Behandelter Abschnitt 1. Mose 19,1-29
Die Zerstörung Sodoms und Gomorras
Eine falsche Position
Der Herr wendet in seiner Gnade zwei Methoden an, um das Herz des Menschen von den Dingen dieser Welt abzulenken. Zunächst offenbart Er den Wert und die Unveränderlichkeit der „Dinge, die droben sind“, und dann zeigt Er die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der „Dinge, die auf der Erde sind“ (Kol 3,1.2).
Der Schluss von Hebräer 12 liefert uns ein schönes Beispiel von diesen beiden Methoden. Nachdem die Wahrheit festgestellt ist, dass wir zum Berg Zion und zu allen damit verbundenen Freuden und Vorrechten gekommen sind, fährt der Apostel fort: „Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der redet! Denn wenn jene nicht entkamen, die den abwiesen, der auf der Erde die göttlichen Aussprüche gab: wie viel mehr wir nicht, wenn wir uns von dem abwenden, der von den Himmeln her redet! - dessen Stimme damals die Erde erschütterte; jetzt aber hat er verheißen und gesagt: ‚Noch einmal werde ich nicht allein die Erde erbeben lassen, sondern auch den Himmel.‘ Aber das ‚noch einmal‘ deutet die Verwandlung der Dinge an, die erschüttert werden als solche, die gemacht sind, damit die, die nicht erschüttert werden, bleiben“ (Heb 12,25-27).
Nun ist es ohne Frage besser, durch die Freuden des Himmels gezogen, als durch die Sorgen der Erde getrieben zu werden. Der Gläubige sollte nicht darauf warten, aus den gegenwärtigen Dingen hinausgeworfen zu werden. Er sollte nicht darauf warten, dass die Welt ihn aufgibt, ehe er sie aufgeben will. Er sollte sie aufgeben in der Kraft der Gemeinschaft mit den himmlischen Dingen. Wenn man durch den Glauben Christus ergriffen hat, ist es nicht schwer, die Welt aufzugeben. Es wäre viel schwieriger, mit ihr in Verbindung zu bleiben. Wenn ein Straßenfeger plötzlich in den Besitz eines großen Vermögens käme, würde er seinen Beruf wohl nicht mehr lange ausüben. Ebenso gewiss werden wir, wenn wir durch den Glauben unseren Anteil an den unveränderlichen Gütern, die in den Himmeln für uns aufbewahrt sind, verwirklichen, keine Schwierigkeit finden, die zeitlichen Freuden der Erde aufzugeben.
Wenden wir uns jetzt dem nun beginnenden ernsten Teil unserer Geschichte zu. „Und Lot saß im Tor Sodoms“ (V. 1). Es war der Platz der staatlichen Gewalt. Ja, er hatte Fortschritte gemacht, er war in der Welt vorangekommen. Sein Weg war äußerlich mit Erfolg gekrönt gewesen. Im Anfang „schlug er Zelte auf bis nach Sodom“ (13,12). Später ging er zweifellos in die Stadt hinein, und jetzt sehen wir ihn im Tor sitzen, in einer einflussreichen Position. Wie verschieden ist das alles von der Szene, die sich im Anfang des vorhergehenden Kapitels vor uns auftat! Die Ursache ist klar. „Durch Glauben hielt Abraham sich in dem Land der Verheißung auf wie in einem fremden und wohnte in Zelten (Heb 11,9). Wir hören nichts Ähnliches über Lot. Es gibt eine Frage, die das Herz bis auf den tiefsten Grund erforscht, und die wir uns vor jeder Handlung stellen sollten. Sie lautet: Handle ich durch Glauben? „Was nicht aus Glauben ist, ist Sünde“ (Röm 14,23); und: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen“ (Heb 11,6). Man könnte nicht sagen: Durch Glauben saß Lot im Tor Sodoms.
Lot fand keinen Platz in der großen Wolke von Zeugen, die in der Kraft des Glaubens lebten. Die Welt war sein Fallstrick und die gegenwärtigen Dinge wurden ihm zum Verhängnis. Er hielt nicht standhaft aus, „als sähe er den Unsichtbaren“ (Heb 11,27). Seine Blicke waren auf die sichtbaren und zeitlichen Dinge gerichtet, während Abraham die Dinge anschaute, die man nicht sieht und die ewig sind (2Kor 4,18). Der Unterschied zwischen diesen beiden Männern ist groß. Obwohl sie ihren Lauf gemeinsam begonnen hatten, erreichten sie, wenigstens was ihr öffentliches Zeugnis betrifft, doch ein ganz verschiedenes Ziel. Lot war ohne Zweifel errettet, doch „so wie durchs Feuer“, denn, „sein Werk verbrannte“ (1Kor 3,15).
Abraham dagegen fand „Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilands Jesus Christus“ (2Pet 1,11). Außerdem finden wir nirgends, dass Lot etwas von den hohen Vorrechten genießen durfte, deren Abraham sich erfreute. Anstatt durch den Besuch des Herrn geehrt zu werden, „quälte er Tag für Tag seine gerechte Seele“ (2Pet 2,8). Anstatt die Gemeinschaft mit dem Herrn zu genießen, befindet er sich fern von ihm. Anstatt für andere eintreten zu können, kann er höchstens für sich selbst bitten. Der Herr blieb bei Abraham zurück, um ihm seine Gedanken mitzuteilen, während Er nur seine Engel nach Sodom sandte, und selbst diese waren nur mit großer Mühe zu bewegen, in das Haus Lots einzutreten und seine Gastfreundschaft anzunehmen. „Nein“, sagen sie, „sondern wir wollen auf dem Platz übernachten“ (V. 2). Wie verschieden ist diese Weigerung von der willigen Annahme der Einladung Abrahams, wie sie sich in den Worten ausdrückt: „Tu so, wie du geredet hast“ (Kap. 18,5).
