Gedanken zum Buch Ruth
Vorbemerkungen
Es liegt immer eine besondere Freude in der prophetisch vorbildlichen Auslegung der Heiligen Schrift, wenn sie nüchtern und in Übereinstimmung mit der allgemeinen Lehre des Wortes Gottes vorgenommen wird. Die Heilige Schrift selbst ist reich an Illustrationen dieser Methode, und die Gleichnisse unseres Herrn zeigen, wie oft Er sich dieser Methode bediente. Man kann somit berechtigterweise sagen, dass sich auch im Buch Ruth das Evangelium findet.
Auch ein Appell an das Herz hat seinen Platz, besonders in diesen Tagen der geistigen Aktivität und des Egoismus. Diese Geschichte spricht jedes Herz an. Diese Geschichte, die durchweg ein Appell an unsere Zuneigung ist, hat immer auch eine Anziehungskraft auf das Volk Gottes gehabt.
Die folgenden Seiten enthalten wenig oder nichts Neues; wenn sie auf frische Weise bekannte Wahrheiten ins Gedächtnis rufen und einen einfacheren Glauben an einen bekannten Herrn hervorrufen, ist ihr Zweck erfüllt. Der Leser wird bemerken, dass die Merkmale der verschiedenen Haushaltungen durchweg berührt worden sind. Es sollte daran erinnert werden, dass das Buch zuerst jüdischen Charakter hat und die erste Anwendung auf Gottes irdischem Volk liegt. Das wird die Anwendung auf die heutige Zeit nicht behindern, sondern ihr eine zusätzliche Freude verleihen.
Diese Seiten sind nur „Nachlese“ auf einem Feld, dessen goldenes Korn uns mit einer Großzügigkeit und einer Freiheit angeboten wird, von der Boas nur ein Vorbild war. Das Gebet des Verfassers ist, dass sie zu frischem Eifer im Suchen der Schrift anregen mögen, der reichlich belohnt werden wird.
Die Ausarbeitung behandelt folgende Aspekte aus dem Buch Ruth:
Unglaube (Ruth 1,1-5)
Der Glaube (Ruth 1,6-18)
Die Rückkehr (Ruth 1,19-22)
Die Ernte (Ruth 2,1-4)
Die Gnade (Ruth 2,5-7)
Die Liebe (Ruth 2,18 - Ruth 3)
Der unfähige Löser (Ruth 4,1-12)
Der Bräutigam (Ruth 4,13-22)
Der Knecht (Ruth 4,15)
Unglaube (Ruth 1,1-5)
Das Buch der Richter ist eines der traurigeren Bücher in der Heiligen Schrift. Die Dunkelheit dieses Buches steht in deutlichem Kontrast zu der brillanten Erzählung Josuas. Wir sind traurig bei dem Gedanken, dass Gott den Zustand der Tage der Richter vorhergesehen hatte. Ein trauriges Ergebnis dieser Zeit ist die Abkehr des Volkes von Gott – und das trotz aller Warnungen!
Im Verlauf des Buches der Richter verstärkt sich die Dunkelheit. Am Anfang gibt es ein Schreien zu Gott, ein Bekenntnis der Sünde und eine Wiederherstellung in Seiner Barmherzigkeit. Aber das Werk der Befreiung wird immer seichter, die Befreier selbst sind immer weniger durch Glauben gekennzeichnet, bis der letzte Befreier, Simson, in der Gefangenschaft stirbt.
Der Rest des Buches enthält die beschämenden Erzählungen von der götzendienerischen Abkehr von Gott und der damit einhergehenden Verderbtheit des Menschen, mit dem blutigen Bürgerkrieg, der beinahe einen ganzen Stamm auslöschte.
Es gibt überall Einblicke in Gottes Barmherzigkeit, soweit das unglückliche Volk es zuließ. Aber die allgemeine Tendenz ist abwärts und weg vom Licht. Auf nationaler Ebene erwies sich das Volk als ungläubig. Alles deutete auf die Notwendigkeit einer neuen Ordnung hin. Es gab keinen König in Israel. Später hatten sie zwar einen König, aber nur als ein Vorbild auf den wahren König, auf den das Volk noch warten muss und dessen Ankunft wie ein „Morgen ohne Wolken“ (2Sam 23,4) sein wird.
