Behandelter Abschnitt Röm 3,25-26
Die Gerechtigkeit Gottes in Bezug auf Sünden, die vor und nach dem Kreuz begangen wurden (V. 25.26)
Röm 3,25.26: … den Gott dargestellt hat als ein Sühnmittel durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; 26 zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist.
Manche fragen sich, wie die Sünden von Gläubigen, die lange vor der Zeit Christi lebten, durch seinen Tod am Kreuz getilgt werden konnten, wenn sie bereits von der Bildfläche verschwunden waren. Und wie konnte Christus die Sünden von Gläubigen tragen, die noch gar nicht geboren waren? Ihre Sünden waren noch nicht einmal begangen worden, als Christus starb! In Erwartung dieser Fragen fährt Paulus in den nächsten Versen fort zu erklären, wie das Werk Christi am Kreuz die Sünden der Gläubigen ein für alle Mal beseitigt hat, unabhängig davon, wann sie gelebt haben. Durch zwei Eigenschaften Gottes – seine
Nachsicht und sein Vorherwissen (Röm 3,25; 8,29) – war Gott in der Lage, die Sünden der Gläubigen, die vor und nach dem Kreuz gelebt haben, durch das, was Christus am Kreuz vollbracht hat, in gerechter Weise zu behandeln.
Paulus sagt in Vers 25 und 26 zweimal: „zur Erweisung seiner Gerechtigkeit“. Einmal im Zusammenhang mit Gläubigen, die vor dem Tod Christi gelebt haben, und einmal im Zusammenhang mit Gläubigen, die nach dem Tod Christi gelebt haben.
„zur Erweisung seiner Gerechtigkeit“ in Bezug auf das „Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden“, die vor dem Kreuz geschehen waren (V. 25).
„zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit“, das heißt nach dem Kreuz (V.
26).
Sühnung
In beiden Fällen hat sich die Gerechtigkeit Gottes in dem einen Akt der „Sühnung“ durch Christus gezeigt. Sühnung (Röm 3,25; Heb 2,17; 1Joh 2,2; 4,10) bezieht sich auf die Seite des Werkes Christi am Kreuz, die eine vollständige Befriedigung der Ansprüche der göttlichen Gerechtigkeit in Bezug auf die Sünde darstellt. Es ist die gottgewandte Seite des Werkes Christi, und durch sie wurde Gottes heiliges Wesen in Bezug auf unsere Sünden und den gesamten Ausbruch der Sünde in der Schöpfung gerechtfertigt. Das vollbrachte Werk Christi umfasst seine sühnenden Leiden, seinen Tod und sein Blutvergießen. Diese drei Dinge werden in der Heiligen Schrift unterschieden, aber nie völlig voneinander getrennt. Daher sollten sie immer als ein Werk betrachtet werden. Manche Bibelleser erliegen dem Irrtum, diese Dinge voneinander zu trennen.
J.N. Darby stellt in seiner Fußnote zu Vers 25 fest, dass das Wort, das mit „Sühnmittel“ übersetzt wird, auch mit „Gnadenstuhl“ oder „Sühndeckel“ übersetzt werden könnte. Paulus will damit sagen: Gott hat im Zeugnis des Evangeliums Christus als den Gnadenstuhl dargestellt. Wir fragen uns vielleicht, was das bedeutet, aber es ist eigentlich ganz einfach. Der Gnadenstuhl oder Sühndeckel im alttestamentlichen Opfersystem war der Ort, an dem Gott mit seinem Volk auf der Grundlage des Blutes eines Opfers zusammenkam (2Mo 25,22: „Dort werde ich mit dir zusammenkommen“; 3Mo 16,14).
Dies veranschaulicht (typologisch), was wir im Zeugnis des Evangeliums verkünden. Christus, der im Evangelium als „Gnadenstuhl“ dargestellt wird, ist die Ankündigung, dass Gott nun dem Sünder begegnen und ihn aufgrund der Verdienste des Opfers Christi segnen kann. Das ist das große Ergebnis der Sühnung, die stattgefunden hat. Christus konnte nicht als Sühnmittel oder Gnadenstuhl dargestellt werden, bevor sein Werk am Kreuz vollbracht war. Aber jetzt, da Gott in dem, was Christus vollbracht hat, triumphiert hat, ist Christus (mit seinem vollbrachten Werk) der göttliche Treffpunkt für alle in der Welt, die kommen und gerettet werden wollen. Manche Prediger sagen: „Gott wird den Sünder am Kreuz treffen.“ Es ist vielmehr so, dass Gott dem Sünder (der den Glauben hat) in Christus in der Höhe als dem Gnadenstuhl [Sühnmittel] begegnet. Christus ist heute nicht am Kreuz; deshalb kommt der Sünder, der gerettet werden möchte, nicht zu einem sterbenden Erlöser am Kreuz, sondern zu einem auferstandenen Erlöser in der Höhe in Herrlichkeit. Er ist heute dort als ein Objekt des Zeugnisses für alle, die glauben sollen. In diesem Sinne predigten die Apostel in der gesamten
Apostelgeschichte Christus als auferstandenen Retter (
13,22-39; 16,31).
