Behandelter Abschnitt Dan 1
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Georg R. Binke
Vorwort
Beim Lesen des Propheten Daniel erfüllte mich oft bei Wunsch, eine einfache Auslegung über dieses Buch zu schreiben. Unsere höchst bewegte Zeit veranlasst ohnehin viele Bibelleser, sich mit dem Wort der Weissagung zu beschäftigen. So wagte ich es trotz vieler bestehender Kommentare, diese neue Arbeit zu unternehmen und in die Hände des Volkes Gottes zu legen. Die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung des Stoff es waren nicht gering, so dass ich verschiedene Male geneigt war, die Arbeit auf zugeben. Doch derselbe Gott, der auf das Gebet des Daniel hin Licht schenkte, erhörte auch mein Flehen und gab Gnade die Schrift au vollenden. Das Hauptthema in den Weissagungen Daniels ist Israel und die Völkerwelt. Die Gemeinde (oder der Leib Christi) wird von Daniel nirgends erwähnt, was leider von manchen Auslegern nicht beachtet wird und zu falschen Schlüssen führen muss. Leser, die im vorliegenden Buch die Ereignisse bei Gegenwart oder Sensationelles suchen, werden nicht auf ihre Rechnung kommen. Wer aber erfahren will, wag Gott mit dem Judenvolk und den Nationen vor hat, wird manchen Aufschluss finden. In einigen prophetischen Fragen weichen wir von der üblichen Auslegung ab, lassen aber gleichwohl zur allgemeinen Orientierung gern anbete Anschauungen zu Worte kommen, so dass jedermann sich selbst ein Urteil zu bilden vermag.
Meine schriftliche Tätigkeit ist wegen der fast ununterbrochenen Evangelisationsarbeit sehr erschwert. Wenn der Leser bedenkt, dass vorliegendes Buch an wenigstens zwanzig verschiedenen Orten in den Freistunden geschrieben wurde, so wird er gewiss manchen Mangel entschuldigen. Möge auch durch diese neue Arbeit der Herr verherrlicht und Sein Volk belehrt und erbaut werden
G. R. Brinke.
Der Prophet Daniel
Alle die das Buch Daniel lesen, vom ernsten Schriftforscher bis zum grübelnden Wahrheitssucher, stimmen darin überein, dass Herz, Geist und Gemüt hier reiche Belehrung finden. Das Buch ist sowohl in seinem geschichtlichen, wie auch in seinem prophetischen Teil ein Beleg göttlicher Leitung, Treue und Fürsorge. ganz besonders aber ist das lehrreiche Buch Daniel, wegen seiner großen Weissagungen, die bis an das Ende des gegenwärtigen Zeitalters hinausgehen, von Gottesmännern aller Zeiten mit besonderem Interesse studiert worden. Obwohl das Buch zu den am meisten angefochtenen gehört, wollen wir uns doch nicht mit dem beschäftigen, was eine blinde, „wissenschaftliche“ Kritik darüber sagt, sondern uns vielmehr darüber freuen, dass sich der Herr Jesus auf den Propheten Daniel beruft (Mt 24,15). Vor diesem Zeugnis müssen alle Argumente einer vermeintlich „höheren“, in Wirklichkeit anmaßenden und hochmütigen Kritik wie nichts verschwinden. Mögen andere an der Echtheit und Glaubwürdigkeit dieses herrlichen Propheten Gottes zweifeln; uns genügt es, dass der Herr Jesus an Daniel glaubte. Wir finden Daniel nur in einem einzigen Kapitel in der Löwengrube, und zwar unangetastet! Im Kritikergraben aber wird er in jedem Kapitel zum mindestens verwundet, wenn nicht gar zerrissen! Doch, wo sind alle großen Kritiker der Schrift? Was für Früchte hat ihre ruchlose Arbeit gezeitigt? Sie sind dahin! „Das Wort unseres Gottes aber bleibt in Ewigkeit.“ Und gleich wie ein Teil der Weissagungen Daniels schon in Erfüllung gegangen ist, so geht auch noch der restliche Teil seiner baldigen Einlösung entgegen. Die ungläubigen Kritiker haben keinem einzigen zum Guten gedient, Daniel jedoch hat Millionen von Menschen ein leuchtendes und bleibendes Beispiel hinterlassen und sie zu einem Siegesleben angespornt.
