Am Ende dieses Eintrages finden sich noch die "Betrachtungen über die Johannesbriefe" von JND
Behandelter Abschnitt 1Joh 1
Einleitung
Der Brief des Johannes hat einen besonderen Charakter. Sein Gegenstand ist das ewige Leben, das in Jesus offenbart und uns mitgeteilt worden ist; das Leben, das bei dem Vater war und in dem Sohn ist. In diesem Leben erfreut sich der Gläubige der Gemeinschaft des Vaters, steht mit Ihm in Verbindung durch den Geist der Sohnschaft und hat Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Der Charakter Gottes selbst ist der Prüfstein dieses Lebens, weil es von Ihm ausfließt. Das erste Kapitel stellt diese beiden Punkte fest; es redet zunächst von der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und zeigt dann, dass diese Gemeinschaft dem wahren Charakter Gottes entsprechen muss. Dem zweiten Kapitel gibt der Name des Vaters sein besonderes Gepräge, und weiterhin wird die Wirklichkeit des uns mitgeteilten göttlichen Lebens durch das, was Gott ist, geprüft. Die paulinischen Briefe beschäftigen sich, obwohl sie von diesem Leben sprechen, im allgemeinen damit, den Christen die Wahrheit hinsichtlich der Mittel vorzustellen, durch die sie befähigt sind, in der Gegenwart Gottes zu stehen, als solche, die gerechtfertigt und in Christus angenehm gemacht sind. Der erste Brief des Johannes zeigt uns das Leben, das durch Jesus Christus von Gott kommt. Johannes stellt Gott vor uns hin: den Vater, offenbart in dem Sohn, sowie ewiges Leben in Ihm. Paulus dagegen stellt uns vor Gott hin, als angenommen in Christus. Ich rede von dem, was die beiden Männer kennzeichnet; jeder von ihnen berührt auch den Gegenstand des anderen. Dieses Leben nun, wie es in der Person Jesu offenbart ist, ist so köstlich, dass der vorliegende Brief in dieser Hinsicht eine ganz besondere Lieblichkeit hat. Und wenn ich dann meine Augen auf Jesum richte, wenn ich all seinen Gehorsam betrachte, seine Reinheit, seine Gnade, seine Zärtlichkeit, seine Geduld, seine Ergebung, seine Heiligkeit, seine Liebe, seine vollkommene Selbstlosigkeit, so kann ich sagen: das ist mein Leben! Welch eine unendliche Gnade!
Es ist möglich, dass dieses Leben in mir verdunkelt ist, aber nichtsdestoweniger bleibt es wahr, dass es mein Leben ist. Wie freue ich mich, wenn ich das göttliche Leben so betrachte! Wie preise ich Gott dafür! Welch eine Ruhe verleiht das der Seele! Welch eine reine Freude dem Herzen! Zu gleicher Zeit ist Jesus selbst der Gegenstand meiner Zuneigungen, und sie alle werden nach diesem heiligen Gegenstand gebildet1.
Kapitel 1
Doch wenden wir uns jetzt zu dem Brief selbst. Als Johannes ihn schrieb, maßten sich viele an, ein neues Licht zu besitzen, klarere Ansichten zu haben. Man behauptete, das Christentum sei sehr gut als eine elementare Sache, ein Ausgangspunkt; aber jetzt sei es veraltet, und ein neues Licht sei aufgegangen, das jenes Dämmerlicht völlig in den Schatten stelle. Doch die Person unseres Herrn selbst, die wahre Offenbarung des göttlichen Lebens, zerstreute alle diese stolzen Anmaßungen, diese Ausgeburten des unter dem Einfluss des Feindes stehenden menschlichen Geistes, die nur die Wahrheit verdunkelten und den Geist des Menschen in die Finsternis zurückführten, aus der sie selbst hervorgegangen waren. Das, was von Anfang (des Christentums, nämlich in der Person Christi) war, was sie gehört, was sie mit ihren eigenen Augen gesehen, was sie angeschaut und mit ihren eigenen Händen betastet hatten, betreffend das Wort des Lebens, das war es, was der Apostel verkündigte. Denn das Leben selbst war offenbart worden. Das Leben, das bei dem Vater war, dasselbe Leben war den Jüngern offenbart worden. Konnte es etwas Vollkommeneres, etwas Köstlicheres, eine wunderbarere Offenbarung in den Augen Gottes geben, als Christus selbst, als dieses Leben, das bei dem Vater war und jetzt in seiner ganzen Vollkommenheit in der Person des Sohnes offenbart worden ist? Sobald die Person des Sohnes der Gegenstand unseres Glaubens wird, fühlen wir, dass Vollkommenheit „im Anfang“ gewesen sein muss. Die Person des Sohnes, das im Fleisch offenbarte ewige Leben, ist also unser Gegenstand in diesem Brief.
