Behandelter Abschnitt Gal 4,28-30
„Ihr aber, Brüder, seid wie Isaak Kinder der Verheißung. Aber so wie damals der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte, so auch jetzt. Aber was sagt die Schrift? ‚Stoße die Magd und ihren Sohn hinaus, denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien‘“ ( Gal 4,28-30).
Wie oft werden wir daran erinnert, dass jeder Fehler bis zu seinem Abweichen von einem sehr fundamentalen Grundsatz zurückverfolgt werden muss. Was war der Fehler der Galater? Was ist das Christentum heute anderes als die praktische Leugnung dessen, dass der Mensch von neuem geboren werden muss? War Isaak das Kind einer natürlichen oder einer übernatürlichen Kraft? Wir alle antworten, dass Gott, nachdem Er sowohl Abrahams als auch Saras Leib hatte ersterben lassen (siehe Röm 4,19) – was jede Erwartung, noch ein Kind zu empfangen, zerstörte – ihnen dann nach seiner Verheißung und Macht Isaak schenkte.
„Ihr aber, Brüder“, schreibt der Apostel, „seid, wie Isaak, Kinder der Verheißung“ ; „aus dem Geist geboren“ (Joh 3,6); „wiedergeboren . . . durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1Pet 1,23); „. . . nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt“ (Jak 1,18); „aus Gott geboren“ (1Joh 5,1). Und wenn Glaube in unseren Herzen ist, dann ist dies das Ergebnis der gewaltigen Macht Gottes, in der Er gewirkt hat in dem Christus, als Er Ihn aus den Toten auferweckte (Eph 1,19).
An ebendieser Kraft, die der Mensch braucht, um befähigt zu werden, das Reich Gottes zu sehen und hineinzugelangen, um dem Gott der Gnade und Erlösung zu begegnen, nimmt der Mensch Anstoß und verachtet sie. Und der bekennende Leib ignoriert auf diese oder jene Weise, dass wir „von neuem geboren“ werden müssen (Joh 3,7).
Ismael und Isaak können nicht in demselben Haus leben oder in Frieden miteinander gehen. Als Isaak, der Sohn Saras, entwöhnt wurde und Abraham zu diesem Anlass ein großes Fest machte, „spottete“ Ismael, Hagars Sohn (vgl. 1Mo 21,9). Er blickte verachtend und gleichgültig auf Isaak und machte sich lustig über das hohe Alter Saras, verglichen mit der Lebenskraft und dem Anmut Hagars. „So auch jetzt“ – es gibt nichts, was dem Menschen so instinktiv missfällt wie die Gnade. Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass Gott Unterschiede zwischen den Menschen macht, und dass der Unterschied nicht durch den Menschen selbst gemacht wird (that God should make one to differ from another, and that the difference is not made by man himself).
Der Mensch fürchtet sich von Natur aus mehr vor der Gnade als vor der Heiligkeit Gottes. Er geht davon aus, dass er durch das ein oder andere selbst erdachte Mittel der Heiligkeit Gottes entsprechen könnte. Doch Gnade ist Gottes Fähigkeit, den Menschen in seiner höchsten Bedürftigkeit zu begegnen und ihn unaussprechlich zu segnen. Die oft wiederholte Geschichte der religiösen Verfolgung ist nichts als die Geschichte von Ismael, die hier durch den Apostel aufgezeigt wird. Und die besondere Form des Widerstandes Ismaels gegen Isaak, selbst das Spotten, ist sehr charakteristisch für die Tage, in denen wir leben; denn je mehr der Mensch dahin kommt, sich in der Größe seiner eigenen Kräfte zu rühmen, desto größer wird sein Widerstand gegen „das Evangelium der Gnade Gottes“ sein.