Was ist die Prophetie? Biblische Prophetie ist Geschichte die im voraus geschrieben wurde. Ziel und Zentrum aller Prophetie ist die Person und das Werk des Herrn; Sein Kommen ins Fleisch, Sein Sühnewerk für die Sünde der ganzen Welt und Sein Wiederkommen in Macht und Herrlichkeit als Herr der Herren und König der Könige, um die durch Adams Fall Gott entrissene Welt wieder für Gott zurückzugewinnen. Die Person Christi ist von der Krippe hinweg bis zu ihrer tiefsten Erniedrigung auf Golgatha und in ihrer Auferstehung und Himmelfahrt, von vielen Propheten und zum großen Teil auch von Daniel geweissagt worden. Auffallend ist die Geschichte Israels mit bei Person des Herrn in der Prophetie verknüpf t. Wir lesen von Israels Zerfall, von seiner Zerstreuung unter die Völker, von seinen tiefen Leiden, die ihren Gipfelpunkt in der großen Trübsal erreichen werden, sowie von seiner Rückkehr ins Land der Väter und von der Wiederaufrichtung des Thrones Davids unter der Regierung des kommenden „Jesus Christus“. Diese Regierung bildet den Ausgang aller Prophetie. Die weitaus größere Mehrheit der Christenheit und ihrer Führer gehen an dem Wort der Weissagung achtlos vorüber. Der Katholizismus und teilweise auch der Protestantismus lehren, was die Zukunft angeht, nicht mehr als das „Jüngste Gericht". Alle herrlichen Wahrheiten über die beiden Kommen Christi, welche die Hoffnung der Gläubigen sind, lassen sie völlig beiseite. Man achtet mehr auf Träume, als auf die helle Lampe der Weisjagungen an einem dunklen Ort (2Pet 1,19).
Erfordernisse zum Verständnis der Prophetie. Es ist wohl kaum nötig zu jagen, daß die grundlegende Bedingung die „neue Geburt“ ist, denn ein Mensch kann ohne aus Gott geboren zu sein und ohne den Heiligen Geist zu haben, die Schrift gar nicht verstehen. Sie bleibt ihm eine Torheit. Viele beschäftigen sich mit dem Wort der Weissagung, rein nur um ihre Neugierde zu befriedigen. Sie möchten die Zukunft wissen und stürzen sich in der Folge in allerlei phantastische Berechnungen, die stets fehlschlugen und weiter fehlschlagen werden. Die göttliche Prophetie ist nicht dazu da, die Neugierde zu befriedigen, sondern um die großen Pläne und Gedanken Gottes mit der Menschheit zu erkennen und in den gottgewollten Linien dem Herrn zu dienen. Und diese Erkenntnis führt zur Erkenntnis Gottes und hat ein Leben in wahrer Heiligkeit zur Folge (Joh 3,3). Jedes Erforschen der Prophetie, das dieses Ziel nicht vor Augen hat, ist nutzlos, weil es nicht zur Verherrlichung Gotte dient.
Es gilt das Wort der Wahrheit recht zu teilen. Das war der weise Rat des Apostels Paulus an sein Kind Timotheus (2Tim 2,15). Die Schrift teilt die Menschheit in drei Klassen ein, nämlich in Heiden, Juden und die Gemeinde Gottes (1Kor 10,32). Wer diese Teilung übersieht und zum Beispiel, was Israel gesagt wird, auf die Gemeinde bezieht, muß notgedrungenerweise irre lehren. So ist auch gerade viel über das Buch Daniel geschrieben worden, ohne diese Teilung zu beachten. Dabei wurde bei den besten absichten die Hauptsache übersehen. Das Buch Daniel gilt in erster Linie Israel und der Völkerwelt. Gott zeigt uns dann die großen Ziele, die Er sich mit Israel und den Völkern gesteckt hat, sowie die Herrschaft Jesu Christi auf Erden. Das Buch Daniel ist bekanntlich in zwei Sprachen geschrieben, teils hebräisch, teils aramäisch. Der Teil, der speziell Israel angeht, ist hebräisch, und der Teil, der die Völker betrifft, aramäisch geschrieben. Das ist bestimmt kein Zufall! Von der Gemeinde, dem Leibe Christi, ist im Buche Daniel auch nicht mit einer Silbe die Rede. Aber hierin sind wir uns mit den Auslegern des Buches Daniel, die dann die Gemeinde finden wollen, eins, daß „Anwendungen“ auf die Gemeinde volle Berechtigung finden; denn alle Schrift ist nütze zur Lehre (2Tim 3. 16). In Daniels Tagen konnte von der Gemeinde niemals die Rede sein. Sie bestand ja noch gar nicht. Ja, sie war den Propheten nicht einmal angedeutet worden, sondern ist erst als das große Geheimnis, das in früheren Zeitaltern verborgen war, dem Apostel Paulus geoffenbart worden (Eph 3,1-10). Wer aber im Buche Daniel die Geschichte der Völker und die Zukunft Israels erkennt und auslegt, wird wahre Goldminen finden und Gottes Volk einen großen Dienst erweisen. So möge der Herr auch uns in den folgenden Kapiteln leiten und viel Licht schenken, um gerade in dieser verworrenen Endzeit dem Volke Gottes zu zeigen, was bald geschehen wird.
