Behandelter Abschnitt Hld 7,1
„Wie schön sind deine Tritte in den Schuhen, Fürstentochter“! (Hld 7,1).
Die Braut des Königs wird hier noch einmal genau betrachtet und empfängt einen neuen Titel: „Fürstentochter“. Ihre Verbindung mit der königlichen Würde wird jetzt anerkannt. Sie ist in die innigsten Beziehungen zu dem König gebracht. Das ist offenbar vor den Augen aller. Wenn der Messias den Thron besteigen wird, so wird nach der klaren und gewaltigen Sprache des 45. Psalms der Platz der Braut zur Rechten des Königs sein. „Die Königin steht zu deiner Rechten in Gold von Ophir.“ Wenn Christus den Schauplatz wieder betritt und den Thron Davids einnimmt, wird in Israel alles verändert sein. Jerusalem wird den ersten Platz haben, und alle Städte Judas werden es an diesem Platz anerkennen. Ja, die Segnung des ganzen Landes und der Erde im Allgemeinen wird eine Folge der Erhöhung Israels sein. „An deiner Väter statt werden deine Söhne sein; zu Fürsten wirst du sie im ganzen Land einsetzen (oder: auf der ganzen Erde).“
Und nun lausche, mein Leser, auf die erste Ansprache, wenn wir es so nennen dürfen, die der König von dem Thron herab an Sein geliebtes Volk richtet. „Höre, Tochter, und sieh, und neige dein Ohr; und vergiss dein Volk und das Haus deines Vaters! Und der König wird deine Schönheit begehren, denn er ist dein Herr: so huldige ihm!“ (Ps 45,11.12). Nicht die Herrlichkeit der Väter, – eines Abraham, Isaak und Jakob, – nein, die unendlich höhere Herrlichkeit des wahren Sprosses aus dem königlichen Haus Juda ist dann angebrochen. Christus ist alles und in allen. Er, der Gerechtigkeit liebt und Gesetzlosigkeit hasst, hat sich der Herrschaft würdig erwiesen. In Gerechtigkeit und Gericht hat Er den vollen Triumph und die Herrlichkeit des jüdischen Volkes eingeführt. Er hat es zum Sieg geführt und alle seine mächtigen Feinde vor ihm zu Boden geschmettert.
Der große Feind, der Israel in die Gefangenschaft führte, ist selbst im Abgrund gefangen. Christus sitzt auf dem Thron, und alle Seine Feinde sind zum Schemel Seiner Füße gelegt. Und dann wird Israel aufgefordert, nicht auf die Väter, sondern auf Ihn zu blicken. „Wir sind Abrahams Same“, so lautete einst ihre ruhmredige Antwort dem demütigen und sanftmütigen Jesus gegenüber; aber alles ist jetzt verändert. „Vergiss dein Volk“, so tönt es in dem Ohr der Tochter Zion, „und das Haus deines Vaters!“ Und was wird die Folge davon sein? „Der König wird deine Schönheit begehren.“ Ja, Er ist ihr Herr, und Ihm allein gebührt ihre Huldigung und Anbetung.
Aber, möchte ich fragen, haben diese schönen Worte von den Lippen Jesu, obwohl Er sie als König der Juden ausspricht, nicht auch eine Stimme für uns? Sind sie nur passend für Israel? Nein, sie sind grundsätzlich und in geistlichem Sinne heute auf alle Jünger Christi anwendbar. Sobald eine Seele zu Jesus bekehrt wird, sollte sie alle ihre alten Verbindungen und Beziehungen vergessen und sich von ihnen abwenden. Alles was Seinem Willen zuwider ist und was uns hindern will, diesen Willen auszuführen, sollte aufgegeben werden.
