Behandelter Abschnitt Mk 8
Dieses Kapitel muss heute unser letztes sein, über das ich noch ein oder zwei Worte sagen möchte, bevor ich schließe. Wieder wird eine große Volksmenge gespeist. Es handelt sich natürlich nicht um dieselbe wie vorher. Hier sind es nicht fünftausend Männer, sondern nur viertausend; es bleiben nicht zwölf Körbe voll Brocken übrig, sondern nur sieben. Äußerlich gesehen, waren es weniger Menschen und ein kleinerer Rest, der übrig blieb. Aber beachten wir, dass es sich hier um die Sieben, die normale Zahl der geistlichen Vollkommenheit, handelt. Ich schließe daraus, dass dieses Ereignis, als Vorbild gesehen, sogar noch bedeutungsvoller ist als das vorherige. Es gibt keinen größeren Fehler bei der Beschäftigung mit der Schrift und das gilt überhaupt für alle sittlichen Fragen als die Dinge nach ihrem äußeren Schein zu beurteilen.
Die sittliche Bedeutung von allem, was man sich vorstellen kann, ist immer von größerer Wichtigkeit als ihr physisches Aussehen. In diesem zweiten Wunder wurden weniger Menschen gespeist, die Ausgangsmenge war größer und das Übriggelassene weniger. Rechnerisch gesehen, erscheint das frühere Wunder ganz offensichtlich größer als das spätere. Die zugrunde liegende Wahrheit besteht darin: Im ersten Wunder wird besonders die Beteiligung der Menschen herausgestellt. Im zweiten handelt es sich darum, dass Jesus, obwohl Er Menschen benutzte, die Vollkommenheit seiner Liebe und Sympathie und die Sorge für sein Volk entfaltete, welcherart die Not auch sein mochte. Deshalb scheint es, als zeige die Zahl Sieben eine höhere Vollkommenheit an als die Zwölf, obwohl sie beide an ihrem jeweiligen Platz bedeutsam sind.
Danach tadelte unser Herr die Jünger wegen ihres Unglaubens, der sich in grober Form zeigte. Je stärker sich Liebe und Mitleid bei Ihm offenbarten und je vollkommener seine Sorge zum Ausdruck kam, umso peinlicher erwies sich der Unglaube bei seinen Jüngern und noch mehr bei anderen. Unser Herr führte dann noch eine weitere Heilung aus, die nur im Markusevangelium berichtet wird. In Bethsaida wurde ein Blinder zu Ihm gebracht. Nach meiner Meinung geschah es ausdrücklich dazu, um die Geduld des Dienstes nach den Gedanken des Herrn vorzustellen, wenn Er zuerst seine Augen anrührte, worauf dann nur ein teilweises Sehvermögen folgte. In seiner Antwort bekannte der Mann: „Ich sehe die Menschen . . . wie Bäume umherwandeln.“
Daraufhin legte der Herr zum zweiten Mal die Hände auf seine Augen. Damit war das Werk vollendet. Auf diese Weise hatte Er nicht nur den Blinden geheilt, sondern Er hatte es auch „wohl gemacht“ - eine weitere Illustration der Wahrheit, die wir schon betrachtet haben. Wenn Er seine Hand auflegte, um ein Werk auszuführen, dann nahm Er sie nicht wieder weg, bevor alles entsprechend seiner Liebe vollbracht war. Der Mann sah jetzt völlig klar. So passte alles zusammen. Die doppelte Handlung erwies den guten Arzt. Aber die Wirkung seiner Handlungsweise, sei es durch Wort oder Hand, sei es durch einfache oder doppelte Anwendung, zeigte auch den großen Arzt.
Am Ende des Kapitels entfaltete sich der Glaube in Petrus im Gegensatz zum Unglauben der Menschen und dem Kleinglauben, der vorher unter den Jüngern wirksam war. Nun eilten die Dinge dem Schlimmsten entgegen. Das Bekenntnis des Petrus war deshalb an dieser Stelle durchaus passend. Der Bericht weicht auffallend von dem im Matthäusevangelium ab. Durch Markus wird uns erzählt, dass Petrus einfach sagt: „Du bist der Christus.“ Im Matthäusevangelium lauten seine Worte wie folgt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Auch finden wir im Markusevangelium nicht die Worte: „Auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen.“ Die Versammlung ist genau genommen nicht auf den Christus oder Messias als solchen aufgebaut, sondern auf das Bekenntnis von dem „Sohn des lebendigen Gottes“. So sehen wir, wie schön die Auslassungen in der Schrift voneinander abhängen.