Einleitung
Das Buch Daniel ist die Krone der alttestamentlichen prophetischen Bücher. Daher ist es auch das beliebteste und meistgelesenste derselben. Sein Verfasser, Daniel, ist eine Persönlichkeit, die unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Er war ein Zeitgenosse des Propheten Hesekiel und kam schon sieben Jahre früher nach Babel als dieser. Nach Vers 3 des ersten Kapitels war er, was seine irdische Abstammung betraf, aus göttlichem Samen. Vers 10 im 10. Kapitel bezeichnet ihn als einen „vielgeliebten Mann Gottes“. Und endlich stellt Hesekiel ihn mit Noah und Hiob auf ein und dieselbe Stufe (Hes 14,14,18,20; 28,3).
Das Buch selbst. Es steigt hinab in die dunkelste und wohl auch schwerste Zeit des Zweistämme-Reiches Juda, und ist voll tiefen Ernstes. Es führt uns nach „Babel“ und zeigt uns ein Volk, an dem sich Gottes längst vorausgesagtes Gericht vollzog und ganz auswirkte, weil das Herz dieses Volkes immerdar den Irrweg suchte. Danach aber führt es uns auch hinaus, bis ans Ende der Tage, und zeigt uns den vom Himmel kommenden Sohn des Menschen einerseits (Kap. 7, 13) und das Erwachen der Heiligen zu ihrem Lose andererseits (Kap. 12, 13). Es zerfällt in zwei große Abschnitte. Der erste umfaßt die Kapitel 1-6 und enthält Geschichte; der zweite die Kapitel 7-12 und enthält Gesichte. Lenker der Geschichte der Völker aber ist „der Gott des Himmels“, der alleinige Machthaber (1Tim 6,15-16). Und er hat sich zu allen Zeiten Seine Werkzeuge aus den Menschen gerufen. So rief er in jenen Tagen Nebukadnezar, der die zwei Stämme in die Gefangenschaft führen mußte, damit sie gezüchtigt würden. Das ist eine ernste Sprache für alle; denn wie es im Großen bei den Völkern geht, so geht es auch im Kleinen beim einzelnen Menschen.
Im dritten Jahre Jojakims. So beginnt das Buch Daniel. Jojakim war der Sohn des frommen Königs Josias, dem der Herr das beste Zeugnis ausstellt und der eine der mächtigsten und eingreifendsten Reformationen durchführte. Nichtsdestoweniger war das Land reif zum Gericht, wegen der Sünde der Väter und besonders derjenigen des Königs Manasse. Ehe Jojakim die über ihn berichteten schrecklichen Sündenwege gehen konnte, mußte er wirklich erst jede göttliche Regung von sich wegstoßen, und das gute Beispiel seines frommen Vaters mit Füßen treten. Und gerade in seinen Tagen begann ein Gericht am Hause Juda, das sich auch auf die Könige Jojakim und Zedekia erstreckte (2Kön 24). Der Anfang dieses von Gott herbeigeführten Gerichtes war verhältnismäßig milde. Nebukadnezar, der Vollstrecker des Gerichtes, machte Jojakim zu seinem Vasallen und ließ nur einige Gefäße aus dem „Hause des Herrn“ in Jerusalem in das Haus „seines“ Gottes hinab nach Babel, in das Land Sinear, bringen. Doch Jojakim empörte sich). Er erachtete den Krieg zwischen Ägypten und Babylon als günstige Gelegenheit, das Joch unter Nebukadnezar abzuschütteln. Ägypten und Babel rangen beide um die Weltherrschaft. Nebukadnezar aber siegte am Euphrat über Pharao Necho, und so ging die Weltherrschaft an Babel über. Nach dem Siege Nebukadnezars über Ägypten zog er gegen Jerusalem und Juda und überwand sie. Die Schätze des Hauses Gottes und des Königs brachte er restlos nach Babel. Hier ging, nebenbei gesagt, eine Weisjagung, die 107 labre früher an König Hiskia ergangen war, in Erfüllung. In selbstgefälliger Weise hatte Hiskia den Fürsten Babels alle seine Schätze und die des Tempels gezeigt (Jes 39,1-4). Daraufhin sandte Gott den Propheten Jesaja zu Hiskia mit der Botschaft, daß diese seine Schätze, die er jenen Fürsten von Babel zeigte, dereinst nach Babel geschleppt werden sollen. Und nun, etwa 100 Jahre später, erfüllte sich diese Weissagung Jesajas.
