Behandelter Abschnitt Hag 1,1-11
Einleitung
Der Prophet Haggai zeichnet sich dadurch aus, dass er „der Bote Gottes“ genannt wird und dass er in Tagen des Niederganges und äußerer Schwachheit „die Botschaft Gottes an das Volk“ ausrichtete. Seine Botschaften waren an Serubbabel, den Landpfleger von Juda, und an Josua, den Hohepriester, gerichtet, und sie lassen somit deutlich erkennen, dass der Prophet an den Überrest der Juden, die in den Tagen Kores, des Königs von Persien, zurückgekehrt waren, gesandt war, wie uns dies im Buch Esra berichtet wird (Esra 3,2).
Um die Bedeutung dieser Botschaften zu verstehen, ist es nötig, uns die besonderen Umstände dieses Überrestes ins Gedächtnis zu rufen. Siebzig Jahre vor ihrer Rückkehr hatte der Prophet Jeremia, der in den letzten Tagen des Königreiches Juda lebte, prophezeit, dass das Gericht über die Nation kommen würde. Wegen ihrer Bosheit würden sie in die Gefangenschaft nach Babylon geführt und ihr Land würde zur Wüste werden. Nichtsdestoweniger wurde prophezeit, dass Gott sie nach siebzig Jahren veranlassen würde, in ihr Land zurückzukehren (Jer 25,12; 29,10; Dan 9,2.3). Die Geschichte dieser Rückkehr ist im Buch Esra beschrieben, das mit dem ersten Jahr Kores’, des Königs von Persien, siebzig Jahre nach der Gefangenschaft, beginnt. In dieser Zeit, damit das Wort Gottes aus dem Munde Jeremias erfüllt würde, erweckte Gott den Geist Kores’, der einen Ruf an das Volk Gottes ergehen ließ, indem er sie in Freiheit setzte, damit sie ins Land zurückkehren, um das Haus Gottes, des Gottes Israels, zu bauen (Esra 1,3).
Dieser Ruf wurde ein Prüfstein hinsichtlich des moralischen Zustandes des Volkes Gottes. Einerseits warf er die Frage auf, ob ihre Zuneigungen so auf ihr Land, ihren Gott und das Haus Gottes gerichtet waren, dass sie im einfältigen Glauben bereit waren, den Übungen, den Schwierigkeiten, dem Widerstand und der Schmach die Stirn zu bieten, um den Gedanken Gottes zu entsprechen und um seinen Willen auszuführen. Oder andererseits, zogen sie es vor, in Babylon mit seiner Gemütlichkeit und seinem materiellen Wohlstand zu bleiben? Leider bevorzugte die große Mehrheit des Volkes Gottes in den gemütlichen Umständen der demütigenden Gefangenschaft zu bleiben, anstatt den Übungen und Schmähungen, die die Ausführung des Willens Gottes mit sich bringt, die Stirn zu bieten.
Um sich die Bedeutung des Aufrufs, das Haus Gottes zu bauen, zu vergegenwärtigen, ist es gut, uns den großen Platz, den das Haus Gottes in den Ratschlüssen und Wegen Gottes hat, in Erinnerung zu rufen. Die erste Erwähnung des Hauses Gottes finden wir in 1. Mose 28,17; die letzte in Offenbarung 21,3. Vom ersten bis zum letzten Buch – von der jetzigen Schöpfung in der Zeit bis zu den neuen Himmeln und der neuen Erde in der Ewigkeit – hat nach dem Ratschluss Gottes das Haus Gottes einen sehr großen Platz. Die Zusammensetzung des Hauses Gottes mag während der verschiedenen Perioden unterschiedlich sein – zur Zeit des Alten Testamentes war es aus Brettern und Vorhängen gebildet und später aus Steinen, während es heute aus Gläubigen oder „lebendigen Steinen“ erbaut wird. Doch der Zweck des Hauses ist immer derselbe, nämlich, einen Wohnort für Gott inmitten der Menschen zu bilden.
Folglich muss alles im Hause Gottes charakterisierend für und in Übereinstimmung mit dem
Einen sein, der in diesem Hause wohnt. Das erste charakteristische Kennzeichen des Hauses Gottes ist Heiligkeit, wie wir dies in Psalm 93,5 lesen: „Deinem Hause geziemt Heiligkeit, Gott, auf immerdar.“ Ein weiteres Kennzeichen ist, dass jeder im Hause Gottes von Gott abhängig sein und sich seinem Willen unterwerfen muss. Diese Abhängigkeit findet ihren Ausdruck im Gebet; so lesen wir: „Denn mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Völker“ (Jes 56,7). Ferner, wenn im Hause Gottes alle von Gott abhängig sind, dann werden alle in diesem Hause durch Gott gesegnet werden, und das Haus, in welchem der Mensch Segen empfängt, wird der Ort sein, an dem Gott angebetet wird.