Infolgedessen muss die Gnade hier in dem betrachtet werden, was auf das Leben Bezug hat, während Paulus sie uns in Verbindung mit der Rechtfertigung vorstellt. Das Gesetz verhieß das Leben als Folge des Gehorsams; aber das Leben kam in der Person Jesu, in der ganzen, ihm eigenen göttlichen Vollkommenheit, und zwar in seiner menschlichen Offenbarung. Wie kostbar ist die Wahrheit, dass dieses Leben, so wie es bei dem Vater und so wie es in Jesus war, uns geschenkt worden ist! In welche Beziehungen stellt es uns, durch die Kraft des Heiligen Geistes, zu dem Vater und zu dem Sohne selbst! Und das ist es, was der Geist uns hier zunächst vor Augen stellt. Alles ist Gnade hier. Später stellt der Apostel allerdings alle Behauptungen, Gemeinschaft mit Gott zu besitzen, dadurch auf die Probe, dass er zeigt, was der Charakter Gottes ist - ein Charakter, den Gott niemals verleugnen kann. Doch bevor er dazu übergeht, redet er von dem Heiland selbst und von der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn, ohne jede Frage und Einschränkung. Das ist unsere Stellung und unsere ewige Freude.
Der Apostel hatte dieses Leben gesehen, er hatte es mit seinen eigenen Händen betastet; und er schrieb an andere, indem er ihnen dies mitteilte, damit auch sie Gemeinschaft mit ihm haben möchten in der Kenntnis des Lebens, das so offenbart worden war2. Und nun, insoweit dieses Leben der Sohn war, konnte es nicht gekannt werden, ohne den Sohn zu kennen, d. h. ohne zu erkennen, was Er war, ohne einzugehen in seine Gedanken und seine Gefühle; denn anders wird Er nicht wirklich erkannt. Auf diese Weise hatten sie Gemeinschaft mit Ihm, mit dem Sohn. Eine gesegnete Tatsache! Einzugehen in die Gedanken (in alle Gedanken) und in die Gefühle des Sohnes Gottes, der in Gnade herabgekommen ist, - das zu tun in Gemeinschaft mit Ihm, so dass man nicht bloß die Gedanken und Gefühle kennt, sondern sie mit Ihm teilt - in der Tat, das ist das Leben.
Aber wir können den Sohn nicht haben, ohne auch den Vater zu haben. Wer den Sohn gesehen, hatte den Vater gesehen, und folglich hatte ein jeder, der Gemeinschaft mit dem Sohn hatte, auch Gemeinschaft mit dem Vater; denn die Gedanken und Gefühle des Vaters und des Sohnes sind völlig eins. Der Sohn ist in dem Vater, und der Vater in dem Sohn. Wir haben daher Gemeinschaft mit dem Vater; und das ist wahr, auch wenn wir die Sache von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten. Wir wissen, dass der Vater seine ganze Wonne in dem Sohn findet. Nun hat Er Ihn uns gegeben, indem Er den Sohn offenbarte, damit auch wir, so schwach wir sein mögen, unsere Wonne im Sohn haben. Wenn ich nun meine Wonne in Jesus finde: in seinem Gehorsam, in seiner Liebe zu dem Vater und zu uns, in seinem „einfältigen Auge“ und in der völligen Hingebung seines Herzens, so weiß ich, dass ich die nämlichen Gefühle, die nämlichen Gedanken habe wie der Vater selbst. In Dem, worin der Vater seine Wonne findet, und worin Er nichts als Wonne finden kann, in Ihm, in dem auch ich meine Wonne finde, habe ich Gemeinschaft mit dem Vater. Ebenso habe ich Gemeinschaft mit dem Sohn in der Erkenntnis des Vaters. Alles das, ob ich es nun von diesem oder jenem Gesichtspunkt aus betrachte, rührt von der Person des Sohnes her. Darin ist unsere Freude völlig. Was könnten wir mehr haben, als den Vater und den Sohn? Welch vollkommeneres Glück könnte es geben, als Gemeinsamkeit der Gedanken, der Gefühle und Freuden mit dem Vater und dem Sohn, und Gemeinschaft mit Ihnen, indem wir alle unsere Freude aus Ihnen schöpfen? Und wenn uns dies schwer wird zu glauben, so lasst uns daran denken, dass es in Wahrheit nicht anders sein kann: Denn in dem Leben Christi ist der Heilige Geist die Quelle meiner Gedanken, meiner Gefühle und der Gemeinschaft, und Er kann keine Gedanken in mir wachrufen, die von denen des Vaters und des Sohnes verschieden wären. Sie müssen ihrer Natur nach die nämlichen sein. dass es anbetende Gedanken sind, liegt in der Natur der Sache und macht sie nur umso kostbarer. Zu sagen, dass sie schwach und oft gehindert sind, während der Vater und der Sohn göttlich und vollkommen sind, heißt, obschon völlig wahr, nichts anderes, als dass der Vater und der Sohn Gott und göttlich, und dass wir schwache Geschöpfe sind. Das wird sicherlich niemand leugnen. Aber wenn der Geist Gottes die Quelle unserer Gedanken und Gefühle ist, so müssen sie, der Natur nach und tatsächlich, die gleichen sein.