Jojakim war ein sehr gottloser Herrscher und tat was böse war in den Augen des Herrn. Die Fürsten des Landes folgten seinem schlechten Beispiel. Hohe und Niedrige, Priester und Propheten lebten in den schrecklichsten Sünden. Jojakim verfolgte sogar die Propheten, wie z.B. Jeremia (Jer 26,10-11.20-23). Die Schrift, die Jeremia im Auftrage Gottes schrieb, zerschnitt und verbrannte der König; doch damit konnte er das in derselben gegen ihn Geweissagte nicht vernichten. Im Gegenteil! Er beschleunigte nur das Gericht.
Die Wegführung Judas nach Babylon vollzog sich in drei Etappen und begann im Jahre 606 v. Chr. Damals ist wohl auch Daniel selbst deportiert worden. Die zweite Wegführung geschah im Jahre 598, durch welche Hesekiel in Gefangenschaft geriet. Und er erst im Jahre 587, in den Tagen Zedekias, vollzog sich die dritte und letzte Etappe der Wegführung, und zwar mit äußerster Härte. Nebukadnezar ließ die Söhne Zedekias vor seinen Augen schlachten und hernach die Augen Zedekias blenden und ihn nach Babel bringen (2Kön 25,1-8).
Beachtenswert ist, daß bei der ersten Wegführung nur ein Teil der Gefäße des Hauses Gottes weggenommen wurde. Der Herr ließ nicht zu, daß das Gericht gleich am Anfang gänzlich ausgeführt wurde sondern erwies aufs neue Seine Langmut, um, wenn möglich, Seinem Volke Gelegenheit zur Umkehr zu geben. Wir haben einen ähnlichen Fall aus den Tagen Noahs, da Gott nach Ablauf der Frist von 120 Jahren noch sieben Zage hinzu gab (1. Mose 7,4; Jer 27,18). Und derselbe Gott handelt noch heute in großer Langmut gegen eine gottlose Welt und schiebt Seine Gerichte hinaus (2Pet 3,9).
Die folgen der Unbußfertigkeit und des göttlichen Gerichtes. Wohl rühmt sich die Barmherzigkeit wider das Gericht; das dürfen wir auf Schritt und Tritt beobachten. Wer aber die Gnade verachtet, das Blut Christi, das einzigste Rettungsmittel, mit Füßen tritt, die göttlichen Warnungen verwirft, für den bleibt nur noch der schreckliche Feuereifer Gottes übrig.
Wie trostlos es um Land, Leute und Tempel stand, lehrten uns die Klagelieder Jeremias. Das vereinsamte Land, die niedergerissenen Mauern, der verbrannte Tempel, redeten eine ernste Sprache. Ja „schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, der ein verzehrendes Feuer ist. Aber weit schlimmer wird es am Ende dieses Zeitalters den Nationen ergehen, wenn die Menschen verschmachten und zu den Bergen und Felsen beten werden: „Verberget uns vor dem Angesichte Dessen, der auf dem Throne sitzt und vor dem Zorn des Lammes“ (Off 6,16). Schon jetzt erscheint es uns, als sähen wir das helle Morgenrot des Tages des Herrn anbrechen, wenn wir die Not Israels und das Toben der Völker betrachten; aber was wird es erst sein, wenn dereinst die Zornschalen über das Reich des Tieres wirklich ausgegossen werden! Doch, ehe dieser furchtbare Tag des Herrn hereinbricht, wird der Herr Seine Gemeinde in Sicherheit, d. h. ins Vaterhaus bringen. So wie damals Lot v o r dem Gericht über Sodom, und eine Rahab vor dem Untergang Jerichos, gerettet wurden, so wird der Herr auch Seine Gemeinde v o r dem furchtbaren Tag der Heimsuchung herausretten. Und so wie sich trotz des gräßlichen Sündenlebens in den letzten Tagen Judas das Volk seines Tempels rühmte und auf ihn vertraute, so brüstet sich eine verkommene Christenheit unserer Tage mit der Form der Gottseligkeit; die Kraft selbst aber verleugnet sie. Und so gewiß, wie Juda nicht auf diesem Wege einer falschen Frömmigkeit gerettet werden konnte, sondern in ein hartes Gericht kam, so wird es unserm Geschlecht am Ende des Zeitalters ergehen.
