Schriften von Henry Allan Ironside
Kla 1-5 - Du HERR, bleibst für immer
Kla 4 - Das feine Gold wird verdunkeltKla 4 - Das feine Gold wird verdunkelt
Der Kummer, der in der Klage des vierten Kapitels zum Ausdruck kommt, hat einen zutiefst geistlichen Charakter. Es sind nicht mehr die zeitlichen Sorgen des Volkes von Juda und Jerusalem, die den Propheten beschäftigen, sondern ihr unglücklicher Zustand, da sie sich von Gott entfernt haben und kein Zeugnis mehr für Ihn auf Erden sind. Die Vergangenheit und die Gegenwart stehen in lebhaftem Gegensatz zueinander. Welche Gnade hat sich in vergangenen Tagen an ihnen offenbart! Jetzt, ach, wie tief sind sie gefallen!
Wie wurde verdunkelt das Gold, verändert das gute, feine Gold! Wie wurden verschüttet die Steine des Heiligtums an allen Straßenecken! Die Kinder Zions, die kostbaren, die mit gediegenem Gold aufgewogenen, wie sind sie irdenen Krügen gleichgeachtet, dem Werk von Töpferhänden! (4,1.2).
Seit Eva ihre Hand ausstreckte und von dem nahm, was Gott verboten hatte, ist jede Haushaltung durch Versagen gekennzeichnet. „Doch der Mensch, der in Ansehen ist, bleibt nicht; er gleicht dem Vieh, das vertilgt wird“ (Ps 49,13). Jede neue Prüfung, die Gott dem Menschen angedeihen ließ, war nur der Anlass, das unheilbare Übel seines Herzens noch mehr zu offenbaren. Unter der Haushaltung des Gewissens ‒ von Adam bis Noah ‒ erfüllten Verderbnis und Gewalt die Erde. Unter der Zeit der Regierung, von Noah bis Abraham, verließ der Mensch den, der der wahre Lenker des Universums ist; und da der Mensch Gott nicht in Erkenntnis haben wollte, verehrte und diente er dem Geschöpf mehr als dem Schöpfer (Röm 1). Unter der Verheißung und dem Gesetz, von Abraham bis Christus, übertrat der Mensch jedes Gebot und brach jedes Versprechen; und schließlich gipfelte seine furchtbare Eigensinnigkeit und Rebellion in der Kreuzigung des Fürsten des Lebens. Unter der Gnade, der gegenwärtigen Haushaltung des
Heiligen Geistes, hat er eben diese Gnade in Lüsternheit verwandelt und jede der Versammlung anvertraute Wahrheit verdorben.
Wenn man die lange Zeitspanne von Abraham bis Christus in die zahlreichen Abschnitte unterteilt, so ist jeder von ihnen ein Zeugnis desselben traurigen Versagens. Die Tage der Patriarchen waren Zeuge des Verrats der Söhne Jakobs und des daraus resultierenden Abstiegs nach Ägypten. Die Wüste war ein vierzigjähriges Zeugnis der Treue Gottes und der Unzuverlässigkeit des Menschen. Die Tage der Richter bestätigten dieselbe Geschichte, während die Geschichte der Königreiche Juda und Israel die Verlogenheit des menschlichen Herzens noch deutlicher machte. Von Zeit zu Zeit wirkte Gott in Kraft und Gnade und schenkte Erweckung und Segen; aber bald wurde das Volk seines Gesetzes überdrüssig und gab sich dem hin, was ihnen wohlgefiel, bis es kein Heilmittel mehr gab (Jer 30,13), und Assyrien und Babylonien verschlangen das begünstigte Volk. „Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung“ (1Kor 10,11). Die Geschichte Israels hat sich in vieler Hinsicht bei der bekennenden Kirche wiederholt; denn „wie im Wasser das Angesicht dem Angesicht entspricht, so das Herz des Menschen dem Menschen“ (Spr 27,19). Nur ist in der Christenheit die Verderbnis noch