Der Heilige Geist inspirierte Markus dahingehend, dass er nur einen Teil von dem Bekenntnis des Petrus anführte, und folgerichtig wird nur ein Teil der Segnung unseres Herrn erwähnt. Da die größte Huldigung an unseren Herrn in dem Bekenntnis des Petrus weggelassen wird, verschweigt Markus folglich auch ganz den bevorstehenden großen Wechsel, der sich in der Bildung der Versammlung (Kirche) zeigt. Hier verlangte unser Herr von den Jüngern nur, dass sie niemanden von Ihm, dem Christus, erzählen sollten. Was für ein Ende des Zeugnisses seiner Gegenwart! Auch der Grund dafür ist sehr ergreifend: „Der Sohn des Menschen (muss) vieles leiden.“ Das war sein Teil, das Teil des wahren Dieners. Er war der Christus. Aber es hatte keinen Zweck, dem Volk weiterhin davon zu erzählen. Sie hatten es oft gehört; und sie wollten trotzdem nicht glauben. Nun stand Er im Begriff, ein anderes Werk zu beginnen. Er machte sich auf, um zu leiden. Das war Sein Teil. „Der Sohn des Menschen (muss) vieles leiden und verworfen werden . . . von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und . . . getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“
Demnach begann Er jetzt, angesichts der Verklärung, seinen herannahenden Tod anzukündigen. Er schilderte ihn sehr ausführlich. Er wollte seine Knechte vor der Annahme bewahren, als sei Er in irgendeiner Weise von seinem Tod überrascht worden. Er wurde erwartet. Der Herr kannte ihn schon vollkommen und in seinen Einzelheiten vor den Ältesten und Schriftgelehrten. Das Volk, das seinen Tod bewirken würde, wusste noch nichts davon. Sie planten eigentlich das Gegenteil von dem, was wirklich zur Zeit seines Todes geschah (Mt 26,5). Noch weniger wussten sie von seiner Auferstehung. Als sie geschah, glaubten sie nicht daran. Die Juden verdeckten sie durch eine Lüge.
Aber Jesus wusste alles über seinen Tod und seine Auferstehung. Und jetzt brachte Er den Jüngern zum ersten Mal diese Nachricht schonend bei und wies darauf hin, dass auch ihr Weg ein gleicher Pfad der Leiden sein würde. Christi Tod wird hier als ein Werk der Sünde des Menschen gesehen. Deshalb wird kein Wort von der Sühnung gesagt. Es gibt kein größeres Missverständnis bei der Betrachtung der Schrift als ein Beschränken der Leiden des Herrn auf die Sühnung ich meine, hinsichtlich des Kreuzes und des Todes. Sicherlich ist die Sühne der höchste Gesichtspunkt in den Leiden Christi. Deshalb kann man verstehen, dass auch die Christen dazu neigen, angesichts der Sühnung alles andere zu übersehen. Der Grund dafür, warum Gläubige nur die Sühnung sehen, liegt darin, dass sie nur sich selbst sehen. Aber wenn sie keine „ungläubigen“ Gläubigen wären, dann würden sie sehen, dass im Kreuz Christi viel mehr enthalten ist als die Sühnung. Sie würden auch keineswegs geringer von Jesus denken, wenn sie die Reichweite seiner Gnade und die Tiefe seiner Leiden mehr erkennen würden.
Unser Herr sprach hier nicht von seinem Tod als eine Sühne für Sünden. Im Matthäusevangelium, wo Er davon spricht, dass Er sein Leben gibt als Lösegeld für viele, da handelt es sich natürlich wirklich um Sühnung (Mt 20,28). Christus sühnte ihre Sünden; das nenne ich Sühnung. Aber hier, wenn Er davon spricht, dass Er von den Menschen getötet wird - ist das Sühnung? Es ist schmerzlich, dass Christen für diese Wahrheit so verschlossen und bezüglich derselben so verwirrt sind. Hätte Gott nicht im Gericht mit dem Heiland der Sünder gehandelt, dann gäbe es keine Sühnung. Seine Verwerfung durch die Menschen wird zwar von Gott benutzt, aber sie ist nicht dasselbe. Und, geliebte Freunde, das ist eine bedeutsamere und praktischere Frage, als manche denken möchten. Aber mehr kann ich jetzt nicht dazu sagen. Vor uns steht ein neuer Gegenstand, nämlich die Herrlichkeit, von der unser Herr im Zusammenhang mit seiner Verwerfung und seinen Leiden unmittelbar danach spricht.
