Behandelter Abschnitt Lk 9,1-50
Am Anfang dieses Kapitels sendet der Herr die Zwölf aus, aber Er begrenzt ihre Tätigkeit nicht, wie in Matthäus, auf „die verlorenen Schafe des Hauses Israel“. Das hängt mit dem Charakter der beiden Evangelien zusammen.
Dann hören wir, vielleicht etwas ausführlicher als bei Matthäus oder Markus, von dem unruhigen Gewissen des Herodes, über den Lukas noch einmal im 23. Kapitel berichtet. Auch das ist bezeichnend für unser Evangelium. Dagegen werden hier die Leiden des Täufers nicht so ausführlich erzählt, weil sie mehr die Geschichte des abtrünnigen jüdischen Volkes betreffen und weniger dem Geist des Lukas-Evangeliums entsprechen.
Nun folgt die Erscheinung auf dem Berg, die wir allgemein die „Verklärung“ nennen. Sie wird ebenfalls ausführlicher geschildert als bei Matthäus oder Markus.
Israels Unglaube hatte sich jetzt völlig erwiesen6, denn es hatte sich geweigert, seinen Messias aufzunehmen. Sie hatten in Jesus von Nazareth nicht das Licht erkannt, das die Welt erleuchten und ihre eigene Herrlichkeit sein sollte. Daher war die Erde im Augenblick für den Herrn verloren, denn nach göttlichem Beschluss (Psalm 2) sollte Zion der Sitz der göttlichen Herrschaft über die Erde sein. Vor dem Herrn lag jetzt wie Er selbst voraussagt, keine Krone, sondern ein Kreuz.
Aber wenn sich Ihm die Erde verschließt, so müssen und werden sich am Tag Seiner Verwerfung hienieden die Himmel für Ihn und die Seinen öffnen, die sich um Ihn geschart haben, und es ist der Zweck dieses Ereignisses auf dem heiligen Berg, Seinen Heiligen ein Bild jener Herrlichkeit in den Himmeln zu geben.
Das himmlische Jerusalem stand gleichsam für einen Augenblick vor den Blicken jener bevorzugten Jünger Petrus, Jakobus und Johannes. Mose und Elias erschienen mit dem Herrn in Herrlichkeit, während die drei Jünger nur Zuschauer waren. Die einen waren gewissermaßen Genossen der himmlischen Herrlichkeit, die anderen dagegen nur Zeugen. So wird es auch im kommenden Tausendjährigen Reich sein. Wie jetzt die Herrlichkeit auf dem Berg ruhte, so werden dann die Heiligen vom Himmel herniederkommen.
Das ist, wie wir glauben, die Bedeutung dieser Erscheinung auf dem Berg, die uns als „die Verklärung“ bekannt ist. Aus Vers 37 scheint hervorzugehen, dass dieses Ereignis bei Nacht stattfand, ein Umstand von besonderer Bedeutung. Denn wie der Ort der himmlischen Herrlichkeit weder der Sonne noch des Mondes bedarf, so wird auch hier der Berg nur durch den Leib des verherrlichten Herrn erleuchtet.7
Diese himmlischen und verherrlichten Fremdlinge sprechen mit Jesus über Seinen „Ausgang“. Das war in der Tat für einen solchen Augenblick das geeignete Thema; denn dieses Ausgangs wird in alle Ewigkeit gedacht werden, und die Herrlichkeit wird ihn rühmen (Off 5). Alle Bewohner des Himmels, die Erlösten und die Engel, werden ihn preisen, und auch die ganze Schöpfung wird es tun. Wie die Posaune, die das Jubeljahr ankündigte, nur am Versöhnungstag erscholl (3Mo 25), so gründet sich die Herrlichkeit auf das Kreuz und die Zeit der Wiederherstellung und Erquickung auf das geschlachtete Lamm oder den „Ausgang“ des Herrn Jesus.
