Behandelter Abschnitt Eph 1
Wir müssen unsere Betrachtungen über diesen Brief damit beginnen, daß wir uns ein wenig mit den Wegen Gottes von Anbeginn beschäftigen. In Seinen Ratschlüssen gibt es nämlich eine wunderbare Einheit, und die ganze Bibel bestätigt den göttlichen Gedanken: „Gott kennt alle seine Werke von Anfang an.“ Wenn wir daher an einen Schriftabschnitt wie diesen kommen, ist es ratsam, innezuhalten und uns umzusehen, damit wir die Beziehung zu den vorhergehenden Schriftstellen erkennen. Wenn ich an eine reine Ermahnung gelange wie: „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr“, kann ich sie so für sich nehmen, wie sie da steht. Wenn es sich aber um lehrmäßige oder prophetische Abschnitte handelt, die uns die Gedanken Gottes kundtun, muß ich mich fragen, wie sie eingeführt werden und was hinterher kommt, denn wir sollten doch mit göttlicher Einsicht erfüllt sein - „wir haben Christi Sinn.“
Der Brief an die Hebräer öffnet uns den Himmel und spricht von himmlischer Berufung, indem er uns mit Abraham, Isaak und Jakob in Verbindung bringt; aber er läßt uns keinen Blick in das Geheimnis der Versammlung tun. Der Brief an die Epheser zeigt uns das Geheimnis der Versammlung; wir werden hier nicht in Verbindung mit Abraham, Isaak und Jakob gesehen. Wir schreiten geistlich gesehen voran und sollten unterscheiden zwischen der himmlischen Berufung und der Berufung der Versammlung. Es hat deshalb etwas für sich, den Brief an die Hebräer vor dem Brief an die Epheser zu betrachten.
Wie komme ich nun dazu zu sagen, der Brief an die Hebräer öffne uns den Blick für die himmlische Berufung? Weil er uns mit Noah, Abraham, Mose usw. in Verbindung bringt. Am Anfang war die Erde den Menschenkindern gegeben. Was taten sie mit ihr? Sie verwirkten ihre Rechte auf die Erde. Was tat Gott daraufhin mit ihnen? Er öffnete ihnen ganz einfach den Himmel. Er hatte ihnen die Erde zu ihrer Freude und ihrem Genuß gegeben. Die Menschen aber beschmutzten sie und verloren sie durch die Sünde. Gut, sagte Gott, ich will euch den Himmel öffnen. Dies ist einer der Wege, in denen Gottes Gnade überströmt.
Was würde ich über jemand denken, der, nachdem ich die Gabe, die er mir anvertraut hatte, mißbraucht hätte, mir ein noch besseres Geschenk in die Hand legt? So handelt Gott!
Wurde Adam nicht zu Gott zurückgebracht und Henoch in den Himmel aufgenommen? Ich zweifle nicht daran, daß Abraham die himmlische Berufung zuteil wurde. Sie trachteten nach einem besseren Vaterland, „das ist himmlischen“ (Hebräer 11,16). Mose wurde auf den Berg Pisga geführt, um davon Zeugnis abzulegen. Auch Henoch legte davon Zeugnis ab, ebenso Elia in einer späteren Haushaltung. Von Anfang an hat es himmlische Berufungen gegeben, aber nicht eine Berufung der Versammlung. Wenn der Apostel sich also an die Hebräer wendet, die einer israelitischen Wurzel entstammten, so spricht er von himmlischer Berufung - aber er geht nicht darüber hinaus. Wenn er dagegen die Epheser anspricht - einst ein heidnisches Volk, das die Göttin Diana verehrte (was aber nichts mit dem Volk Israel zu tun hatte) - da entfaltet er das Geheimnis der Versammlung - den Höhepunkt in Gottes Ratschlüssen. Ich möchte noch etwas anderes erwähnen. Wie entfaltete Gott Seine Vorsätze auf der Erde? In Abrahams Lenden erkannte Er eine Familie. Im 2. Buch Mose wuchs sie zu einer Nation heran. Später gab Gott ihnen Richter und Propheten. Den Höhepunkt der Herrlichkeit erreichten sie aber erst, als Gott ihnen einen König gab.
Schritt für Schritt geht Er voran, bis die erwählte Familie unter Salomo zu einem Königreich aufblüht. Genauso ist es mit Gottes himmlischen Vorsätzen. Erst als der Apostel Paulus erscheint, werden Gottes Ratschlüsse kund in ihrem strahlenden Höhepunkt, der Versammlung. Gott ist in Seinen Wegen immer konsequent. Handelt es sich um die Erde, so wird Sein Wirken immer deutlicher entfaltet bis hin zu den glücklichen Tagen Salomos. Folgen wir Seinen himmlischen Vorsätzen, so sehen wir schließlich die Versammlung auf dem höchsten Punkt innerhalb der Schöpfung, „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“ So können wir einfach nicht anders als Stillstehen und ausrufen: „O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!“
Nach diesen Vorbemerkungen steht nun der Brief an die Epheser vor uns. Es ist zu wünschen, daß wir diesen Brief mit Einsicht betrachten. Hier lauschen wir in himmlischen Sphären Dingen ähnlicher Art, wie wir sie auf dem irdischen Schauplatz sahen.