Nebukadnezar
Nachdem wir uns mit Jojakim, Judas letztem König, beschäftigt haben, müssen wir einige Blicke auf den zweiten Herrscher, der in diesem Buch genannt wird, werfen, auf Nebukadnezar. In ihm haben wir es mit einer der größten Person des Altertums zu tun. Mit ihm beginnt die „Zeit der Heiden“, deren „goldenes Haupt“ er war. Keiner der folgenden Weltherrscher reichte an ihn heran, obwohl manche unter ihnen sehr groß und mächtig waren. Sie waren, verglichen mit Nebukadnezar, nur Silber, Erz, Eisen oder Ton (Dan 2,32); an Wert also geringer! Wir werden uns in den nächsten Kapiteln viel mit diesem Monarchen beschäftigen müssen, und manche Licht-, aber auch Schattenseite seines Charakters und seiner Tätigkeit sehen. Hier wollen wir nur eine kurze Skizze über ihn entwerfen.
Seine Vorgeschichte. Nabopolassar, sein Vater, ein mächtiger Herrscher des Altertums, war der Begründer des neubabylonischen Reiches. Nebukadnezar, sein Sohn, war Kronprinz und hatte hervorragende Gaben. Schon sehr früh hatte ihn sein Vater zu verantwortlichen Aufgaben herangezogen. So wurde der junge Prinz mit mächtigen Heeren zum Kampf gegen verschiedene Länder ausgesandt. Einer seiner glänzenden Siege war derjenige über Pharao Necho, in der Schlacht bei Karchemis, im Jahre 605. Gerade hier erreichte ihn die Nachricht vom Tode seines Vaters, dessen Erbe er nun antreten mußte und Babylon zu nie erreichter Höhe brachte.
Seine Regierungszeit. Nebukadnezar war König von 605-562 v. Chr. In dieser Zeit hatte er Großes geleistet, sowohl als Feldherr als vor allem auch als Friedensregent. Sobald er seine militärischen Ziele erreicht hatte, widmete er sich in hingegebener Weise seinem Volke. Sein Reich wurde größer und größer. In Kürze war er von allen übrigen Ländern als der unumstrittene Herrscher und Machthaber anerkannt. Uns interessiert in der Betrachtung des Buches Daniel hauptsächlich die Geschichte Judas und seine Unterwerfung, die allerdings nur einen Bruchteil der Siege Nebukadnezars darstellt. Nebukadnezar erschien selbst in Jerusalem und forderte von Jojakim den Lehenseid (2Kön 24,1), den Jojakim schon nach drei Jahren brach, sich empörte und deshalb eine harte Vergeltung erfahren mußte. Nebukadnezar brach den Aufstand mit rücksichtsloser Härte, deportierte den jungen König und seine Edlen nebst einem Teil des Volkes nach Babel. Zedekia, der Nachfolger Jojakims, diente alsdann während einer Reihe von Jahren dem König von Babel. Jeremia, der getreue Ratgeber und Freund Zedekias, stand ihm behilflich zur Seite, ihn ermahnend, daß er, da nun Gott selbst Nebukadnezar die Weltherrschaft übergeben, sich Gottes Willen zu fügen und Nebukadnezar unterwürfig zu sein habe (Jer 27,6 f). Als aber im Jahre 588 Pharao Hophra den Thron bestieg, ließ sich Zedekia nebst andern zur Treulosigkeit verleiten und er und sein Volk empörten sich gegen die babylonische Herrschaft. Nebusaradan, ein Heerführer Nebukadnezars, überwand jedoch den Aufstand. Jerusalem wurde eingenommen, die Stadt und der Tempel zerstört und Zedekia mußte die Folgen seiner Untreue in harter Weise tragen. Er hatte das Gebot Gottes: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“, übertreten, und nun mußte er die über ihn verhängte, äußerst harte und schmerzliche Strafe tragen (2Kön 25,1-8). Wird dieses Gebot heute nicht in vielen Fällen übertreten? Gottes Volk hat sich bedingungslos der Obrigkeit zu fügen. Verlangt sie jedoch von uns Untreue gegen Gott, wie z. B. Nebukadnezar in Kapitel 3 von Daniels Freunden, dann sagen wir „nein“ und sind um Jesu willen bereit zu leiden; im übrigen ist es Pflicht des Gläubigen, der Obrigkeit untertan zu sein.
