Behandelter Abschnitt Off 12,1-2
Die Frau und der Drache
Die Frau, mit der Sonne bekleidet
„Und ein großes Zeichen erschien in dem Himmel: Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt war eine Krone von zwölf Sternen. Und sie ist schwanger und schreit in Geburtswehen und in Schmerzen zu gebären“ (12,1.2).
Bis zum Ende des 18. Kapitels haben wir nun keine chronologische Folge der Ereignisse der Gerichtszeit mehr, sondern in sich selbst abgerundete Bilder bestimmter Vorkommnisse. Diese sind zumeist zeitlich nicht bestimmt, gehen in ihren Anfängen oft weit zurück, und nur deren Reife und Ende gehören der Gerichtszeit an. Die geschilderten Züge sind vor allem grundsätzliche Charaktere der Hauptfiguren in ihrem Widerstand und ihrer Auflehnung gegen Gott und seine Regierung.
Die Kapitel 12,13 und 17 zeichnen die Vollentwicklung des Bösen in den Hauptpersonen der diabolischen Trinität: Satan, das „Tier“ und der falsche Prophet. In Kapitel 12 sehen wir das Haupt, Satan selbst, im Kampf mit dem Gesalbten Gottes. Kapitel 13 zeigt uns die beiden Hauptwerkzeuge, den politischen Antichristen (das „Tier“) und den religiösen Antichristen (den falschen Propheten). Kapitel 17 zeichnet schlussendlich die abtrünnige Christenheit und das Gericht, das sie trifft.
Kapitel 12 fasst den gesamten Kampf Satans gegen Gott um das Menschengeschlecht, bzw. um die Person des Gesalbten Gottes, Jesus Christus, von Anfang an, bis zur Endzeit, zusammen. Es ist wichtig, dies zu beachten, wenn man das in diesem Kapitel gezeichnete Bild richtig erfassen will. Dazu wird hier auch Israel als Bundesvolk Gottes, sozusagen als sein Vertreter in jener Zeit, als Gegenstand dieses Kampfes zwischen Gott und Satan, eingeführt.
Die eigenartige „Frau, bekleidet mit der Sonne“1, wird von verschiedenen Auslegern als ein Abbild der Kirche betrachtet, was wohl daher rührt, dass die ältere Theologie das Volk Israel für alle Zukunft aus dem Plan Gottes ausgeschaltet betrachtet und daher alle Verheißungen des Alten Testamentes und der Evangelien auf die Kirche, die neutestamentliche Gemeinde des Herrn, übertragen hat, was Juden und Judenchristen mit Recht als „geistlichen Diebstahl“ bezeichnen. Unzählige Bibelstellen aber reden davon, dass der Herr Israel nicht völlig verstoßen, sondern es wiederherstellen und erneuern wird. Gott wird ihm das verheißene „Land der Väter“ wieder schenken und zwar zu ewigem, von Segen und Frieden überschattetem Besitz. Dazu ist der Inhalt der alttestamentlichen Verheißungen von den himmlischen Segnungen völlig verschieden, ja vielfach sogar entgegengesetzt, dass man sie für die Ekklesia, die Versammlung Gottes, gar nicht anwenden kann. Außerdem wird ja die Kirche schon, von Kapitel 4 an, im Himmel als Beisitzerin des Gerichtsthrones gesehen. Sie steht somit in der Folge völlig außerhalb des Endzeitgeschehens.