Ich möchte an eine Stelle im Kolosserbrief erinnern:
„ ... nach der Verwaltung Gottes, die mir in bezug auf euch gegeben ist, um das Wort Gottes zu vollenden“ (Kol 1,25), die Offenbarung Gottes zu erfüllen - ein ausgezeichneter Kommentar des Paulus über seinen eigenen Dienst. Blieb es nicht Salomo Vorbehalten, den abschließenden Vorsatz Gottes für die Erde dadurch zu entfalten, daß er einen Thron aufrichtete? Paulus dagegen sollte in seinem Dienst den Lichtglanz und die Herrlichkeit der himmlischen Geheimnisse enthüllen. Er führt uns zu Christus als dem Haupt.
Der Apostel beginnt damit, daß er all die „Treuen in Christo Jesu“ anspricht. „ ... die in Ephesus sind“ fehlt in vielen alten Handschriften. So sind wir alle berufen, uns diese Dinge zu eigen zu machen. „ ... der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo“. Dies konnte von den Patriarchen nicht gesagt werden. „ ... in den himmlischen Örtern“ würden sie mit uns verbunden gewesen sein. Hier handelt es sich aber um Segnungen in Verbindung mit Christus.
Nachdem Gott uns in diese besondere Stellung versetzt hat, entfaltet Er die göttlichen Segnungen, die Er uns zugedacht hat. Zunächst sind wir in Ihm auserwählt, bevor die Welt bestand. Diese hohen Vorrechte begannen vor Grundlegung der Welt. Könnte ich das mit Recht auch von Abraham sagen? Sicherlich war auch er vor Grundlegung der Welt erwählt, aber wir sind auserwählt „in Ihm“. Die göttlichen Vorsätze ruhten in einer besonderen Weise auf einem besonderen Volk.
Der Erwählung folgt stets die Vorherbestimmung. Bei der Auserwählung geht es um die Person; bei der Vorherbestimmung um die Stellung oder den Platz: „und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum ... worin er uns begnadigt hat in dem Geliebten“. Ist das nicht eine besondere Art von Sohnschaft? Glaube ich, daß Adam ein Sohn Gottes war? Ja, das glaube ich. Glaube ich auch, daß er „angenehm gemacht war in dem Geliebten“? Nein. Glaube ich, daß Engel Söhne Gottes sind? Ja. Glaube ich, daß sie „angenehm gemacht sind in dem Geliebten“? Nein. Hier haben wir also wieder eine Besonderheit. Es ist eine Sohnschaft höchster Rangordnung. Wir genießen die Freude und Freiheit der Sohnschaft des Geliebten. Paulus fährt fort: „ ... in welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen“. Ja, das ist wirklich etwas Besonderes. Wer würde daran denken, einen Menschen in den himmlischen Örtern zu fragen: „Sind deine Sünden vergeben?“ Ist uns je in dem Gleichnis von dem verlorenen Sohn aufgefallen, daß der Vater nie sagt, er habe ihm vergeben? Wie könnte er das auch tun? Wie könnte er sagen: „Ich vergebe dir“? Du und ich, wir sollten in dem Sonnenschein unserer Berufung in solch einer Weise wandeln, daß wir die Vergebung wie etwas, das am Fuße des Hügels liegt, betrachten, während wir uns auf den Höhen aufhalten. Die Musik und das Tanzen, der Ring und die Schuhe - sie alle sagen mir, daß mir vergeben ist. So handelt der Vater mit dem verlorenen Sohn, und so handelt der Geist mit uns in Epheser 1. Dennoch beschäftigt sich die Seele beständig mit der Vergebung, während sie doch die Herrlichkeit ihrer Berufung in Christus betrachten sollte. Es gibt etwas Besonderes in der Liebe, wovon sie sich nie befreien, was sie um ihrer selbst willen nie tun könnte. Dem Vater wäre es zum Weinen gewesen, wenn er hätte sagen müssen: „Ich vergebe dir.“ Würdest du dich nicht schämen, einem Menschen, der voll Kummer und Trauer heimkehrt, indem er seine Schuld bekennt, zu sagen: „Ich vergebe dir“? Kannst du dir einen Vater vorstellen, dessen Kind ihm unter Tränen und Reue um den Hals fällt, und der dann sagt: „Ich vergebe dir“? Wie wenig wissen wir von den Wegen der Liebe!