Es scheint, dass diese Reise auf den Berg, die geistlicherweise entsprechend der Verheißung des 27. Verses ins Reich Gottes führen sollte, etwas war, was von den Jüngern nicht verstanden wurde. Während der Herr Jesus bis zum Erscheinen der Herrlichkeit im Gebet war, waren die Jünger „beschwert vom Schlaf“. Das ist bedeutsam. Die Natur offenbart ihre Schwachheit, und das Fleisch ist hinderlich und kann einen solchen Weg nicht gehen, denn er ist mühevoll für den armen Menschen. Auch die klugen Jungfrauen wurden schläfrig und schliefen ein. Das ist nun einmal so. Und doch sagte Petrus, als er und seine Genossen erwachten: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind.“ Diese Worte zeugen von seiner richtigen Herzensstellung und seinem aufrichtigen Verlangen, mochte das Fleisch auch schwach sein. Auch die klugen Jungfrauen hatten, obwohl sie eingeschlafen waren, Öl in ihren Gefäßen, als der Bräutigam kam. Das alles ist für uns sehr tröstlich.
In völliger Übereinstimmung mit der Bedeutung dieses Ereignisses erscheint schließlich die „prachtvolle Herrlichkeit“ (2Pet 1,17), die Wolke, um die himmlische Familie aufzunehmen. Der Herr und Seine Begleiter treten in die Wolke ein, während Petrus, Jakobus und Johannes draußen bleiben.
Das alles ist von wunderbarer Harmonie. Die Herrlichkeit hat wiederum ihren Sitz in der Wolke wie vor alters, als sie durch die Wüste wanderte. Sie bildet jetzt gleichsam den Vorhang, der das Heilige vom Allerheiligsten trennte, und es ist das besondere Vorrecht der verwandelten und auferstandenen Gläubigen, in gleicher Weise umgestaltet oder verherrlicht, ihren Platz innerhalb der Wolke zu haben, während Israel und der Überrest der Nationen nur in ihrem Licht wandeln. Diese Seite der Erscheinung ging über das damalige Verständnis der Jünger hinaus; daher fürchteten sie sich, als der Herr Jesus mit Mose und Elias in die Wolke eintrat. Denn die himmlischen Örter oder die Spitze jener geheimnisvollen Leiter, wohin nun diese verherrlichten Fremdlinge in der Wolke emporstiegen, waren dem jüdischen Glauben bis dahin verborgen. Wohl hatte Jakob am Fuß der Leiter gestanden und das Volk Jakobs den Gott von Bethel gekannt und in der Hoffnung auf das verheißene Erbe des Landes gelebt, aber weder Jakob noch das Volk kannten etwas von dem, was an der Spitze der Leiter war, es sei denn der Herr, der zu Jakob geredet hatte.
Die Verklärung enthüllt nun die Geheimnisse jenes herrlichen Ortes und zeigt uns eine Familie von himmlischen Heiligen in Gemeinschaft mit Jehova-Jesus. Es war Gottes Wille, sowohl eine Familie im Himmel zu haben, von wo alle Segnungen ausgehen und die Herrlichkeit hervorstrahlt als auch ein wiederhergestelltes Volk auf der Erde und eine unterwürfige Schöpfung, welche die Segnungen genießen und im Licht dieser Herrlichkeit wohnen.
Das war ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Erfüllung des Ratschlusses Seines Willens, „alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist“ (Eph 1,10). In der Tat, eine so herrliche Erscheinung wie diese hatte es nie gegeben. Abrahams flüchtiges Licht (Joh 8,56) war ebenso herrlich wie die Leiter Jakobs oder der brennende Dornbusch.
Auch die Offenbarung des Gottes Israels am Horeb Mose und den Ältesten gegenüber strahlte Herrlichkeit aus, desgleichen die Erscheinung des Obersten des Heeres des Herrn vor den Mauern Jerichos. Stets waren die Engel vom Himmel den Patriarchen und den Gläubigen willkommene Besucher, und das Vorübergehen des Herrn selbst vor dem Mittler (2Mo 34) und vor dem Propheten (l. Kön 19) war in seiner Art vollkommen. Aber die Herrlichkeit auf der Spitze des Berges übersteigt alle jene Herrlichkeiten. Die Entrückung des Elia in der Gegenwart Elisas kommt ihr vielleicht am nächsten, denn sie stellt uns die Einführung der Gläubigen in jenen Ort dar, wo sie jetzt gesehen werden. Aber hier haben wir noch mehr; hier sehen wir die himmlische Familie nicht nur auf dem Weg in die Herrlichkeit, sondern in ihr selbst, zu Hause, in völligem Frieden. Kein Schrecken ängstigt sie, denn dieses überirdische Licht ruft keinerlei Furcht in ihnen hervor, wie es einst bei Jesaja, Daniel und anderen der Fall war. Obwohl sie mitten im Glanz der Herrlichkeit stehen, haben sie das Bewusstsein, daheim zu sein.