Die Annahme von Gastfreundschaft ist bedeutungsvoll. Sie drückt, genau genommen, die Gemeinschaft des Gastes mit dem Gastgeber aus. „Zu dem werde ich hineingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“ (Off 3,20). „Wenn ihr urteilt, dass ich dem Herrn treu bin, so kehrt in mein Haus ein und bleibt“ (Apg 16,15). Die Weigerung der Engel enthält daher eine entscheidende Verurteilung der Stellung Lots in Sodom. Sie wollten lieber die ganze Nacht auf der Gasse bleiben, als unter dem Dach eines Mannes übernachten, der sich in einer falschen Stellung befand. Ihr Weg nach Sodom scheint wirklich keinen anderen Zweck gehabt zu haben, als Lot zu befreien, und dies noch um Abrahams willen, denn wir lesen: „Und es geschah, als Gott die Städte der Ebene verdarb, da gedachte Gott an Abraham und entsandte Lot mitten aus der Umkehrung, als er die Städte umkehrte, in denen Lot gewohnt hatte“ (V. 29).
Wir sehen also, dass Lot um Abrahams willen dem Gericht entrann. Das ist beachtenswert. Der Herr hat keine Gemeinschaft mit einem weltlich gesinnten Herzen, und gerade die Liebe zur Welt hatte Lot verleitet, sich in dem Sumpf dieser schuldigen Stadt niederzulassen. Der Glaube hatte ihn nicht dahin gebracht, auch eine himmlische Gesinnung hatte ihn nicht dorthin gehen lassen, und auch nicht „seine gerechte Seele“. Nur seine Liebe zu dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf leitete ihn, zuerst zu „wählen“, dann „Zelte bis nach Sodom aufzuschlagen“, und endlich „im Tor Sodoms zu sitzen“. Was für eine Wahl! Es waren in der Tat „geborstene Zisternen“, die kein Wasser halten konnten, es war ein „geknickter Rohrstab“, der ihm „die Hand durchbohrte“ (vgl. Jer 2,13 und Jes 36,6). Es ist bitter, wenn wir auf irgendeine Weise unsere Wege selbst bestimmen wollen. Wir werden dann ganz sicher die traurigsten Fehler machen. Wie viel besser ist es, uns von Gott unsere Wege vorzeichnen zu lassen und ihm in der Gesinnung eines kleinen Kindes alles anzuvertrauen, weil Er es ist, der in seiner nie irrenden Weisheit und unendlichen Liebe alles für uns ordnen kann und will!
Ohne Zweifel hatte Lot eine Übersiedlung nach Sodom für sich und seine Familie für vorteilhaft gehalten. Aber die Folgen zeigen, wie sehr er sich getäuscht hatte, und das Ende seiner traurigen Geschichte mahnt uns ernst, auf die ersten Regungen weltlicher Gesinnung in uns zu achten. „Begnügt euch mit dem, was vorhanden ist“ (Heb 13,4.5). Warum? Etwa weil wir ein gutes Einkommen haben und alle unsere Wünsche befriedigt sind? Sollte das der Grund unserer Zufriedenheit sein? Nein, sondern weil der Herr gesagt hat: „Ich will dich nicht versäumen und dich verlassen“. Gesegnetes Teil! Hätte Lot sich damit begnügt, so hätte er die wasserreichen Ebenen Sodoms nicht aufgesucht.
Ein miserables Zeugnis
Sollten wir noch andere Gründe für ein Leben im Geist der Genügsamkeit benötigen, so werden wir sie in diesem Kapitel finden. Was gewann Lot an Glück und Zufriedenheit auf seinem Weg? Wenig. Die Leute von Sodom umringen sein Haus und drohen, den Eingang aufzubrechen, und vergeblich versucht er, sie durch die niedrigsten Angebote zu beschwichtigen. Jeder, der sich mit der Welt verbindet, um sich selbst zu erhöhen, muss darauf gefasst sein, die Folgen zu ernten. Wir können nicht aus der Welt Nutzen ziehen und gleichzeitig ein wirksames Zeugnis gegen sie ablegen. „Der eine da ist gekommen, um als Fremder hier zu weilen, und will den Richter machen?“ (V. 9).
Das geht unmöglich. Der einzige Weg, die Welt verurteilen und richten zu können, besteht darin, dass man sich in der Kraft der Gnade von ihr getrennt hält, nicht aber in der hochmütigen Gesinnung des Pharisäertums. Die Welt von ihren bösen Wegen überführen zu wollen, während man wegen eigener Vorteile mit ihr verbunden bleibt, ist ein nutzloses Unternehmen. Die Welt wird von einem solchen Zeugnis wenig beeindruckt sein. Genauso wurde das Zeugnis Lots von seinen Schwiegersöhnen aufgenommen: „Er war in den Augen seiner Schwiegersöhne wie einer, der Scherz treibt“ (V. 14). Es ist wertlos, von dem nahenden Gericht zu reden, so lange wir unser Teil und unsere Freude an dem Ort suchen, über den das Gericht hereinbrechen soll.
Abraham befand sich in einer besseren Stellung, um von Gericht reden zu können. Er war außerhalb des Gefahrenbereichs. Sodom konnte in hellen Flammen stehen, die Zelte des Fremdlings in Mamre waren keiner Gefahr ausgesetzt.