In dem zweiten Wunder der Speisung einer Volksmenge haben wir natürlich ein erneutes Zeugnis von Christus als dem Messias, dem Hirten Israels, gesehen in der Wohltätigkeit seiner Macht. Es war in Wirklichkeit eine Erfüllung der Vorhersage: „Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen“ (Ps 132,15). Das war ein sehr bedeutungsvolles Zeichen für Israel.
Bei anderen Herrschern besteht im allgemeinen die natürliche Notwendigkeit, dass ihr Volk zu ihrem Unterhalt und zu ihrer Pracht beisteuert. Doch der Messias sollte die Quelle für die Ernährung seiner Untertanen sein. Dieses Vorrecht kam Ihm allein zu und war nur von Ihm vorausgesagt. Es gab niemals einen anderen Herrscher – und wird es niemals geben –, der mit einem solchen Zeichen in Verbindung stand und zu dessen Kennzeichen der Regierung diese gnädige Quelle der Versorgung für sein Volk gehörte. Andere Herrscher versorgten sich durch Plünderung und Raub bei fernen Völkern mit den Mitteln, die sie dann mit ihrem eigenen Volk verschwendeten. Der Messias dagegen wird aus seiner allmächtigen Gewalt und seiner Liebe zu Israel heraus handeln. Das besagt eindeutig Psalm 132,15.
Die sittliche Kraft der Heiligen Schrift ist durch die schlechte Gewohnheit, sie zu vergeistlichen, stark abgeschwächt worden. Tatsächlich büßen wir jede richtige Deutung der Schrift ein, wenn wir sie auf solch eine Anwendung beschränken. Zweifellos dürfen wir den Sinn solcher Worte wie diese übernehmen und daraus ersehen, wie Christus für diejenigen sorgt, die an Ihn glauben. Auch heute noch entfaltet Er mehr als jemals zuvor in seiner liebenden Vorsorge für die Bedürfnisse der Seinen diese kennzeichnende Güte.
Doch welcher Gedanke scheint für die Mehrzahl der Kinder Gottes auf der Erde heute in der Verheißung von Psalm 132 zu liegen? Welche Bedeutung sehen sie, abgesehen von einer vorübergehenden Ausübung mitleidvoller Macht, in diesen Wundern? Es ist offensichtlich, dass der Geist Gottes dieser Wahrheit große Wichtigkeit beimisst; denn das einzige Wunder, das in allen vier Evangelien berichtet wird, ist die Speisung der Volksmenge, zumindest die erste, in welcher der Herr die Fünftausend versorgte. Es bleibt also bestehen, dass der Herr in diesen Wundern ein zweifaches Zeugnis davon gab, dass Er der Messias war – fähig und willens, all das auszuüben, was Ihn in besonderer Weise kennzeichnete. Kein anderer Fürst oder König konnte so handeln, weil dieser selbst normalerweise für seinen eigenen Staat auf Einkünfte aus seiner Lehnsherrschaft angewiesen ist.
Aber der Herr Jesus besitzt diese einzigartige Quelle und Versorgungsmöglichkeit der Gnade in sich selbst; und sein Königreich wird dadurch gekennzeichnet sein. Anstatt sein Volk Israel zu belasten oder der Welt ihren Wohlstand zu entziehen, um sich zu erhalten, wird der Herr Jesus Christus immer die Stellung des seligen und alleinigen Machthabers (1Tim 6,15) festhalten, selbst dann, wenn die Erde Ihn als König anerkennt. Das wird ein Tag sein, an dem alle Last weggenommen ist und die Erde ihren Ertrag liefert. Zweifellos werden die Herzen der Menschen dann freigebig sein. „Eine Menge Kamele wird dich bedecken, junge Kamele von Midian und Epha. Sie alle werden aus Scheba kommen, Gold und Weihrauch bringen, und sie werden das Lob des Herrn [Jahwe] fröhlich verkündigen.
