Behandelter Abschnitt Tit 1,10-16
Verse 10-16 Falsche Lehrer
Paulus hatte auf Kreta eine sehr gesegnete Arbeit getan. In vielen Städten waren Ge- meinden entstanden. Doch wo der Herr am Werk ist, wird auch der Satan aktiv. Der Widersacher hatte nicht nur einige wenige Betrüger in die Gemeinden eingeschleust, um die Arbeit zu zerstören, sondern viele. Das ist der Grund, warum formale Autori- tät auf Kreta so nützlich und notwendig war. Diese vielen „Betrüger“ waren Perso- nen, die getauft waren und sich als Christen bekannten. Sie hatten ihren Platz in der Gemeinde bekommen. Doch sie waren Wölfe in Schafskleidern. Sie widerstanden öf- fentlich der Wahrheit, die Gott offenbart und die Paulus gepredigt hatte. Ihr Auftre- ten gegen die gesunde Lehre offenbarte ihre Widerspenstigkeit und ihre betrügeri- sche Haltung. Diese Leute respektierten in keiner Weise Autorität.
Paulus nennt sie darüber hinaus auch noch „Schwätzer“, die nur inhaltsloses Zeug von sich gaben, das zu nichts Gutem führte. Möglicherweise waren es wortgewaltige und redegewandte Leute. Gläubige, denen geistliche Einsicht fehlte, konnten durch dieses Geschwätz verführt werden. Und genau darum ging es ihnen. Es waren Betrü- ger, die die Gläubigen in ihren Gedanken hinters Licht führten, sie verführten und auf Abwege brachten. Es waren keine Leute, die aufrichtig glaubten, dass sie Recht hatten, sondern Schwindler, die die Gläubigen innerlich verwirrten.
Der größte Teil dieser falschen Lehrer kam „aus der Beschneidung“, also aus dem Ju- dentum. Es waren Christen, die ursprünglich beschnittene Juden waren. Sie waren nie wirklich vom Gesetz frei geworden und versuchten nun, den Christen auf Kreta das Gesetz aufzuerlegen. Auch heute gibt es viele solche Menschen in einer Christen- heit, in der es im Gottesdienst so viele jüdische Elemente gibt, die aus dem Alten Tes- tament entlehnt sind. Durch die Christenheit weht ein judaistischer Geist des Forma- lismus und der Gesetzlichkeit. Es widerspricht aber dem Geist der Schrift, wenn man Elemente des jüdischen Gottesdienstes, insbesondere das Gesetz, einführt.
Das hat in der frühen Gemeinde zu einer Streitfrage geführt, die auf einer Versamm- lung der Apostel in Jerusalem geklärt wurde (Apg 15,5-10). Dort wurde festgestellt, dass den Gläubigen „aus den Nationen“ das Gesetz nicht auferlegt werden dürfte.
Das Gesetz kann für einen Christen nicht die Lebensregel sein. Du bist allerdings nicht gesetzlich, wenn du in Bezug auf dich selbst streng bist, dem anderen aber
Freiheit lässt, wo die Schrift etwas nicht ausdrücklich als Sünde bezeichnet. Gesetz- lich wirst du erst dann, wenn du deine Lebensregeln andern auferlegst.
Gesetzlichkeit muss radikal bekämpft werden, denn sie zieht sich durch ganze Fami- lien hindurch. Auch im Brief an die Galater tritt Paulus ganz entschieden gegen sol- che falschen Brüder auf (Gal 2,4.5). Ihre Lehre taugt nichts und wird aus bösen Moti- ven verkündet. Hier fordert Paulus allgemein („man“) – und damit auch dich – dazu auf, ihnen den Mund zu stopfen. „Den Mund stopfen“ bedeutet, ihnen etwas auf den Mund zu geben, ihnen also einen Maulkorb zu verpassen, so dass sie nichts Böses mehr anrichten können. Das bedeutet, dass man ihnen Schweigen auferlegt. Das kann aber nur durch die Kraft des Wortes Gottes und seinen Geist geschehen (vgl.
Mt 22,34).
Falschen Lehrern und ihrer Lehre gegenüber darfst du keine passive Haltung einneh- men. Wenn sie erst einmal Eingang in eine Familie gefunden haben, weil sich in die- ser Familie z. B. ein Familienmitglied ihnen angeschlossen hat, wird das die ganze Familie zerrütten. Sie stiften Verwirrung in Bezug auf die gesunde Lehre und ruinie- ren dadurch ganze Familien. Das dahinterstehende Motiv war Geldliebe (V. 11; vgl. Apg 20,33).
Diese jüdischen Irrlehrer fanden durch den verdorbenen Volkscharakter der Kreter leicht Eingang. Wenn jemand zum Glauben kommt, gehört er grundsätzlich nicht mehr zu einem bestimmten Volk. Dennoch trägt er den Volkscharakter mit seinen schlechten Eigenschaften noch in sich. Er muss stets auf der Hut sein, dass sich dieser nicht wieder Geltung verschafft. Paulus weist Titus darauf hin. Es war nötig, stand- haft zu bleiben und sich den Äußerungen dieses schlechten Volkscharakters mit Au- torität zu widersetzen, damit die Gläubigen gesund im Glauben blieben.
Was Paulus hier über ihren Volkscharakter sagt, das sah nicht nur er so, sondern das wurde von einem ihrer eigenen Propheten (einem gewissen Epimenides) bestätigt.
