Behandelter Abschnitt Ruth 2,1-4
Die Ernte (Ruth 2,1-4)
Die Bedeutung des Namens Bethlehem als Haus des Brotes geht jetzt in Erfüllung. Die weißen Erntefelder sprechen von der Fülle, die dort ist, wo Gottes Segen ruht. Die Zeit der Ernte und des Einsammelns ist eine Zeit der freudigen Arbeit. Sie ist die Krone des Jahres: „Du hast gekrönt das Jahr deiner Güte und deine Spuren triefen von Fett“ (Ps 65,12). Die lange Geduld des Landwirts hat ein Ende, und seine Sorge ist jetzt nur noch, die Frucht seiner Arbeit zu ernten. „Die Täler bedecken sich mit Korn; sie jauchzen, ja, sie singen“ (Ps 65,14).
Gottes Ernte ist ohne Zweifel eine Zeit der besonderen Freude für Ihn, da Er die Ergebnisse der göttlichen Fürsorge und Geduld in der Welt sieht. Trotz des Unglaubens der Menschen, der Bösartigkeit Satans und der Trägheit des Herzens sogar bei den Seinen, gibt es Frucht zu Seinem Lob. Wir können sowohl an den ausgestreuten Samen, der das Wort Gottes ist, als auch an die gesammelten Früchte, also diejenigen, die durch das Wort errettet wurden, denken. Unser Herr trennt sie nicht, und in der Tat ist es das Wort, das Heilige hervorbringt: „Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1Pet 1,23).
Wie kostbar ist der Gedanke, dass jedes Kind Gottes dem Wort gleichgestaltet wird, durch das es gezeugt worden ist, und damit auch Christus gleich werden, der in der Vollkommenheit seiner Person die Verkörperung all dessen ist, was das Wort Gottes ist. Wir denken also an die Erntezeit als die Zeit des Einsammelns der Seelen, die unter die rettende Kraft des Wortes Gottes gebracht worden sind. Zugleich tun wir dem Bild keine Gewalt an, wenn wir es auch auf die volle Gnade anwenden, die in dem Wort enthalten ist, und vor allem auf Christus selbst, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt (Kol 1,22; 2,9).
So begegnen wir in Bethlehem nur dieser einen Person, dem Boas, der der Herr der Ernte und Wohltäter ist. Sein Name bedeutet in ihm ist Kraft. Das erinnert uns sofort an den Einen, von dem er das Vorbild ist. Er ist ein wohlhabender Mann oder ein Mann der Tapferkeit, wie man diesen Ausdruck auch wiedergeben kann. Er hat seine Position als Herr der Ernte und als Wohltäter durch seinen Sieg über den Starken eingenommen (Mk 3,27).
Christus hat den Platz des Reichtums durch den Weg der Armut erreicht, indem Er den Reichtum, der Ihm von Rechts wegen zustand, beiseite legte, damit Er die Gegenstände Seiner Liebe und Gnade mit sich selbst verbinden konnte (2Kor 8,9). Das erinnert uns auch an Seine große Geduld und die Mühsal Seiner Seele, als Er Seine Seele in Tränen ausschüttete und Sein Blut vergoss, damit es Frucht für Gott in einer verlorenen Welt geben würde. Sicherlich treffen auf Ihn die Worte des Psalms in besonderer Weise zu: „Er geht hin unter Weinen und trägt den Samen zur Aussaat; er kommt heim mit Jubel und trägt seine Garben“ (Ps 126,6).
So sehen wir in Boas den auferstandenen Herrn, der nach Seiner Mühsal und Seinem Leiden in Seine Freude eintritt. Er ist der Eine, in dem ewige Kraft ist. Er ist ein Verwandter Elimelechs, denn unser Herr hat den Samen Abrahams aufgenommen und schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen. Seine Verwandtschaft mit Elimelech erinnert auch daran, was Israel für Gott hätte sein sollen. Aber es hat darin versagt, denn Elimelech ist tot. Hier ist jedoch einer, dessen Leben eine Beziehung zu Gott zeigte, die Israel durch sein Versagen nicht hatte, der aber in Seiner Gnade in den Tod und das Gericht ging, das eigentlich Israel verdient. Er ist also bereit, die Beziehung aufrechtzuerhalten, die sie verwirkt hatten. Er hat in der Auferstehung das wieder gut gemacht, was sie verloren hatten.
