Behandelter Abschnitt Mt 23,13-36
Acht furchtbare Wehe des Königs.
In den vorhergehenden Versen hat der Herr Seine Jünger und die Volksmenge vor der üblen Praxis der Pharisäer gewarnt und ihnen damit gleichzeitig ihr eigenes Verhalten gezeigt. Nun wendet Er sich direkt an die Pharisäer und spricht Sein Urteil über sie aus. Es ist so, als sähe man hier schon etwas von dem furchtbaren Zorn des Lammes. Der Abbruch mit den Pharisäern war ein völliger; denn in ihrem Herzen war das Todesurteil über den Herrn schon gefällt. In den acht Wehen, die der Herr nun über sie ausspricht, ist ein großer Gegensatz zu den acht Seligpreisungen in Mt 5. Es ist also interessant, zu beobachten, wie der Herr Seine Reden mit einem achtfachen „Glückselig seid ihr“ beginnt, und auch mit einem achtfachen „Wehe euch“ beschließt. Beachten wir diese Gegensätze:
Das erste Wehe (Vers 13).
Die erste Seligpreisung lautet: „Glückselig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel.“ Das erste Wehe aber wendet sich gegen die Reichen im Geiste, gegen die, die in sich groß waren und sich den Schlüssel der Erkenntnis angeeignet hatten, aber nur, um Eingehenden ins Reich den Weg zu verschließen. Den Täufer und auch den Herrn, die dem Volke den Weg ins Reich zeigten, verdächtigten sie (Joh 9,24). Zahlreich sind auch heute diejenigen, die durch ihre Machtstellung ähnliche Verbrechen begehen. Auch ihrer harrt ein Wehe!
II. Das zweite Wehe (Vers 14).
Ihm steht die zweite Seligpreisung gegenüber: „Glückselig die Trauernden.“ Die Witwen in Vers 13 (nach der Lutherbibel) sind das Bild der Trauernden, die das Wort besonders benötigen. Anstatt sie zu trösten, wurden ihre Häuser von den Pharisäern im Namen der Frömmigkeit gefressen. Wie stehen sie im Gegensatz zu Elisa und zu den Aposteln (1Kön 17; 2Kön 4; Apg 6,1-6). Heutigen Tages ist es nicht allein die römische Kirche, die für ihre schriftwidrigen Messen den Armen das Letzte nimmt. Nein, sondern bis hin zu den am Frömmsten-sein-wollenden wird diese Sünde begangen. Das „Wehe“ wird aber auch nicht ausbleiben.
III. Das dritte Wehe (Vers 15).
Dem gegenüber lesen wir: „Glückselig sind die Sanftmütigen.“ Bei den Pharisäern war wohl Eifer, aber wofür? Für ihre Sekte. Sie hatten alles Licht verloren, weil sie Jesus, das Licht der Welt, verworfen hatten. Anstatt sanftmütig zu sein und Sanftmut zu lehren, durcchzogen sie das Land, um Proselyten zu werben, ja mehr, um Söhne der Hölle aus ihnen zu machen. Also nicht damit diese Proselyten das Land ererben, sondern um sie in die Hölle zu führen, verrichteten die Pharisäer ihren Dienst.
IV. Das vierte Wehe (Vers 16-22).
Die vierte Seligpreisung heißt: „Glückselig die Hungernden nach Gerechtigkeit.“ Erschütternd ist das vierte Wehe. Die Pharisäer sind zwar Diener des Altars, aber nicht des Herrn. Dem Hunger nach Gerechtigkeit stand ihr Hunger nach Gesetzlichkeit gegenüber, indem sie dem Volke schwere Lasten auflegten; doch Lasten stillen den Hunger nicht, sondern vergrößern ihn.
Das fünfte Wehe (Vers 23, 24).
In der fünften Seligpreisung spricht der Herr die Barmherzigen selig. In dem fünften Wehe aber muß Er beklagen, daß die Pharisäer den Glauben und die Barmherzigkeit übergehen. Anstatt Barmherzigkeit zu üben, verzehnteten sie die einfachsten Gartenkräuter, die die Ärmsten als Gewürze brauchten. Diese Heuchler seihten alles, damit ja keine unreine Mikrobe oder Mücke von ihnen geschluckt werde, und sie sich nicht verunreinigten, daneben aber könnten sie die größten Unreinheiten, groß wie ein Kamel, verschlucken. Für solche Lehrer hatte der Herr nur den Namen Heuchler und blinde Blindenleiter.
Das sechste Wehe (Vers 25, 26).
Wie deutlich steht dieses Wehe der sechsten Seligpreisung gegenüber: „Glückselig, die reinen Herzens sind.“ Die Pharisäer reinigten nicht ihr Herz, das war voll Tücke und Galle. Sie wuschen Becher, Schüsseln und Hände, aber sie unterließen die Hauptsache, ihr Herz zu waschen. „Reiniget das Inwendige“, so lautet des Herrn Befehl (Joh 13,8; Heb 12,14). Selten ist die menschliche Täuschung so groß wie in göttlichen Dingen. Man legt nur Wert auf Äußerlichkeiten, aber nicht aufs Innere.
Das siebente Wehe (Vers 29, 36).
Diesem Wehe steht die siebente Seligpreisung scharf gegenüber: „Glückselig die Friedfertigen.“ Die Pharisäer aber priesen den faulen Frieden. Sie waren übertünchte Gräber, die zwar nach außen schön aussehen, drinnen aber – voll Verwesung und üblem Geruch sind. Der Herr öffnete diese Gräber etwas vor dem Volk und ließ von dem Gestank in ihrer Nase kommen. Die Pharisäer glichen geschminkten Leichen. Da war alles nur Tünche und Schein. (Hes 13,10).
Das achte Wehe (Vers 29-36).
Diesem letzten Wehe steht jene Doppelseligpreisung über die Verfolgten gegenüber (Mt 5,10-12). Erschütternd ernst sind des Herrn Worte in diesem letzten Wehe. Er zeigte, daß dieser Geist des Hasses gegen Ihn und Seine Heiligen von Anfang an in ihnen steckte. Später klagte Stephanus: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?“ (Apg 7,52). Zu dem allem kam noch ihre Kardinalssünde, die in der Tötung des Sohnes bestand. Der Herr mußte ihnen die gerechte Vergeltung vor Augen stellen, wie das einst Jeremias in seinem Klageliede tat. Er sah, wie das Blut der Märtyrer und das des Sohnes über sie kommen werde, und zwar in der kommenden großen Trübsal, aus der Jakob geläutert und als wahrer „Israel Gottes“ hervorgehen wird.