Das ist also unsere christliche Stellung hienieden in dieser Zeit, durch die Erkenntnis des Sohnes Gottes, wie der Apostel sagt: „Dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei“ (V. 4).
Doch Der, der das Leben war, das vom Vater kam, hat uns die Erkenntnis Gottes gebracht3. Der Apostel hatte aus seinem Mund gehört, was Gott ist - eine Erkenntnis von unschätzbarer Kostbarkeit, die aber zugleich das Herz erforscht. Und auch dies verkündigt Johannes von Seiten des Herrn den Gläubigen. „Und dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben, dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist.“ Was Christus betraf, so hatte Er geredet was Er wusste, und bezeugt, was Er gesehen hatte. Niemand war hinaufgestiegen in den Himmel, außer Dem, der von dort herabgekommen war. Niemand hatte Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hatte Ihn kundgemacht. Niemand hatte den Vater gesehen, außer Dem, der von Gott war, Er hatte den Vater gesehen Joh 1,18; 3,11+13; 6,46. So konnte Er Ihn aus seiner eigenen vollkommenen Kenntnis offenbaren4. Nun, Gott ist Licht, die vollendete Reinheit, die zu gleicher Zeit alles offenbar macht, was rein und was nicht rein ist. Um mit dem Licht Gemeinschaft zu haben, muss man selbst Licht sein; man muss die Natur desselben besitzen und fähig sein, in dem vollkommenen Licht zu erscheinen. Das Licht kann sich nur mit dem verbinden, was von ihm selbst ist. Wenn sich etwas anderes mit ihm vermischt, so ist das Licht nicht mehr Licht. Es ist in seiner Natur unbedingt, so dass es alles ausschließt, was nicht Licht ist.
Darum, „wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben und wandeln der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit“ (V. 6); unser Leben ist dann eine beständige Lüge. „Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie er in dem Licht ist, so haben wir (die Gläubigen) Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (V. 7). Das sind die großen Grundsätze und Charakterzüge der christlichen Stellung. Wir sind in der Gegenwart Gottes ohne einen Vorhang. Es ist eine Wirklichkeit, des Lebens und des Wandels. Dieser Wandel ist im Licht, nicht sowohl dem Licht gemäß, sondern im Licht: d. h. er ist vor den Augen Gottes, erhellt durch die volle Offenbarung dessen, was Gott ist. Das will nicht sagen, dass keine Sünde in uns sei, sondern indem wir in dem Licht wandeln, und der Wille und das Gewissen im Licht Licht sind, wie Gott im Licht ist, wird alles, was dem Licht nicht entspricht, gerichtet. Wir leben und wandeln mit dem Bewusstsein im Herzen, dass Gott gegenwärtig ist, und so wandeln wir im Licht. Gott selbst ist die sittliche Richtschnur unseres Willens, und zwar ein gekannter Gott. Die Gedanken, die das Herz regieren, kommen von Ihm und werden gebildet gemäß der Offenbarung seiner selbst. Der Apostel stellt diese Dinge immer in abstrakter Weise vor. So sagt er in 1Joh 3,9: „Jeder, der aus Gott geboren ist. . . kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ Damit stellt er die sittliche Regel dieses Lebens fest, das ist seine Natur; es ist die Wahrheit, insofern der Mensch aus Gott geboren ist. Man kann keinen anderen Maßstab dafür aufstellen; jeder andere würde falsch sein. Hieraus folgt nicht, dass wir immer beständig und konsequent sind, leider nicht! doch wir sind es nicht, wenn wir uns nicht in jenem Zustand befinden; wir wandeln dann nicht der Natur gemäß, die wir besitzen, wir befinden uns außerhalb unseres wahren Zustandes, der dieser Natur entspricht.