Das wird in dem Propheten Jesaja sehr schön herausgestellt. Jakob war Gottes Knecht, aber er erwies sich als untreu und musste beiseitegestellt werden. Dann wird der wahre und vollkommene Knecht vorgestellt, derjenige, der im Leben und im Tod immer Gottes Willen getan hat und jetzt erhöht ist. Dann wird sich ein Überrest im Glauben an diesen Knecht wenden und durch Ihn Vergebung finden und selbst zum Knecht des Herrn und zum Samen einer heiligen Nation werden, die schließlich zu wahrer Treue und Unterordnung unter Gott zurückgebracht wird. Alles wird durch den Verwandten kommen, der, wie wir sehen werden, der Erlöser ist. Aber wir müssen zu unserer Erzählung zurückkehren.
Die Szene ist auch im natürlichen Sinne schön und lehrreich. Die Beziehung zwischen Boas und seinen Schnittern ist nur allzu selten in einer Welt, in der Egoismus bei den Herren und Misstrauen bei den Knechten die Regel ist. Dies muss immer dort der Fall sein, wo Gott außen vor gelassen wird, und die Kluft zwischen „Arbeit und Kapital“ nur noch größer wird, bis die Herrschaft der Gnade in den Herzen der Menschen errichtet wird. Wie sinnlos sind Arbeitsgesetze und Bemühungen um allgemeinen Wohlstand, wenn die Wurzel des Übels – die Sünde und Selbstsucht des menschlichen Herzens – nicht behoben wird. Diese wird nie erreicht werden, bis Er kommt, von dem Boas das Vorbild ist. Dann wird es den Gruß geben, der hier vor uns steht: „Der Herr sei mit dir“ und „Der Herr segne dich“.
Welch eine Flut von Erinnerungen muss Noomi fast überwältigt haben, als sie auf diese vertrauten Felder blickte! Als sie das letzte Mal die Felder sah, war ihr Leben voller Hoffnung. Jetzt war alles anders. Zweifellos schaute sie durch ihre Tränen hindurch auf all die Freude und den Überfluss, der vor ihr lag, der aber für sie vergangen war, um nicht mehr wiederzukommen. Wie traurig ist es für das verwitwete Herz, die Freude zu sehen, die ihr für immer fremd bleiben wird. Kein Wunder also, dass sie keine Anstrengungen unternimmt, sich zu bessern. Gedanklich ist sie nun ständig mit Erinnerungen beschäftigt.
Zweifellos wird es, wie wir gesehen haben, dieses Gefühl der Trostlosigkeit auf Seiten des Überrestes von Israel geben. Für sie wird es keine Freude geben. All die Fülle des Hauses Gottes wird nur ihr Gefühl der Armut verstärken und so, in seiner Barmherzigkeit, die Mühsal vertiefen, die in ihren Seelen so notwendig ist. Ob für Israel oder den umherirrenden Gläubigen, es muss eine tiefe Übung in der Seele stattfinden, wenn sie in den Genuss der wiederherstellenden Barmherzigkeit Gottes kommen wollen. Das wird oft von dem Volk Gottes vergessen. Die Verletzung wird ein wenig geheilt. Es ist gut, im Haus der Trübsal zu sein. Es ist eine gute Vorbereitung für das Haus des Festes. So ist Noomis Kummer und ihr Schweigen natürlich und richtig.
