Ergänzungen zu den Johannesbriefen sind in einem separaten Artikel abgelegt (Link).
Einleitung
1. Abfassung des Briefes
Dieser Brief ist zwischen den Jahren 90–95 geschrieben worden. Zu der Zeit gab es bereits viele Antichristen (2,18), viele falsche Propheten (4,1) und viele Verführer (2Joh 7). Die letzte Stunde war angebrochen (2,18). Paulus hatte etwa 25 Jahre zuvor geschrieben: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abgewandt“ (2Tim 1,15). Angesichts dieser Situation stellt Gott das ewige Leben deutlicher ans Licht.
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Der endgültige Abfall wird z. B. in 2. Thessalonicher 2 beschrieben und kann erst nach der Entrückung – kurz vor dem Tag des Herrn – anbrechen. Die Briefe, die im Neuen Testament besonders den Abfall beschreiben, sind 2. Petrus, Judas und 1. Johannes. Das ist auch ihre moralische Reihenfolge. Antichrist bedeutet nicht „Gegen-Christus“, sondern „Anstelle-Christus“.
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Johannes beschreibt nicht die amtliche, sondern die göttliche, persönliche Herrlichkeit des Herrn Jesus. Das Ziel seines Evangeliums wird in Johannes 20,30-31 angegeben: „Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen.“ Das Ziel seines 1. Briefes finden wir in Kapitel 5,13: „Damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes“.
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Johannes sollte – was seinen Dienst betrifft – bis zum Kommen des Herrn Jesus bleiben (Joh 21,22-23). Deshalb schrieb er auch das Buch der Offenbarung, das die Regierungswege und das Gericht Gottes im Blick auf die abgefallene Christenheit und das abgefallene Israel beschreibt.
2. Vergleich zwischen den Schriften des Johannes und des Paulus
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Johannes stellt uns Gott vor, den Vater offenbart im Sohn und ewiges Leben in Ihm. Paulus hingegen stellt uns vor Gott, der uns in Christus angenommen hat.
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Johannes beschreibt die ewige Herrlichkeit der Person des Sohnes als der Eingeborene des Vaters, Paulus seine Herrlichkeit, die Er als Mensch empfangen hat.
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Johannes beschreibt die Offenbarung Gottes selbst, das Leben Christi hier auf der Erde, dasselbe himmlische Leben in den Gläubigen und unsere persönliche Verbindung innerhalb der Familie Gottes als Kinder Gottes mit dem Vater und dem Sohn. Paulus schreibt von der Offenbarung der ewigen Ratschlüsse Gottes, unserer Stellung in Christus in himmlischen Örtern, von dem im Himmel verherrlichten Christus, mit dem die Versammlung auf der Erde als sein Leib durch den Heiligen Geist vereint ist.
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Johannes spricht über die Natur Gottes, Paulus entfaltet die Ratschlüsse Gottes in Gnade
3. Anlass des Briefes
Der Gnostizismus (von gnw`siς abgeleitet = Erkenntnis) war aufgekommen. Er hatte seine Blütezeit im 1. und 2. Jahrhundert. Diese Philosophie vermischte heidnische Elemente mit dem christlichen Glauben. In seiner vollsten Entwicklung verschmolz der Gnostizismus orientalische (persische, ägyptische) und griechische (stoische, platonische, phytagoräische) Elemente mit den Wahrheiten des Christentums.
Einige herausragende gnostische Lehrer waren Simons Magus, Menander, Saturninus, Cerinthus, Basilides, Valentinus, und Marcion. Jeder hatte seine eigene Philosophie.
Christliche Gnostiker waren unter anderen Clemens von Alexandria (150–215) beeinflusst von Platon, der Stoa und Philon. Er sah das Wirken des göttlichen Logos überall, auch in der heidnischen Philosophie (bes. bei Plato), die als Hinwendung zum Göttlichen unentbehrlich ist. Durch Askese kann der Christ zu einem „im Fleisch wandelnden Gott“ werden. Nach Origenes (185–254), Kirchenvater und Philosoph, ist „Gott wirkende Vorsehung; Christus nicht Erlösung, sondern Vorbild; der Heilige Geist der eigentliche Mittler zwischen Christus und der Welt bzw. der Menschheit, der deren Rückführung zu Gott bewirkt“.
