Behandelter Abschnitt Ps 31,1-24
Ps 31 zeigt uns, wie Jesus fromme und heilige Ausdrücke eines Psalmes gebrauchen und tatsächlich im Geiste durch alles hindurchgehen konnte, ohne dass der Psalm eine buchstäbliche Anwendung auf Ihn hatte. Wir finden hier die von Ihm ausgesprochenen Worte: „In deine Hand befehle ich meinen Geist“, was im vollsten Sinne wahr war. Aber dann fährt der Psalm fort: „Du hast mich erlöst, Jehova, du Gott der Wahrheit“, während Jesus das Wort „Vater“ hinzufügte. Obwohl ich nicht daran zweifle, dass Seine Seele in dem Augenblick, als Er jene Worte aussprach, sich wieder der Gunst Gottes erfreute, können doch die Worte: „Du hast mich erlöst“, nicht auf Ihn angewandt werden23. So enthält dieser ganze Psalm, von David abgesehen, das Flehen und den Ausdruck des Vertrauens des Überrestes, indem er die beiden Grundsätze, Vertrauen und Gerechtigkeit, miteinander verbindet; der Überrest bittet um Leitung um des Namens Jehovas willen und erwartet die Rettung, während er von Feinden umringt ist. Der Gerechte hatte Jehova angerufen, um Seinen Namen handelte es sich. Auf Seine Güte, die aufbewahrt ist denen, die Ihn fürchten, rechnet er, und zwar während eines Lebens, welches vor Kummer und Seufzen dahinschwindet. Bedrängnis lastet auf ihm und verschlingt seine Kraft. Er wird geprüft wegen seiner Treue, und doch fliehen Freunde und Bekannte vor ihm. Das wird der Zustand des Überrestes sein, und wie völlig Christus darin eingetreten ist, brauche ich wohl nicht zu sagen. Doch die Zeit der Erlösung, und zwar aus allem, was der Heilige zu irgendeiner Zeit erdulden und durchmachen muss, ist in Gottes Hand, nicht in der des Feindes, wie sehr dieser auch wüten mag. Und inmitten der Bedrängnis kennt Jehova seine Seele, denn er wandelt in dem Bewusstsein der Bundes-Beziehungen: Jehova ist sein Fels und seine Burg. In seiner Bestürzung hielt der Gerechte sich für abgeschnitten; aber als er schrie, hörte Jehova. Bei all dem Toben der Feinde um ihn her schrie er zu Jehova als zu seinem Gott (V. 14 u. 15); und nun rühmt er in den beiden letzten Versen das Endergebnis und ermutigt die Treuen und alle, die auf Jehova harren. In welchen Schwierigkeiten sie auch sein mögen, Jehova hilft den Treuen und richtet die Hochmütigen.
Dies beschließt und fasst in gewissem Sinne den auf Erfahrung beruhenden und von dem Geiste eingegebenen Ausdruck der Gefühle des Überrestes noch einmal kurz zusammen und stellt diesen Zustand völlig ans Licht. In dem folgenden Psalm ist die Rede von Vergebung und Gnade; und von da an begegnen wir einer klareren Auffassung, einem größeren Vertrauen und einem richtigeren Urteil über alles, was den Gläubigen umgibt, bis wir zu Psalm 38 und Psalm 39 kommen, die wieder ihren besonderen Charakter tragen. Allerdings ist die Rettung noch nicht gekommen, aber die Gefühle, die wir da finden, sind mehr der Ausdruck der Gunst Gottes im Licht, als des Vertrauens in der Tiefe des Elends. Wie völlig dieser 31. Psalm der Ausdruck des Geistes Christi ist, wird jeder von Gott unterwiesene Leser erkennen, und doch war Sein eigenes Verhältnis zu Gott ein anderes. Er war Sohn und befahl sterbend Seinen Geist in die Hand Seines Vaters, nicht aber in die Hand Jehovas, um vom Tode gerettet zu. werden, und wie wir in der Einleitung schon gesehen haben, bat Er für Seine Feinde, die Ihn kreuzigten, anstatt Rache auf sie herabzurufen. Diese Bitte um Rache, die durch Seinen Geist in dem Überrest wachgerufen wird, steht in Übereinstimmung mit Seinen Gedanken in den betreffenden Tagen. Mit Ihm persönlich musste es anders sein, denn Er kam in Gnade und gab Sein Leben hin als Lösegeld für Israel und für viele andere. Daher ging Er in vollkommener Weise mit Seinem Vater in Gethsemane durch alles hindurch und gab Sich dann Selbst hin in den Tod, da dies der Wille Seines Vaters war. Aber was die Trübsal und die Leiden des Überrestes betrifft, so ging Er durch alles hindurch, und der prophetische Geist drückt in den Psalmen in diesen anklagenden Worten das aus, was sicher am Ende in Erfüllung gehen wird als Folge der gottlosen Feindschaft der Juden wie auch der Heiden, und diese Ausdrücke werden zu lebhaften Forderungen werden in dem Munde des Überrestes, dessen einzige und notwendige Rettung gerade in jenen Gerichten liegen wird.
