Behandelter Abschnitt Eph 4,7-16
Für die Absicht Gottes, die Heiligen vollkommen zu machen, für den Dienst für den Herrn, und für die Auferbauung der Glieder Seines Leibes hienieden hat das Haupt Gaben gegeben. In den Versen 7 bis 16 werden zwei Wahrheiten vorgestellt; als erstes: „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus“. Dies ist die generelle Feststellung. Jeder Heilige hat etwas von Christus empfangen, was zur Auferbauung des Leibes, welcher durch jedes Gelenk der Darreichung verbunden ist, dient. Kein Glied am Leib ist ohne diese Verantwortung; jeder Einzelne hat seinen Platz und seine Aufgabe. Die zweite Wahrheit ist die, dass es spezielle Gaben gibt, man könnte sie geistliche Gaben nennen. Alles fließt von dem siegreichen und aufgefahrenen Christus aus. Er kam einst in Gnaden zu uns herab; dahin, wo wir uns befanden: tot und unter der Macht Satans. Er stieg hinab in den Tod, begegnete dem ‘Starken‘ und erwies Sich als der Stärkere. Nachdem Er dem Teufel alles geraubt hatte, worauf dieser vertraut hatte, teilt Er nun die Beute. Einst hatte Er den niedrigsten Platz eingenommen, war „hinab gestiegen in die unteren Teile der Erde“; nun wird Er gesehen, wie Er weit über alle Himmel erhöht ist, „auf das er alles erfüllte“. Die Gefangenschaft wurde gefangen geführt, und der Sieger hat für den Menschen Gaben empfangen2.
Der hier durch den Apostel zitierte Psalm sieht über alles gegenwärtige Handeln Gottes hinaus und sagt weiter: „. . . und selbst für Widerspenstige, damit der Herr, Gott, eine Wohnung habe“ (Ps 68,18).
Obwohl das Volk Israel jetzt noch immer widerspenstig ist, ist noch Segen für sie aufbewahrt für die Zeit des Endes.
Wie kostbar ist es, den Dienst auf diese Weise zu sehen! Er wird in der Heiligen Schrift nicht nur als ein bloßes Amt gesehen, welches seinem Besitzer äußerliche Bedeutung verleiht, sondern als eine Frucht des Sieges des Herrn Jesus – und alle Glieder des Leibes teilen den Genuss des Segens des Dienstes. Es werden verschiedene Gaben hier genannt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer. Beachten wir, dass hier nicht gesagt wird, dass Er gewissen Männern apostolische oder evangelistische Gaben verliehen hat3, sondern Er gab Apostel usw. Das bedeutet, dass diese Männer selbst eine Gabe sind für den Leib und zu dessen Auferbauung und Segen. Die Apostel und Propheten übten einen grundlegenden Dienst aus; dieser Dienst hat, nachdem die Grundlagen gelegt worden waren, aufgehört. Ihre Schriften bleiben zum beständigen Gewinn für die Heiligen bestehen – und in diesem Sinn bleiben auch sie selbst und ihr Dienst bestehen –, tatsächlich jedoch gibt es diese Gaben heute nicht mehr. Nachfolger haben sie nicht, und es gab auch keine Verheißung einer neuen Apostelschaft (Neuapostolen) in der Zeit des Endes, was auch immer manche in ihrer Einbildung glauben mögen.
Die übrigen Gaben mit ihrem segensreichen Zweck bleiben bestehen und sind durch das treue Haupt im Himmel bis zum Ende gewährleistet. Von diesen Gaben wird der Evangelist als erster erwähnt, weil sein Dienst so auch den Erfahrungen der Seele entspricht. Er ist die besondere Gabe, die die Seele – durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes – zu Gott führt. Der Dienst des Hirten und Lehrers beginnt danach. Der Hirte tut einen väterlichen Dienst; er wacht über das verliehene göttliche Leben und ist bemüht, in den Wegen Gottes zu unterweisen, zu leiten und vor Schlechtem zu bewahren. Der Lehrer dagegen (hier eine mit dem Hirten verbundene Gabe) eröffnet die Schätze der Wahrheit und erläutert das, was er von kostbaren Dingen Gottes erkannt hat und worüber die Seelen auch belehrt werden müssen.
Woran erkennt man diese Männer? Weder an ihrer Kleidung noch durch Titel, sondern durch geistliche Autorität und Macht. Der Mann, der ein Verlangen nach den Verlorenen hat und in der Lage ist, solchen das Evangelium von Christus zu bringen, ist über alle Zweifel erhaben ein Evangelist. Wo dies zutrifft – und es kann leicht erkannt werden –, wird ein solcher als Evangelist anerkannt und als eine Gabe von Christus angenommen. Genauso verhält es sich mit solchen, die aus väterlichen Beweggründen handeln oder Blicke in das ausgedehnte Feld der offenbarten Wahrheit eröffnen; die durch ihr Verhalten zeigen, dass ihnen die Heiligen am Herzen liegen. Auch sie sollen von ihren Brüdern in diesem noch feinfühligeren und schwierigeren Dienst angenommen werden.