Obwohl Nebukadnezar ein ausgesprochener Despot war und rein nach Willkür handelte, so erwies er doch den unterjochten Völkern viel Gnade. Geradezu nobel behandelte er den Propheten Jeremia (Jer 39,11 f.). Selbst aus den besiegten Völkern und aus den weggeführten Juden wählte er die Begabtesten und Tüchtigsten zum Staatsdienst aus und gab ihnen die gleichen Gelegenheiten und Rechte wie den Babyloniern. So finden wir bekanntlich gerade Daniel und seine Freunde in höchsten Staatsstellen.
Nebukadnezars Titel. Nebukadnezar wird ein „König der Könige“ genannt. Viele Königreiche hatte er über wunden; manche der besiegten Könige setzte er als seine Vasallen ein, wie er das beispielsweise mit Jojakim und Zedekia getan hatte. Er selbst aber war der oberste Herrscher.
Sein besonderer Beiname wurde nach Gottes Gedanken durch den Propheten Jeremia ausgesprochen: „Nebukadnezar, mein Knecht“. War er doch der Ausführende göttlichen Willens und Vollstrecker göttlicher Gerichte; eine Stellung, die nicht vielen zuteil geworden ist und vor allem nicht in demselben vollen Umfang. Im Blick auf die Nationen war er ihr Herrscher, im Blick auf den Gott des Himmels war er dessen Knecht (Jer 25,9; 27,6 f.). Das alles aber aus Gottes Gnaden.
Mein Knecht. Welch ein bescheidener und doch vielsagender Beiname! Wir hören ihn erstmals bei Mose und in der Folge des öftern bei verschiedenen Dienern Gottes. Selbst unser Herr wird der „Knecht Jehovas“ genannt. So sagt Jesaja von Ihm: „Mein Knecht wird weislich Handeln“ (Jes 52,13). Ebenso nennt sich der Apostel Paulus einen Knecht oder Sklaven Jesu Christi. Sind wir nicht im Grunde genommen alle Knechte? Paulus schreibt in Röm 6,16 „Wisset ihr nicht, daß, wem ihr euch darstellt als Sklaven (Knechte) zum Gehorsam, ihr dessen Sklaven (Knechte) seid, dem ihr gehorchet“. Wir sind entweder Knechte Gottes oder Knechte der Sünde und damit Satans.
Das große Gelingen Nebukadnezars. Nebukadnezar war ein höchst begabter Mann; ein weitsichtiger und fähiger Herrscher. Doch war der große Erfolg nicht dank seines Könnens, sondern er lag in dem, was Jeremia ausspricht, daß Gott alles in seine Hände gegeben hat (Jer 32,3). Nebukadnezar mochte zwar seine Erweiterungsgelüste an den umliegenden Ländern befriedigen, oder sein Mütchen an dem König von Juda kühlen, letzten Endes war es aber doch Gott, der Seine angekündigten Drohungen gegen den König von Juda wahr machte. In Dan 1,2 lesen wir: „Der Herr gab Jojakim in die Hand Nebukadnezars“. Gott brauchte Nebukadnezar also als, Zuchtrute! Wir erkennen folglich, daß der Sieg eines Landes über ein anderes in erster Linie nicht allein von der Tüchtigkeit einer gut ausgerüsteten Armee abhängt, sondern vom Plane (Gottes mit den einzelnen Völkern. Und handelt Gott nicht manchmal genau so im geistlichen Sinne? Hat Er nicht manchen, einst treuen Knecht, auf die Seite stellen müssen und einen andern an seine Stelle gesetzt? Man denke an Eli und Samuel. Entsteht nicht ab und zu Neid im Herzen gewisser Diener Gottes, wenn ein bis dahin unbekannter Bruder in der Öffentlichkeit sichtlich von Gott gebraucht wird? Nebukadnezar mochte in seinem Fall stolz sein über seinen großen Erfolg; denn eine Beute wie er sie mache, hatte bis jetzt noch kein König davongetragen (Vers 2). Er erbeutete nämlich die Gefäße des Hauses Gottes, die er dann in das Land Sinear brachte. Er mochte ähnlich wie die Philister gedacht haben, die die erbeutete Bundeslade in das Haus ihres Gottes Dagon stellten und ihm das Lob für den Sieg über Israel aussprachen. Doch wir sehen, daß Dagon in wenigen Stunden zerschlagen vor der Bundeslade lag (1Sam 5). Man beachte in Verbindung mit Nebukadnezars Fall, wie es seinem Nachfolger Belsazar erging, als er die Gefäße des Hauses Gottes mißbrauchte; ferner erinnern wir an Babylon, das hernach selbst erleben mußte, was, es zuvor Juda angetan hatte. Wahrlich, womit der Mensch sündigt, damit wird er gestraft.