Wenn wir im Licht wandeln, wie Gott im Licht ist, so haben wir, die Gläubigen, Gemeinschaft miteinander. Die Welt ist selbstsüchtig. Das Fleisch, die Leidenschaften suchen ihre eigene Befriedigung; aber wenn ich im Licht wandle, so findet das ich keinen Raum mehr. Ich kann das Licht und alles, was ich in demselben suche, mit einem anderen genießen, und da gibt es keinen Neid. Wenn jemand irgendeine andere Sache besitzt, so habe ich sie nicht. Im Licht dagegen besitzen wir gemeinschaftlich das, was Gott uns gibt - ja, wir genießen es umso mehr, da wir miteinander teil daran haben. Das ist ein Prüfstein für alles, was vom Fleisch ist. In dem Maß, wie jemand im Licht ist, hat er gemeinsame Genüsse mit dem, der auch darin ist. Der Apostel zeigt dies, wie schon bemerkt, auf eine unbedingte und abstrakte Weise; das ist die richtigste Art, um die Sache selbst zu erfassen. Was übrig bleibt, ist dann nur noch eine Frage der Verwirklichung.
Zum dritten: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ Im Licht wandeln, wie Gott im Licht ist, Gemeinschaft miteinander haben, gereinigt sein von aller Sünde durch das Blut Jesu - das sind die drei Teile unserer christlichen Stellung. Wir fühlen, wie notwendig das letztere ist. Denn indem wir in dem Licht wandeln, wie Gott im Licht ist, mit einer (gepriesen sei Gott!) vollkommenen Offenbarung seiner selbst an uns, mit einer Natur, die Ihn kennt und fähig ist, Ihn geistlicherweise zu sehen, da das Auge zubereitet ist, das Licht zu schätzen (denn wir haben teil an der göttlichen Natur), können wir nicht sagen, dass wir keine Sünde haben; das Licht selbst würde unsere Behauptung widerlegen. Aber wir können sagen: Das Blut Jesu reinigt uns völlig von aller Sünde5. Durch den Geist erfreuen wir uns miteinander des Lichts: es ist die gemeinsame Freude unserer Herzen vor Gott und Ihm wohlgefällig, ein Zeugnis dafür, dass wir miteinander teilhaben an der göttlichen Natur, die auch Liebe ist. Und unser Gewissen ist kein Hindernis für uns, weil wir den Wert des Blutes kennen. Wir haben kein Gewissen mehr von Sünde vor Gott, obwohl wir wissen, dass sie in uns ist; sondern wir haben das Bewusstsein, dass wir von ihr gereinigt sind durch das Blut Jesu. Doch dasselbe Licht, das uns dieses zeigt, verhindert uns (wenn wir im Licht sind) zu sagen, dass wir keine Sünde in uns haben. Wir würden uns selbst betrügen, wenn wir so etwas sagen wollten, und die Wahrheit wäre nicht in uns; denn wäre sie in uns, wäre jene Offenbarung der göttlichen Natur, die Licht ist (Christus unser Leben) in uns, so würde die Sünde, die in uns ist, durch dieses Licht selbst gerichtet werden. Wenn sie nicht gerichtet wird, so ist das Licht, d. i. die Wahrheit, welche die Dinge so bezeichnet, wie sie wirklich sind, nicht in uns.
Wenn wir andererseits selbst eine Sünde begangen haben, und wir richten alles dem Licht gemäß und bekennen es - so dass der Wille nicht mehr daran beteiligt und der Stolz dieses Willens gebrochen ist - so ist „er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (V. 9). Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben6 (als eine allgemeine Wahrheit), so zeigt das nicht nur, dass die Wahrheit nicht in uns ist, sondern wir machen auch Gott zum Lügner. Sein Wort ist nicht in uns, denn Er sagt, dass „alle gesündigt haben“. Es gibt hier also drei Dinge: wir lügen; die Wahrheit ist nicht in uns, und wir machen Gott zum Lügner. Die Gemeinschaft mit Gott im Licht verbindet im praktischen Leben des Christen die Vergebung unzertrennlich mit dem gegenwärtigen Bewusstsein derselben durch Glauben und mit Reinheit des Herzens. Wir finden also im 7. Verse die christliche Stellung, und dann die Dinge, die auf dreierlei Weise der Wahrheit, der Gemeinschaft mit Gott im Leben, entgegenstehen.
