Behandelter Abschnitt 2. Mose 4,1-12
Moses Einwände
Der erste Einwand: Der Unglaube des Volkes
Wir müssen uns noch deutlicher die Situation am Fuß des Berges Horeb „hinter der Wüste“ klarmachen, um dort den Unglauben des Menschen und die grenzenlose Gnade Gottes in auffälliger Weise ans Licht treten zu sehen. „Und Mose antwortete und sprach: Aber siehe, sie werden mir nicht glauben und nicht auf meine Stimme hören; denn sie werden sagen: Der Herr ist dir nicht erschienen“ (V. 1). Wie schwer ist es, den Unglauben des menschlichen Herzens zu besiegen, und welche Mühe kostet es den Menschen, sein Vertrauen auf Gott zu setzen! Wie zögert er, sich allein auf die Verheißung Gottes hin vorzuwagen! Zu allem ist die Natur bereit, nur dazu nicht. Sie hält das schwächste Rohr, das sichtbar ist, für einen stärkeren Stützpunkt ihres Vertrauens als den unsichtbaren „Fels der Ewigkeiten“ (Jes 26,4). Sie wendet sich viel lieber an irgendeine menschliche Hilfsquelle oder zu einem geborstenen Brunnen, als dass sie an der unsichtbaren „Quelle lebendigen Wassers“ verweilt (vgl. Jer 2,13; 17,13).
Man sollte annehmen, Mose habe bereits genug gesehen und gehört, um alle seine Befürchtungen fahren zu lassen. Man sollte meinen, dass das verzehrende Feuer in dem unversehrt bleibenden Busch, die herablassende Gnade und die großen und herrlichen Titel Gottes, der göttliche Auftrag und die Gewissheit der Gegenwart Gottes jede Spur von Furcht genommen und ihm Sicherheit verliehen hätten. Aber noch erhebt Mose immer neue Fragen, und Gott lässt sie nicht unbeantwortet. Vielmehr bringt jede weitere Frage neue Gnade zum Vorschein. „Da sprach der Herr zu ihm: Was ist das in deiner Hand? Und er sprach: Ein Stab“ (V. 2).
Der Herr wollte Mose gerade so gebrauchen, wie er war, und das benutzen, was er in seiner Hand hatte. Derselbe Stab, mit dem Mose die Schafe Jethros geweidet hatte, sollte das Werkzeug sein, um sowohl das Israel Gottes zu befreien und das Land Ägypten zu züchtigen als auch dem erkauften Volk Gottes einen Weg durch das Meer zu bahnen und zur Erfrischung der durstigen Scharen Israels in der Wüste Wasser aus dem Felsen hervorströmen zu lassen. Gott benutzt schwache Werkzeuge, um seine mächtigen Absichten zu erfüllen. Ein „Stab“, ein „Lärmhorn“ (Jos 6,5), ein „Laib Gerstenbrot“, ein „leerer Krug“ (Ri 7,13.16), die „Schleuder“ eines Hirten (1Sam 17,50), alles kann in der Hand Gottes zur Ausführung des Werkes dienen, das Er sich vorgesetzt hat. Der Mensch bildet sich ein, große Ziele seien nur durch große Mittel zu erreichen; aber das ist nicht die Weise Gottes. Er kann einen „Wurm“ ebenso gut zu seinem Dienst verwenden wie eine „brennende Sonne“ und einen „schwülen Ostwind“ (siehe Jona 4).
Aber Mose hatte sowohl im Blick auf den Stab, als auch auf die Hand, die ihn führen sollte, noch etwas Wichtiges zu lernen. Er hatte zu lernen und das Volk musste überzeugt werden. „Und Er sprach: Wirf ihn auf die Erde. Da warf er ihn auf die Erde, und er wurde zur Schlange; und Mose floh vor ihr. Und der Herr sprach zu Mose: Strecke deine Hand aus und fasse sie beim Schwanz. Und er streckte seine Hand aus und ergriff sie, und sie wurde zum Stab in seiner Hand – damit sie glauben, dass der Herr dir erschienen ist, der Gott ihrer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ (V. 3–5). Das war ein bedeutungsvolles Zeichen. Der Stab wird zur Schlange, so dass Mose vor ihr flieht; aber auf den Befehl des Herrn ergreift er sie beim Schwanz und sie wird wieder zum Stab. Was hätte ein besserer Ausdruck von der gegen sich selbst gewendeten Macht Satans sein können? Die Wege Gottes liefern uns in dieser Weise eine Menge treffender Beispiele. Mose selbst war ein solches Beispiel.
Die Schlange befindet sich völlig unter der Macht Christi; und wenn sie den Gipfel ihrer schrecklichen Laufbahn erreicht hat, wird sie im Feuersee ihre Stätte finden, um dort in alle Ewigkeit die Früchte ihres Werkes zu ernten. Die „alte Schlange“, der „Verkläger“, der „Widersacher“, wird dann für ewig zermalmt sein unter dem Stab des Gesalbten Gottes. „Und der Herr sprach weiter zu ihm: Stecke doch deine Hand in deinen Gewandbausch. Und er steckte seine Hand in seinen Gewandbausch; und er zog sie heraus, und siehe, seine Hand war aussätzig wie Schnee. Und er sprach: Tu deine Hand wieder in deinen Gewandbausch. Und er tat seine Hand wieder in seinen Gewandbausch; und er zog sie aus seinem Gewandbausch heraus, und siehe, sie war wieder wie sein Fleisch“ (V. 6.7).