Nebukadnezar war auch sehr groß in Werken des Friedens. Hervorragend sorgte er für seine Untertanen. Er legte umfangreiche Bewässerungsanlagen an und machte unfruchtbare Gegenden zu Kornkammern. In verschiedenen Städten ließ er nebst großartigen Bauten herrliche Tempel erstellen. Das haben die Ausgrabungen vieler Forscher unzweideutig bestätigt. Seine Lieblingsstadt war jedoch Babel, die er zu einem der sieben Weltwunder der damaligen Zeit machte.
Nebukadnezars Sünde. „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Nebukadnezar fiel in dieselbe Sünde wie einst Satan und später Eva. Seine großen Erfolge führten ihn zur Selbstüberhebung, die in den Worten ausklang: „ Ist das nicht die große Babel, die ich erbaut habe, durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit“ (Dan 4,30). Nebukadnezar hatte an der Ehre Gottes, der Seine Ehre keinem Andern gibt, und an der Macht dessen, der allein allmächtig ist, Raub geübt. Und so wurde Nebukadnezar sogar zu einer passenden Illustration des gefallenen, vom Himmel herabgestürzten, schönen Morgensterns (Luzifer), der in seinem Herzen sprach „Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen, ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten“ (Jes 14,12-14). Hat nicht auch Herodes seinen grenzenlosen Hochmuts wegen das Gericht Gottes erfahren (Apg 12,21-23)? Hochmut ist eine ganz furchtbare Sünde. Gott wird sie stets richten. Und wem von uns war sie nicht schon zum Verhängnis? Ja, daß selbst der Mann nach dem Herzen Gottes, „David“, dieser Versuchung zu seinem und seines Volkes Schaden unterlag, lädt uns erkennen, mit welcher Macht diese Sünde an den Besten herantritt (1Chr 21).
Die göttliche Zurechtweisung. Da wir in Kapitel 4 näher darauf eingehen müssen, sei sie hier des Zusammenhangs wegen nur angedeutet. Gott stieß Nebukadnezar von seinem Thron! Lernen wir aus diesen Tatsachen, Gott allein die Ehre zu geben, wenn Er Gelingen und Gedeihen in jeder Weise und in allem Dienst für Ihn schenkt. Hochmut und Selbstbewunderung sind ein Greuel vor Gott. Gott aber wohnt bei denen, die in ihren eigenen Augen nichts sind, und Er beugt alle, die sich selbst gefallen. Der Prophet sagt: „Auf diesen will ich blicken, auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Wort.“
Die Wiederherstellung. Wie lange währte Gottes Züchtigung über Nebukadnezar? „Bis er erkannte, daß der Höchste regiert.“ Gottes Züchtigung hat allein unser Wohl im Auge und Er wartet bis wir uns unter Seine gewaltige Hand beugen und Ihm allein die Ehre geben. Unser Gott verstößt nie einen in die Irre gegangenen Menschen, wenn er gebeugt zu Ihm kommt. Er stellt ihn wieder her und vermag ihn hernach größerer Ehre zu würdigen als zuvor, wie das bei Nebukadnezar der Fall war (Dan 4,36; Hiob 42,10 f.).