abscheulicher und die Abkehr von Gott noch krasser. Doch Er hat sich, gepriesen sei sein Name, selbst nie ohne ein Zeugnis gelassen. Und wie in der vergangenen Haushaltung, so hat Er auch in dieser immer wieder mit Macht gewirkt, indem er besondere Erweckungen herbeiführte und so diejenigen, die unter den Toten schliefen, zu neuer Aktivität und wahrhaftigem Urteil über das, was sie in seinem Wort verurteilt sahen, erweckt. Aber wie schnell nimmt die offenbarte Energie des Geistes ab, weil die nächste Generation in die alten oder noch schlimmeren Wege zurückfällt. Was in Josua 24,31 für Israel vorausgesagt wird, hat sich seit der Himmelfahrt des Herrn Jesus und dem Kommen des Heiligen Geistes durch die Jahrhunderte hindurch stets wiederholt:. „Und Israel diente dem HERRN alle Tage Josuas und alle Tage der Ältesten, die Josua überlebten und die das ganze Werk des HERRN kannten, das er für Israel getan hatte.“
Doch die nachfolgenden Generationen verfielen bald in äußere Formen und Weltlichkeit. Das feine Gold wird bald verdunkelt, und die Frische der frühen Tage geht verloren. Doch das muss nicht so sein. Wenn man darauf achtet, ein gutes Gewissen vor Gott zu bewahren, wenn man auf die ersten Anfänge des Abweichens vom Ort der Gemeinschaft achtet, und vor allem, wenn man betend und abhängig ist, muss der Tau der Jugend niemals verlorengehen; oder wenn doch, dann nur, um der reiferen Gnade eines geisterfüllten Alters Platz zu machen. Das gilt für Bewegungen ebenso wie für Einzelpersonen; nur ist die Schwierigkeit hier größer, weil die Bewegungen aus Einzelpersonen bestehen und die Masse nur dadurch, dass der Einzelne in Gemeinschaft mit Gott weitergeht, die Frische erhalten kann.
Im Fall von Juda war es, wie feierlich deutlich gemacht wurde, ganz anders geworden.
Die Kinder Zions, die kostbaren, die mit gediegenem Gold aufgewogenen, wie sind sie irdenen Krügen gleichgeachtet, dem Werk von Töpferhänden! (4,2).
Die Herrlichkeit war verschwunden. Es gab keine Kraft mehr, um die Jungen zu ernähren. Jeremia klagt:
Selbst Schakale reichen die Brust, säugen ihre Jungen; die Tochter meines Volkes ist grausam geworden wie die Strauße in der Wüste. Die Zunge des Säuglings klebt vor Durst an seinem Gaumen; die Kinder fordern Brot, niemand bricht es ihnen (4,3.4).
Unsagbar traurig ist der Zustand des Volkes Gottes, wenn seine Versammlungen nicht wie Kinderstuben sind, in denen neugeborene Säuglinge und junge Gläubige nahrhafte Nahrung finden können, die für sie geeignet ist.
Es ist zu befürchten, dass die Bedürfnisse der Lämmer oft vergessen werden; und leider gibt es oft nichts, womit sie gefüttert werden können, weil alles verdorrt und trocken ist. Wenn ältere Gläubige für die Welt leben, ist es kein Wunder, dass die Kleinen verschmachten und schließlich den verdorrenden Einflüssen um sie herum erliegen, soweit es ihre Freude und ihr Zeugnis betrifft.
Aufgrund ihrer eigenen Hungersnot konnten die Mütter von Juda ihre Kinder nicht ernähren.
Die Leckerbissen aßen, verschmachten auf den Straßen; die auf Karmesin getragen wurden, liegen auf Misthaufen Und die Schuld der Tochter meines Volkes ist größer geworden als die Sünde Sodoms, das plötzlich umgekehrt wurde, ohne dass Hände dabei tätig waren (4,5.6).
