Behandelter Abschnitt Joel 4,1-2
Der Tag des HERRN oder das Gericht über die Nationen
Kapitel 4 zeigt uns eine neue Seite des Tages des HERRN. Dieser Tag war schon zum Voraus als nahe angezeigt worden, als die Heuschrecken einfielen (Joel 1,15). Er wird in Joel 4,31 beim Einfall des Assyrers – wovon die Heuschrecken ein Vorbild waren – in Verbindung mit vorausgehenden Zeichen als kommend und nahe dargestellt. Endlich sehen wir diesen Tag in Joel 2,11 als schon da, weil dort der Angriff des Assyrers Tatsache wird.
Dann haben wir gesehen, dass infolge der Buße Judas und Jerusalems der Assyrer vernichtet und der Heilige Geist auf den Überrest und auf alles Fleisch ausgegossen wird. Der „Tag des HERRN“ zeigt uns, dass alle gegen Jerusalem versammelten Nationen vernichtet werden müssen. Es ist der Tag ihres Gerichts ebenso wie der der Vernichtung des Assyrers. In der Tat finden die Ereignisse in Kapitel 2 und 4 miteinander statt; sie sind in Joel nur getrennt, um den Hauptgegenstand dieses Propheten – den Angriff und die Vernichtung des Assyrers – hervorzuheben. Wir haben Grund, anzunehmen, dass der Assyrer im Gericht über alle Nationen, das uns in Kapitel 4 gezeigt wird, mit inbegriffen ist; er wird aber dort wohl darum nicht genannt, weil sein besonderes Los schon in Kapitel 2 im Einzelnen behandelt ist. Wir wissen sogar schon aus dem Propheten Daniel und aus der Offenbarung des Johannes, dass sein Gericht dem der abtrünnigen Nationen, die durch das Tier und den falschen Propheten dargestellt werden, nicht vorausgehen, sondern gleich nachfolgen wird; dies würde also chronologisch Kapitel 4 vor Kapitel 2 setzen. Um den Tag des HERRN klarzumachen, werden für ihn in beiden Kapiteln dieselben Ausdrücke gebraucht. Damit wird gezeigt, dass es sich eben um ein und denselben „Tag“ handelt: „Nahe ist der Tag des HERRN im Tal der Entscheidung“ (Joel 4,14; 2,1). Was wir in Bezug auf die Übereinstimmung dieser Ereignisse dargestellt finden, wird bestätigt durch die Tatsache, dass die tausendjährige Segnung ebenso nach dem Tal Josaphat erwähnt wird wie nach der Niederlage des Assyrers (Joel 2,23-27; 4,4-7.18-21).
Somit werden die verschiedenen Ereignisse der Endzeit mit dem Namen Tag des HERRN bezeichnet; und zwar haben wir es in Kapitel 4 mit der Gesamtheit des letzten Dramas zu tun.
Joel 4,1.2: Denn siehe, in jenen Tagen und zu jener Zeit, wenn ich die Gefangenschaft Judas und Jerusalems wenden werde, dann werde ich alle Nationen versammeln und sie in die Talebene Josaphat hinabführen; und ich werde dort mit ihnen rechten über mein Volk und mein Erbteil Israel, das sie unter die Nationen zerstreut haben; und mein Land haben sie geteilt.
Infolge der Buße hat sich ein Überrest aus Juda und Jerusalem gebildet, auf den der Heilige
Geist ausgegossen worden ist. Den Entronnenen ist Befreiung geworden für Juda und für die „Übriggebliebenen“ alle, die der HERR berufen hat. Das sind die Tage, wenn Gott die Gefangenschaft Judas und Jerusalems wenden wird (Joel 4,1); denn wie schon oben bemerkt, handelt es sich in Joel nur um diesen unter beschränktem Gesichtswinkel gesehenen Überrest, nicht um die gesamte „Gefangenschaft“, das heißt den Überrest Jerusalems und Judas. Damit seinem Volk eine volle Befreiung bewirkt werden kann, müssen am Tag des HERRN alle Nationen (Gojim), die Juda und Jerusalem „zertreten“ haben, demselben Gericht anheimfallen wie der Assyrer: „Ich werde alle Nationen versammeln und sie in das Tal Josaphat hinabführen“ (Joel 4,2).
Man hat über das „Tal Josaphat“ schon viel geschrieben und diskutiert. Eine Überlieferung, die keine Stütze im Wort Gottes hat, will es örtlich festlegen auf das Tal des Kidron, das Jerusalem vom Ölberg trennt. Diese Überlieferung, die heute noch unter den Juden und Mulimen Geltung hat, stammt höchstens aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Ganz allgemein wird das Jüngste Gericht in das Tal Josaphat verlegt, weil dasGericht der lebenden Nationen, wovon doch die Prophezeiung so oft redet, und hier sogar im Besonderen, den meisten verborgen ist. Diese Legende ist wohl zurückzuführen auf den Umstand, dass Jerusalem (Joel 4,16; Sach 14,1) in Verbindung mit dem Schauplatz des Gerichts steht. Jedoch soll noch kann der Schauplatz selbst örtlich festgelegt werden. Selbst das für „Tal“ gebrauchte Wort (hebr. emeq) bezeichnet niemals ein enges Tal, wie das Tal zwischen Jerusalem und dem Ölberg zum Beispiel ein enges Tal ist.
