Behandelter Abschnitt Joh 19,1-5
In diesen ernsten abschließenden Ereignissen sehen wir einerseits, wie die Gegenwart Jesu das Böse des Fleisches offenbar macht, und andererseits, wie die Bosheit des Menschen die Vollkommenheit seines Herzens darstellt. Angesichts des mörderischen Hasses der Juden, der harten Ungerechtigkeit des heidnischen Richters und der Beleidigungen der Soldaten sehen wir auf der Seite Christi nur vollkommene Unterordnung, unendliche Geduld und stille Würde. Er äußert kein Wort des Unmuts und greift nicht auf seine Allmacht zurück, um seine Feinde zu vernichten. Die Stunde war gekommen, um Gott durch das Werk am Kreuz zu verherrlichen, und Er ist gehorsam bis zum Tod.
Trotzdem wissen wir, dass Gott den Beleidigungen seinem Sohn gegenüber nicht gleichgültig ist. Der Tag wird kommen, wenn der Eine, den die Menschen mit einer Dornenkrone gekrönt und als König der Juden verspottet haben, erscheinen und als König der Könige viele Kronen tragen wird. Der Eine, den die Menschen mit einem Purpurgewand bekleidet haben, wird auf die Erde kommen, „bekleidet mit einem in Blut getauchten Gewand“, und der Eine, den die Menschen mit ihren bösen Händen gepeinigt haben, wird die Nationen mit eiserner Rute schlagen.
Die Psalmen und die Propheten sagten sowohl sein geduldig ertragenes Leiden im Angesicht seiner Feinde als auch seine zukünftige Verherrlichung voraus, wenn seine Feinde zum Schemel seiner Füße werden. Deshalb sehen wir in Psalm 109 Christus in seiner Erniedrigung, als böse Menschen Lügen über Ihn sagten, grundlos gegen Ihn kämpften, Ihm Gutes mit Bösem vergalten, Ihn für seine Liebe hassten und verfolgten, um „sogar den elenden und armen Mann zu töten“. Angesichts dieser Bosheit kann der Herr sagen: „Ich aber bin stets im Gebet.“ Psalm 110 ist die Antwort auf sein Gebet. Der von Menschen Verworfene ist zur Rechten Gottes erhöht, um auf die Zeit zu warten, wenn seine Feinde als Schemel für seine Füße hingelegt werden und Er aus Zion regieren wird – der Stadt, in der Er gekreuzigt wurde – zum Gericht der Nationen und zum Segen seines ergebenen Volkes.
Wir haben gesehen, dass Pilatus einen ersten Versuch unternahm, nichts mit Christus zu tun zu haben, indem er vorschlug, dass die Juden Ihn nach ihrem eigenen Gesetz richten sollten (Joh 18,31). Das schlug fehl und Pilatus musste den Fall übernehmen und zugeben, keinen Makel an dem Herrn zu finden. Seine Pflicht lag also auf der Hand. Gerechtigkeit fordert, dass ein Unschuldiger freigelassen wird. Aber persönliches Interesse zwang Pilatus dazu, danach zu streben, weiterhin gute Beziehungen zu den Juden zu pflegen. Deshalb unternahm er einen zweiten Versuch, um die Verurteilung eines Unschuldigen zu verhindern und gleichzeitig die Juden zu besänftigen, indem er auf einen Brauch zurückgriff, nach dem am Passah ein Gefangener freigelassen wurde. Aber Brauch hin oder her, es wäre die schlichte Pflicht von Pilatus gewesen, den Einen freizugeben, an dem er keinen Makel fand. Dieser Kompromiss misslang nicht nur, sondern wurde zu einer Gelegenheit, die Tiefen der Bosheit zu zeigen, in die die jüdische Nation gesunken war. Um den Brauch zu erfüllen, zogen sie es vor, dass Barabbas, ein Mörder (Apg 3,14) und Räuber, freigelassen wurde. Das ist das Böse unseres Herzens, dass wir, wie sehr wir einen Mörder und Dieb auch ablehnen, wenn es um die Wahl zwischen Christus und dem Mörder geht, den Mörder wählen würden, der das Leben nimmt, statt den Einen, der das Leben gibt – wenn nicht die Gnade Gottes uns davon abhalten würde.
Joh 19,1-5: 1 Dann nahm nun Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. 2 Die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und warfen ihm ein Purpurgewand um; 3 und sie kamen auf ihn zu und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden! Und sie schlugen ihm ins Angesicht. 4 Und Pilatus ging wieder hinaus und spricht zu ihnen: Siehe, ich führe ihn zu euch heraus, damit ihr wisst, dass ich keinerlei Schuld an ihm finde. 5 Jesus nun ging hinaus, die Dornenkrone und das Purpurgewand tragend. Und er spricht zu ihnen: Siehe, der Mensch!
Offensichtlich kam es Pilatus nicht in den Sinn, dass die Juden sich für Barabbas entscheiden würden. Aber durch diesen Kompromissversuch gerät er in die Hände der Menschen und sinkt als ungerechter Richter noch tiefer in die Bosheit. So unternimmt er einen dritten Versuch, um die Juden zu besänftigen und nicht das äußerste Urteil über Jesus sprechen zu müssen: Er lässt Ihn geißeln und erlaubt den Soldaten, Ihn mit Dornenkrone und Purpurgewand zu verspotten und mit ihren Händen zu schlagen. Dann bringt er den Herrn mit der Dornenkrone und dem Purpurgewand hinaus als Beweis seiner Bestrebungen, den Menschen zu gefallen, indem er denjenigen den sie hassen, mit Geringschätzung behandelt. Er legt nun nahe, dass es unnötig sei, weitere Schritte zu unternehmen, da er keine Schuld an Ihm finde. Leider kannte Pilatus den Hass im Herzen der Juden genauso wenig wie die völlige Verdorbenheit seines eigenen Herzens und dem der Nationen.