Die Gnostiker leugneten die Sünde, die Inkarnation und die Erlösung durch Jesus Christus. Erlösung geschah nur für Eingeweihte durch Erleuchtung. Gott tiefer zu erkennen und im Glauben verborgene Mysterien durch Spekulationen zu erkennen, war das Ziel der Gnostiker.
Der Gnostizismus führt zu tieferen Erkenntnissen durch Weiterentwicklung der Wahrheit. Johannes zeigt, wie das, was von Anfang an war, groß und vollkommen genug ist, dass es keiner Weiterentwicklung bedarf.
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Arianismus (Leugnung seiner Gottheit) = Frucht des Gnostizismus (Arius war Presbyter – später Bischof – in Alexandria, geb. ca. 280, gest. 336). Obwohl Konstantin ein Arianer war, verteidigte der griech. Kirchenvater Athanasius (ca. 295–373) die Wesensgleichheit Christi mit Gott beim 1. Konzil (325) in Nizäa.
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Appolinarianismus (Leugnung seiner Menschheit). Apollinaris war Bischof von Laodizea (gest. um 390) und stritt gegen den Arianismus. Er lehrte, dass der Sohn Gottes sich in Christus mit einem belebten, aber der Geistseele entbehrenden Menschenleib vereinigt habe (Brockhaus).
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Nestorianismus machte aus dem Herrn zwei Personen. Nestorius war Presbyter in Antiochien. Ab 428 Patriarch in Konstantinopel. Er lehrte, dass die göttliche und menschliche Natur in Christus geschieden sei.
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Kein Kirchenvater hat so wie Augustinus (354–430) für die Wahrheit gekämpft. Bekehrung 386, Taufe 387. Ab 395 Bischof von Hippo Regius. Kämpfte gegen den Donatismus und andere Irrlehren.
Es ist eine Besonderheit der Briefe des Johannes, dass man oft nicht erkennen kann, ob der Vater oder der Sohn gemeint ist. Dadurch wird deutlich, dass beide göttliche Personen sind.
4. Schlüsselverse
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„das Leben ist offenbart worden“ (1,2)
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„Was wahr ist in ihm und in euch“ – völlige Identifikation (2,8)
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„Gott hat uns das ewige Leben gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohn“ (5,11)
5. Wie können wir wissen, dass wir aus Gott geboren sind?
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wenn wir seine Gebote bewahren (2,3–6.29; 3,10; 5,3)
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wenn wir einander lieben (2,9.10; 3,14.18.19; 4,7.8.16.20.21; 5,2)
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wenn wir seinen Geist besitzen (3,24; 4,13)
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wenn wir nicht sündigen (3,6.9.10; 5,18)
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wenn wir Jesus Christus als Fleisch gewordenen Sohn Gottes bekennen (2,23; 4,2.15; 5,1–5)
7. Unterschied zwischen dem 2. und dem 3. Brief
Das Problem der Gleichgewichtigkeit der Wahrheit und der Liebe behandelt der Apostel Johannes in seinem zweiten und seinem dritten Brief: Der zweite Brief ist eine Warnung davor, die Liebe nicht auf Kosten der Wahrheit festzuhalten, und der dritte Brief, dass wir die Wahrheit nicht auf Kosten der Liebe festhalten dürfen.