Alles, was Christus gibt, sollte mit der gebührenden Dankbarkeit angenommen werden; allen Gaben soll der ihnen vom Herrn zugewiesene Platz eingeräumt werden. „Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die erkennet, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie über die Maßen in Liebe achtet, um ihres Werkes willen. Seid in Frieden untereinander“ (1Thes 5,12+13)
Es ist zu beachten, dass hier einerseits keine Wundergaben erwähnt werden, und andererseits auch keine Ältesten und Diener. Sie alle haben ihren bestimmten Platz in der Heiligen Schrift; die ersteren sind Zeichen für die Ungläubigen, die anderen örtliche Verantwortlichkeiten. Hier dagegen haben wir die unmittelbare und gnädige unaufhörliche Haltung des Herrn für die Auferbauung Seines Leibes hienieden.
Der erste und hauptsächliche Gegenstand allen Dienstes ist die ‘Vollendung der Heiligen‘. Es ist nicht der Wille Gottes, dass Seine Heiligen in einem kindlichen Zustand stehen bleiben und ihre Vorrechte und Segnungen sowie die Gedanken Gottes über sie nicht kennen, sondern sie sollen Fortschritte machen und in der Erkenntnis Seiner selbst und Seiner Gnade wachsen. Damit nicht genug, dass uns in Christus Jesus alles geschenkt ist und dass wir nie verlieren können, was die Gnade uns gegeben hat, weil es die Frucht des göttlichen Ratschlusses ist und sich auf das vollbrachte Werk Christi gründet, ist es Gottes Wunsch, dass Seine Heiligen alles, was Er gegeben und gewirkt hat kennen und sich daran erfreuen. Dieser Gedanke ist unendlich höher als die allgemeinen Vorstellungen selbst edler Menschen in der heutigen Christenheit. Für viele ist das wichtigste Ziel die Errettung von Seelen, zumindest jedoch eher die Segnung der Geschöpfe als die Verherrlichung Christi. Dies bedeutet jedoch, auf einem niedrigen Boden zu dienen, wie wenig man dies vielleicht auch beabsichtigen mag das Ziel bleibt deutlich hinter dem erklärten Ziel unseres Gottes zurück. Das traurige Ergebnis davon ist, dass viele Seelen bei der Erkenntnis der Vergebung ihrer Sünden oder ihrer Sicherheit vor dem Gericht stehen bleiben und nur eine schwache Vorstellung von der göttlichen Gerechtigkeit haben. Von der Einheit des Geistes mit einem auferstandenen und verherrlichten Christus in der Höhe besitzen sie nur wenig oder überhaupt keine Erkenntnis. Natürlich gestehen wir unumwunden zu, dass Seelen durch das Evangelium für Christus gewonnen werden müssen, bevor sie vollendet werden können aber die Vergebung der Sünden ist doch erst der Anfang der Segnungen! Bei Christus wird die Seele in einen weiten Raum eingeführt, wo sie unermessliche Gnade kennen lernen und genießen kann. Und lasst uns bloß nicht denken, das Werk des Evangelisten habe damit nichts zu tun. Sein Dienst ist in dem Ausdruck ‘zur Vollendung der Heiligen‘ mit eingeschlossen. Er verkündigt das Evangelium und übt damit den ersten großen Dienst aus; der Hirte und Lehrer greift dieses Werk auf, und die Bemühungen aller gehen in die eine gleiche Richtung. Das Verständnis hierüber wird den Evangelisten davor bewahren, seinen Dienst in einer unabhängigen Weise auszuführen. Zwar findet sein Dienst nicht inmitten der Versammlung statt, sondern in der Welt der Ungöttlichen; aber er geht doch aus dem Schoß der Versammlung aus und bringt Seelen in diesen Kreis hinein, damit Christus, der Mittelpunkt, in ihnen verherrlicht werde. Auf diese Weise sind die weiteren Absichten des Verleihens von Gaben sichergestellt: in allen seinen Zweigen wird das Werk des Dienstes vollführt; und der Leib Christi, zu dessen Bildung der Geist Gottes auf die Erde kam, wird auferbaut.