In Buch Ruth haben wir ein helles Bild – nicht von den Menschen, sondern von der Gnade Gottes. Es beginnt moralisch dort, wo die Richter enden: im Abfall von Gott. Aber es ist eine Geschichte der Barmherzigkeit, eine Barmherzigkeit über allen unseren Vorstellungen, mit vielen freudigen Überraschungen.
Historisch gesehen ist das Buch Ruth offensichtlich das Bindeglied zwischen der Zeit der Richter und der Zeit der Könige. Es zeigt uns die Abstammung Davids, des Mannes nach dem Herzen Gottes und zeigt in prophetischer Weise, wie aller Segen von dem Sohn Davids kommt.
In erster Linie hat dieses Buch mit Israel zu tun. Es zeigt den vergangenen Weg dieser Nation auf, ihren gegenwärtigen Zustand und den Weg in den zukünftigen Segen.
Aber die Gnade ist dieselbe, ob sie Israel oder den Heiden gezeigt wird – einer ganzen Nation oder einem Einzelnen. Es wird sich daher schnell zeigen, dass die Hauptbotschaft auch auf den Einzelnen angewendet werden kann, obwohl die Form zur damaligen Haushaltung gehört und nationalen Charakter hat.
Es gibt ein gemeinsames Leben und ein gemeinsames Band, das das ganze Volk Gottes in allen Haushaltungen miteinander verbindet. Familiäre Züge lassen sich überall leicht erkennen. Abraham ist unser Vater, und die Familie des Glaubens ist immer von derselben Demut, demselben Gehorsam und derselben Abhängigkeit geprägt, die ihn vor Gott und den Menschen rechtfertigte.
Wir werden daher in diesem Buch die Geschichte des Segens für die Seele finden. Sie ist für uns selbst und auch für Israel real und gewinnbringend. Während wir versuchen, beide Lektionen zu verstehen, werden wir die Einheit in allen Wegen der Gnade Gottes sehen.
Die Erzählung beginnt in Bethlehem-Juda, zu einer Zeit der Hungersnot. Die Namen sind in der ganzen Heiligen Schrift und auch hier sehr bedeutsam.
Bethlehem ist das Haus des Brotes, passenderweise der Geburtsort dessen, der lange Zeit später als das Brot Gottes vom Himmel herabkam, um der Welt Leben zu geben.
Juda bedeutet Lobpreis und ist der königliche Stamm, durch den der König in Gnaden kommen wird. Lobpreis fließt immer aus dem Wissen um die Fülle des Segens hervor, den wir in Christus haben.
So sind Nahrung und Anbetung eng miteinander verbunden: Bethlehem liegt in Juda. Und es ist ganz natürlich, sie so miteinander verbunden zu finden: „Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen.
Und seine Priester will ich mit Heil bekleiden, und seine Frommen werden laut jubeln“ (Ps 132,15-16).
Es scheint ein seltsamer Widerspruch zu sein, dass eine Hungersnot in Bethlehem war. Wenn es im Haus des Brotes keine Nahrung gibt, wo soll sie dann sonst zu finden sein? Und doch sind Hungersnöte in Gottes Land nicht unbekannt. Abraham erlebte eine Hungersnot in seiner Zeit – und Isaak auch.
Die Beschaffenheit des Landes mit seinen zerklüfteten Hügeln und dem heißen Klima – mit nur wenigen Wasserläufen – machte es besonders anfällig für Dürren. Es war von den periodischen Regenfällen abhängig. Wenn diese ausblieben, gab es keinen Fluss, wie in Ägypten, der diese ersetzen konnte. So war das Land in besonderer Weise vom Himmel abhängig, was die geistliche Bedeutung verdeutlicht. Unser Erbe ist ein gutes Erbe, keines, das so fruchtbar ist und geistige Nahrung in Hülle und Fülle liefert, sondern es muss in ständigem Austausch mit dem Himmel stehen, damit uns dieser Reichtum zugute kommt.
Wenn dann – aus welchem Grund auch immer – der göttliche Segen vorenthalten wird, wird das Haus des Brotes zu einem Ort der Hungersnot. Wir wissen, dass es nicht der Wunsch Gottes ist, dass Sein Volk leidet. Er ist nicht unbarmherzig, wenn Er den Regen zurückhält. Vielmehr liegt die eigentliche Ursache bei Seinem Volk und nicht bei Ihm! Er hatte ihnen das sogar schon früh gesagt, damit sie es jetzt eigentlich gut hätten verstehen können: Wenn der Himmel sich „verschließt“, dann handelt es sich dabei um eine Züchtigung (5Mo 11,17; 28,12).