In allererster Linie muss daran gedacht werden, dass das Wort Josaphat (= „Der HERR richtet“) in direkter Beziehung zu unserem Kapitel steht, das vom Gericht des HERRN über die Nationen redet und den Ort, wo dieses stattfindet, als Tal des Gerichtes bezeichnet (oder vielmehr: das Festbeschlossene, vgl. Jes 10,42.22.23). Somit hat dieses Wort eine symbolische Bedeutung. Andererseits bezweifeln wir nicht, dass es auf die Geschichte des Königs Josaphat in 2. Chronika 20 anspielt; denn man darf nicht vergessen, dass es sich in unserem Kapitel um das Gericht der Nationen handelt, das die Segnung des bußfertigen Überrestes herbeiführen wird. In der Geschichte Josaphats aber haben wir gerade die Geschichte der Befreiung des Überrestes, das durch das Gericht Gottes über dessen Feinde hervorgerufen wird. Der Sieg Josaphats über die große Menge der Nationen, die gegen Jerusalem heraufgezogen war, wurde erfochten am Ende der Anhöhe Ziz und des Tales (eingeschlossenes Tal, hebr. nachal), das sich gegen die Wüste von Jeruel und von Tekoa öffnet (Joel 4,12.15.16).
Josaphat war seinem Gott untreu geworden, indem er sich mit dem gottlosen Ahab, dem damaligen König von Israel, verbündet hatte (2Chr 18). In der Bedrängnis durch den Feind schrie er zu Gott, und Er kam ihm zu Hilfe (2Chr 18,31). Zum zweiten Mal untreu, hatte er sich mit Joram, Ahabs Sohn, und dem König von Edom gegen Moab verbündet; eine Schande für sein Zeugnis als Diener Gottes (2Kön 3). Die Niederlage Moabs erregte bei diesem stolzen Volk einen heftigen Hass gegen Juda. In Gemeinschaft mit den Kindern Ammon und den Maonitern von Seir (Edom) überfiel Moab das Gebiet Judas, indem er das Tote Meer umging und bei Engedi lagerte. Dies alles – die Folge der Untreue des Königs – zeichnet im Kleinen die Geschichte Judas und Jerusalems. Josaphat erkennt und bekennt seine Untreue. Bevor er den Feind angreift, ruft er ein Fasten aus und versammelt das Volk, „und ganz Juda stand vor dem HERRN, samt ihren kleinen Kindern, ihren Frauen und ihren Söhnen“ (2Chr 20,2.13).
Dieses Fasten erinnert unwillkürlich an das von Joel 2,15. Dann ruft Josaphat in tiefem Bewusstsein seiner Schwachheit Gott an, dass Er ihn errette: „Unser Gott, willst du sie nicht richten? Denn in uns ist keine Kraft vor dieser großen Menge, … auf dich sind unsere Augen gerichtet“ (2Chr 20,9.12). Man hört dieselbe Bitte aus dem Schoß der Demütigung in Joel 2,17. Darauf erklärt der HERR, dass dieser Krieg nicht der ihrige, sondern Gottes Streit sei (2Chr 20,15). „Der Geist des HERRN kam mitten in der Versammlung“ (2Chr 20,14), wie dies in Joel das gesegnete Teil des Überrestes sein wird (Joel 3,1). Die Männer Josaphats steigen vor dieser Menge gerüstet hinunter in die Wüste Tekoa, aber nicht, um zu kämpfen, sondern um die Befreiung des HERRN, der mit ihnen ist, zu schauen (2Chr 20,17.21). Sie begegnen dem Feind im Tal (hebr. emeq, gleich wie in Joel 4,2.12.14). Dieses Tal des Gerichts wird für Josaphat und sein Volk das Tal Beraka, das heißt Tal der Segnung. Nach dem Sieg stimmen sie den berühmten Lobgesang des Tausendjährigen Reiches an: „Preist den HERRN, denn seine Güte währt ewig!“ (2Chr 20,20.21).