Es heißt dann weiter, daß Er (Gott) alle Seine Gnade gegen uns hat „überströmen lassen in aller Weisheit und Einsicht, indem er uns kundgetan hat das Geheimnis seines Willens“ - daß alles unter ein Haupt zusammengebracht wird, in dem Christus. Das ist ein Geheimnis, das nie zuvor bekannt war. Der Prophet Jesaja gibt uns ein wunderschönes Bild des Tausendjährigen Reiches auf Erden. Wird uns aber je etwas über ein Tausendjähriges Reich im Himmel mit Christus als Haupt berichtet? Hat Jesaja je davon erzählt, daß der verherrlichte Mensch Haupt über alle Dinge im Himmel und auf Erden sein sollte? .. in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben“. Wir sind Seine Miterben. War das je vorher offenbart worden? Und bis wir das Erbe in Besitz nehmen, empfangen wir den Heiligen Geist. Wir hören hier von Ihm unter zwei verschiedenen Bezeichnungen - Siegel und Unterpfand. Wenn ich die Stellung des Heiligen Geistes betrachte, wenn ich mitten in das Geheimnis der Erlösung schaue, dann ist es für mich wunderbar, die Herrlichkeit zu erkennen, die Er in Seinem Dienst hier auf Erden offenbart. Im Brief an die Hebräer sehen wir die Herrlichkeit Christi, die in Seinen verschiedenen Diensten bzw. Ämtern zum Ausdruck kommt. Hier im Epheserbrief sind wir berufen, von den Herrlichkeiten des Heiligen Geistes in Seinen verschiedenen Diensten und Obliegenheiten in dieser Haushaltung Zeugnis abzulegen. Was für eine wunderbare Gnade, daß Er uns die innersten Geheimnisse Gottes offenbart!
Durch Seine Gegenwart besiegelt Er uns, daß wir jetzt die Erlösung besitzen, und Er ist das Unterpfand unseres Erbes! Ja, das ist wunderbar. Wirkliche Gemeinschaft kann ich nur mit einer Seele haben, die erfüllt ist von Glückseligkeit in der Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, erfüllt von dem Einen, mit dem wir es zu tun haben.
„Der erworbene Besitz“ - damit ist der ganze Schauplatz gemeint, die ganze Schöpfung. Das Blut Christi hat die Schöpfung und auch dich erworben. Aber die Schöpfung ist noch nicht erlöst, und solange wir uns in dieser Stellung befinden, haben wir den Heiligen Geist als Unterpfand. Wenn die Schöpfung erlöst sein wird, werden wir Erben sein. Bist du schon erlöst? Du bist erkauft, aber du wartest auf die Sohnschaft, d. h. die Erlösung deines Leibes. Diese wirst du jedoch nicht erhalten, ehe Gott nicht Seine Macht zur Geltung bringt, wie Er das Blut zur Geltung gebracht hat. In der Offenbarung wird die Erlösung entfaltet; das Evangelium spricht von dem Erkaufen, aber der erworbene Besitz ist nicht eher erlöst, als bis Gott Seine Macht ausübt, um ihn aus der Hand des Zerstörers zu befreien - völlig zu erlösen, meine ich.
Von Vers 15 an ist der Apostel nicht mehr ein Lehrer, sondern wird zum Fürsprecher - und wir merken, daß er in seinem Gebet nie das niederreißt, was er als Lehrer aufgebaut hat. Manchmal hört man, wie Menschen Gott darum bitten, sie zu lieben. Ich könnte solch ein Gebet nicht aussprechen. Ich darf um ein tieferes Verständnis Seiner Liebe beten. Paulus bittet Gott nicht darum, ihnen dieses oder jenes zu geben. Er bittet vielmehr darum, daß „der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst“, daß sie an den „Augen ihres Herzens“ erleuchtet werden möchten. Oh, hätten wir doch ein besseres Herz, diese Dinge zu verstehen! Aber Gott zu bitten, mich zu lieben, mich zu einem Miterben Christi zu machen, mir himmlische Örter in Ihm zu verleihen - nein! Ich möchte mich in meinem Gebet vielmehr demütigen: ich bin so gesegnet durch meine Berufung, aber so kläglich in dem Genuß dieser Berufung! Wenn Gott eine Kerze angezündet hat, so will ich Ihn nicht bitten, sie anzuzünden, sondern ich will Ihn bitten, den Schleier von meinen Augen zu nehmen, damit ich erkennen kann, was Er vollbracht hat, worin dieser herrliche Vorsatz besteht und die Kraft, die uns dorthin gebracht hat. So betet Paulus, daß du doch einen Blick dafür haben möchtest, die Herrlichkeit und die himmlische Pracht wahrzunehmen, und die Auferstehungsmacht, die dich aus solch einem Ruin zu solchen Herrlichkeiten geführt hat.