Die Anwendung der Stelle ist gar nicht schwierig, vorausgesetzt, dass wir bereit sind, unsere Herzen Ihm zu weihen. „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen“ (Spr 23,26), ist ein schönes und sicher auch ein billiges Gebot von Dem, der Sich Selbst für uns hingegeben hat. Seine Hingebung uns gegenüber ist vollkommen. Er hat nichts zurückgehalten. Er hat uns geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben; nicht nur Sein Leben, so wahr und gesegnet das ist, sondern Sich Selbst. Das Kreuz ist der stärkste Ausdruck Seiner Liebe, den es jemals geben kann; aber indem Er Sich Selbst hingab, gab Er alles was Er ist, als der Mensch Christus Jesus, der Heiland der Sünder. O beachte, mein lieber Mitpilger, die Größe dieser Gabe: Sich Selbst! – und betrachte Ihn, den Geber! Seine Liebe ist vollkommen. Er, Er Selbst ist dein!
Wir besitzen Christus in Seiner ganzen Fülle, Sein Name sei dafür gepriesen! Seine Weisheit, Seine Gerechtigkeit, Sein Friede, Seine Freude, Seine Gnade, Seine Herrlichkeit, die Vollkommenheit Seines Werkes, Sein Auferstehungsleben – mit einem Wort, Seine ganze Person mit all ihrer Schönheit und Herrlichkeit ist unser, ist dem Gläubigen für immer und ewig geschenkt. Groß, wunderbar groß ist das Geheimnis dieser vollkommenen Liebe. Betrachten wir von ihr hier nur kurz ein Beispiel. Es steht geschrieben, dass Christus „Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes“ (Kol 1,20).
Das Wort „Friede“ bedeutet in dieser Verbindung Versöhnung. Wir sind mit Gott versöhnt, der Friede ist gemacht gemäß der Vollkommenheit Seines Werkes auf dem Kreuz. Aber es steht auch geschrieben: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ Hier ist „Friede“ nicht gleichbedeutend mit „Versöhnung“, sondern es handelt sich um den eigenen Frieden Christi, wie Er ihn auf Erden in der Gemeinschaft mit Seinem Vater auf dem Pfad des Gehorsams genossen hat. Welch eine Gabe: „mein Friede“! ein Friede, der der Herrlichkeit Seiner Person entsprach und den Er uns als ein heiliges Vermächtnis in dem unruhigen Schauplatz dieser Welt hinterlassen hat. Und Er gibt nicht, wie die Welt gibt. Die Welt gibt einen Teil, und einen Teil hält sie für sich zurück; Er aber gibt alles. Welch eine Segnung!
Was hat die Liebe nicht alles getan! Welch ein Vertrauen sollte diese unaussprechliche Gabe in unserem Herzen erwecken. Zu wissen und zu verwirklichen, dass Jesus mein ist, heißt vollkommenen Frieden und selige Ruhe in Seiner gesegneten Gegenwart genießen. Und wenn diese Gabe das Vertrauen unserer Herzen weckt, wie treibt sie uns andererseits an, uns Ihm ganz zu widmen, Leib, Seele und Geist unserem hochgelobten Herrn zu weihen. Möchten wir jenes Vertrauen kennen, und handeln, getrieben durch diese Liebe! – Ja, Herr, gib, dass unsere Liebe ein treuer Widerschein von Deiner Liebe sei!
Es ist schwer zu sagen, ob die ersten fünf Verse unseres Kapitels (Hld 7,1-5) von den Töchtern Jerusalems oder von dem Bräutigam Selbst an die Braut gerichtet werden. Der Ton des sechsten Verses, in dem offenbar der Bräutigam spricht, scheint tiefer und inniger zu sein als vorher. Wenn Er ferner in Hld 4 von den Eigenschaften Seiner Geliebten redet, beginnt Er mit dem Haupt. In Hld 5 tut die Braut im Blick auf den Bräutigam dasselbe. Hier aber ist es umgekehrt; die Beschreibung beginnt mit den Füßen und endet mit dem Haupt. Die Braut scheint in dieser Stelle von einem irdischen Gesichtspunkt aus betrachtet zu werden, als ob die Töchter Jerusalems zunächst durch ihren Wandel angezogen würden. Außerdem handelt es sich hier nicht so sehr um ihre persönliche, makellose Schönheit, die der Bräutigam so sehr bewundert und bei der Er so gerne verweilt, sondern vielmehr um Eigenschaften, die auf ihre königliche Würde anspielen; oder, wie man auch sagen könnte, es handelt sich mehr um nationale Herrlichkeit als um persönliche Schönheit.