Ihre Strafe schien noch größer zu sein als die von Sodom, das in einem Augenblick unterging, während bei Juda die Qual lange andauerte.
Ihre Fürsten waren reiner als Schnee, weißer als Milch; röter waren sie am Leib als Korallen, wie Saphir ihre Gestalt. Dunkler als Schwärze ist ihr Aussehen, man erkennt sie nicht auf den Straßen; ihre Haut klebt an ihrem Gebein, ist dürr geworden wie Holz (4,7.8).
Um zu verstehen, worauf sich der Prophet in diesen Versen bezieht, muss man mit dem Gesetz der Nasiräer aus 4. Mose 6 einigermaßen vertraut sein. Vielen unserer Leser ist dieser erbauliche Teil der Schrift vertraut; da er aber einigen von ihnen vielleicht nicht so vertraut ist, kann es von Nutzen sein, einen kleinen Abstecher zu machen und zu betrachten, was dort dargelegt wird.
Der Nasiräer war, wie sein Name schon sagt (von einer Wortwurzel, die „absondern“ bedeutet), jemand, der in einem besonderen Sinne dem HERRN, seinem Gott, abgesondert war. Ganz Israel wurde erlöst, um das Volk Gottes zu sein, aber nicht alle waren Nasiräer. Alle Christen sind jedoch als Nasiräer dazu aufgerufen, sich vorbehaltlos dem Herrn zu weihen.
Der Apostel wendet sich an jeden Erlösten, wenn er schreibt: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, was euer vernünftiger Dienst ist. Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“ (Röm 12,1.2). Es wird sich zeigen, dass dies bei weitem nicht auf alle Gläubigen zutrifft, und vielleicht auch nicht auf jeden der Gläubigen der damaligen Zeit. Der Herr Jesus war der wahre Nasiräer, der von seiner niedrigen Geburt bis zu seinem Tod in Schande am Kreuz für Gott abgesondert war. Wir sind zweifellos aufgerufen, „seinen Fußtapfen zu folgen“; aber es ist in der Tat traurig zu erkennen, wie wenige den Charakter des Nasiräers bewahren. Es gab drei Hauptmerkmale, durch die sich der Nasiräer von einst auszeichnete:
In 4. Mose 6,3.4 heißt es: „... so soll er sich des Weines und des starkem Getränkes enthalten.“ Es ist klar festgelegt, dass er von keinem Produkt des Weinstocks, „von den Kernen bis zur Hülse“, etwas zu sich nehmen sollte.
In Vers 5 lesen wir: „Alle Tage des Gelübdes seiner Absonderung soll kein Schermesser über sein Haupt gehen.“ Er sollte die Haare lang wachsen lassen wie die einer Frau.
In Vers 6 heißt es weiter: „Alle Tage, die er sich für den HERRN absondert, soll er zu keiner Leiche kommen.“ Es wird besonders darauf hingewiesen, dass er sich in dieser Hinsicht nicht einmal für seinen Vater, seine Mutter oder einen seiner Verwandten verunreinigen sollte.
Jedes Gebot enthält eine bestimmte Lehre, und der Wein symbolisiert in der Schrift die Freude (Ri 9,13; Ps 104,15).
Anwendung
Der Nasiräer muss auf Wein verzichten. Die Welt kann der Freude derer, die mit Gott wandeln, nicht dienen. Viele Christen scheinen das nie zu lernen. Aber so ist es nun einmal, und je eher man es lernt, desto besser. Der Nasiräer ist nicht ohne Freude; aber seine Freude ist tiefer und reiner, als es die Weinstöcke dieser Welt sein können. Der irdische Wein mag die Phantasie anregen und erregen und dadurch für den Augenblick einen Kitzel des Vergnügens hervorrufen; aber er kann niemals jene tiefe Freude hervorbringen, die die kennzeichnet, die wie Henoch mit Gott wandeln. „Die Freude an dem HERRN ist eure Stärke“ (Neh 8,10), aber sie kommt vom Himmel herab. Keine Pflanze dieser sündenverfluchten Szene bringt sie hervor.
