum ihres religiösen Lebens, und dieser sollte bald verwüstet werden. Der Herr nennt ihn fortan nicht mehr "mein" Haus, wie in Kap. 21, 13, sondern sagt "euer" Haus. Er, der Herr des Hauses, war hinausgeworfen, und so hatte Er nichts mehr damit zu tun. Aber wie viel größere Strafe wird alle Menschen der Jetztzeit treffen, die den Sohn mit Füßen treten und Sein Blut als unrein achten (Heb 10,29).
VI. Ein Hoffnungsschimmer (Vers 39).
Große Hoffnung hat Israel ohne Zweifel, wenn der Herr erscheinen wird, und sie Ihn erkennen werden (Off 1,7; Sach 12,10). Solche Hoffnung hingegen verheißt die Schrift ablehnenden Sündern der Jetztzeit nicht, sondern sie sagt vielmehr: "Wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden." Da ist nur noch ein Harren des Feuereifers Gottes. Darum heißt es: "Heute, so ihr Seine Stimme höret, verhärtet eure Herzen nicht."