Behandelter Abschnitt Ps 102,1-11
Ein Bußgebet
Unser Leben ist von vielen Nöten verschiedener Art begleitet, von leiblichen, Familien- und sozialen Nöten. Der treue Gläubige hat unversiegbare Hilfsquellen. Er schüttet, wie der Text sagt, sein Herz vor dem Herrn aus, und Er erhört ihn (Ps 4,3; 34,4; 50,15).
Die Not des Beters dieses Psalmes war sehr groß, jedes Wort, das er ausspricht, bezeugt es, wie «Herr, höre mein Gebet, lass mein Schreien zu Dir kommen. Verbirg Dein Antlitz nicht vor mir, neige Dein Ohr, höre mich. „Der Beter liegt wie ein Hoffnungsloser am Boden, umgeben von Übeln trübster Art“. Wie Hiob sitzt er in der Asche (Hiob 2,8) und nach Vers 9 ist Asche sein Brot, und seine Tränen flossen so reichlich in seinen Becher, dass er sein Wasser mit Tränen trank. Vor Schmerz vergisst er, sein Brot zu essen. Die Sorge war so groß, dass er alles andere vergaß (1Sam 1,7.8; 20,34; Hiob 33,20; Ps 107,18; Dan 6,18).
Sein Schmerz war verzehrend. Meine Tage sind dahin wie Rauch. Meine Gebeine gleichen einem Brand. Das Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras. Das Bild verdorrten Grases sagt viel. Es wird erst geschnitten, dann verdorrt es in Sonnenglut. Das widerfuhr den Juden in den Tagen des Antiochus. Meine Gebeine kleben an meinem Fleisch, sie sind kraftlos und können mich nicht länger tragen (Hiob 19,20). Seine Tage glichen einem Schatten, der sich dem Abend neigt und sein Ende ankündigt. Sein Elend brachte er wie in der Einsamkeit zu. Er verglich sein Dasein einem Pelikan in der Wüste und einer Eule in der Einöde.
Ein schweres Leid. Das fügten ihm seine Feinde zu, die beständig nach seinem Leben trachteten und ihn nach allen Seiten hin verleumdeten. Während ich diese Zeilen schreibe, unterbricht mich ein Telegramm, worin eine Mutter um Fürbitte für ihren Sohn bittet, der in Verleumdungen untergeht. Verleumdung ist eine scheußliche Sünde, deren sich oft noch Gläubige schuldig machen. Sie schreien zu Gott, und Er erhört sie (Ps 13,3; 52,3-7).
Und doch ist der Psalmist nicht hoffnungslos. Vertrauensvoll wendet er sich zu seinem Gott, Herr, höre mein Gebet, und lass zu Ohren kommen mein Schreien.
Eine Bitte um Audienz. Neige Dein Ohr zu meinem Schreien (Ps 27,9; 69,17; 88,2), und er bittet um Annahme. Verbirg nicht Dein Angesicht. Oft sehen wir die Sonne nicht, aber sie scheint doch. Ist mir auch ganz verhüllt Dein Weg allhier, wird nur mein Wunsch erfüllt, näher zu Dir. Sein Schmerz war nicht allein der seine, sondern der vieler seiner Brüder, die in ähnlicher Weise litten. Es ist ein Vorrecht, derer in Fürbitte zu gedenken, die in Trübsal sind.
Nach Leid folgt Freude (Ps 102,12-28).
Den vorangehenden Klagen folgt Ermunterung. Der Gott alles Trostes tritt auf den Plan. Der Mensch gleicht dem Schatten, der wie Rauch vergeht, Du aber bleibst.
Eine Bitte. Baue Zion wieder auf, es ist Zeit, die Stunde ist gekommen. Wo Gläubige ernstlich um Erweckung bitten, kommt sie.
Die Bereitschaft der Knechte, sie wollen Hand anlegen, Stein auf Stein legen, sie scheuen nicht harte Arbeit, sie sind willig wie jene in z. Kön. 6. Der Grund, das Haus zu bauen war der, dass der Name des Herrn nicht mehr gelästert werde. Wo es Gläubigen um die Ehre des Herrn geht, folgt Segen.
Ihre Zuflucht war das Gebet. Vers 17.20.
Deine Knechte werden aufleben, die Feinde beschämt, und Dein Name wird geehrt werden. Gott wendet sich zum Gebet der Verlassenen (Vers 17), was noch die Nachkommen rühmen werden und den Herrn loben (Vers 18). Der Herr nimmt sich der Verlassenen, der Niedrigen an. Wie einst als Israel in Ägypten seufzte und Du auf ihr Schreien hörtest (2. Mose 3,7), so auch hier (Vers 19).
Warum erflehen sie das? Dass die Tyrannei an den Gefangenen aufhöre. Dass der Name des Herrn in Zion gepredigt werde und die Völker ringsum Gott dienen. Letzteres bezieht sich offenbar auf Christi Kommen in Herrlichkeit, wenn Er selbst in Zion regieren wird, hatte aber seine Vorfreude in den Tagen Nehemias und Esras.
Ein großer Gegensatz (Vers 23 -28). Einerseits sehen wir die Ohnmacht, die Kürze des Menschenlebens, daneben aber die Größe Gottes. Um Seine Größe neu erleben zu dürfen, bittet er um Verlängerung seines Lebens. Lass mich die Bitte, Zion wieder aufgebaut zu sehen, erleben (Vers 24), nimm mich nicht vorher hinweg. Du hast vormals die Erde gegründet (Heb 1,10-12; Ps 90). Du warst vor allem, selbst Deine Werke werden vergehen (Off 6,14; 2Pet 3,10). Du aber bleibst (Heb 1,12). Du bist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Du vermagst auch meine Tage zu verlängern wie die eines Hiskia (Jes 38,5). Alles Irdische vergeht, und wir werden verwandelt werden, sowie Himmel und Erde. Der Herr ist der Wiederhersteller von allem. Zweierlei darf uns erfreuen. resp. zwei Worte wollen wir für uns persönlich, fürs tägliche Leben, herausnehmen. Die Worte „Du aber bleibst“ und das andere Wort „Verwandlung“. Er liebt die Seinen und das bis ans Ende (Joh 13,1). Er ist mit ihnen alle Tage und in allen Lagen.
Das Wort Verwandlung erinnert uns an 2. Korinther 3,18; Philipper 3,21 an den großen Tag, da wir plötzlich verwandelt werden und allezeit bei dem Herrn sein werden (1Thes 4,13-18). Er selbst wird uns dazu fähig machen (1Thes 5,23).