Alle Herden Kedars werden sich zu dir versammeln, die Widder Nebajots werden dir zu Diensten stehen: Wohlgefällig werden sie auf meinen Altar kommen; und das Haus meiner Pracht werde ich prächtig machen. Wer sind diese, die wie eine Wolke geflogen kommen und wie Tauben zu ihren Schlägen? Denn auf mich hoffen die Inseln, und die Tarsis-Schiffe ziehen voran, um deine Kinder aus der Ferne zu bringen und ihr Silber und ihr Gold mit ihnen, zu dem Namen des Herrn [Jahwe], deines Gottes, und zu dem Heiligen Israels, weil er dich herrlich gemacht hat. Und die Söhne der Fremde werden deine Mauern bauen, und ihre Könige dich bedienen; denn in meinem Grimm habe ich dich geschlagen, aber in meiner Huld habe ich mich deiner erbarmt. Und deine Tore werden beständig offen stehen; Tag und Nacht werden sie nicht geschlossen werden, damit der Reichtum der Nationen und ihre weggeführten Könige zu dir gebracht werden können. Denn die Nation und das Königreich, die dir nicht dienen wollen, werden untergehen, und diese Nationen werden gewiss vertilgt werden.
Die Herrlichkeit des Libanon wird zu dir kommen, Zypresse, Platane und Buchsbaum miteinander, um die Stätte meines Heiligtums zu schmücken; und ich werde herrlich machen die Stätte meiner Füße. Und gebeugt werden zu dir kommen die Kinder deiner Bedrücker, und alle deine Schmäher werden niederfallen zu deinen Fußsohlen; und sie werden dich nennen: Stadt des Herrn [Jahwe], Zion des Heiligen Israels. Statt dass du verlassen warst und gehasst und niemand hindurchzog, will ich dich zum ewigen Stolz machen, zur Wonne von Geschlecht zu Geschlecht. Und du wirst saugen die Milch der Nationen und saugen an der Brust der Könige; und du wirst erkennen, dass ich, der Herr [Jahwe], dein Erretter bin, und ich, der Mächtige Jakobs, dein Erlöser. Statt des Kupfers werde ich Gold bringen und statt des Eisens Silber bringen und statt des Holzes Kupfer und statt der Steine Eisen. Und ich werde den Frieden setzen zu deinen Aufsehern und die Gerechtigkeit zu deinen Vögten“ (Jes 60,6-17).
Doch das große unterscheidende Kennzeichen des irdischen Reiches des Messias im Vergleich zu allen anderen Reichen wird dieser Überfluss an Güte sein, wenn die göttliche Macht an jenem großen Tag der Verwirklichung des Sieges unseres Herrn über Satan alle Segnung des Menschen übernimmt. Im 1000-jährigen Reich wird der Mensch noch nicht in den ewigen Zustand versetzt sein; er wird noch einen Körper haben, der sterben kann. Das Böse wird in der Welt immer noch vorhanden sein. Obwohl das Böse noch nicht ausgerottet ist, in der Natur des Menschen immer noch die Sünde wohnt und die Macht des Todes in bestimmten Fällen als ein Gericht über schamlose Sünden ausgeübt wird, besteht die Besonderheit jener Zeit darin, dass die Macht des Guten durch Christus, den großen König, über das Böse die Oberhand hat. Das heißt nicht, dass das Böse gegen das Gute ankämpft, sondern dass die Überlegenheit der Segnung vom Jahwe-Messias aus über die ganze Erde ausfließt. Wenn es noch einen abgesonderten Flecken auf der Erde gäbe, einen einsamen Winkel, der von dem Strom des Segens „an jenem Tag“ nicht besucht würde, dann wäre das weitgehend ein Triumph des Bösen über das Gute.