Paulus fügt hinzu: „durch den Glauben an sein Blut“. Das Blut Christi ist das Zeichen für das vollbrachte Werk Christi (Joh 19,30.34). Der Glaube an sein Blut bedeutet also: Wir glauben an das, was Er in seinem Opfertod vollbracht hat. Der Sünder, der zu Christus kommt, um gerettet zu werden, muss glauben, dass das, was Christus in seinem Tod vollbracht hat, für ihn persönlich gilt.
Nachsicht
Dass Christus die Sünden der Gläubigen, die in der Zeit vor dem Kreuz gelebt haben, getragen hat, war nur durch „die Nachsicht Gottes“ möglich. „Nachsicht“ hat damit zu tun, dass Gott die Sünden kennt und registriert, aber nicht sofort, nachdem sie begangen wurden, eine Bezahlung für sie verlangt. Durch seine Nachsicht hat Gott die Verurteilung der Sünden derer, die glaubten, bevor Christus kam, um den Preis für sie zu zahlen, zurückgehalten oder aufgeschoben (Diese Menschen hätten nicht gewusst, wie, wann oder wo der Erlöser kommt, um den Preis für ihre Sünden zu zahlen, was durch das Evangelium ans Licht gebracht wurde.). Dieses „Hingehenlassen der zuvor geschehenen Sünden“ konnte nicht ewig weitergehen; diese Sünden mussten zu einem bestimmten Zeitpunkt gerecht behandelt werden – und das geschah am Kreuz. Wenn Gott sich nie mit ihnen befasst hätte, würde Er sich als ungerecht erweisen, denn jede Sünde und jeder Ungehorsam muss seinen „gerechten Lohn“ erhalten (Heb 2,2). Seine Nachsicht galt also den Sünden all derer, die vor dem Tod Christi gläubig waren. Als sie starben, kamen sie sozusagen auf Kreditbasis in den Himmel. Das Urteil über ihre Sünden wurde von Gott aufgeschoben, bis Christus als Sündenträger kam, und dann wurde es über Ihn ausgegossen. Der Glaube derer, die vor der Zeit Christi lebten, wird als Gerechtigkeit angerechnet, wie im Fall Abrahams in Römer 4 bezeugt. Obwohl Christus noch nicht für seine Sünden bezahlt hatte, kam er nach seinem Tod in den Himmel (Lk 16,23). Daher gab es durch göttliche Nachsicht ein „Hingehenlassen“ der Sünden für etwa viertausend Jahre der Menschheitsgeschichte bis zum Kreuz, als sie gerecht behandelt und für immer weggetan wurden.
Im Alten Testament gibt es dafür ein Beispiel. In Josua 3,14-17 überquerten die Kinder Israels den Jordan und betraten das Land Kanaan. In dem Augenblick, in dem die Füße der Priester, die „die Lade Gottes“ (ein Bild für Christus) trugen, in den Fluss traten, geschah ein Wunder: Die Wasser des Jordans (die für das Gericht stehen, das über Christus am Kreuz hereinbrach), die von weiter flussaufwärts kamen, „blieben … von oben herabfließend … stehen“ und wurden auf dem ganzen Weg zurück zur „Stadt Adam“ aufgehalten, die sich etwa 30 Kilometer nördlich am Fluss befand. Dies verdeutlicht die Wirksamkeit des Werkes Christi auf Golgatha: Es kann die Sünden aller Gläubigen bis zurück zu Adam, dem ersten Sünder, tilgen.
Die „Nachsicht Gottes“ wird typologisch auch am großen Sühnungstag (3Mo 16) veranschaulicht. Jedes Jahr wurde das Blut eines Opfers auf den Gnadenthron getan, und Gott übte seine Nachsicht mit den Sünden Israels für ein weiteres Jahr. Im Hebräerbrief erklärt Paulus, dass die jährliche Wiederholung dieses Vorgangs (Heb 9,7) zeige, dass die Sünden vor Gott immer noch im Gedächtnis seien und dass die Opfer am Sühnungstag die
Sünden nicht weggenommen hätten. Sie wurden durch diese Opfer für ein weiteres Jahr „bedeckt“ (das bedeutet Sühne in der hebräischen Sprache), aber sie wurden nicht weggenommen. In Hebräer 10 erklärt Paulus weiter, dass beim Kommen Christi sein einmaliges Opfer für die Sünden ausreichte, um die Sünden der Gläubigen ein für alle Mal „wegzunehmen“ (Heb 10,1-17; 1Joh 3,5).
Römer 3,25 in der englischen KJV-Übersetzung ist etwas irreführend. Dort heißt es: „Sünden, die vergangen sind“. Das verleitet einige zu der Annahme, dass Paulus sich auf Sünden bezogen hätte, die Christen in ihrem Leben vor ihrer Bekehrung begangen haben. Doch wir haben gezeigt, dass dies nicht das ist, wovon Paulus spricht. In der Fußnote der Übersetzung von J.N. Darby heißt es: „Gott hat die Sünden der Gläubigen des Alten Testaments übergangen, nicht ins Gericht gebracht.“ Es handelt sich also um die Sünden von Menschen, die in der „Vergangenheit“ lebten – das heißt in alttestamentlichen Zeiten.