Der Nasiräer ließ sich die Haupthaare wachsen. Nach 1. Korinther 11 ist langes Haar die angemessene Bedeckung für die Frau, was auf ihre Unterordnung in der gegenwärtigen Ordnung der Dinge seit dem Sündenfall hinweist (1Mo 3,16; 1Kor 11,4-15). Wenn der Mann langes Haar hat, ist das für ihn eine Schande; für die Frau aber ist es eine Ehre, „weil das Haar ihr anstatt eines Schleiers gegeben ist“. Das lange Haar ist also ein Hinweis auf die Abhängigkeit. Im Nasiräer sehen wir jemanden, der freiwillig auf das verzichtet hat, was der Mensch als „seine Rechte“ und seine Unabhängigkeit bezeichnen würde, um sich ganz Gott unterzuordnen. Der Herr Jesus ist darin wie in allem anderen das große Vorbild, denn Er konnte sagen: „Denn ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,28). Das war bei Ihm umso bemerkenswerter, als Er der einzige Mensch war, der jemals den Anspruch hatte, seinen eigenen Willen zu tun; aber er verzichtete freiwillig auf diesen Anspruch und demütigte sich
selbst und wurde zum abhängigen Menschen im vollsten Sinne. In gleicher Weise muss der Mann Gottes seine eigenen Gedanken und Neigungen beiseitelegen, um den Willen des Herrn in seinem Leben an die erste Stelle zu setzen.
Der Nasiräer durfte sich nicht durch einen Toten verunreinigen. So wird der, der sich dem Herrn weihen will, aufgefordert, sich von allen verunreinigenden Einflüssen seiner Umgebung fernzuhalten. Wenn er das Wort Jesu hört: „Lass die Toten ihre Toten begraben“ (Lk 9,60), sollte er sich sofort von allem abwenden, was den Heiligen Geist betrüben und seine geistlichen Empfindungen abstumpfen würde, um allein dem Herrn zu gehören. Es ist durchaus möglich, zu bestimmten Zeiten ein Nasiräer zu sein und zu anderen nicht. Der Rest des Kapitels zeigt die ernste Folge der Verunreinigung. Wenn er mit dem Tod in Berührung kam, waren alle vorhergehenden Tage seiner Absonderung verloren, weil seine Absonderung unrein geworden war (V. 9–12). Nur wenn er die vorgeschriebenen Opfergaben brachte, die das Kreuz und den Heiligen, der dort hing, darstellten, konnte er wieder an den Ort des besonderen Segens und Vorrechts sowie der Verantwortung zurückkehren.
Erst wenn die Tage der Absonderung vorüber waren, durfte er sein Haupt scheren und von der Frucht des Weinstocks essen und trinken. Für den Gläubigen wird dies erst der Fall sein, wenn er die Reise durch die Wüste beendet und in die Herrlichkeit eingetreten ist. Dann werden wir mit dem Herrn, der uns geliebt hat, den neuen Wein im Reich des Vaters trinken, wo reine, von der Sünde unbefleckte Freuden für immer das Teil unseres Herzens sein werden.
Nachdem wir die Wahrheit, die der Geist Gottes über den Nasiräer vermitteln wollte, kennengelernt haben, wenden wir uns mit einfühlsamem und traurigem Interesse den Versen 7 und 8 unseres Kapitels zu. Die vergangenen Tage der Hingabe an Gott werden dem schrecklichen Versagen des gegenwärtigen Zustands Judas und Jerusalems gegenübergestellt. „Ihre Fürsten [o. Nasiräer] waren reiner als Schnee ... Dunkler als Schwärze ist ihr Aussehen“ (V. 7.8). Wie schrecklich war der Niedergang! Judas gottesfürchtigste und gutmütigste Söhne, einst ihr ganzer Stolz, sind jetzt auf den Straßen unbekannt, so sehr haben Hunger und Pest sie verändert. Ihr Los war sogar noch härter als das derer, die mit dem Schwert erschlagen worden waren:
Die vom Schwert Erschlagenen sind glücklicher als die vom Hunger Getöteten, die hinschmachten, durchbohrt vom Mangel an Früchten des Feldes (4,9).