Leben hat Christus erbeten, und es ist Ihm in Auferstehung und Herrlichkeit gegeben worden, wie der 21. Psalm zeigt; aber nicht, wie wir wissen, dadurch, dass Er vor dem Tode bewahrt geblieben ist. Der Pfad des Lebens ging für Ihn durch den Tod, indem Er die Versöhnung vollbrachte, obwohl Er nicht von dem Tode behalten werden konnte. So trat Er im Geiste in all die Bedrängnisse des Überrestes ein. Im Sinne des Schreibers beziehen sich die Worte des Psalmes auf seine eigenen Gefühle, im prophetischen Sinne dagegen auf den treuen Überrest in späteren Tagen.
Doch die Fülle der verschiedenen Beweggründe und Gefühle, die in diesem Psalm angehäuft sind, erfordert noch einige kurze Bemerkungen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass hier die so häufig vorkommenden beiden Grundlagen, auf die sich das Vertrauen des Gläubigen zu Gott stützt, sowie die Gerechtigkeit als Triebfeder und Grund dieses Vertrauens beisammen gefunden werden. Als weiterer Beweggrund kommt hier der Name Jehovas hinzu. In den Versen 3-6 haben wir die völlige Verwerfung derer, die auf nichtige Götzen achten. In Vers 7 wird die Güte Jehovas als Gnade anerkannt. Er hat Kenntnis genommen von den Bedrängnissen der Seele des Gläubigen - ein köstlicher Gedanke, so dunkel es auch um ihn her gewesen sein mochte! -, und Er hat Rettung gewährt (V. 8). Die ersten acht Verse bilden eine Art Einleitung und enthalten allgemeine Grundsätze; vom neunten Verse an drückt Christus Seine äußerste Bedrängnis aus. Sie lastet schwer auf Ihm. Er war Seinen Bedrängern und besonders Seinen Nachbarn zum Hohn geworden, zum Schrecken Seinen Bekannten; so elend und verachtet war Er, und doch wurde Er gehasst und verworfen! Beides zu sein ist das Teil eines göttlichen Charakters, ja, Gottes Selbst. Der Mensch kümmert sich nicht um jemanden, den er verachtet, aber so macht er es nie mit Gott, oder mit dem, was von Gott ist24. Er wird, wenn Gott Sich Selbst erniedrigt, Ihn noch weiter zu erniedrigen suchen, und ebenso die, welche Gott angehören; zugleich fürchtet er sich vor Ihm und hasst Ihn. Obwohl vergessen, wird Christus doch geschmäht, und die tobenden Feinde ratschlagen und sinnen darauf, Ihm das Leben zu nehmen. So zeigen uns die Verse 9-13 den Standpunkt, den der Geist Christi, oder Christus Selbst, in der Welt einnimmt.
Der 14. Vers enthält ein sehr treffendes Bild: Der Psalmist vertraut auf Jehova; alles, was über ihn kommen muss, ist schließlich in Jehovas Hand. Dann aber wird noch ein anderer Grund für die Erhörung angeführt: „Ich habe dich angerufen“ (V. 17). Die Lügenlippen wird Gott verstummen lassen (V. 18). Weiter begegnen wir dem Vertrauen auf die Güte Gottes, die den Heiligen aufbewahrt wird, und dem Verbergen in der Gegenwart Gottes in der Zeit der Bedrängnis. Vers 21 rühmt die Treue Jehovas, während die Verse 22 und 23 aufgrund dieser Treue die Heiligen ermutigen. So wird hier bei einer Bedrängnis ohnegleichen alles, worauf der Gläubige sich zu berufen vermag, in der schönsten Weise zusammengestellt. Die ganze Psalmenreihe, die wir zuletzt betrachtet haben, ist der Ausdruck der Gefühle Israels, während es sich unter dem Druck der Trübsal befindet und nach Rettung aus ihr verlangt; und das ist es, was Israel wirklich tun wird.
23 Der einzig mögliche Sinn, den sie in bezug auf ihn haben könnten, ist die Befreiung Seiner Seele (als Tatsache in jenem Augenblick) von dem Fluche, den Er für uns trug, wobei Er Gott hinsichtlich unserer Sünden und als für uns zur Sünde gemacht vollkommen verherrlicht hatte. Doch der Herr gebraucht diese Worte nicht. Obwohl Er tatsächlich sterben musste, waren doch die Bitterkeit und der Stachel des Sterbens vorüber.↩︎
24 Welcher Räuber, der hingerichtet wird, würde einen anderen, von demselben Schicksal betroffenen Räuber schmähen? Aber der Räuber am Kreuze hat dies Christo gegenüber getan.↩︎