Wir wissen aus Offenbarung 20, dass die Nationen nach dem 1000-jährigen Reich rebellieren werden. Keine Wohltätigkeit von Seiten des Herrn, keine Speisung seiner Armen mit Brot kann das Herz des gefallenen Menschen ändern. Nein, auch die Entfaltung der Herrlichkeit kann den Menschen nicht von seiner wahnsinnigen Feindschaft abbringen. Der traurige Beweis wird offenkundig, dass all jene, die im 1000-jährigen Reich nicht aus Gott geboren sind, Satan neuen Brennstoff geben, um die letzte Rebellion gegen den Herrn anzuzünden. Doch es wird Feuer vom Himmel fallen und jene im Gericht beseitigen, die so auf frischer Tat ertappt werden. Wie überwältigend ist der Beweis davon, dass der Mensch nichts wert ist! Sowohl zur Zeit, wenn die Herrlichkeit über der Erde aufgegangen ist, als auch in der gegenwärtigen bösen Zeit erweist sich die Nichtsnutzigkeit des Menschen, indem er die Gnade entweder verachtet oder missbraucht.
Der Herr zeigte, dass es sogar damals, als er in Schwachheit auf der Erde war, nicht an Kraft mangelte, um die Macht seines Königreiches zu entfalten. Wenn Er Fünftausend speisen konnte, dann auch genauso leicht Fünfmillionen. Es gefiel Ihm, die gewöhnlichsten Esswaren zu benutzen. Der Herr über alles nahm das, was vorhanden war. So wird es auch im 1000-jährigen Reich sein. Der Herr macht dann alles neu – zwar nicht im absoluten Sinn, sondern nur in einem gewissen Maß, und gibt so ein Bild von dem vollständigen Werk, das später alles abschließen wird.
Der Christ, welcher im Zusammenhang mit dieser Stelle nur an den Himmel denkt, löscht das Zeugnis eines großen Teiles der Bibel aus. Dabei wird die zukünftige Szene nicht nur verschwommen gemacht, sondern auch schwerwiegend verfälscht – und zwar nicht nur in ihrer Gesamtheit, sondern auch in ihren wichtigsten und bedeutungsvollsten Einzelzügen. Denn das kommende Zeitalter wird zum großen Teil ohne Beispiel sein. Die Gewohnheit, alles für unsere Zeit zurechtzubiegen, ist nicht gut für unseren Glauben, weil sie die Schrift verunehrt. Sie entspringt einem Geist des Unglaubens und fördert ihn vielleicht genauso wie jedes andere Vorurteil.
Als nächsten Gegenstand möchte ich die besondere Lehre der beiden Wunder betrachten. Warum werden uns zwei Ereignisse von nahezu gleicher Art vorgestellt? Kann man irgendetwas aus den Umständen entnehmen, dass der Herr in einem Fall Fünftausend speiste und dass zwölf Körbe mit Brocken aufgehoben wurden und dass im anderen Viertausend aßen und sieben Körbe voll übrig blieben? Es gibt Menschen, die schnell dabei sind zu sagen, dass eine solche Untersuchung zu vorwitzig sei und dass man nur die Einbildungskraft fördere, wenn man versucht, den genauen Sinn herauszulesen. Ich hoffe jedoch, dass nur wenige meiner Leser so niedrige Vorstellungen vom Wort Gottes haben, indem sie voraussetzen, dass wir neben den einfachen Tatsachen nicht auch in dem, was von ihm berichtet wird, eine Entfaltung Christi nach sittlichen Grundsätzen oder unter Gesichtspunkten der Haushaltungen finden.
Wir sollten jeden einfachsten Vorfall berücksichtigen oder wertschätzen. Doch beschränke nicht die Schrift auf deinen oder meinen engen Horizont! Lasst uns jede Einzelheit würdigen! Doch lasst uns nicht irgendeine Lehre, die Gott uns dadurch übermittelt, verachten! Mögen wir allem Raum lassen, womit Er uns erfreuen will! So wenig wir – jeder von uns – auch wissen mögen, so wissen wir doch genug, um für die Wahrheit einzutreten, dass nicht nur alle Schrift von Gott eingegeben, sondern auch nützlich ist (2Tim 3,16). Deshalb ist es die Aufgabe eines jeden Christen, sich davor zu hüten, seinen Lieblingsstellen oder -lehren zu frönen. Stattdessen sollte er nach geistlichem Verständnis über das ganze Wort und die offenbarten Gedanken Gottes trachten.