Außerdem heißt es in der King-James-Übersetzung: „Erlass der Sünden“, aber dieser Satz sollte mit „Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden“ übersetzt werden. „Erlass der Sünden“ würde Vergebung der Sünden bedeuten und wird oft so übersetzt (Lk 24,47; Apg 5,31; 13,38; 26,18; Eph 1,7). Wie im Evangelium verkündet, beinhaltet Vergebung, dass die Seele in ihrem Gewissen weiß, dass ihre Sünden für immer vergeben sind, und hat damit zu tun, dass der Gläubige ein gereinigtes Gewissen hat (Heb 9,14; 10,1-17). Dieser ewige Aspekt der Sündenvergebung, den die Christen haben, ist etwas, was die Gläubigen des Alten Testamentes nicht kannten. Ihre Sünden wurden am Kreuz getilgt und die Gläubigen sind jetzt im Himmel, aber sie hatten zu Lebzeiten keine bewusste Kenntnis davon, dass ihre Sünden getilgt waren. Es ist daher nicht korrekt, den Abschnitt mit „Erlass oder Vergebung der Sünden“ zu übersetzen. Die Gläubigen des Alten Testamentes kannten nur die regierungsmäßige Vergebung Gottes. Diese hat damit zu tun, dass Gott einem Menschen, weil er Buße tut (3Mo 4; Ps 32), seine Verfehlungen vergibt (und ihn nicht bestraft), während er auf der Erde lebt. Die Vergebung, die der Herr in seinem irdischen Wirken in den vier Evangelien anbot, war ebenfalls eine regierungsmäßige Vergebung (Lk 5,20; 7,47.48). Der ewige Aspekt der Vergebung wurde dagegen erst verkündet, nachdem die Erlösung vollbracht war, als Christus von den Toten auferstand (Lk 24,47; Apg 2,38).
Vorwissen
Die andere große Eigenschaft Gottes, die wir erwähnt haben, ist das „Vorherwissen“. Vorherwissen ist Gottes Fähigkeit, alles zu wissen, bevor es geschieht (Apg 2,23; Röm 8,29; 1Pet 1,2). Da Gott weiß, wie viele Sünden jeder Gläubige in seinem Leben begehen wird – sogar bevor er geboren wird –, konnte Er das gerechte Urteil über diese Sünden auf den Herrn Jesus Christus am Kreuz legen, bevor sie tatsächlich geschahen. So trug Christus auch das Gericht über die Sünden aller, die in dieser „gegenwärtigen Zeit“, das heißt am Tag der Gnade, glauben würden (Röm 3,26).
Daher hat Christus am Kreuz Sühnung geleistet und die Sünden aller Gläubigen für alle Zeiten vollständig beglichen. Gott legte die Sünden aller Gläubigen – vom Anfang der Zeit bis zum Ende der Zeit – auf Christus, den Sündenträger, und Er trug das gerechte Gericht für sie.
All deine Sünden lagen auf Ihm,
Jesus trug sie auf dem Kreuz.
Gott, der sie kannte, legte sie auf Ihn, und im Glauben bist du frei.11
Es gibt einen Unterschied zwischen denen, die vor dem Kreuz gelebt haben, und denen, die danach gelebt haben. Von den Menschen, die in alttestamentlicher Zeit gläubig waren, wird nicht gesagt, dass sie „an Jesus“ glaubten, wie es bei den Menschen der heutigen Zeit der Fall ist (Röm 3,26). Das liegt daran, dass die Gläubigen des Alten Testamentes das Evangelium nicht kannten, das die Geschichte erzählt, dass Gott seinen Sohn gesandt hat usw. Sie konnten nicht an den Herrn Jesus Christus glauben, weil sie nicht von Ihm gehört hatten, aber sie wurden von Gott auf dem Grundsatz des Glaubens gesegnet und sind jetzt als Freunde des Bräutigams im Himmel sicher (Joh 3,29).
Da nun die Sühnung stattgefunden hat, können wir durch das Evangelium „seine (Gottes) Gerechtigkeit“ verkünden. Das ist etwas, was bis „in der jetzigen Zeit“ nicht möglich war. J.N. Darby sagt:
Unter dem Gesetz wurde die Gerechtigkeit nie offenbart – Gott ertrug die Dinge, aber es gab keine Erklärung der Gerechtigkeit. Jetzt heißt es: „zur Erweisung seiner Gerechtigkeit“. Die Gerechtigkeit wurde offenbart, als die Sühnung stattfand.12
Wir können nun zu den Sündern mit der guten Nachricht gehen, dass Gott „gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“. Er ist „gerecht“, weil Er die Sünde durch das vollbrachte Werk Christi am Kreuz gerichtet hat, und Er „rechtfertigt“ jene, die glauben.