Behandelter Abschnitt Ruth 1,19-22
Die Rückkehr (Ruth 1,19-22)
Im Zusammenhang mit der Rückkehr gibt es mehrere Besonderheiten zu beachten. Als sie Bethlehem erreichen, wird der ganze Ort ergriffen: „Ist das Noomi?“ Welch ein Unheil hatte ihr Weggang angerichtet, und sie ist gezwungen, die traurige Wahrheit selbst zu bekennen. Wie ihre wenigen Worte die Geschichte erzählen, ist ihr Herz noch nicht ganz wiederhergestellt. „Nennt mich nicht Noomi (angenehm), nennt mich Mara (bitter); denn der Allmächtige hat sehr bitter mit mir gehandelt.“ Sie nennt Ihn bei diesem furchteinflößenden Namen, der eher seine Macht als seine Liebe und Fürsorge betont. Während sie an ihr einst glückliches Zuhause denkt und ihre eigene Verantwortung für die Veränderung vergisst, scheint sie den Allmächtigen für alles verantwortlich zu machen.
Aber die nächsten Worte bekennen die Wahrheit, dass sie voll ausgegangen ist. Es war freiwillig! Sie war nicht gezwungen worden, zu gehen. Und sie war satt, als sie ging! Der Eigenwille führte sie fort, aber die Gnade brachte sie nach Hause – ja, es war immer noch ihr Zuhause! Ist dies nicht das Bekenntnis einer jeden wiederhergestellten Seele? Wir mögen viele Ausreden für unsere Abkehr von Gott gehabt haben: die Umstände waren gegen uns, Freunde wurden kalt, wir wurden missverstanden – so viele Gründe wir auch finden mögen, der eine Grund für die Abkehr von Gott wird in diesem einen kurzen Satz ausgedrückt: „Voll bin ich ausgegangen.“
Aber mit diesem Bekenntnis erreicht die Seele Gott, denn wahres Bekenntnis kann nur in Seiner Gegenwart stattfinden. Das nächste Wort ist also der Bundesname: „Der Herr hat mich wieder heimgebracht.“ Wir selbst würden niemals zurückkommen. Nur die Kraft der unveränderlichen Gnade stellt den Umherirrenden wieder her; aber dafür würden wir immer noch im Land Moab bleiben. Auch könnten wir in keinem anderen Zustand als leer zurückgebracht werden. Es muss die dadurch angedeutete Gebrochenheit vorhanden sein, um die Seele bereit zu machen, sich der Liebe Gottes hinzugeben.
Aber ihr Zustand ist ein Zeugnis dafür, was für eine böse und bittere Sache es ist, vom Herrn abzuweichen – eine Warnung an alle vor der Torheit, sich vom Haus der Fülle abzuwenden.
Seht euch diese arme, trostlose Witwe an, die von scheinbar hoffnungslosem Kummer niedergedrückt ist, ihr Glanz liegt hinter ihr – und ihr seht ein Bild der Seele, die von Gott abirrt. Wie viele Herzen gibt es, die gefüllt sind mit bitteren Gedanken und vergeblichem Bedauern unter den Heiligen Gottes. „Es hätte sein können“, sagt der alte Mann, der auf ein Leben voller verschwendeter Energie und Zeit zurückblickt. Wer kann den Verlust ermessen, den diejenigen erleiden, die ihr Leben mit dem Sammeln von „Holz, Heu und Stroh“ dieser Welt verbringen? Auch ist ein solcher Abschied nicht unbedingt ein moralischer Niedergang. Die Welt kann sehr aufrichtig sein, aber sie macht aus Gottes Volk Witwen, die ihren Verlockungen nachgeben.
Die Umkehr von einem Weg des Unglaubens ist immer eine Zeit der Ernte. Möge doch der stolze, widerspenstige Wille gebrochen werden und Worte des Bekenntnisses ausgesprochen werden. Dann wird der arme Wanderer die reife Ernte mit all ihrer Fülle und ihrer Freude finden!
Wer anders als der Gott aller Gnade könnte zu allen Zeiten Segen für sein Volk haben, wie groß auch seine Untreue sein mag. In Seiner Gegenwart aber wohnt die Fülle. Keiner kann dort hungern, für jeden von uns gibt es bei Ihm mehr als genug. Seine Stimme ist immer: Iss, ja trink reichlich (Ps 36,9).
Die Propheten sind voll von Bildern dieser Rückkehr des verwitweten Volkes zu Gott. Die gesamten Klagelieder des Jeremia könnte man als die Klagelieder der Noomi bezeichnen: „Wie sitzt einsam die volkreiche Stadt, ist einer Witwe gleich geworden die Große unter den Nationen! Die Fürstin unter den Landschaften ist fronpflichtig geworden.