Bevor wir diesen bedeutsamen Gegenstand verlassen, ist es wichtig zu betonen, dass jeder Diener direkt Christus gegenüber verantwortlich ist. Wir müssen die Grundsätze dieses Kapitels gut festhalten. Evangelisten, Hirten und Lehrer sowie Apostel und Propheten sind Gaben von dem aufgefahrenen Christus; die Versammlung hat hier nur die Stellung einer Empfängerin. Weder hier noch an einer anderen Stelle in der Heiligen Schrift findet sich der Gedanke von beamteten Dienern oder von solchen, die durch die Versammlung ernannt werden. Ich bin mir bewusst, dass Älteste oder Diener durch einen Apostel oder durch einen mit apostolischer Autorität ausgestatteten
Mann wie z. B. Titus ernannt wurden, aber diese wurden in der Regel nicht für den Dienst am Wort angestellt. Die Ältesten (sie stehen immer in der Mehrzahl) wurden eingesetzt, um über die geistlichen Angelegenheiten der Heiligen an dem Ort, an welchem sie wohnten, zu wachen; ihre Autorität ging nicht über diese Grenzen hinaus. Die Diener wurden ernannt, um die Tische zu bedienen oder vergleichbare Aufgaben auszuführen. In einigen Fällen besaßen Personen beider Gruppen auch geistliche Gaben. Stephanus und Philippus mögen hierfür als Beispiel dienen aber in einem solchen Fall war das ganz und gar getrennt von ihrer örtlichen Verantwortlichkeit. Erwählt oder ernannt wurden sie für einen örtlichen Dienst, als Evangelisten usw. jedoch waren sie Gaben von Christus (für den ganzen Leib; Anm. des Übersetzers).
Weil also Evangelisten, Hirten und Lehrer Gaben von Christus sind, sind sie in der Ausübung ihres Dienstes auch nur Ihm und niemandem sonst gegenüber verantwortlich. Als die Korinther im Begriff standen, über Paulus urteilen zu wollen, riefen sie dadurch nur einen sanften Tadel bei ihm hervor. Er sagte ihnen, dass es für ihn das Geringste sei, ob er von ihnen oder von einem menschlichen Gerichtstage beurteilt würde sein Richter war der Herr (1Kor 4,4+5). Hätte der Apostel von der Zucht in der Versammlung gesprochen, würde er anders geredet haben; denn ein Diener, der eines unmoralischen Lebenswandels oder ungesunder Lehre überführt wird, ist der Zucht genauso unterworfen, wie irgendein anderer Bekenner des Namens Christi. Doch in der normalen Ausübung ihrer Gaben sind sie alle dem Herrn allein verantwortlich. Vor Seinem Richterstuhl werden sie und wir alle bald stehen.
Wir kommen nun zu der Bemerkung darüber, wie lange diese Gaben bestehen bleiben werden: „. . . bis wir alle hingelangen werden zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Es scheint sich bei der hier angesprochenen Vollkommenheit nicht um die Herrlichkeit zu handeln, wo ohne Zweifel alles in Übereinstimmung mit Christus sein wird, sondern um einen Zustand vollendeten Wachstums auf Erden im Gegensatz zu dem Anfangsstadium und der Schwachheit von Vers 14.
Sogar in den Tagen des Apostels Paulus waren verderbte Menschen, die den Namen des Herrn trugen, aktiv. Diese versuchten, unachtsame und einfache Seelen zu umgarnen und vom Glauben abzubringen. Gott möchte, dass Seine Heiligen fest gegründet sind in Seiner Gnade und Wahrheit und in der Erkenntnis Seines Sohnes, damit sie den ständig wechselnden Fallstricken des Feindes gegenüber unempfindlich sind. Es ist bedauernswert, Heilige zu beobachten, die hin- und hergeworfen und umher getrieben werden von jedem Winde der Lehre, und die offensichtlich dem Feind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Ist das der Wille Gottes? Nein! sondern ihre Befestigung und Segnung. Und da es in der Versammlung Gottes nie an Seelen fehlen wird, die es nötig haben, dass man ihnen zu dem vollen Wachstum verhilft, wird das treue Haupt die Gaben Seiner Gnade bis zum Ende fortdauern lassen „bis wir alle hingelangen“. Beachten wir, dass die Gaben nicht gegeben werden, damit die Heiligen hilflos abhängig von ihnen würden, sondern damit sie im Gegenteil fest gewurzelt werden und zu Ihm heranwachsen, der das Haupt ist der Christus.
In Vers 15 werden wir aufgefordert, die Wahrheit in Liebe festzuhalten; die Wahrheit soll nicht nur unser Reden beeinflussen, sondern alle unsere Wege, indem sie ihren angemessenen Platz in unserem Innern hat.
Vers 16 vervollständigt den Kreis der Vorsorge des Hauptes zur Auferbauung Seines Leibes. Wir haben hier nicht nur das Allgemeingültige, dass der Leib wohl zusammengefügt und verbunden ist durch jedes Gelenk der Darreichung, sondern daneben noch den sehr bedeutenden Grundsatz, dass kein Glied des Leibes ohne persönliche Verantwortlichkeit ist „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus“ (Vers 7).
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↩︎ 3Genauer heißt es: ‘im Menschen‘; d. h. in Seinem menschlichen Charakter.
↩︎Obwohl dies auch wahr ist, vgl. 1Pet 4,10.