Behandelter Abschnitt Gal 4,24-27
„Was einen bildlichen Sinn hat; denn diese sind zwei Bündnisse: eins vom Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches Hagar ist. Denn Hagar ist der Berg Sinai in Arabien, entspricht aber dem jetzigen Jerusalem, denn sie ist mit ihren Kindern in Knechtschaft; das Jerusalem droben aber ist frei, welches unsere Mutter ist. Denn es steht geschrieben: ‚Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und rufe laut, die du keine Geburtswehen hast! Denn die Kinder der Einsamen sind zahlreicher als die Kinder derjenigen, die den Mann hat‘“ ( Gal 4,24-27).
Der Apostel lehrt uns hier, dass diese Begebenheiten in der Geschichte Abrahams dazu gedacht sind, uns eine große moralische Lektion zu lehren. Der Herr selbst hat festgelegt, dass „die Schrift . . . nicht aufgelöst werden“ kann (Joh 10,35). Dabei meint Er die Schriften des Alten Testamentes und sagt, dass diese Schriften von Ihm zeugen (Joh 5,39). An anderer Stelle stellt der Apostel den generellen Grundsatz vor: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung“ (2Tim 3,16).
Welch tiefe geistliche Wahrheiten verbergen sich oft in geschichtlichen Begebenheiten, die auf sehr einfache Weise erzählt werden. Wenn wir zurück zum Garten Eden schauen, finden wir die tiefste Wahrheit vorgeschattet (die erst durch das Kommen des Heiligen Geistes wirklich klar zum Vorschein gebracht wurde), als Adam sagte: „Diese ist einmal Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch“ (1Mo 2,23). „Wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen“ (Eph 5,30). Somit finden wir auch in diesem Abschnitt der Geschichte Abrahams eine tiefe geistliche Belehrung.
Hagar stellt den Berg Sinai und seinen Bund dar, unter dem Jerusalem zur Zeit der Schrift des Apostels stand, und aus der es sich weigerte, durch das Evangelium der Gnade befreit zu werden. Zu diesem Bund der Knechtschaft wurden die Galater erneut hingelenkt – sie waren solche, „die unter Gesetz sein wollt[en]“ (4,21). Hagar konnte in der Gegenwart Saras nie vergessen, dass sie eine Leibeigene war. Und der Geist des Gesetzes führt immer in die Knechtschaft. Wie Petrus sagt, war es „ein Joch, . . . das weder wir noch unsere Väter zu tragen vermochten“ (Apg 15,10).
Die Galater waren versucht, das „leichte Joch“ des Herrn Jesus gegen das schwere Joch des Gesetzes einzutauschen. Wie merkwürdig, und doch wie wahr ist es, dass wir die geistliche Knechtschaft der geistlichen Freiheit vorziehen. Doch der Grund dafür liegt auf der Hand: Wenn wir befreit sind, so kann dies nur durch die Gnade Gottes geschehen – und unsere stolzen Herzen weigern sich, dies anzuerkennen. Ja, die Menschen weigern sich, als durch und durch verlorene und verdorbene Sünder durch die Gnade Gottes gerettet zu werden, durch das kostbare Blut Christi. Sie haben sich „der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen“ (Röm 10,3) und wollen dies auch nicht. Doch wie Jerusalem in diesem Abschnitt binden sie ihre Ketten noch fester um sich. Und damit nicht genug, sie versuchen auch, andere mit sich in Knechtschaft zu bringen.
Wenn Christen ihren Sinn für ihre himmlische und unweltliche Berufung verloren haben (was das wachsame Auge des Apostels bei den Galatern zu beginnen sah), dann schauen sie auf Hagar und nicht auf Sara. Die Galater nahmen sich das „jetzige Jerusalem“ zum Vorbild, „das mit ihren Kindern in Knechtschaft“ ist. Das Ergebnis würde ein religiöses System sein (und das ist es auch), das genauso Knechtschaft bedeutet wie das Judentum selbst. Christus ist nicht in die Welt gekommen, um eine Religion zu gründen, sondern um Sünder zu retten, damit Er sie so „herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt“ (1,4), um sie zu Bürgern eines himmlischen Jerusalem zu machen – dem Jerusalem, das droben ist und das frei ist. Und wo finden wir Freiheit, wenn nicht durch die Einführung in die Gegenwart des Vaters durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist?