1 Das ist für das innere Leben sehr wichtig; ich erfreue und ergötze mich nicht an mir selbst, sondern an Ihm.↩︎
2 Das Leben ist offenbart worden; deshalb brauchen wir es nicht mehr zu suchen, nicht mehr im Finstern danach zu tappen; wir brauchen nicht mehr aufs Geratewohl das Verborgene unserer eigenen Herzen zu durchforschen, um es zu finden, oder unter dem Gesetz fruchtlos zu arbeiten, um es zu erlangen. Wir sehen es, es ist offenbart worden, es ist da, in Jesus Christus. Wer Ihn hat, hat das Leben.↩︎
3 Man wird finden, dass Johannes, wenn er in seinen Schriften von der Gnade gegen uns redet, von dem Vater und dem Sohn spricht, während er, wenn er über die Natur Gottes oder über unsere Verantwortlichkeit redet, immer Gott sagt. Johannes 3 und 1. Johannes 4 scheinen eine Ausnahme zu bilden, tun es aber in Wirklichkeit nicht. Es handelt sich um das, was Gott ist als solcher, nicht um seine Tätigkeit und um ein Verhältnis in Gnade.↩︎
4 Wer Ihn gesehen, hatte den Vater gesehen; doch hier spricht der Apostel von einer Botschaft und von der Offenbarung seiner Natur.↩︎
5 Es heißt nicht: „hat uns gereinigt“, oder: „wird uns reinigen“. Es handelt sich nicht um einen Zeitpunkt, sondern um die Wirkung des Blutes. Ähnlich könnte ich sagen: die und die Medizin heilt die und die Krankheit; es ist ihre Wirkung.↩︎
6 Wenn der Apostel von „Sünde“ spricht, so gebraucht er die gegenwärtige Zeitform: „wir haben“. Redet er dagegen vom „Sündigen“, so spricht er in der Vergangenheit. Er setzt nicht voraus, dass wir fortfahren zu sündigen. Man hat gefragt, ob der Apostel im 9. Verse von dem ersten Kommen des Sünders zu dem Herrn Jesus rede oder von den späteren Fehltritten des Gläubigen. Ich möchte sagen, er redet in einer abstrakten und unbedingten Weise: Bekenntnis bringt durch die Gnade Vergebung. Wenn es sich um unser erstes Kommen zu Gott handelt, so ist es Vergebung in ihrer vollen und unbedingten Bedeutung. Gott hat mir vergeben; Er gedenkt meiner Sünden nie mehr. Handelt es sich um einen späteren Fehltritt, den ein aufrichtiges Herz stets bekennt, so ist es eine Vergebung, die mit der Regierung Gottes in Verbindung steht und meine gegenwärtige Stellung und das Verhältnis meiner Seele zu Gott berührt. Doch der Apostel spricht hier wie überall in einer unbedingten Weise; er stellt einen Grundsatz auf.↩︎
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Aus "Betrachtungen über die Johannesbriefe" von JND
Behandelter Abschnitt 1Joh 1
Die große Hauptwahrheit des ganzen Briefes wird schon im ersten Vers zum Ausdruck gebracht: Das ewige Leben ist herabgekommen als ein wirkliches Leben. Jenes ewige Leben, das bei dem Vater war, betrat tatsächlich in der Person Christi diese Welt. Das Alte, das den ersten Adam ausmachte, wird ganz und gar verworfen. Es stimmt natürlich: Solange wir in diesem Leib sind, finden wir letzteren noch in uns. Doch es gibt zudem einen Zweiten Menschen, den Herrn vom Himmel, der in die Welt eingetreten ist, weil der erste Mensch ausgetrieben worden war. Er kam in gesegneter Gnade herab. „Wir haben es gesehen“, sagt Johannes, „und gehört“ – von dem Wort des Lebens, welches Christus ist. Er wandelte durch diese Welt als eine ganz andere Art des Lebens. Dieses Kommen nennt Johannes „von Anfang.“ Es war etwas völlig Neues, das sich hienieden zeigte.