Nein, diese „Frau“ ist nie und nimmer die Kirche des Herrn Jesus Christus. Schon die unmittelbare Erwähnung derselben nach der Erscheinung der Bundeslade des Tempels (Off 11,19) bedingt, dass diese „Frau“ nur Israel sein kann. Die Bundeslade ist das Zeugnis davon, dass Gott seines Bundes mit Israel, bzw. mit Abraham gedenkt, darum sieht der Seher nun das alte Bundesvolk in der Herrlichkeit der göttlichen Gedanken. Israel wird hier direkt dem Widersacher, Satan, gegenübergestellt und gesehen. Auch andere Bibelstellen erzählen davon; z. B. im Fall Bileams beeilt sich Gott, dem Feind gegenüber seine Auserwählten in der Herrlichkeit und Schönheit zu zeigen, wie Er sie sieht. Kein Feind kann und darf sein Volk antasten. Wer es dennoch tut, muss wissen, dass der Herr alles, was man seinem Volk zufügt, als Ihm selbst zugefügt, betrachtet. Diese wichtige, ernste Wahrheit sollte auch uns viel mehr gegenwärtig sein, als es leider der Fall ist.
Wir sehen also diese seltsame „Frau“ als solche, die „den Mond unter ihren Füßen hat und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen“. Damit kennzeichnet der Heilige Geist Gottes Bundesvolk als mit Ehre und Herrlichkeit bekleidet. Christus regiert als Messias und König in seiner vollkommenen Gerechtigkeit und ungeschmälerten Allmacht in der Mitte des Volkes. Die erste Regierungszeit Salomos ist ein Abbild davon. „Der Mond unter ihren Füßen“ bedeutet, dass die göttliche Herrlichkeit des Gesalbten, der in seiner Mitte thronen wird, sich auf diesem Volk abschatten wird.
Die „Krone von zwölf Sternen“ besagt, dass dieses Bundesvolk das volle Licht der Offenbarung Gottes besitzen wird, und dass dieses Licht gesehen werden wird. Die Sterne in ihrer Vollzahl (zwölf) sind vielleicht ein Hinweis darauf, dass das ganze zwölfstämmige Volk gesammelt und gesegnet sein wird. Gott, der Herr, sieht ja sein Volk nie anders als in der Vollzahl der Stämme, wie wir dies auch in Jakobus 1,1 und an anderen Stellen sehen.
Ferner wird in Vers 2 Israel als eine Frau gesehen, die schwanger, in Geburtswehen und in Schmerzen ist. Aus Israel ist der Erlöser gekommen. Wie kann man hier noch einen Augenblick daran denken, dass wir es in diesen Versen mit der Ekklesia zu tun hätten? Das Volk Israel ist dazu bestimmt, dass aus ihm der Erlöser und Erfüller aller Ratschlüsse Gottes kommen soll und muss, denn „das Heil ist aus den Juden“.
Christus, der Sieger über alle Widerstände des Bösen sein wird, ist der verheißene Same, der, der schon im Paradies als der „Same der Frau“, der Besieger der Schlange angekündigt ist. In den weiteren Verheißungen erstrahlt die Herrlichkeit des Kommenden immer deutlicher, aber als Er kam, nahm Ihn Israel nicht auf. Sie störten sich an seiner Niedrigkeit und verwarfen Ihn und hefteten den Heiligen und Herrlichen ans Kreuz. Seitdem ist die Erwartung des Verheißenen Er wird als König in Herrlichkeit wiederkommen mit Leiden verbunden. In den letzten Tagen vor seinem Kommen als Messias werden diese Drangsale für die, die an Ihn glauben, von außerordentlicher Schwere sein, so dass sie an verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift geradezu mit Geburtswehen verglichen werden.
1Das Wort, das in manchen sonst so vorzüglichen Bibelübersetzungen mit „Weib“ wiedergegeben ist, lautet im griechischen Urtext immer yvvii = Gyné und das heißt auf Deutsch „Frau“, egal, ob ledig oder verheiratet, ob jung oder alt. Wir möchten deshalb auch Frau übersetzen, wo „Gyné“ steht, weil uns für die Herrlichkeit, mit der Israel, besonders in unserem Kapitel von Gott gesehen wird, das Wort „Frau“ passender und würdiger ist, als der profane und im Volksmund missbrauchte und herabwürdigende Ausdruck „Weib“.