Behandelter Abschnitt Mt 23,1-12
Ein erschütterndes Urteil des Königs.
Dieses Kapitel ist wohl das trübste im ganzen Evangelium. Alle Reden des Herrn mit den Obersten Israels endeten mit einem achtfachen "Wehe". Der Herr sprach nicht nur gegen die Obersten allein, sondern auch gegen Jerusalem. Der Herr steht mit dem zweischneidigen Schwert vor Israel, wie später vor Pergamon (Off 2,12). Es ist hier nicht möglich, auf alle Einzelheiten der Rede des Herrn einzugehen, und deshalb bleiben wir nur bei einigen Hauptsachen stehen.
I. Des Herrn Rede an die Volksmenge und Jünger.
Diese Worte sind mehr eine Aufklärung, eine Warnung an die Pharisäer. Wir begegnen darin einem "Wehe" nach dem andern. Dazu hebt Er 7 mal ihre Heuchelei hervor, sie waren also "Vollkommene" Heuchler (Vers 13, 15, 23, 25, 27, 28, 29). Ein Wehe folgt dem andern, bis hin zur völligen Verwüstung ihres Hauses, des Tempels, der das Zentrum all ihres religiösen Lebens war. Am Schluß befindet sich noch ein Hoffnungsschimmer; denn der Herr sagt in Vers 39, daß dem Volke doch noch einmal die Augen aufgehen werden, wenn Er Seinen großen Einzug als Herr der Herren und König der Könige in Jerusalem halten werde. Dann werden sie Ihn erkennen, und sie werden wehklagen (Off 1,7). Ist es besser mit der sogenannten Christenheit? Nein, gewiß nicht; darum wird es auch ihr ergehen wie dem Judentum. Die Flammen des Zornes Gottes werden sie verzehren, wenn Gott die große Hure richten wird (Off 17).
II. Eine freche Anmaßung (Vers 2).
Die Pharisäer haben sich auf Moses Stuhl gesetzt, also das Lehramt in Israel eingenommen. Sie haben es sich selbst angeeignet, aber in den Dienst Gottes ruft allein der Herr. Wo keine göttliche Berufung vorliegt, da kann kein Segen entstehen, sondern nur Fluch. Wie ganz anders war es in früheren Tagen. Welch heiliger Eifer für Gott war damals damit verbunden! Man denke nur an einen Esra. Jetzt aber war alles zur bloßen Form geworden. Dasselbe Bild zeigt die heutige Christenheit, sie frägt auch nur selten nach einer göttlichen Berufung. Aber neben dem hat Gott dennoch Seine Siebentausend.
III. Eine scharfe Beurteilung.
Der Herr gibt allem den rechten Namen. So nennt Er die Pharisäer "Heuchler" im Blick auf ihr Frommtun vor den Menschen (Vers 5, 13). "Blinde Leiter", weil sie das Volk irreführten, ja mehr, ihm das Himmelreich verschlossen (Vers 13, 16). "Narren", weil sie sich für Weise hielten, gern die ersten Plätze einnehmen, und es liebten, vom Volke als "Rabbi" angesprochen zu werden (Vers 7, 17). Er nannte sie "Schlangen und Otternbrut" (Vers 33). Sie, die vorgaben, Gottes Diener zu sein, muß der Herr vor dem Volke mit diesen wohlverdienten Namen bezeichnen. Was für Namen müßte wohl der Herr heute vielen sogenannten Dienern Gottes in der Christenheit geben?
IV. Zwei unzertrennliche Dinge.
Welche sind diese? Lehre und Leben. Lehre und Wandel des Dieners Gottes müssen übereinstimmen. Niemals darf es sein, wie es Vers 3 beschreibt. Der Herr sagt, was euch die Pharisäer lehren, das tut. Wir sollen z. B. nicht Liebe predigen und selbst keine üben. Nicht andern Wohltätigkeit empfehlen und selbst das Geld lieben. Nicht zur Reinheit ermahnen und selbst Unreinheit im Herzen dulden. Auch nicht Demut anpreisen und selbst nach hohen Dingen trachten. Lehre und Leben des Dieners müssen wie aus einem Guß sein, sonst muß dereinst der Herr Seine "Wehe" auch über den Diener aussprechen.
V. Nur Ich-Leben.
Darin bestand die Religion der Pharisäer und Schiftgelehrten. Was immer sie taten, war nur Scheinheiligkeit. Ihr Beten, Fasten und Almosengeben galt nur ihrem eigenen Ansehen. Beteten sie auf den Straßen, so geschah es, um von den Menschen gesehen zu werden. Nirgends schleicht sich Satan so gern ein, wie in die heiligsten Dinge. Das Trachten der Pharisäer war, aus religiösen Übungen Ehre und Ansehen für das "Ich" zu schaffen. Natürlich gab es auch Ausnahmen, man denke an Nikodemus. Die Pharisäer wollten die Ersten sein und die ersten Plätze inne haben. Sie standen im Gegensatz zum Herrn da, der aller Diener war. Falsche Religionen tragen ihre Frömmigkeit zur Schau.
VI. Eine dreifache Warnung (Vers 7-12).
Die Pharisäer trachteten nicht nur nach hohen Plätzen, sondern auch nach hohen Namen. Der Herr erwähnt drei Titel oder Benennungen: Rabbi, Vater und Meister. Es gab in Israel große Männer, die der Herr eingesetzt hatte, z. B. Moses, der der Demütigste des Volkes war. So gibt es auch in der Gemeinde Aufseher, Diener, Hirten, Lehrer und Evangelisten. Aus dieser Tätigkeit aber ein Amt zu machen, das ihnen Ehre und Nutzen bringt, ist verwerflich. Einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. Der Herr redet auch nicht gegen den Vaternamen als solchen. Kinder sollen ihren Vater also nennen. Dazu gibt es auch wirklich Väter in Christo, aber diese beanspruchen bestimmt keine besondere Autorität über die andern, wie es die geistlichen Führer aller Zeiten taten und noch tun. Man streckt sich nach allerlei hohen Titeln aus, und den schönen einfachen Brudernamen verschmäht man. Der Herr zeigte den Jüngern klar ihre Stellung, und wie diese von ihnen beachtet wurde, beweisen die Apostelgeschichte und die Episteln. Die Apostel waren nur Brüder unter Brüdern Galt es gegen die Sünde oder gegen falsche Lehre Stellung zu nehmen, so benützten sie ihre ganze Autorität, die Gott ihnen gegeben hatte. Sonst aber waren sie die Geringsten in ihrer Selbsteinschätzung. Wir auch?