Es gibt keinen Hinweis auf eine absichtliche Verunreinigung seitens der Nasiräer; aber die Toten waren überall, und es war unmöglich gewesen, sich nicht dadurch zu verunreinigen: Sie haben Anteil an den Leiden des Volkes, zu dem sie gehören. In einem noch tieferen Sinn gilt dies für diejenigen, die durch die Taufe des Heiligen Geistes Glieder der Versammlung, des Leibes Christi, sind. „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1Kor 12,26). Die Sünde der Christenheit ist in gewisser Weise unsere gemeinsame Sünde; wir alle sind in unserem Maß für ihr Versagen mitverantwortlich. Es steht uns daher gut an, unsere Zeit nicht damit zu verbringen, die Übel und Torheiten, in die unsere Mitmenschen geraten sind, zu tadeln oder der Lächerlichkeit preiszugeben. Vielmehr sollten wir unseren Anteil an ihrer Sünde und dem daraus resultierenden Verderben bekennen und Gott um seine Barmherzigkeit bitten, damit Er sie wiederbelebt und segnet.
In der Bedrängnis Jerusalems erfüllten sich die furchtbaren Voraussagen Moses (5Mo 28,56.57; 3Mo 26,29), wie schon mehrmals in der Vergangenheit (2Kön 6,26-29).
Die Hände barmherziger Frauen haben ihre Kinder gekocht; sie wurden ihnen zu Speise bei der Zertrümmerung der Tochter meines Volkes (V. 10).
Als das geschah, dass die armen, ausgehungerten Kinder gekocht wurden, war klar, dass die Hungersnot ihr Schlimmstes getan hatte.
Deshalb heißt es im nächsten Vers:
Der HERR hat seinen Grimm vollendet, seine Zornglut ausgegossen; und er hat in Zion ein Feuer angezündet, das seine Grundfesten verzehrt hat. Die Könige der Erde hätten es nicht geglaubt, noch alle Bewohner des Erdkreises, dass Bedränger und Feind in die Tore Jerusalems kommen würden (4,11.12).
In seinem gerechten Zorn hatte Gott Zion in den tiefsten Abgrund gestürzt, was hätten die Völker sonst gegen sie tun können?
Es sei daran erinnert, dass der HERR in Jeremia 5,1 angekündigt hatte, die Stadt zu begnadigen, wenn auch nur ein einziger Mensch in ihr gefunden würde, der das Recht ausübt und die Wahrheit sucht. Man könnte sich wundern, dass es in Jerusalem nicht ein paar Gerechte gab, wie einst in Sodom; aber leider waren sie alle von diesen gottlosen Priestern und falschen Propheten getötet oder vertrieben worden. Das werden die folgenden Verse deutlich machen:
Es ist wegen der Sünden seiner Propheten, der Ungerechtigkeiten seiner Priester, die in seiner Mitte das Blut der Gerechten vergossen haben. Sie irrten blind auf den Straßen umher; sie waren mit Blut befleckt, so dass man ihre Kleider nicht anrühren mochte. „Weicht! Unrein!“, rief man ihnen zu. „Weicht, weicht, rührt nicht an!“ Wenn sie flüchteten, so irrten sie umher [vgl. 5Mo 28,65]; man sagte unter den Nationen: Sie sollen nicht länger bei uns weilen! Das Angesicht des HERRN hat sie zerstreut, er schaut sie nicht mehr an. Auf die Priester hat man keine Rücksicht genommen, an Greisen keine Gnade geübt (4,13–16).