Aber bei Ruth ist es anders. Sie repräsentiert, wie wir gesehen haben, den Glauben des Überrestes, der keinen Anspruch erhebt. Aber die kommt, um auf den Feldern der göttlichen Barmherzigkeit zu sammeln. Deshalb wird sie hier die Moabiterin genannt, da ihre nichtjüdische Herkunft sie von jedem Rechtsanspruch auf einen Anteil in Israel ausschließt. Und doch hatte Gott gerade für sie Vorsorge getroffen: „Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht vollständig abernten und sollst keine Nachlese deiner Ernte halten; für den Armen und für den Fremden sollst du sie lassen. Ich bin der Herr, euer Gott“ (3Mo 23,22).
Hier sind die Brosamen, die vom Tisch des Meisters fallen und die sich für Ruth, wie für die Frau aus Kanaan, als die Erfüllung all ihrer Bedürfnisse erweisen werden.
Dieser Abschnitt, der zwischen dem Pfingstfest (3Mo 23,15-21; Apg 2,1-4) und dem Laubhüttenfest (3Mo 23,33-36) liegt, deutet auf genau diesen verwitweten Zustand des Überrestes hin, der seiner Zeit der Freude und der Fülle des Segens vorausgehen muss, wenn „ein jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum wohnen wird“ (1Kön 5,5)
Pfingsten bedeutet den Segen der Kirche, die mit Christus in der Auferstehung verbunden ist. Wenn der Herr sie als seine himmlische Braut zu sich genommen hat, wird der verwitwete Überrest Israels als jemand erscheinen, der alle Rechte verwirkt hat. Der Glaube aber, wie bei Ruth, wird beginnen, nach der besonderen Vorsehung der Barmherzigkeit Gottes zu ernten.
Noomi gibt ihre Zustimmung zu Ruths Nachlese und wird so in allem, was der Jüngeren widerfährt, gleichgesetzt. Wie gesegnet ist es, zu wissen, dass die Verzweiflung des gebrochenen Herzens und das Aufkeimen des Glaubens so von Gott registriert werden. Der Glaube blickt durch die Tränen der Reue hindurch. Beide sind vor Gott eins.
Es ist alles Gnade: Ruth erkennt, dass ihre Nachlese auf den Feldern der Person sein soll, in dessen Augen sie Gunst finden wird. Es ist immer ein Zeichen des noch ungebrochenen oder nur teilweise wiederhergestellten Geistes, wenn die demütige Haltung der bedingungslosen Unwürdigkeit noch fehlt.
Wie berauben wir uns selbst, wenn wir einen hohen Platz und eine kühne Haltung einnehmen. Gnade ist nur für den Demütigen, ob Sünder oder Gläubiger, und man kann sie nicht genießen ohne ein zerbrochenes Herz, das Gott nicht verachten wird.
Wir sehen, wie alles von Gott angeordnet ist, nicht von Ruth. Sie weiß nicht, auf wessen Feld sie sammelt.
Menschlich gesprochen war es Rebekkas Glück, am Brunnen zu sein, als Abrahams Knecht kam, um eine Braut für den Sohn seines Herrn zu suchen (1Mo 24).
Es war das Glück der Frau aus Samaria, den Fremden aus Judäa zu treffen, der ihr solche Worte des Lebens und der Gnade zu sagen hatte (Joh 4,1-26).
Aber wir wissen, dass das, was aus Sicht des Menschen Glück ist, Gottes Absicht ist. Es ist die Absicht der Liebe dessen, der das Ende von Anfang an sieht und alles plant.
Sein Auge war auf Rebekka gerichtet, und Er ließ sie als erste zum Brunnen gehen, um den Knecht Abrahams zu treffen. Er führte die Frau aus Samaria, dorthin zu gehen, wo sie den Sohn Gottes treffen würde, und ihr Leben durch die Botschaft, die er ihr brachte, zu verändern. Er weiß es, und Er zieht jeden von uns zur bestimmten Zeit und auf die bestimmte Weise an den Ort des Segens. Wie wunderbar sind seine Wege. Welche Liebe steckt hinter den scheinbar harmlosesten Begebenheiten. Gott ist absolut souverän. Alle unsere Segnungen kommen von ihm allein. Das Werk der Gnade, vom Anfang bis zum Ende, ist Sein. Deshalb gebührt Ihm allein das ganze Lob.