Behandelter Abschnitt 5. Mose 28,1-14
Gottes Regierung
Gehorsam bringt Segen, Ungehorsam bringt Fluch
Der Inhalt dieses Kapitels darf nicht mit dem des vorhergehenden vermengt werden. Einige Ausleger haben, um das Fehlen der Segnungen in Kapitel 27 zu erklären, sie hier gesucht. Aber das ist ein großer Irrtum, der für das wirkliche Verständnis der beiden Kapitel äußerst verhängnisvoll ist. Die beiden Kapitel sind, sowohl was ihre Grundlage als auch was ihren Zweck und ihre praktische Anwendung betrifft, ganz und gar verschieden. Kapitel 27 behandelt den sittlichen Zustand des Menschen als eines ganz verderbten Sünders, der völlig unfähig ist, Gott auf dem Boden des Gesetzes zu begegnen. Kapitel 28 dagegen betrachtet Israel als eine Nation unter der Regierung Gottes. Ein Vergleich der beiden Kapitel wird den Unterschied bald zeigen. Welche Verbindung könnte zum Beispiel zwischen den sechs Segnungen unseres Kapitels und den zwölf Flüchen des vorhergehenden gefunden werden? Keine. Es ist nicht möglich, irgendeine Beziehung der beiden Kapitel zueinander festzustellen, während selbst ein Kind die innere Verbindung zwischen den Segnungen und den Flüchen des 28. Kapitels erkennen kann.
Wir führen einige Stellen zum Beweis hierfür an: „Und es wird geschehen, wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, fleißig gehorchst“, – das ist der Schlüssel zum fünften Buch Mose, ein wichtiges, immer wiederkehrendes Stichwort – „dass du darauf achtest, alle seine Gebote zu tun, die ich dir heute gebiete, so wird der Herr, dein Gott, dich zur höchsten über alle Nationen der Erde machen; und alle diese Segnungen werden über dich kommen und werden dich erreichen, wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchst.“ Das ist der einzige Schutz, das tiefe Geheimnis der Glückseligkeit, der Sicherheit, des Segens und der Kraft. „Gesegnet wirst du sein in der Stadt, und gesegnet wirst du sein auf dem Feld. Gesegnet wird sein die Frucht deines Leibes und die Frucht deines Landes und die Frucht deines Viehs, das Geworfene deiner Rinder und die Zucht deines Kleinviehs. Gesegnet wird sein dein Korb und dein Backtrog. Gesegnet wirst du sein bei deinem Eingang, und gesegnet wirst du sein bei deinem Ausgang.“
Ist es nicht einleuchtend, dass das nicht die Segnungen sind, die durch die sechs Stämme vom Berg Gerisim aus verkündigt werden sollten? Was uns hier vorgestellt wird, ist Israels nationale Würde, Wohlfahrt und Herrlichkeit, gegründet auf die fleißige Beobachtung aller Gebote dieses Buches. Nach dem ewigen Vorsatz Gottes sollte Israel auf der Erde vor allen Völkern den ersten Platz einnehmen, und dieser Vorsatz wird sicher erfüllt werden, wenn Israel auch in trauriger Weise in der Erfüllung jenes vollkommenen Gehorsams gefehlt hat, der die Grundlage seiner nationalen Vorrangstellung bilden sollte.
Die Segnungen Israels und die Segnungen der Versammlung
Wir dürfen diese Wahrheit nie aus dem Auge verlieren. Einige Ausleger haben versucht, die Segnungen Israels zu vergeistlichen und auf die Versammlung zu übertragen. Das ist aber ein verhängnisvoller Fehler. Allerdings lesen wir in Galater 3,14: „Damit der Segen Abrahams in Christus Jesus zu den Nationen käme“. Aber wie heißt es dann weiter? Segnungen in der Stadt und auf dem Land? Oder Segnungen in unserem Korb und in unserem Backtrog empfingen? Nein, sondern „damit wir die Verheißung des Geistes empfingen durch den Glauben.“ Ebenso entnehmen wir dem Kapitel 4, dass es dem wiederhergestellten Israel gestattet sein wird, alle die zu seinen Kindern zu zählen, die während des christlichen Zeitalters nach dem Geist geboren sind. „Das Jerusalem droben aber ist frei, welches unsere Mutter ist. Denn es steht geschrieben: ‚Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und rufe laut, die du keine Geburtswehen hast! Denn die Kinder der Einsamen sind zahlreicher als derjenigen, die den Mann hat‘“ (Verse 26.27).
Aber so wahr das auch ist, so gibt es uns doch keine Berechtigung, die Verheißungen Israels auf die Gläubigen des Neuen Testaments zu übertragen. Gott hat sich selbst durch einen Eid verbürgt, die Nachkommen Abrahams, seines Freundes, zu segnen, und zwar mit allen irdischen Segnungen im Land Kanaan. Die Segnungen Israels sind eben irdischer, die der Versammlung aber himmlischer Natur. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus!“ (Eph 1,3).
Ergebnis des Gehorsams und des Ungehorsams
Zum vorliegenden Kapitel muss nach der Feststellung, dass es sich von dem vorhergehenden durchaus unterscheidet, nichts Ausführliches mehr gesagt werden. Es zerfällt ganz natürlich und leicht erkennbar in zwei Teile. Der Erste enthält eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse des Gehorsams (V. 1–15), der Zweite eine ernste und ergreifende Schilderung der schrecklichen Folgen des Ungehorsams (V. 16–68), wobei der zweite Teil dreimal so lang ist wie der Erste. Die Segnungen füllen nur 15 Verse, die Flüche dagegen 53. Welch eine Sprache redet das zu unseren Herzen! Das ganze Kapitel ist eine eindringliche Erklärung der Regierungswege Gottes und eine Erläuterung der Tatsache, dass „unser Gott ein verzehrendes Feuer ist“.
Die wunderbare Geschichte Israels steht vor allen Völkern der Erde als ein Zeugnis da, dass Gott den Ungehorsam bestrafen muss, und zwar zunächst an seinen Kindern. Und wenn Er sein eigenes Volk nicht verschont hat, was wird das Ende derer sein, die ihn nicht kennen? „Die Gesetzlosen werden zum Scheol umkehren, alle Nationen, die Gottes vergessen. – Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Ps 9,17; Heb 10,31). Es ist der Gipfel der Dummheit, wenn ein Mensch versucht, der Kraft solcher Stellen auszuweichen. Es wird ihm nie gelingen. Ein Vergleich des vorliegenden Kapitels mit der tatsächlichen Geschichte Israels wird ihm zeigen, dass, so sicher ein Gott auf dem Thron der Majestät in den Himmeln sitzt, so sicher auch die Übeltäter ihre Bestrafung finden werden, sowohl hier als auch in der Ewigkeit. Es kann nicht anders sein. Eine Regierung, die das Böse ungerichtet und ungestraft hingehen lassen könnte oder wollte, wäre keine vollkommene Regierung, wäre nicht die Regierung Gottes. Gewiss ist Gott gütig, barmherzig, gnädig, von großer Langmut und Treue. Aber Er ist auch heilig, gerecht und wahrhaftig. Und Er hat „einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat allen den Beweis davon gegeben, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Apg 17,31).