8. Kennzeichen des Lebens (biologisch betrachtet)
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Wachstum
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Fortpflanzung
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Reagieren durch Reize der Umwelt
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Stoffwechsel
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Tod
9. Übersicht nach William Kelly (Introductory Lectures)
Kapitel 1 | ||
1. | 1,1–4 | Grundlage des Briefes: Das Fleisch gewordene Wort des Lebens. Das ewige Leben bei dem Vater, Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus. Dadurch ist völlige Freude möglich. |
2. | 1,5–10 | Dieser Offenbarung Gottes in Christus entspricht die Verantwortung der Kinder Gottes. Gottes Charakter ist Licht. |
Kapitel 2 | ||
3. | 2,1.2 | Das göttliche Licht sorgt für Wiederherstellung: Jesus Christus, der Gerechte, als Sachwalter beim Vater. Er ist die Sühnung nicht nur für unsere Sünden, sondern auch für die ganze Welt. |
4. | 2,3–11 | Wie erweist sich die Wirklichkeit des neuen Lebens bei dem Kind Gottes? |
4.1. | 2,3–6 | Zuerst in Gehorsam |
4.2. | 2,7–11 | dann in Liebe |
5. | 2,12–28 | Die verschiedenen Altersstufen in der Familie Gottes: Väter, Jünglinge, Kindlein. Zusammen sind alle Kinder, siehe Kap. 2,1.12.28; 3,7; 5,21. An sie schreibt Johannes, weil ihre Sünden vergeben sind. In Vers 28 wird dieser Abschnitt zusammengefasst. |
6. | 2,29 | Gerechtigkeit im Leben der Kinder Gottes ist das Zeugnis, dass sie aus Gott geboren sind. |
Kapitel 3 | ||
7. | 3,1–3 | Einschaltung: die Liebe des Vaters. Die notwendige Motivation und Kraft für ein Leben der Gerechtigkeit |
8. | 3,4–7 | Definition für Sünde – das Werk Christi in absoluter Trennung von der Sünde – in ihm bleiben ist die Voraussetzung für ein Leben der Gerechtigkeit |
9. | 3,8–24 | Der Gegensatz zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels |
9.1. | 3,8–10 | Die Gerechtigkeit im Grundsatz und in der Praxis der Kinder Gottes |
9.2. | 3,11–17 | Gegenseitige Liebe, nicht wie Kain und in der Welt, wo Hass regiert |
9.3. | 3,18–24 | Gott sucht nach Wahrheit im Innern und sieht das Herz an. Kinder Gottes dürfen Freimütigkeit vor Ihm gebrauchen. Sie glauben an den Sohn Gottes und sind Ihm gehorsam. Wer so gehorcht, bleibt in Gott und Gott in ihm, wozu der Geist Gottes die Kraft gibt |
Kapitel 4 | ||
10. | 4,1–6 | Nicht irreführen lassen. Der erste Prüfstein des Irrtums ist: Jesus Christus, im Fleisch gekommen, den der Heilige Geist verherrlicht. Der Geist, der Ihn nicht bekennt, ist nicht aus Gott. Zweitens: nicht das Gesetz und die Propheten, sondern das neue Zeugnis Christi durch die Apostel und Propheten |
11. | 4,7–10 | Gegenseitige Liebe, die aus Gott stammt. Damit ist unzertrennlich verbunden, Gott zu lieben und Ihn zu kennen. Kinder Gottes kennen Gott und können Ihn lieben, weil Er seinen Sohn gesandt hat. Er ist die Sühnung für unsere Sünden |
12. | 4,11–16 | Wenn Gott uns so geliebt hat, sollen die Kinder Gottes einander ebenfalls lieben. Darin wird Gott gesehen. Wir bleiben in Gemeinschaft mit Gott durch den Geist. All das ist verbunden mit dem Bekenntnis, dass Jesus der Sohn Gottes ist |
13. | 4,17–21 | Die Vollendung der Liebe: Freimütigkeit am Tag des Gerichts, ohne Furcht. Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. Gott lieben und den Bruder nicht, geht nicht zusammen. |
Kapitel 5 | ||
14. | 5,1–5 | Diesem Abschnitt liegt die Frage zu Grunde: „Wer ist mein Bruder?“ Liebe zu Gott bedeutet auch Liebe zu den Kindern Gottes. Gebote – Glaube – die Welt überwinden – Glaube, dass Jesus der Sohn Gottes ist |
15. | 5,6–12 | Die drei Zeugnisse: der Geist, das Wasser und das Blut. Alle drei zeugen für Jesus. Gott hat uns ewiges Leben in dem Sohn geschenkt |
16. | 5,13–21 | Zusammenfassung des Briefes |
16.1 | 5,13 | Die, die an den Sohn glauben, haben ewiges Leben |
16.2 | 5,14.15 | In Freimütigkeit nahen die Kinder Gottes Gott und kommen mit den von ihm empfangenen Bitten, die Erhörung finden |
16.3 | 5,16.17 | Mit einer Ausnahme: nicht bitten, wenn Sünde zum Tod bei einem Bruder vorliegt |
16.4 | 5,18–21 | Der aus Gott Geborene bewahrt sich vor allen Irrtümern. Die Kenntnis des Wahrhaftigen, des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes, des ewigen Lebens bewahrt uns, auch vor den Götzen |