So wunderbar dieses Ergebnis auch war, sollte es doch noch zu weit herrlicheren Dingen führen, die wir in Apostelgeschichte 7 finden. Dort sehen wir Stephanus, diesen treuen Glaubenszeugen, bereits von der himmlischen Herrlichkeit gekennzeichnet. Er strahlt in dem Licht der Kinder der Auferstehung, die „wie Engel Gottes im Himmel“ sind (Mt 22,30). Er sieht nicht nur, wie die Jünger hier, jenes Licht in anderen widerstrahlen, sondern er trägt es unmittelbar selbst. Auch wird dort diese Herrlichkeit nicht gleichsam auf den Berg herniedergebracht, um sie ihn schauen zu lassen, sondern der Himmel selbst ist ihm geöffnet, wo er den Herrn Jesus bereitstehen sieht, ihn in diese Herrlichkeit aufzunehmen. Er schaut das alles nicht für andere, sondern für sich selbst persönlich. Seine Rede vor dem Gerichtshof unterstreicht diese wunderbare Tatsache und stellt uns eine Reihe von Fremdlingen und Zeugen vor, unter denen er einen Platz hatte, die von dem „Gott der Herrlichkeit „zur „Herrlichkeit Gottes“ geführt wurden (Apg 7,2.55).
So werden uns bei Stephanus, wie hier bei Petrus, Jakobus und Johannes, himmlische Geheimnisse kundgetan. Die Versammlung wird an der Spitze der Leiter in der Herrlichkeit des Sohnes selbst geschaut. Aber wir sehen hier nicht nur die himmlische Herrlichkeit, sondern auch die irdische. „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes.“ Himmel und Erde sollen von der Erlösung zeugen. Dieses Werk ist so wunderbar, dass es auf Erden und im Himmel gerühmt werden wird. Es offenbarte die ganze Flut göttlicher Liebe und Macht und muss daher im Himmel und auf Erden verkündet werden. Die verherrlichten Heiligen sind berufen, im Himmel davon zu erzählen, während Israel und die geretteten Nationen es auf der Erde tun werden. Das himmlische Zeugnis von diesem Werk erblicken wir für einen kurzen Augenblick hier auf dem Berg.
Welche große Gnade und welche herrliche Berufung! Niemand anders als Gott konnte einen solchen Ratschluss fassen, und nichts anderes als Seine unendliche Liebe vermochte ihn auszuführen: eine Familie, aus Sündern erwählt, vom Sohn geliebt und mit Seiner Herrlichkeit bekleidet, um mit Ihm in einem Haus zu wohnen und auf einem Thron zu sitzen. Ach, wie wenig vermögen unsere armen Herzen sowohl Ihn als auch Seine Herrlichkeit zu schätzen!
Nachdem sie von dem Berg wieder herabgestiegen sind, spricht der Herr Jesus hier nicht, wie in den anderen Evangelien, von dem Dienst des Elia, weil der jüdische Dienst den Absichten des Geistes Gottes in diesem Evangelium weniger entspricht. Am Schluss des Kapitels haben wir wieder einige für Lukas kennzeichnende Berichte.
6 Im Evangelium Matthäus finden wir dies vollständiger und systematischer dargelegt als in irgendeinem der anderen Evangelien.↩︎
7 Auch das Allerheiligste des Tempels, ebenfalls ein Vorbild des Himmels, hatte kein anderes Licht als die Herrlichkeit Gottes.↩︎