Wir lernen somit aus der Schrift, dass es der Wunsch Gottes ist, inmitten seines Volkes zu wohnen, und dass seine Wohnung durch Heiligkeit, durch Abhängigkeit von Gott und Unterwerfung gegenüber Gott, durch Segnung des Menschen und Anbetung Gottes gekennzeichnet ist.
In Verbindung mit diesen großen Wahrheiten und hinsichtlich des Aufbaus des Hauses Gottes wurde ein Überrest aus dem Verderben Babylons befreit und in das Land Gottes zurückgebracht. Der Ruf des Kores macht deutlich, dass er beauftragt war, Gott in Jerusalem ein Haus zu bauen. Sein Aufruf an jeden unter dem Volk Gottes lautete, „hinaufzuziehen nach Jerusalem … – und das Haus Gottes, des Gottes Israels, zu bauen“. Diejenigen, die in der Gefangenschaft blieben, wurden ermahnt, mit „freiwilligen Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem“ zu helfen. Als Antwort auf diesen Aufruf bildete sich ein Überrest, „dessen Geist Gott erweckte, hinaufzuziehen, um das Haus Gottes in Jerusalem zu bauen“ (Esra 1,1-5).
Mit diesen Schriftstellen vor uns wird es völlig klar, dass der eine große Gegenstand, weshalb der Überrest in Freiheit gesetzt wurde und in das Land Gottes zurückkehrte, der war, „das Haus Gottes in Jerusalem zu bauen“. Von diesem, wie es gesagt worden ist, „hing ihr ganzes Schicksal ab, und in dem Maße, wie es betrieben oder vernachlässigt wurde, nahm ihre Wohlfahrt ab oder zu“.
Jedoch, wie immer in der Geschichte des Volkes Gottes, wurde die Erfahrung gemacht, dass, was auch immer der Wille Gottes für den Augenblick gewesen ist, dies gleichzeitig auch immer der besondere Gegenstand des Angriffes des Feindes war. Ebenso erfuhr es der zurückgekehrte Überrest in seinen Tagen. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Jerusalem begannen sie mit dem besonderen Werk, welches zu tun sie ins Land zurückgebracht wurden; so lesen wir, dass sie das Werk am Hause Gottes taten und den Grund zum Tempel Gottes legten (Esra 3,8-10). Während zwei Jahren hatte der Feind sie in Frieden gelassen; doch sobald sie ihr eigentliches Werk nach dem Willen Gottes begannen, erhob der Feind seinen Widerstand (Esra 4).
Außerdem ist es sehr lehrreich, den Charakter des Widerstandes zu betrachten. Die Widersacher verfluchen diesen göttlichen Überrest zuerst nicht, dass er das Haus baute. Sie sagen im Gegenteil: „Wir wollen mit euch bauen“ (Esra 4,2). Erst als sich das Volk Gottes weigerte, sich in diesem Werk des Herrn mit denen zu verbinden, die Gott nach menschlichen Gedanken anbeteten, erhob sich der Sturm des Widerstandes. Leider ließ ihr Glaube angesichts dieses Sturmes, den der Heilige Geist der Absonderung (the holy spirit of separation) entfacht hatte, nach, und das Werk, für welches Gott sie nach Jerusalem zurückgebracht hatte, ruhte für zwölf Jahre.
Das Volk hatte versagt, aber Gott gibt seine Vorsätze nie auf noch verlässt Er sein Volk wegen seines Versagens. So geschah es durch die Barmherzigkeit Gottes, dass vierzehn Jahre nach ihrer Rückkehr nach Jerusalem der Prophet Haggai, „der Bote Gottes“, mit verschiedenen deutlichen Botschaften seitens Gottes gesandt wurde.
Bevor wir diese äußerst ernsten und lehrreichen Botschaften untersuchen, lasst uns kurz innehalten und die Frage stellen, ob irgendetwas in unseren Tagen dem entspricht, was wir in der Geschichte des zurückgekehrten Überrestes, wie er uns im Buch Esra beschrieben wird, illustriert finden? Indem wir auf die Geschichte der bekennenden Kirche zurückblicken, kommen wir nicht umhin festzustellen, dass die bekennende Kirche während langer Zeit völlig unter der Herrschaft der Welt gestanden hat. Sicherlich hat es eine große Zahl von wahren Gläubigen gegeben, die entsprechend dem Licht, das sie hatten, treu waren, und in den kommenden Tagen werden sie mit Christus in weißen Kleidern einhergehen und ihren wunderbaren Lohn empfangen. Trotzdem war und ist die bekennende Kirche, in ihrer Gesamtheit betrachtet, immer noch in der babylonischen Gefangenschaft geknechtet. Dann, zu Beginn des letzten Jahrhunderts fand ein ganz bestimmtes Werk Gottes statt, durch welches die großen Wahrheiten bezüglich Christus und der Versammlung wiederentdeckt und dem Volk Gottes zugänglich gemacht wurden.
