Behandelter Abschnitt Neh 5
Wir finden in Nehemia sehr stark hervortretende Eigenschaften vereinigt. Das 5. Kapitel zeigt uns Tugenden in ihm, die mehr privaten Charakter haben, während wir in den vorhergehenden Kapiteln seine Energie im öffentlichen Auftreten sahen. Er verzichtet auf seine persönlichen Rechte als Landpfleger, um völlig der einfache Knecht Gottes und seines Volkes zu sein. Dies erinnert uns an Paulus in 1. Korinther 9, der dort nicht handeln will auf Grund seiner Rechte und Vorrechte als Apostel, ebenso wenig wie hier Nehemia auf Grund seiner Stellung als der Tirsatha oder der Landpfleger von Juda unter persischer Oberhoheit. Das ist schön. Es zeigt uns die verwandten Wirkungen des Geistes Gottes in seinen auserwählten, wenn auch noch so weit voneinander entfernten Dienern Nehemia und Paulus.
Jedoch enthält dieses Kapitel außer dem vorbildlichen Beispiel auch eine Warnung für uns. Die Juden, die sich jetzt schon lange Zeit in Jerusalem aufhielten, bedrückten einander. Daraufhin sagt ihnen Nehemia, dass ihre Brüder, die sich noch unter den Nationen befänden, hierin weit besser handelten. Denn diese kauften einander los, während sie, die im Herzen des Landes, ihres eigenen Landes, wohnten, sich gegenseitig verkauften.
Das ist ernst und beachtenswert. Möchte es uns zur Warnung dienen! Es sagt uns, dass diejenigen, die den richtigen Platz eingenommen hatten, verkehrter handelten als diejenigen, die sich noch am falschen Ort befanden. Die Juden in Jerusalem waren, wenn ich mich so ausdrücken darf, in besserer gemeindlicher Verfassung, während ihre Brüder in Babel sich in sittlicher Beziehung in einem reineren Zustand befanden.
Ist das nicht eine Warnung? Ist es nicht eine ernste bildliche Erläuterung dessen, was wir oft bei uns wahrnehmen und wahrgenommen haben? Ach, wie demütigend ist diese Warnung! Nicht dass wir Jerusalem verlassen und nach Babel zurückkehren sollten, sicherlich nicht. Aber wir sollten daraus lernen, dass das Einnehmen eines richtigen Platzes keine Gewähr für einen guten inneren Zustand bietet. Im Gegenteil, wir können durch die Befriedigung, die eine richtige Stellung in kirchlicher Beziehung gewährt, dahin betrogen werden, dass wir in sittliche Erschlaffung verfallen. Das ist ein sehr natürlicher Betrug. „Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist dies!“ (Jer 7,4). So kann die Sprache eines Volkes lauten, selbst am Vorabend des Gerichts Gottes. Man kann Minze, Dill und Kümmel treulich verzehnten, und bei alledem die wichtigeren Dinge – das Gericht (das Recht) und die Barmherzigkeit und den Glauben (Mt 23,23) – vergessen.
Doch unser Kapitel berichtet noch von anderen lieblichen Vereinigungen in dem Charakter Nehemias. Neben einer schönen Einfalt bemerken wir in ihm eine nachahmenswerte Entschiedenheit und Bestimmtheit. Seine Einfalt war so ausgeprägt, dass er sich, indem er einen Pfad des Dienstes nach dem anderen betritt, wie ein Kind zu Gott wendet. Damit geht aber eine Bestimmtheit einher, die ihn stets als von sich selbst aus handeln lässt in der Furcht und Gegenwart Gottes. So sagt er uns hier, dass sein Herz auf die Mitteilung von jenen Bedrückungen, die Brüder an Brüdern verübten, Rat in ihm hielt, bevor er handelte (V. 7). Auch seine früheren Handlungen verraten die gleiche Klarheit und Bestimmtheit. Er war der Freigelassene Christi, und nicht der Knecht der Menschen: einfältig wie ein Kind in Gottes Gegenwart und ein zielbewusster, unabhängiger Mann angesichts seiner Mitmenschen.
Das sind schöne Vereinigungen, die den Charakter dieses teuren Mannes Gottes hoch auszeichnen.