Der behauptete unumwunden, dass Kreter immer lügen würden. Ihre Verlogenheit war geradezu sprichwörtlich. Reden wie ein Kreter bedeutet lügen. Ihr eigener Pro- phet verglich sie auch mit einem bösen wilden Tier. Ein solches Tier will keine Zügel, denn es ist von Natur aus widerspenstig. Es will zubeißen und neigt zu Grausamkei- ten. Ein fauler Bauch denkt an nichts anderes als an die Befriedigung seiner eigenen niedrigsten Bedürfnisse. Er ist unbeherrschbar fresssüchtig. Paulus unterstreicht, dass das, was ihr eigener Prophet gesagt hat, wahr ist. Obwohl Epimenides kein Pro- phet Gottes war, bestätigt Gott sein Zeugnis durch den Mund von Paulus.
Die falschen Lehrer wurden in ihren bösen Praktiken durch diesen verderblichen Volkscharakter geleitet. Paulus wusste, wovon er sprach. Während seines Aufenthal- tes auf Kreta hatte er erfahren, wie schwierig diese Menschen waren. Deshalb drängt er Titus, gegen den Ausbruch dieses Volkscharakters in der Gemeinde entschieden vorzugehen. Ziel eines solchen Vorgehens war, dass sie gesund im Glauben wären.
Paulus verbindet mit einem solchen Vorgehen noch ein weiteres Ziel: Titus sollte Phantasievorstellungen oder Mythen, menschliche Regelungen und Überlieferungen entschieden verurteilen. Das sind schreckliche Plagen in der Gemeinde Gottes, die Ihn zur Eifersucht reizen und im Widerspruch zu seiner Gnade stehen, weil sie den Menschen erheben. Das galt für die Gläubigen auf Kreta, und das gilt für alle Gläubi- gen überall auf der Welt. In erster Linie geht es dabei um jüdische Fabeln. Damit sind allerlei Phantasievorstellungen und Märchen über den Ursprung von Geistwesen wie Engel und Dämonen gemeint. Das alles ist jedoch reine Spekulation ohne das ge- ringste Körnchen Wahrheit. Es mag vielleicht ganz interessant scheinen, und es wer- den ganze Bücher darüber geschrieben, die dann auch noch eine Leserschaft finden. Um jedoch im Glauben gesund zu sein, müssen Gläubige sich davon abwenden. Man sollte dem keine Beachtung schenken, sondern es völlig ignorieren.
An zweiter Stelle geht es um „Gebote von Menschen“. Menschliche Gebote stellen den Menschen in den Mittelpunkt und reden ihm ein, er könne sich durch das Hal- ten bestimmter Bräuche und Rituale sein Heil verdienen. Das kann dadurch gesche- hen, dass man einem Gebot Gottes etwas hinzufügt oder ein Gebot Gottes verdreht. Jüdische Schriftgelehrte waren darin Meister. Daher vernachlässigten die Menschen das Gebot Gottes, während sie die Überlieferungen der Menschen hielten (Mk 7,5-13). In beiden Fällen wendet man sich von der Wahrheit ab (vgl. 2Tim 4,3.4). Du fin- dest das heute in vielen protestantischen Kirchen, wo menschliche Bestimmungen (Prediger, vorprogrammierter Gottesdienst) eine große Rolle spielen, während es im Katholizismus mehr um Überlieferungen geht (Fabeln, Mystik und Götzendienst).
Im Christentum gibt es außer der Taufe und dem Abendmahl keine äußeren Bräu- che. Es kommt auf das Innere an (1Sam 16,7; Ps 51,6). Wer innerlich rein ist, kann alle Dinge gebrauchen, ohne dabei Angst haben zu müssen, sich dadurch zu verunreini- gen. Er lässt sich dabei nicht durch fleischliches Begehren leiten, sondern durch die Liebe (Röm 14,20). „Alles“ bedeutet natürlich nicht moralisch verwerfliche Dinge, sondern äußere Dinge wie Essen und Trinken. Nichts davon ist in sich selbst unrein (Röm 14,4; 1Tim 4,4). Wer aber durch Sünde befleckt oder ein Ungläubiger ist, beschmutzt alles, was er anrührt. Das liegt daran, dass sowohl sein Verstand als auch sein Wille und alle seine Wünsche und Absichten befleckt und beschmutzt sind. Das gilt auch für sein Gewissen, sein inneres Bewusstsein. Ein solcher Mensch hat die Fä- higkeit verloren, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Wo Gesinnung und Ge- wissen befleckt sind, kann es keine Reinheit geben.
Hier geht es nicht um solche, die öffentlich abfallen. Diese Menschen behaupteten, dass sie alles über Gott wüssten, und hatten sich so in die Reihen der Gläubigen ein- geschlichen. Doch Bekenntnis und Praxis standen bei diesen Menschen im Wider- spruch zueinander. Wenn man beobachtete, was sie taten, dann hatte das mit Gott nichts zu tun. Dass sie so Gott durch ihre Taten verleugneten, machte sie abscheu- lich. Das Wort „abscheulich“ wird auch für Götzenbilder gebraucht und dann mit „Gräuel“ übersetzt (Mt 24,15; Mk 13,14). Hier besteht ein enger Zusammenhang mit dem Auftreten des Antichrists. Diese falschen Lehrer atmeten seinen Geist. Ein wei- teres Kennzeichen ist ihr Ungehorsam gegenüber Gott und seiner Wahrheit. Sie wol- len sich nicht davor beugen, sondern widersetzen sich dagegen. Von solchen Men- schen kann man kein einziges gutes Werk (d. h. nichts Nützliches) erwarten. Sie sind dazu völlig unfähig.