Infolge dieses Werkes sonderte sich eine Anzahl von Gläubigen aus dem Volk Gottes von diesen Systemen der Menschen ab, die in unterschiedlichem Maße die Wahrheit von Christus und der Versammlung beiseitesetzten, um in Übereinstimmung mit dieser Wahrheit zu leben. Sie gaben die Traditionen und Bräuche der Menschen und all die Riten und Zeremonien der menschlichen Erfindungen auf, und indem sie jede menschliche Leitung ablehnten und sich auf die alleinige Autorität des Wortes Gottes stützten, kamen sie zusammen mit dem Verlangen, Christus seinen Platz als Haupt der Versammlung und dem Heiligen Geist seinen Platz als wohnend inmitten des Volkes Gottes zu geben. Sie sonderten sich vom Verderben innerhalb der Christenheit ab, um im Licht dieser großen Wahrheiten unter der Leitung Christi zu wandeln, und ihr geistliches Wohlergehen war völlig von der Aufrechterhaltung dieser Wahrheiten abhängig.
Leider konnte die geistliche Energie dieser Erweckung nicht aufrechterhalten werden. Viele, die durch das zunehmende Verderben in der Christenheit erweckt wurden, sonderten sich in der Tat, wie der Überrest, der auf diese Weise dem Verderben Babylons entkam, von den menschlichen Systemen ab. Sie wurden jedoch lediglich zu Gruppen von Gläubigen, die von grobem Bösen, das durch Gottes Wort verurteilt wird, abgesondert waren, und es mangelte ihnen bei Weitem an der ausdrücklichen Sorgfalt und dem Interesse für die Grundsätze des Hauses Gottes, wie sie im Wort Gottes geoffenbart sind. So wie in früheren Tagen der Bau des materiellen Hauses vernachlässigt wurde, so können auch wir, obwohl wir von dem groben Verderben innerhalb der Christenheit befreit sein mögen, darin versagen, die großen Grundsätze des geistlichen Hauses Gottes aufrechtzuerhalten, indem wir nachlassen, im Licht dieser mannigfaltigen Wahrheiten, die uns enthüllt wurden, zu wandeln. Diese Wahrheiten zu bewahren ist unser Vorrecht und unsere Verantwortung, und unser Segen und Wohlergehen ist darin eingeschlossen. Wir mögen „hinausgehen“ vom Verderben der
Christenheit, „außerhalb des Lagers“, und doch völlig darin versagen, dass wir „hinausgehen … zu ihm hin außerhalb des Lagers“. Somit werden wir lediglich zu unabhängigen Versammlungen von Gläubigen und versagen darin, in der Anerkennung des einen Leibes, wovon Christus das Haupt ist, und in der Anerkennung des Hauses, worin der Heilige Geist wohnt, zu wandeln.
Lasst uns daran denken, dass „Bauen“ eine positive Sache ist. Wie richtig es auch sein mag, sich vom Bösen, das das Wort Gottes verurteilt, zu trennen, so ist es doch im besten Fall ein Zeugnis gegen das, was falsch ist. Wenn Gott uns auffordert, von der Ungerechtigkeit abzustehen und uns von den Gefäßen zur Unehre abzusondern, so mit dem Ziel, dass wir „nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden streben, mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“. Wenn wir in der Praxis in Übereinstimmung mit den großen Wahrheiten des Hauses Gottes – Heiligkeit, Abhängigkeit von Gott, Unterwerfung Gott – gegenüber wandeln, so werden wir ein positives Zeugnis der Gnade Gottes werden und auch fähig sein, Gott in Geist und Wahrheit anzubeten.
Wenn wir uns unseres Versagens irgendwie bewusst sind, so wird das Wort Gottes durch den Propheten Haggai sicherlich eine deutliche Sprache zu unseren Gewissen reden und ein Aufruf an unsere Herzen sein.
Die erste Botschaft (Kapitel 1,1-11)
Die erste Botschaft Gottes beginnt mit einem Aufruf an das Gewissen (Hag 1,2-4), gefolgt durch eine Ermahnung (Hag 1,5.6) und schließt mit einem Wort der Ermunterung und Warnung (Hag 1,7-11).