Bitterlich weint sie bei Nacht, und ihre Tränen sind auf ihren Wangen; sie hat keinen Tröster unter allen, die sie liebten; alle ihre Freunde haben treulos an ihr gehandelt, sind ihr zu Feinden geworden.
Juda ist ausgewandert vor Elend und vor schwerer Dienstbarkeit; es wohnt unter den Nationen, hat keine Ruhe gefunden; seine Verfolger haben es in der Bedrängnis ergriffen.
Die Wege Zions trauern, weil niemand zum Fest kommt; alle ihre Tore sind öde; ihre Priester seufzen; ihre Jungfrauen sind betrübt, und ihr selbst ist es bitter.
Ihre Bedränger sind zum Haupt geworden, ihre Feinde sind sorglos; denn der Herr hat sie betrübt wegen der Menge ihrer Übertretungen; vor dem Bedränger her sind ihre Kinder in Gefangenschaft gezogen.
Und von der Tochter Zion ist all ihre Pracht gewichen; ihre Fürsten sind wie Hirsche geworden, die keine Weide finden, und kraftlos gingen sie vor dem Verfolger her.
In den Tagen ihres Elends und ihres Umherirrens erinnert Jerusalem sich an alle ihre Kostbarkeiten, die seit den Tagen der Vorzeit waren, da nun ihr Volk durch die Hand des Bedrängers gefallen ist und sie keinen Helfer hat; die Bedränger sehen sie an, spotten über ihren Untergang.
Jerusalem hat schwer gesündigt, darum ist sie wie eine Unreine geworden; alle, die sie ehrten, verachten sie, weil sie ihre Blöße gesehen haben; auch sie selbst seufzt und wendet sich ab.
Ihre Unreinheit ist an ihren Säumen, sie hat ihr Ende nicht bedacht und ist erstaunlich gefallen: Da ist niemand, der sie tröstet. Sieh, Herr, mein Elend, denn der Feind hat großgetan!
Der Bedränger hat seine Hand ausgebreitet über alle ihre Kostbarkeiten; denn sie hat gesehen, dass Nationen in ihr Heiligtum gekommen sind, von denen du geboten hast, dass sie nicht in deine Versammlung kommen sollen!
All ihr Volk seufzt, sucht nach Brot; sie geben ihre Kostbarkeiten für Speise hin, um sich zu erquicken. Sieh, Herr, und schau, dass ich verachtet bin!
Merkt ihr es nicht, alle, die ihr des Weges zieht? Schaut und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, der mir angetan wurde, mir, die der Herr betrübt hat am Tag seiner Zornglut“ (Klgl 1,1-12).
Hier sehen wir ihren erbärmlichen Zustand, und wenig später hören wir das Bekenntnis des Überrestes: „Darüber weine ich, rinnt mein Auge, mein Auge von Wasser; denn fern von mir ist ein Tröster, der meine Seele erquicken könnte; meine Kinder sind vernichtet, denn der Feind hat gesiegt.
Zion breitet ihre Hände aus: Da ist niemand, der sie tröstet. Der Herr hat seine Bedränger ringsum gegen Jakob aufgeboten; wie eine Unreine ist Jerusalem unter ihnen geworden.
Der Herr ist gerecht, denn ich bin widerspenstig gegen seinen Mund gewesen. Hört doch, ihr Völker alle, und seht meinen Schmerz! Meine Jungfrauen und meine Jünglinge sind in die Gefangenschaft gezogen“ (Klgl 1,16-18).
Wir sehen aber auch die wiederherstellende Barmherzigkeit des Herrn beim Propheten Hosea, obwohl dort das Haus Ephraim im Vordergrund steht: „Wie sollte ich dich hingeben, Ephraim, dich überliefern, Israel? Wie sollte ich dich wie Adama hingeben, wie Zeboim dich machen? Mein Herz hat sich in mir umgewendet, erregt sind alle meine Erbarmungen. Weder will ich die Glut meines Zorns ausführen noch Ephraim wieder verderben; denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte, und ich will nicht in Zornglut kommen“ (Hosea 11,8.9). „Ich werde für Israel sein wie der Tau: Blühen soll es wie die Lilie und Wurzel schlagen wie der Libanon“ (Hosea 14,6).
Solche Stellen gibt es in den prophetischen Büchern sehr viele. Sie zeigen einerseits den erbärmlichen aber reuigen Zustand des Volkes Israel, und andererseits die ewige Liebe unseres Gottes.
Was für ein Tag wird es sein, an dem der Herr wieder wohlwollend zu Jerusalem sprechen wird und an dem das Land mit ihm verheiratet sein wird. Aber vor dieser Zeit muss es eine Zeit des Kummers und der tiefen Übung geben – die Zeit der Not Jakobs – aber darauf werden wir später schauen.