Abraham erhält das unerbittliche Wort: „Stoße die Magd und ihren Sohn hinaus, denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien.“ Es war sicherlich schmerzhaft für Abraham, sie hinauszustoßen. Dies zu tun, ging gegen seine Empfindungen und Zuneigungen, doch es war für Abraham nicht schmerzhafter, dies zu tun, als es für uns ist, das Gesetz fortzutreiben. Es haftet uns so schnell an. Es erscheint uns so schmerzlich, die Werke unserer eigenen Hände aufzugeben und das loszulassen, worauf wir uns am meisten eingebildet haben. Doch bis Hagar fort ist, kann es im Haus Abrahams keinen Frieden geben. Bis das Gesetz und jede Erwartung davon gänzlich losgelassen ist, gibt es für die Seele keinen Frieden. „Da wir nun gerechtfertigt sind aus Glauben, so haben wir Frieden“ (Röm 5,1).
Wie wenig verstehen selbst wahre Christen ihre gegenwärtige Würde, „nicht Kinder der Magd, sondern der Freien“ zu sein. Und so lange sie dem Gesetz anhangen, ist es ihnen unmöglich, ihren Anspruch auf ein „unverwesliches und unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil, das in den Himmel aufbewahrt ist“ zu erkennen (1Pet 1,4). Die Erkenntnis dieses Anspruchs bringt unweigerlich die, die sie haben, in die Stellung von Pilgern und Fremdlingen hier. Ein Erbe all dessen zu sein, was Gott gibt, kann niemals durch irgendetwas vom Menschen Getanes verdient werden.
Das Gesetz machte diejenigen, die darunter standen, zu Knechten, nicht zu Söhnen; und um ein Erbe zu sein, muss man ein Sohn sein, man muss sogar zu dem Erbe geboren sein. Bis wir Gottes Gedanken darüber verstehen, warum Er uns die Schriften gegeben hat, ist es unmöglich, in dem, was offenbar nichts als die heißblütige Aussage einer wütenden Frau war, eine tiefgründige geistliche Wahrheit zu lesen. „Denn der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn, mit Isaak!“ (1Mo 21,10). Und so passierte es damals auch. „Und Abraham gab Isaak alles, was er hatte. Und den Söhnen der Nebenfrauen, die Abraham hatte, gab Abraham keine Geschenke; und ließ sie, während er noch lebte, von seinem Sohn Isaak wegziehen“ (1Mo 25,5.6).
Isaak war nach der Verheißung Gottes der Erbe (1Mo 25,4). Andere mögen Gaben haben und gedeihen; doch Sara konnte nichts zufriedenstellen als die Erbschaft ihres Sohnes. So ist es auch heute. Die Menschen geben sich mit einer äußerlichen Erkenntnis Gottes und den vielen Gaben, die sie dabei erhalten, zufrieden. Doch sie stehen völlig abseits von den wahren Erben Gottes. Sie sind aus Ihm geboren und daher können sie mit nichts anderem zufriedengestellt werden als mit dem, was Gott gerne gibt. Und wenn Er ihnen nun die unaussprechliche Gabe des Christus gegeben hat, und sie Ihn im Glauben angenommen haben, wie wird Gott ihnen mit Christus nicht auch alles schenken (vgl. Röm 8,32)?.
Die Kinder der Nebenfrauen erhalten ihre Gaben und gehen ihrer Wege. Genauso ist es heute – alle, die mit der falschen Kirche verbunden sind, erhalten ihre Gaben und denken nicht an das Erbe, ja verachten dieses sogar. Die Gegenwart nimmt ihre Gedanken ein; und der Zeitgeist richtet sich stark auf gegenwärtige Segnungen durch die Entwicklung menschlicher Kräfte. So verachten sie, wie Esau, das Erstgeburtsrecht – denn wozu nützt es? Sie mögen tatsächlich nach dem Erbe verlangen, wenn sie aus der gegenwärtigen Welt fortzugehen in Begriff stehen.
Doch Gott hat das Erstgeburtsrecht und das Erbe untrennbar miteinander verbunden; und die, die das Erstgeburtsrecht verachten, werden niemals Erben werden. Die Menschen verachten es, aus Gott geboren zu sein. Sie richten ihre Bosheit und ihren Geist gegen die, die das Erstgeburtsrecht schätzen. Indem sie so, wie Esau, das Erstgeburtsrecht verachten, können sie nie das Erbe besitzen.