Behandelter Abschnitt 2. Mose 16,1-3
Das Manna
Das Murren des Volkes
„Und sie brachen auf von Elim, und die ganze Gemeinde der Kinder Israel kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und Sinai ist, am fünfzehnten Tag des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus dem Land Ägypten“ (V. 1). Die Kinder Israel sind hier an einem bemerkenswerten Punkt angelangt. Sie sind noch in derselben Wüste, aber in einem sehr wichtigen Teil davon, nämlich „zwischen Elim und Sinai“. Elim war der Platz, wo Gott sie gerade erst durch seinen Dienst gestärkt hatte, und Sinai wurde der Ort, wo sie den Boden der freien und unumschränkten Gnade verließen, um sich unter ein Bündnis von Werken zu stellen. Das macht die Wüste Sin zu einem besonders wichtigen Teil der Reise der Kinder Israel. Noch begegnet Gott ihnen in derselben Gnade, mit der Er sie aus Ägypten geführt hatte, und darum hilft Er unmittelbar, sobald ein Mangel auftaucht. Wenn Gott seine Gnade offenbaren will, dann gibt es für ihn kein Hindernis. Der Segen, der von ihm ausgeht, kann dann nicht unterbrochen werden. Nur wenn der Mensch sich selbst unter Gesetz stellt, verwirkt er alles; dann wird es sich zeigen, was der Mensch aufgrund seines eigenen Tuns erreichen kann.
Gott hat sein Volk sicher nicht in der Absicht erlöst und aus Ägypten herausgeführt, um es in der Wüste eine Beute des Hungers und Durstes werden zu lassen. Die Kinder Israel hätten das wissen sollen. Sie hätten sich auf ihn stützen und im Vertrauen auf die Liebe, die sie in so wunderbarer Weise den Schrecken der ägyptischen Knechtschaft entrissen hatte, ihren Weg fortsetzen sollen. Sie hätten daran denken sollen, dass es unendlich viel besser war, mit Gott in der Wüste als mit dem Pharao bei den Ziegelhütten zu sein. Aber es fällt dem menschlichen Herzen unendlich schwer, der vollkommenen Liebe Gottes Glauben zu schenken.
Der Mensch setzt mehr Vertrauen auf Satan als auf Gott (vgl. 1Mo 3,1-6). Woher kommen die vielen Leiden, das Elend und die Entwürdigung des Menschen? Sind sie nicht die Folgen seines Hörens auf die Stimme Satans? Und dennoch beklagt er sich nie über sein Sklavendasein, noch drückt er je den Wunsch aus, diesem Dienst zu entrinnen. Er ist weder unzufrieden mit Satan noch des Dienens überdrüssig. Alle Tage erntet er bittere Früchte auf dem Feld, auf das Satan ihn geführt hat; und dennoch sieht man ihn immer wieder denselben Samen ausstreuen und willig dieselbe mühevolle Arbeit tun.
Wie ganz anders handelt der Mensch im Blick auf Gott! Kaum haben wir angefangen, in seinen Wegen zu wandeln, so sind wir bei der ersten Prüfung oder Trübsal schon unzufrieden und zur Empörung bereit. In der Tat sind wir in kaum einer Sache so nachlässig wie in der Dankbarkeit. Wir vergessen zehntausend Gnadenerweisungen angesichts einer einzigen geringfügigen Entbehrung: Wir haben die Vergebung aller unserer Sünden empfangen (Eph 1,7; Kol 1,14), sind „begnadigt in dem Geliebten“ (Eph 1,6), wir sind zu Erben Gottes und zu Miterben Christi gemacht (Eph 1,11; Röm 8,17; Gal 4,7), wir erwarten die ewige Herrlichkeit (Röm 8,18-25; 2Kor 4,15; 5,4; Phil 3,20.21; Gal 5,5; Tit 2,13; 1Joh 3,2 u. a.), und obendrein erfahren wir Tag für Tag durch unzählige Gnadenerweisungen die Güte unseres Herrn; und doch braucht nur eine Wolke, „klein wie eines Mannes Hand“, am Horizont zu erscheinen und wir vergessen angesichts dieser Wolke, die sich vielleicht sogar als Segen für uns erweisen wird, all die reichen Segnungen in der Vergangenheit.
Dieser Gedanke sollte uns in der Gegenwart Gottes tief demütigen. Wie weit sind wir in dieser und in jeder anderen Hinsicht von unserem Herrn entfernt! Betrachten wir ihn, den wahren „Israel“, wie Er in der Wüste, umringt von wilden Tieren, vierzig Tage fastete. Beklagte Er sein Los? Wünschte Er eine Änderung der Umstände? Nein. Gott war das Teil seines Erbes und seines Bechers (Ps 16,5). Und als der Versucher ihm die Herrlichkeit und Ehren dieses Lebens anbot, konnte Er darum alles ausschlagen und blieb unerschütterlich in der Abhängigkeit von Gott und in der bedingungslosen Unterwürfigkeit unter sein Wort. Er wollte nur von Gott Brot empfangen, und auch die Herrlichkeit nur von ihm.
Wie anders war es bei dem irdischen Volk Israel! Kaum verspürten sie Hunger, da „murrten sie gegen Mose und gegen Aaron in der Wüste“. Sie schienen tatsächlich das Bewusstsein ihrer Befreiung durch die Hand des Herrn verloren zu haben, denn sie schrien: „Ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt“! (V. 3), und in Kapitel 17,3: „Warum doch hast du uns aus Ägypten heraufgeführt, um mich und meine Kinder und mein Vieh vor Durst sterben zu lassen?“ So offenbarten sie bei jeder Gelegenheit einen Geist der Bitterkeit und Unzufriedenheit und zeigten nur zu deutlich, wie wenig ihnen die Gegenwart ihres allmächtigen und gnädigen Befreiers bedeutete.
Wie sehr wird Gott verunehrt durch das Murren derer, die ihm angehören! Der Apostel Paulus erwähnt diesen undankbaren Geist als ein besonderes Kennzeichen heidnischer Verdorbenheit. „Weil sie, Gott kennend, ihn weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten“, und dann folgt das Resultat: „sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde“ (Röm 1,21). Wer nicht mehr mit Dankbarkeit an die Güte Gottes denken kann, dessen Herz wird bald mit Finsternis erfüllt werden. Auf diese Weise verloren die Kinder Israel das Bewusstsein, in Gottes Hand zu sein, und wie es zu erwarten ist, gerieten sie dadurch in noch tiefere Finsternis.
In einem späteren Abschnitt ihrer Geschichte hören wir sie sagen: „Warum bringt uns der Herr in dieses Land, dass wir durchs Schwert fallen und unsere Frauen und unsere kleinen Kinder zur Beute werden?“ (4Mo 14,3). Das ist der abschüssige Weg einer Seele, die ihre Gemeinschaft mit Gott verloren hat. Sie verliert zunächst das Bewusstsein, dass sie nur zu ihrem eigenen Segen in den Händen Gottes ist, und schließlich glaubt sie sogar, dass es zu ihrem Unglück sei. Was für ein trauriger Rückschritt!