Kapitel 1
Einleitung
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Der Abschnitt 1,1–2,2 ist die lehrmäßige Einleitung, danach folgen die entsprechenden Anwendungen
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Einige grundsätzliche Punkte zu diesem Kapitel:
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Die Absicht Gottes besteht darin, uns in völlige Gemeinschaft mit sich zu bringen
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Wir sollen Christus zunehmend besser kennenlernen. Christus zu erkennen, lässt sich nicht davon trennen, wie viel Platz wir Ihm in unserem Leben einräumen
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Was nicht die Offenbarung des Lebens Christi in uns ist, ist von der Welt und von dem Fleisch
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Sieben christliche Segnungen in Kapitel 1,1–2,2
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Das Leben ist offenbart worden
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Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und den Aposteln
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Völlige Freude
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Gemeinschaft miteinander
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Reinigung durch das Blut von jeder Sünde
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Vergebung jeder Sünde und Reinigung von der Ungerechtigkeit
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Wir haben einen Sachwalter
Einteilung
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Die Offenbarung des ewigen Lebens – Gemeinschaft mit göttlichen Personen (V. 1–4)
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Gott ist Licht – Wandel im Licht oder in der Finsternis (V. 5–10).
Vers 1
Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens:
Von Anfang [ajp´ ajrch`ς]: Das ist der Anfang der Offenbarung Gottes, aller christlichen Wahrheit und des ewigen Lebens in der Person des Sohnes Gottes. Hierin ist auch die Menschwerdung eingeschlossen. „Das war die Grundlage aller apostolischen Unterweisung“ (F. B. Hole). „Anfang“ ist der Beginn der Offenbarung einer Person (so auch in negativer Hinsicht bezüglich des Teufels – Kap. 3,8).
Vorkommen in diesem Brief: 1,1; 2,7; 2,13; 2,14; 2,24; 2,24; 3,11 (3,8 vom Teufel).
Verschiedene Anfänge in der Bibel:
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Der Anfang in Johannes 1,1 ist die ewige Existenz des Wortes Gottes
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Der Anfang in 1. Mose 1,1 ist der Zeitpunkt der Erschaffung des Universums
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Der Anfang im 1. Johannesbrief ist der Beginn der Herrn Jesus als Mensch auf der Erde
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Der Anfang in Markus 1 ist der Beginn des Dienstes des Herrn
Gehört ... gesehen: zuerst hören, dann sehen (Röm 10). „Sehen“ ist die Vorstufe zu „erkennen“ (3,6). War das erste Hören durch die Botschaft Johannes des Täufers möglich (vgl. Joh 1,35-51)? Die Samariter hörten und sahen (Joh 4,42). Beide Verben sind im Perfekt; „anschauen“ und „betasten“ im Aorist.
Sehen: vgl. Joh 1,18; 14,7.9; Kol 1,15; 1Tim 3,16; 6,16; (2Mo 33,20.23). Die Jünger waren Augenzeugen (vgl. Apg 1,21-22).
Anschauen: aufmerksam betrachten (vgl. Joh 1,14.32.38; 4,35; 6,5; 11,45). Wie nahe war der Herr den Jüngern! Die östlichen Monarchen hielten ihre Untergebenen auf Distanz (Es 1).
Betasten [yhlafavw]: oder berühren. Auch nach der Auferstehung haben die Jünger den Herrn berührt (Joh 20,27).
In diesen vier Verben sieht man eine bestimmte Reihenfolge. Der Herr Jesus kommt Menschen gleichsam immer näher.
Betreffend das Wort des Lebens [lovgoς]: Das ist die Offenbarung des ewigen Lebens. lovgoς in Johannes: 1,1.14; 5,24.38; 8,31.37.43.51.52. rJh`ma in 3,34, 6,63, 68; 8,47; 12,47.48; 14,10; 17,8. Dieses Leben ist das Leben Gottes selbst, so dass nur der Sohn, der von Ewigkeit im Schoß des Vaters war, dieses Leben als Mensch offenbaren konnte.
Das Wort des Lebens: Wir stellen nicht das ewige Leben dar, sondern das Wort des Lebens, nämlich Christus (Phil 2,15).