Die weltlichen Religionen verwehren den freimütigen Zugang durch den Glauben an Jesus zum Vater. Das Gesetz – das jetzige Jerusalem – könnte niemanden dazu bringen, „Abba, Vater“ zu rufen. Dies ist das Ergebnis einer vollbrachten Erlösung, und eine der reichsten Gaben, die von oben herabkommt – aus dem Jerusalem, das droben ist, und zwar frei. Sicher, wir nehmen jetzt unseren Platz als Diener ein, doch wir tun dies trotzdem als Söhne, ebenso wie der Sohn Gottes hier seinen Platz als Diener einnahm, und doch ist ebendieser Dienst Freiheit. Das gesamte jüdische System war notwendigerweise ein System der Knechtschaft: das jetzige Jerusalem – das Jerusalem, das keine Erlösung kennt. Doch durch den Glauben sind wir „gekommen zum Berg Zion und . . . zum himmlischen Jerusalem“ (Heb 12,22) und dadurch haben wir „ein Ruhmesgewand statt eines verzagten Geistes“. (Jes 61,3).
Um darzulegen, dass das Jerusalem droben die glückliche Mutter von in Freiheit geborenen Kindern ist, zitiert der Apostel Jesaja 54,1. Hagar schmähte nach ihrer Empfängnis ihre Herrin, doch ein gottgegebenes Lachen war mit ihrem Sohn nicht verbunden, sondern mit Isaak, dem Sohn Saras. „Sei fröhlich, du Unfruchtbare [Sara, nicht Hagar], die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und rufe laut, die du keine Geburtswehen hast! Denn die Kinder der Einsamen sind zahlreicher als die Kinder derjenigen, die den Mann hat.“ Wie wunderbar trifft dies auf alle Einzelheiten des im vorherigen Kapitel des Propheten beschriebenen Christus zu, der für uns gelitten hat.
Wir sollten diese Kapitel gemeinsam lesen, um genau diese gegenwärtige Herrlichkeit zu sehen, die auf diese Leiden folgt und bewirkt, dass „die Unfruchtbare des Hauses . . . als eine fröhliche Mutter von Söhnen“ wohnt (Psalm 113,9). Dies ist eine wahre Erscheinung der Gnade. Das Gesetz kannte nichts von Lobpreis. Hagars Sohn war nach dem Fleisch geboren. Saras Kind war das Kind der Gnade und Macht Gottes. So war es auch mit Hanna.
Die Unfruchtbare, die gebiert, kann nur in Lobpreis einen Ausdruck finden. Äußerliche Größe und Herrlichkeit mögen mit der Knechtschaft verbunden sein; denn die Menschen sind, bis sie die Erlösung kennengelernt haben, entweder Sklaven der Sünde, des Gesetzes, oder der Welt. Ismael war in der Gegenwart seiner Brüder groß, während Isaak im Verborgenen war. So war es auch mit Esau, während Jakob diente. Genauso mögen heute bekennende Christen groß und herrlich sein, weil sie sich selbst lieben. Doch sie kennen nicht die Freiheit durch die Wahrheit.
Sie kennen nicht die Gnade, und Lobpreis kann nicht hervorbrechen. Als das Werk Christi am Kreuz vollendet war und als Gegenstand des Glaubens vorgestellt wurde, blieb für die, die es sahen und daran glaubten, nichts als Lobpreis. „Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst.“ „Freut euch in dem Herrn allezeit, und wiederum will ich sagen: freut euch“ (Phil 4,4). „Als Traurige, aber allezeit uns freuend“ (2Kor 6,19).