Wo immer die Fülle der Gnade eingeführt wird – nämlich unsere Vorrechte und Beziehungen –, werden uns Vater und Sohn vorgestellt. Natürlich handelt es sich um Gott – aber um Gott, der in diesen Beziehungen geoffenbart wird.
Das erste, das wir hier finden und welches uns kraft des von Gott geschenkten Lebens gegeben worden ist, besteht in der Fülle des Vorrechts der Heiligen in Christus. Sie haben Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohn Jesus Christus. Das führt einen zweiten Gesichtspunkt vor uns und zwar diesen: Wenn du sagst, du habest jene Art von Gemeinschaft und wandelst in der Finsternis, dann stimmt das nicht; denn die Finsternis kann keine Gemeinschaft mit Licht haben. Wenn du die vollkommene Gnade besitzt, welche das göttliche Leben bringt – das Leben, welches sich in der Person Christi geoffenbart hat und danach uns gegeben wurde –, dann sagt Johannes dir als nächstes, daß es Licht ist. Gott wechselt die Heiligkeit Seiner Natur nicht; darum ist der Anspruch auf Gemeinschaft mit dieser Heiligkeit, falls wir in der Finsternis wandeln, ganz und gar falsch. Danach stellt Johannes das Heilmittel hinsichtlich unseres Zustands vor. Es besteht darin, daß Christus uns reinigt und für das Licht passend macht. Als Zweites lesen wir dann noch im nächsten Kapitel, daß, wenn wir in unserer Schwachheit in Sünde gefallen sind, „wir einen Sachwalter bei dem Vater (haben), Jesum Christum, den Gerechten.“ Die Gnade hat für das Böse vorgesorgt, obwohl es in diesem Zustand keine Gemeinschaft mit Gott geben kann. Zuerst haben wir also die Fülle der Segnung, dann ihre Natur und ihr Wesen, nämlich Gottes Licht und Reinheit. Danach erfahren wir von den Mitteln, durch welche es möglich ist, daß solche Sünder wie wir diese ganze Segnung besitzen können, und zwar zunächst durch die Reinigung und zweitens durch die Sachwalterschaft Christi.
„Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens.“ (V. 1). Christus wird in dieser Welt als der Anfang von allem gesehen. Das heißt nicht, daß die früheren Erlösten von Ihm kein Leben aus dem Himmel empfangen hätten. Aber die Grundlage von allem war bisher niemals geoffenbart worden.
„Was von Anfang war, was wir gehört . . . “ Es war ein Mensch in einem Leib. Das Leben kommt jetzt natürlich durch die Kraft des Wortes; doch jene Jünger hatten dieses ewige Leben in der Person eines Menschen, der über diese Erde ging, gesehen. So wie wir das natürliche Leben in Adam sehen können, so sehen wir das göttliche Leben in Christus. Wenn wir das Leben in uns anschauen, dann ist es mit Versagen verbunden. Die Vollkommenheit des Lebens erkenne ich indessen, indem ich Christus anschaue. „Und das Leben ist geoffenbart worden, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns geoffenbart worden ist.“ (V. 2). Dort sehen und erkennen wir es; und unser geistlicher Zustand beruht auf dem Grad, in dem wir es verwirklichen. Die Jünger hatten es im Fleisch gekommen gesehen; und uns wurde es verkündigt, damit wir mit ihnen Gemeinschaft haben – und ihre Gemeinschaft ist mit dem Vater und Seinem Sohn Jesus Christus. Hier handelt es sich nicht einfach um eine Person, die durch das Werk Christi vor Gott gerechtfertigt ist, sondern um eine Gemeinschaft mit Gott kraft eines Lebens, das in Christus vor Gott bestand – ein Leben, das vollkommen mit allem übereinstimmt, was Gott ist. Wenn wir die neue Natur anschauen, welche uns gegeben wurde in ihrer Heiligkeit und Liebe, finden wir dieselbe auch in Gott. Er gibt mir dieses Leben, damit ich Kraft habe. Es kann mir keine Offenbarungen schenken, aber es gibt mir Gemeinschaft mit Gott. Ich bin nicht nur vor Ihm gerechtfertigt, sondern habe auch dieselben Gedanken und Gefühle wie Er. Gott hat sie in sich selbst; wir empfangen sie von Ihm. Dennoch sind es dieselben. Das ist Gemeinschaft. Es gibt gemeinsame Gedanken, Freuden und Gefühle zwischen dem Vater und dem Sohn; das wissen wir, und wir nehmen daran teil. Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben, damit wir Kraft haben, wenn der Geist in uns wirkt. Alles das wurde in der Person Christi in den Empfindungen eines Menschen entsprechend der göttlichen Natur verwirklicht. Wenn meine Seele sich an Christus erfreut und die Segnungen in Ihm erkennt – weiß ich dann nicht, daß auch mein Vater sich an Ihm erfreut? Er erfreut sich an Ihm in Heiligkeit und Liebe; und so ist es auch bei uns. Das ist Gemeinschaft. Wir erhalten Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Diese Segnung habe ich empfangen. Es geht hier nicht einfach um die Tatsache, daß ich, der ich einst ein Sünder war, von Gott angenommen bin. Christus ist mein Leben geworden. Dadurch erhalte ich die Glückseligkeit der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Der Vater liebt den Sohn, und der Sohn liebt den Vater; und auch ich habe ihre göttlichen Zuneigungen geschenkt bekommen und Gemeinschaft mit ihnen. Dahin führt Gott uns. Das ist vollkommene Glückseligkeit.