Es braucht kaum gesagt zu werden, dass das Versagen auf unserer Seite liegt. Wenn die Freude und die geistige Nahrung und die Kraft ausbleiben, so sollten wir allein in uns die Ursache suchen. Gott möchte nichts vorenthalten und der Geist zieht sich nicht vor Traurigkeit zurück. Die Ursache für Unfruchtbarkeit und Einsamkeit der Seele liegt nicht in Ihm, auch wenn wir es manchmal so sehen wollen.
Seiner Gnade haben wir es zu verdanken, dass wir in dem Heiligen Geist ein Unterpfand zu unserer Wiederherstellung und zur Freude des Herrn haben.
Die damalige Hungersnot war Gottes Ruf zur Umkehr, und sie sollte immer so betrachtet werden: „Wenn der Himmel verschlossen ist und kein Regen sein wird, weil sie gegen dich gesündigt haben, und sie beten zu diesem Ort hin und bekennen deinen Namen und kehren um von ihrer Sünde, weil du sie demütigst“ (1Kön 8,35).
Selbst dort, wo es keine öffentliche Abkehr von Gott gegeben hatte, hätte eine solche Bedrängnis sie immer ins Gebet bringen müssen – mit der herzerforschenden Frage: „Warum ist das so?“
Außerdem lebt der Glaubende nicht durch Schauen, sondern durch Glauben. Deshalb prüft Gott manchmal den Glauben. Das scheint der Grund für die Hungersnot zur Zeit Abrahams gewesen zu sein. Gott wollte sehen, ob er ein solches Vertrauen in Seine Güte hatte, dass selbst eine Hungersnot dieses nicht erschüttern konnte.
Leider tat Abraham das, wozu wir nur allzu sehr neigen: Er suchte eine Lösung für seine Schwierigkeiten, anstatt aus der Prüfung Nutzen zu ziehen. Wie wahr ist das bei den meisten von uns. Wird uns Krankheit oder Bedrängnis irgendeiner Art geschickt? Schnell versuchen wir, uns aus der Not zu befreien, anstatt die Lektion zu lernen, die Gott uns lehren möchte. In der Krankheit gilt die Aufmerksamkeit den Gedanken der Genesung und den Methoden der Heilung, anstatt Gottes Stimme zu hören, die uns in der Krankheit anspricht. Ohne Zweifel sollten wir die Krankheit zur Kenntnis nehmen und auch versuchen, Linderung zu finden. Aber das sollte nicht unser erster Gedanke sein.
Wir sollten mit Gott über unseren Mangel sprechen. Nachdem wir uns unter Seine mächtige Hand gebeugt haben, können wir sicher sein, dass Er uns aufrichten wird. Häufig sind wir zu stolz und uns fehlt die demütige Anwendung der göttlichen Mittel zu unserer Heilung. Gott kann und möchte als Antwort auf Gebet Heilung und Genesung geben.
Gott möchte auch, dass wir unseren Ungehorsam erkennen und dass wir dafür Seine züchtigende Hand spüren mussten. Und wenn es keine direkten Handlungen des Ungehorsam gab, dann sah er unseren schlechten, fleischlichen und weltlichen Zustand – der schlimmer ist als das tatsächlich zutage tretende Böse.
Daher sollte das inbrünstige und beständige Gebet den Wunsch hervorrufen, dass wir unseren inneren Zustand vor Ihm offenlegen und mit David sagen können: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken!
Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf ewigem Weg!“ (Ps 139,23.24).
Abraham versagte hier, und sein Versagen hatte katastrophale und dauerhafte Folgen. Er konnte nicht im Land bleiben und seine Lektion bei Gott lernen, sondern er musste nach Ägypten hinabziehen, in die Ferne von Ihm, und dort durch eine beschämende Erfahrung lernen, was es heißt, sich von Gott zu entfernen. Mögen wir von einem solchen Weg abgehalten werden, Erleichterung auf einem anderen als Gottes Weg zu suchen.
Es wurde zuvor bereits darauf eingegangen, da es aber überaus wichtig ist und auch die Folgen, die daraus entstehen, erklärt, erwähne ich es hier noch einmal: Ganz gleich, wie groß der Kummer, wie groß die Not ist, es kann niemals richtig oder weise sein, Gott den Rücken zuzukehren. Wahre Erleichterung kann auf diese Weise niemals kommen. Was so aussieht, ist nur ein Weg in noch tieferen Kummer.