Die mit Aussatz bedeckte Hand und ihre Reinigung stellen uns die moralische Wirkung der Sünde und ihre Beseitigung durch das vollkommene Werk Christi vor Augen. Die in den Gewandbausch gesteckte reine Hand wird aussätzig; und die wiederum in den Gewandbausch gesteckte aussätzige Hand wird rein. Der Aussatz ist das bekannte Bild von der Sünde; und die Sünde wurde durch den ersten Menschen eingeführt und durch den zweiten weggenommen. „Denn da ja durch einen Menschen der Tod kam, so auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten“ (1Kor 15,21). Durch den Menschen kam der Fall, durch den Menschen die Erlösung; durch den Menschen kam die Schuld, durch den Menschen die Vergebung; durch den Menschen kam die Sünde, durch den Menschen die Gerechtigkeit; durch den Menschen kam der Tod in die Welt, durch den Menschen wurde der Tod abgeschafft und Leben, Gerechtigkeit und Herrlichkeit eingeführt.
Die Schlange wird also nicht nur für ewig besiegt und vernichtet, sondern auch jede Spur ihres scheußlichen Werkes wird durch das Sühnopfer dessen ausgerottet und weggewischt werden, der „offenbart worden ist, damit er die Werke des Teufels vernichte“ (1Joh 3,8). „Und es wird geschehen, wenn sie selbst diesen zwei Zeichen nicht glauben und nicht auf deine Stimme hören, so sollst du vom Wasser des Stromes nehmen und es auf das Trockene gießen; und das Wasser, das du aus dem Strom nehmen wirst, wird zu Blut werden auf dem Trockenen“ (V. 9). In diesem ausdrucksvollen und ernsten Bild entdecken wir die Folge der Weigerung, sich unter das Zeugnis Gottes zu beugen. Dieses Zeichen sollte nur im Fall der Verwerfung der beiden vorhergehenden getan werden; es sollte zunächst ein Zeichen für Israel und dann eine Plage für Ägypten sein (vgl. Kap. 7,17).
Der zweite Einwand: Kein Mann der Rede
Aber Mose ist immer noch nicht zufriedengestellt. „Und Mose sprach zu dem Herrn: Ach Herr, ich bin kein Mann der Rede, weder seit gestern noch seit vorgestern, noch seitdem du zu deinem Knecht redest; denn ich bin schwer von Mund und schwer von Zunge“ (V. 10). Welch eine Feigheit!
Aber die unendliche Geduld des Herrn konnte sie ertragen. War denn die Zusicherung Gottes „Ich werde mit dir sein“ nicht eine sichere Bürgschaft, dass es seinem Diener an nichts von allem, was er etwa benötigte, mangeln würde? Wenn er eine beredte Zunge brauchte, was musste Mose dann tun, angesichts des erhabenen Titels „Ich bin“? Beredsamkeit, Weisheit, Kraft, Energie alles war in dieser unerschöpflichen Schatzkammer zu haben. „Da sprach der Herr zu ihm: Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht stumm oder taub oder sehend oder blind? Nicht ich, der Herr? Und nun geh hin, und ich will mit deinem Mund sein und dich lehren, was du reden sollst“ (V. 11.12). Welch eine unvergleichliche Gnade! Eine Gnade, die des großen Gottes würdig ist! Niemand ist wie der Herr, unser Gott, dessen beharrliche Gnade alle unsere Schwierigkeiten besiegt und für alle unsere Bedürfnisse und Schwachheiten genügt. Das „Ich, der Herr“ sollte für immer die Einwände unserer fleischlichen Herzen zum Schweigen bringen. Aber wie schwer ist es, diese Einwände niederzuhalten! Immer von neuem stören sie unsern Frieden, und dadurch verunehren wir Gott, der sich in seiner ganzen Fülle vor unsere Seelen stellt, um uns aus dieser Fülle nach unseren Bedürfnissen schöpfen zu lassen.
Es ist gut, uns immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass, wenn der Herr mit uns ist, gerade unsere Mängel und Gebrechen für ihn eine Veranlassung werden, seine Gnade und seine Geduld zu offenbaren. Hätte Mose daran gedacht, so hätte ihn sein Mangel an Beredsamkeit nicht beunruhigt. Paulus hatte gelernt zu sagen: „Daher will ich mich am allerliebsten viel mehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus über mir wohne. Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Schmähungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten für Christus; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2Kor 12,9.10). Das ist in der Tat die Sprache eines Mannes, der die Schule Christi durchlaufen hatte. Es ist die Erfahrung eines Mannes, der trotz einer unberedten Zunge ruhig geblieben wäre, weil er in der Gnade des Herrn Jesus Christus für jedes Bedürfnis eine Antwort gefunden hatte.
Diese Erkenntnis hätte Mose von seinem Misstrauen und seiner Furchtsamkeit befreien sollen. Wenn der Herr ihm versichert hatte, dass Er mit seinem Mund sein werde, so hätte er über den Mangel an Beredsamkeit völlig beruhigt sein sollen. Er, der den Mund des Menschen geschaffen hat, konnte, wenn es nötig war, diesem Mund glänzende Beredsamkeit verleihen. Für den Glauben ist das sehr einfach; das zweifelnde Herz aber setzt sein Vertrauen weit lieber auf eine beredte Zunge als auf den, der sie erschaffen hat. Wir würden das unerklärlich finden, wenn wir nicht wüssten, aus welchen Elementen das natürliche Herz gebildet ist. Dieses Herz kann Gott nicht vertrauen; und daher zeigt sich dieser demütigende Mangel an Vertrauen zu dem lebendigen Gott selbst bei Kindern Gottes, wenn sie sich durch ihre Natur beherrschen lassen.