Behandelter Abschnitt Joh 11,28-37
Maria zu den Füssen des Herrn
Verse 28-37. Maria steht schnell auf und geht zu Jesus. Ihr Herz und die Bedürfnisse ihres Herzens waren bereits dort. Ihre Achtung vor dem Herrn und die tiefe Ratlosigkeit ihrer Seele, die durch die Macht des Todes aufgewühlt war, hatten sie bis dahin im Haus gehalten. Doch das zeigte nur, dass der Tod ebenfalls schwer auf der Seele Marias lastete. Alles war ihm unterworfen. Jesus konnte zwar heilen, doch der Tod herrschte sowohl über die Lebenden als auch über die Toten.
Maria kommt zu Jesus. Ihr Herz war unterwürfig, obwohl es geübt und ratlos war, weil der Erlöser, auf den sie vertraut hatte, dem Bösen nicht Einhalt geboten hatte. Sie hängt am Herrn, der das Vertrauen ihres Herzens besitzt, ein Vertrauen, das durch Marthas Worte wiederbelebt worden war. Doch noch immer lastete das Gewicht des Todes auf ihrer Seele.
Kaum sieht sie den Herrn, fällt sie vor Ihm nieder, denn ihre Hingabe ist mit tiefer Ehrfurcht vor seiner Person gepaart, eine Ehrfurcht, die durch sein Wort hervorgebracht worden war. Doch auch Maria befand sich unter der Last des Todes. In dieser Hinsicht ging sie nicht weiter als Martha. Doch wie diese war sie sich der Güte von Jesus bewusst, deshalb sagte sie: «Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben.» Der Tod stand zwischen ihrer Hoffnung und Jesus, weil Er nicht zwischen Lazarus und den Tod getreten war. Der Tod hatte für sie die Tür zu jeder Hoffnung zugeschlagen. Lazarus war nicht mehr im Land der Lebenden. Er konnte nicht mehr geheilt werden.
Als die Juden sahen, dass Maria aufgestanden und hinausgegangen war, folgten sie ihr, weil sie dachten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. Auf diese Weise schlossen sie sich bloss dem Zeugnis an, das von der Macht des Todes über Körper und Seele zeugte. «Konnte dieser, der die Augen des Blinden auftat, nicht bewirken, dass auch dieser nicht gestorben wäre?» Jesus fühlte es. Er seufzte tief im Geist und erschütterte sich. Doch Er war gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Und sowohl dieses Zeugnis der Wahrheit als auch die Liebe, die sein Herz bewegte, trieben Ihn vorwärts zum Grab, wo der Körper von Lazarus lag. Er fragte: «Wo habt ihr ihn hingelegt?» Sie führten Ihn zum Grab.
Jesus vergoss Tränen. Sie erleichterten Ihn und zeugen von seiner Menschheit und von seinem Mitgefühl, das Er als Mensch für die Menschen hat. Zudem sind sie der Ausdruck eines Herzens, das von göttlicher Liebe bewegt ist. Die Ursache für seine Tränen war jedoch weder der Verlust von Lazarus noch seine Liebe zu den Schwestern des Verstorbenen, denn Er würde Lazarus im nächsten Augenblick auferwecken. Wenn Er an das gedacht hätte, wäre sein Herz von Freude erfüllt gewesen. Nein, diese Tränen des Erlösers waren tief empfundenes Mitgefühl, sowohl für das menschliche Geschlecht, das von dem Gewicht des Todes erdrückt wurde und sich nicht selbst aufrichten konnte, als auch für diese geprüften Herzen. - Die Juden dachten, dass die Tränen von Jesus in seiner Zuneigung zu Lazarus wurzelten. «Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt!», sagten sie. Dies war nur natürlich, doch das, was Er zu tun beabsichtigte, untersagt uns, solche Gedanken zu hegen. Die Bemerkung, die einige von ihnen äusserten (V 37), liess Jesus nur von neuem seufzen. Sie erinnerte Ihn daran, dass die Menschen nicht nur dem Tod unterworfen sind, sondern dass der Tod auch ihren Geist beherrscht.
Dies ist es, was die Tränen des Herrn zum Fliessen brachte. Die arme Martha konnte ihren Unglauben nicht verbergen, oder, besser gesagt, den Einfluss, den die äusseren Umstände auf ihre Seele ausübten. Lazarus befand sich schon vier Tage im Grab! Die Verwesung muss schon eingesetzt haben, meinte sie. Gott liess zu, dass nicht der geringste Zweifel aufkommen konnte, und dass der Beweis der Tatsache vom Tod des Lazarus unmissverständlich gegeben war. Doch die Verherrlichung Gottes hing nicht von der Leichtigkeit des Werkes ab, sondern sie zeigte sich in seiner Unmöglichkeit. Dann nahmen sie den Stein weg, der das Grab verschloss, wo der tote Körper von Lazarus lag.