Das wird keinesfalls ausschließlich im Himmel verwirklicht; denn eine solche Gemeinschaft mit Seinem Vater hatte Christus nicht im Himmel1. Er diente Seinem Vater auf der Erde – gab in allem Seinen eigenen Willen auf. Das Leben wurde uns hier geoffenbart und nicht im Himmel. Natürlich werden wir die volle Segnung davon erst im Himmel kennen lernen. Darum sagt Johannes: „Dies schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei.“ (V. 4). Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohn Jesus Christus. Sogar im Himmel gibt es nichts, was diese Segnung übertreffen könnte. Daher gilt: „Dies schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei.“ Das ist die Segnung, in welche Christus uns hineinversetzt hat.
Nun kommt die Probe, um Selbsttäuschung auszuschließen. „Dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: daß Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist.“ (V. 5). Wenn Christus dieses ewige Leben offenbarte, dann offenbarte Er auch Gott. „So lange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ (Joh 9,5). Zusammen mit dem Gedanken vom Leben führt Er auch jene Probe ein, welche alles in uns prüft. Das ist die andere Seite der Wahrheit. Diese läuft durch diesen ganzen Brief. „In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ (Joh 1,4). Hier wird gesagt: „Gott (ist) Licht und gar keine Finsternis in ihm.“ Nichts ist reiner als Licht; und es enthüllt alles. Das war Christus – vollkommen rein; und als Solcher enthüllte Er alles. „Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit.“ (V. 6). Das ist der Natur der Dinge nach unmöglich. Falls die Reinheit dieser göttlichen Natur fehlt, welche in uns Licht ist, gibt es keine Gemeinschaft mit Gott. Wenn wir behaupten, daß es trotzdem so sei, dann lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Alles muß Gott Selbst entsprechen. Gott wird geoffenbart. Du kannst einem Menschen kein Licht geben, noch für dich selbst das Licht finden. Es war in Ihm. Jetzt ist Gott im Fleisch geoffenbart worden; und darum mußt du „in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist.“ Falls wir dieses tun, „haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ (V. 7). In diesem siebten Vers finden wir die drei Teile unseres christlichen Zustands als Menschen gesehen, die hienieden wandeln. Wir wandeln im Licht, wie Gott im Licht ist. Alles wird gerichtet der Person entsprechend, mit Der wir Gemeinschaft haben. Als nächstes besitzen wir etwas, wovon die Welt nichts weiß: „Wir (haben) Gemeinschaft miteinander.“ Das heißt: Ich besitze dieselbe göttliche Natur mit jedem anderen Christen zusammen – derselbe Heilige Geist wohnt in mir. Daraus muß Gemeinschaft folgen. Ich mag auf der Reise einem völlig Fremden begegnen; und trotzdem kann es mit ihm mehr Gemeinschaft geben als mit einem alten Bekannten, den ich schon mein ganzes Leben lang kenne, weil in ersterem das göttliche Leben wohnt. Für die neue Natur gilt in diesem Fall selbstverständlich: Hier ist Gemeinschaft! Doch außerdem bin ich gereinigt: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“
Wir sind im Licht, wie Gott im Licht ist. Wir haben Gemeinschaft miteinander; und wir sind durch das Blut Jesu Christi gereinigt.