Wir wiederholen: All dies erinnert auffällig an den Vorgang in Joel 4. Infolge der Untreue Israels und angesichts der daraus hervorgehenden Gerichte wird das gesamte Volk versammelt und Fasten und Buße ausgerufen; Juda und Jerusalem merken auf, und der Heilige Geist wird ausgegossen. Die Nationen ziehen in großer Menge gegen Jerusalem hinauf und kommen in das Tal, das zum Gerichtsschauplatz bestimmt ist, wo sie vernichtet werden. Das Gericht wird durch den Herrn selbst ausgeübt und nicht durch diejenigen, die Ihn begleiten. Genauso wird es sein, wenn der König der Könige mit seinen Heerscharen aus dem Himmel hervortreten und die Nationen mit dem zweischneidigen Schwert schlagen wird, das aus seinem Mund hervorgeht (Off 19). An diesem Tag wird als Folge dieses Vorgangs, der in Joel vom jüdischen Standpunkt aus gesehen wird, das Tal Josaphat zum Tal Beraka, d.h. zum Tal der tausendjährigen Segnung unter der Regierung des Christus (Joel 4,18-21).
Wenn auch die Anspielung auf den Sieg Josaphats klar erscheint, so bleibt es trotzdem durchaus unnötig, diesen Vorgang örtlich festzulegen. Der Sinn vom „Tal Josaphat“ ist wie schon gesagt der, dass „der HERR richten wird“, wie Er es in 2. Chronika 20 tat. Ob nun der Ort in Joel und in Chronika derselbe ist, ist ohne Belang, selbst dann, wenn diese Möglichkeit besteht. Jedoch kann es gefährlich werden, prophetische Ereignisse an einen Ort zu binden, wenn der symbolische Sinn der maßgebenden Ausdrücke augenscheinlich ist.
Das Tal Josaphat versinnbildlicht einen Abschnitt aus einer Gesamtheit von Ereignissen, die alle zum „großen und furchtbaren Tag des HERRN“ gehören und sich an eine Haupttatsache anschließen: die Erscheinung des Herrn. Diese Erscheinung wird erfolgen, wenn die Himmel sich öffnen werden und der Herr, wie wir es betrachtet haben, mit seinen himmlischen Heerscharen hervortreten wird. An diese Erscheinung schließen sich die verschiedenen Akte seines Kommens zum Gericht an, um sein Königreich in Zion aufzurichten. Diese Ereignisse gehen, wie wir im Propheten Sacharja sehen, nicht gleichzeitig vor sich, d.h. nicht im gleichen Augenblick, sondern sie bilden eine ununterbrochene Kette von Geschehnissen, die begleitet sind von seinen verschiedenen Offenbarungen. Sie gehören alle zu seiner
„Erscheinung“ als Teile des Tages des HERRN.
Die Erscheinung des HERRN oder die „Erscheinung seiner Ankunft“ ist der zweite Akt seines Kommens. Bei dem ersten und für die Welt unsichtbaren Kommen wird Er die Seinen zu sich nehmen, um sie in die ewige Herrlichkeit einzuführen. Beim zweiten Kommen wird Er von den
Seinen begleitet sein und mit ihnen das Gericht über die Nationen ausüben. Dieses wird allen sichtbar sein: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die, die ihn durchstochen haben“ (Off 1,7). Nur von diesem zweiten Kommen, niemals aber vom ersten, redet die Prophezeiung des Alten Testaments; denn sein Kommen für die Heiligen ist ein Geheimnis, das erst im Neuen Testament offenbart wird. Aber dieser zweite Akt – die Erscheinung des Herrn zum Gericht – hat wiederum zwei Seiten, nämlich eine himmlische und eine irdische. Die himmlische Seite gehört dem Neuen, die irdische dem Alten Testament an. Indem wir dies bemerken, können wir den Unterschied zwischen den Gesichtspunkten des Alten und denen des Neuen Testaments nicht genug betonen. Wenn sich diese ganz verschiedenen, ja entgegengesetzten Offenbarungen auch niemals widersprechen, so dürfen wir sie doch nicht miteinander vermengen.
Diese Bemerkung ist gerade für unseren Gegenstand sehr wichtig. Im
Neuen Testament zeigen uns die prophetischen Stellen in
Aber um dies zu ermöglichen, muss das Gericht stattfinden über alle Nationen, die Israel geknechtet und misshandelt haben. Dazu wird der Herr sie sammeln und ins Tal Josaphat bringen. Er wird sie richten wegen seines Volkes, seines Erbteils, das sie unter die Nationen zerstreut haben. Der Anklagegegenstand wird einzig und allein aus den Untaten, die sie an dem Volk Gottes vollbracht haben, bestehen.
Joel 4,2b.3: und mein Land haben sie geteilt und über mein Volk das Los geworfen; und den Knaben haben sie für eine Hure gegeben und das Mädchen für Wein verkauft, den sie getrunken haben.
Tyrus, Sidon und Philistäa (später auch Ägypten und Edom; Joel 4,19) werden im Gericht unterschieden, denn wir haben hier das allgemeine Gericht aller Nationen, die das Land unter sich verteilt und „Jerusalem zertreten“ haben (Lk 21,24).