Wir dürfen also untersuchen, was wir neben der Bestätigung der Stellung des Messias in irdischer Herrlichkeit und seiner Sorge für sein Volk aus diesen Wundern zu lernen haben. Bei dem ersten Ereignis lesen wir zunächst von der Speisung der Volksmenge und danach von ihrer Entlassung. Außerdem erfahren wir, dass Er, soweit es seine körperliche Anwesenheit betraf, die Jünger verließ und sie unter dem Einfluss eines widrigen Windes über den aufgewühlten See sandte. Dort lavierten sie die ganze Nacht und kamen kaum voran, während Er auf einem Berg zu Gott betete. Ist das nicht ein deutliches Bild von dem, was stattgefunden hat, nachdem der Herr Israel sozusagen für eine Zeit weggeschickt und seine Jünger, was seine irdische Anwesenheit betrifft, verlassen hat? Er ist droben der Fürsprecher. Er hat eine völlig neue Stellung eingenommen. Und während seiner Abwesenheit in der Höhe sind die Jünger den widerstreitenden Elementen hienieden ausgesetzt. Was könnte die gegenwärtige Haushaltung besser beschreiben?
Israel wurde, nachdem der Herr sein Zeugnis an das Volk abgelegt hatte, weggeschickt. Die Jünger sind jetzt von unserem Herrn in der stürmischen Welt zurückgelassen worden. Und Er selbst lebt, „um sich allezeit für sie zu verwenden“ (Heb 7,25). Als alle Mühe vergeblich zu sein schien, kam der Herr unerwartet zu ihnen, stieg zu ihnen ins Schiff und „sogleich war das Schiff an dem Land, zu dem sie hinfuhren“ (Joh 6,21). Was könnte als Bild einleuchtender sein? Als Folge des Unglaubens Israels verließ Er diese Welt, um in den Himmel zu gehen. Er nahm nicht den Platz eines Königs über die Erde ein, um die Bedürfnisse seines Volkes zu befriedigen, denn es war für Ihn noch nicht zubereitet. Stattdessen wurde Er der priesterliche Sachwalter im Himmel, bis Er wiederkommt und sich mit den sturmgeschüttelten Jünger vereinigt, um heilende Macht und Segnung überall einzuführen (vgl. Mk 6,34-56). Im Zusammenhang damit sehen wir in dem ersten Wunder „zwölf Handkörbe“. Das weist auf die Art hin, in welcher der Mensch hier von Bedeutung ist. Er wurde zum Mittel, um die Gedanken des Herrn auszuführen. So wird es bald geschehen.
Aber in der Geschichte von der Speisung, die wir in unserem Kapitel finden und bei der viertausend Menschen versorgt und sieben Körbe übriggelassen wurden, erkennen wir bemerkenswerte Unterschiede. Es ist kein Bild von der Handlungsweise des Herrn in Hinsicht auf Haushaltungen. Hier sehen wir den Herrn einfach, wie Er aus seiner reinen Gnade heraus für einen gewissen Überrest seines Volkes Sorge trägt. Es ist kein Zeugnis von der Reihenfolge der Ereignisse nach seiner Verwerfung durch Israel bis zu seiner Rückkehr in Macht und Herrlichkeit. Natürlich ist Er der Messias; doch Er zeigt jetzt die wohltätige Güte seines Herzens trotz seiner Verwerfung. Der Herr wird in den letzten Tagen, wenn die Masse des Volkes abgefallen sein wird, einen Überrest annehmen, für ihn sorgen und seine Bedürfnisse stillen. Inzwischen wendet Er sich in seiner Gnade an uns, die Nicht-Juden. Und was mangelt uns? Doch sei es, dass wir die Gespeisten als irdischen oder himmlischen Überrest betrachten – die Szene verdeutlicht, dass der Herr ganz gewiss jetzt, nachdem Er verworfen ist, liebevoll für sein Volk sorgt. In diesem Bild verlässt Er die Seinen nicht; Er bleibt die ganze Zeit bei ihnen.
„In jenen Tagen, als wieder eine große Volksmenge da war und sie nichts zu essen hatten, rief er die Jünger herzu“ (V. 1).
Jetzt kamen nicht, wie im vorigen Ereignis, die Jünger zu Ihm, weil sie sich um die Volksmenge Sorgen machten. Er handelte hier aus seinem liebenden Herzen heraus.
Er sagte zu ihnen: (Fortsetzung siehe Mk 8,2)