Danach geht Johannes ein wenig mehr auf den praktischen Zustand unseres Gewissens ein. „Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ (V. 8). Hier tritt die Wahrheit in unserem Inneren nach außen. Die neue Natur in uns richtet alle Sünde in uns. Johannes leugnet nicht, daß wir die Wahrheit erkannt haben; aber wenn Christus die Wahrheit in mir ist, muß sie alles als Sünde richten, das noch vom alten Menschen stammt. Wenn ein Mensch die Wahrheit nur äußerlich gelernt hat, kann er möglicherweise über jede Angelegenheit gut reden. Falls hingegen die Wahrheit in uns ist, wird alles herausgestellt. Wenn ich sage, daß ich im Fleisch gesehen keine Sünde habe, betrüge ich mich selbst; und die Wahrheit ist nicht in mir. Hier geht es indessen nicht ausschließlich um das Aussprechen der Tatsache, daß Sünde in mir ist. Herz und Gewissen müssen wirklich berührt sein, um zugeben zu können, daß ich persönlich dem Fleisch folgte. Es geht hier nicht um Lehre. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“ (V. 9). Gottes Verhalten uns gegenüber ist voller Gnade und Vergebensbereitschaft; und Er reinigt uns vollkommen. „Wenn wir sagen, daß wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.“ (V. 10). Wenn wir behaupten, nicht gesündigt zu haben, machen wir Ihn zum Lügner. Das bedeutet nicht nur, daß die Wahrheit nicht in uns ist. Wir machen außerdem Gott selbst in Seinem Wort zum Lügner. Durch die Behauptung, keine Sünde zu haben, betrüge ich mich selbst. Wenn ich jedoch behaupte, nicht gesündigt zu haben, leugne ich die Wahrheit Gottes auch äußerlich, weil Er sagt, daß alle gesündigt haben. Ich leugne dann tatsächlich die ganze Wahrheit Gottes. Doch diese
Forderungen werden gestellt: Zuerst, wir sollen wissen, daß die Wahrheit in uns ist, und dann, wir sollen unsere Sünden bekennen. Ein Mensch mag schrecklich stolz sein und es nicht bekennen wollen. Wenn indessen in einer Person durch die Gnade Gottes die neue Natur die Oberhand gewonnen hat, haßt sie sich selbst, anstatt die Sünde zu entschuldigen. Sie bekennt sie und steht auf dem richtigen Boden vor Gott; und Gott sagt: „Ich will dir vergeben. Die Sünden sind weggetan.“ Wir stehen vor Gott in dem Wissen Seiner Gunst. Doch wir stehen außerdem vor Gott in dem Bewußtsein, daß wir in Seinen Augen völlig rein sind.
Wenn ich mit dem geringsten Schmutz auf mir in das Licht trete, erkenne ich ihn sofort. Wenn ich mich im Dunklen aufhalte, sehe ich nichts. Wenn wir uns vor Gott im Licht befinden, wird alles sichtbar. Falls ich jedoch gereinigt und im Licht bin, erkenne ich nur um so mehr, daß es bei mir keinen Flecken gibt. Die beiden Anfangsverse von Kapitel 2 zeigen das Mittel, sodaß wir uns im Licht aufhalten können.
Das erste Kapitel beschäftigt sich also mit diesen beiden Gegenständen: Erstens mit der Fülle des Segens in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und zweitens mit der Natur jener Gemeinschaft. Danach sehen wir, wie ein Sünder letztere besitzen kann. Dabei geht es um den persönlichen Zustand der Seele, die sich richtet und die Sünden bekennt, sowie um die Wahrheit im Inneren. Ich kann nicht sagen, daß ich keine Sünde habe; und dennoch sage ich, daß ich vor Gott rein da stehe. In dieser Hinsicht irren sich viele Menschen. Sie benötigen eine göttliche Natur, welche, anstatt sich auf Werke zu stützen, alles dem Licht entsprechend richtet. Wo Sünde auf dem Gewissen liegt, kann es keine Gemeinschaft geben – obwohl ein gesegnetes Hilfsmittel der Gnade vorhanden ist, welches reinigt. „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ In den Versen 1 und 2 von Kapitel 2 finden wir das Heilmittel für tägliche Verunreinigungen. Dort sorgt Christus nicht für unsere Gerechtigkeit, sondern für die Wiederherstellung der Gemeinschaft.
1 Die letzte Aussage fehlt in den „Coll. Writ.“. (Übs.).↩︎