Die falschen Propheten und falschen Priester hatten die Gerechten getötet oder in die Verbannung getrieben. Von diesen treuen Männern heißt es: „Andere aber wurden durch Verhöhnung und Geißelung versucht und dazu durch Fesseln und Gefängnis. Sie wurden gesteinigt, zersägt, versucht, starben durch den Tod des Schwertes, gingen umher in Schafpelzen, in Ziegenfellen, hatten Mangel, Drangsal, Ungemach; sie, deren die Welt nicht wert war, irrten umher in Wüsten und Gebirgen und Höhlen und den Klüften der Erde (Heb 11,36-38). Die Zeugen Gottes wurden von den Menschen, denen sie dienen wollten, verachtet und gehasst. Jesaja wurde nach jüdischer Überlieferung in Stücke gesägt. Isebel und Ahab trachteten Elia nach dem Leben; Obadja musste die Propheten des HERRN in einer Höhle verstecken; Amazja versuchte, Amos einzuschüchtern (Am 7,12.13); Jeremia wurde mehrmals eingekerkert und wäre in der Grube gestorben, wenn Ebedmelech nicht gewesen wäre; Baruchs Leben wurde für verwirkt erklärt. So konnte Stephanus später fragen: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben die getötet, die die Ankunft des Gerechten zuvor verkündigten, dessen Verräter und Mörder ihr jetzt geworden seid“ (Apg 7,52). Indem sie die von Gott Gesandten ablehnten, lehnten sie den Absender ab: daher das Unheil, das über sie gekommen war.
Ägypten wird in Vers 17 offensichtlich als ein „Volk, das nicht retten kann“ bezeichnet. Bis zuletzt hatten Zedekia und seine Minister mit der Hilfe des Pharao gerechnet, aber vergeblich. Gott hatte gesagt, Ägypten sei ein geknickter Rohrstab, und so war es auch.
Dem scharfen Auge der allgegenwärtigen Babylonier konnten sie nicht entkommen. Die Schritte der Männer von Juda wurden beobachtet.
Sie stellen unseren Schritten nach, so dass wir nicht auf unseren Straßen gehen können. Unser Ende ist nahe, erfüllt sind unsere Tage; ja, unser Ende ist gekommen. Unsere Verfolger waren schneller als die Adler des Himmels; sie jagten uns nach auf den Bergen, in der Wüste lauerten sie auf uns (4,18.19).
Sie wagten es nicht, sich auf der Straße zu zeigen. Ihre Verfolger waren sehr schnell: Auf den Bergen und in den Ebenen verfolgten sie sie oder lauerten ihnen auf. Der König war gefangengenommen worden, obwohl er mit einigen wenigen Treuen zu entkommen versuchte.
Unser Lebensodem, der Gesalbte des HERRN, wurde in ihren Gruben gefangen, von dem wir sagten: In seinem Schatten werden wir leben unter den Nationen. Sei fröhlich und freue dich, Tochter Edom, Bewohnerin des Landes Uz! Auch an dich wird der Becher kommen; du wirst betrunken werden und dich entblößen.
Zu Ende ist deine Ungerechtigkeit, Tochter Zion! Er wird dich nicht mehr wegführen. Er wird deine Ungerechtigkeit heimsuchen, Tochter Edom, er wird deine Sünden aufdecken (4,20–22).
Erst wenn der wahre „Gesalbte des HERRN“ kommt, wird es einen Herrscher geben, unter dessen Schatten sein Volk in vollkommener Sicherheit wohnen kann.
Edom hatte sich am Tag des Unglücks von Juda gefreut. Der Kelch sollte bald auch sie erreichen. Sie muss trunken und nackt werden wegen ihres Jubels über den Untergang der Stadt Gottes und ihrer mannigfaltigen Ungerechtigkeiten. Die Strafe für die Tochter Zion war vollzogen. Wiederherstellung anstelle von Gefangenschaft sollte bald ihr Teil sein, aber das Gericht über Edom sollte gerade erst beginnen. „Und wenn der Gerechte mit Not errettet wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ (1Pet 4,18).