Der geschlagene Richter
Die Verheißungen, über die wir gerade nachgedacht haben, werden alle durch den Messias erfüllt werden. Im Folgenden lesen wir nun von seiner Verwerfung bei seinem ersten Kommen. In der hebräischen Bibel [und auch in vielen deutschen Übersetzungen] sind die Kapitel 4 und 5 anders eingeteilt [als in den englischen Übersetzungen]: In diesen Bibeln gehört der erste Vers von Kapitel 5 noch zu Kapitel 4 und bildet dort den letzten Vers:
Mich 4,14: Nun dränge dich zusammen, Tochter des Gedränges: Man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet; mit dem Stab schlagen sie den Richter Israels auf die Wange.
Durch diese Trennung der beiden Verse wird das Zeugnis von dem „Richter Israels“ getrennt von dem, der in Bethlehem geboren wird und dessen „Ursprünge von der Urzeit sind, von den Tagen der Ewigkeit her“ (Mich 5,1). Es ist ein Leichtes, hierin eine rabbinische Entgegnung auf die Berichte des Neuen Testaments zu erkennen, so unbedeutend der Unterschied dem unachtsamen Leser auch erscheinen mag.
Wenn man sich nach der hebräischen Kapiteleinteilung richtet [und dementsprechend diesen Vers als den letzten Vers in Kapitel 4 liest], könnte es scheinen, als sei der erwähnte Richter einfach einer der vielen Herrscher Israels gewesen, der von dem Feind aus dem Norden so schmählich behandelt werden würde. Doch im Licht des Neuen Testaments wird deutlich, dass der Geschlagene niemand anders ist als der, der sagen konnte: „Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel“ (Jes 50,6). Er ist der, „der in das Seine kam, und die Seinen nahmen ihn nicht an“ (Joh 1,11). Im Haus des Hohenpriesters „spien sie ihm ins Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten; einige aber schlugen ihm ins Angesicht und sprachen: Weissage uns, Christus, wer ist es, der dich schlug?“ Gleicherweise die rohen Soldaten im römischen Prätorium: „Sie spien ihn an, nahmen den Rohrstab und schlugen ihm auf das Haupt“ (Mt 26,67.68; 27,30).
Doch von Ihm verkündet der Prophet:
Mich 5,1: Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her.
So wurde also bereits sieben Jahrhunderte bevor Gott als Mensch auf der Erde erschien, der
Ort seiner Geburt eindeutig angegeben: Diese Ehre sollte der Stadt Davids zuteilwerden. Auf diesen Vers bezogen sich bekanntlich die Schriftgelehrten, als sie Herodes erklärten, wo Christus geboren werden sollte. Zwar hielten sie an der prophetischen Wahrheit fest und erforschten die Schriften, aber weder konnte die Wahrheit sie festhalten noch erlaubten sie der Wahrheit, sie zu durchforschen.
Diese Lektion ist wichtig für uns alle. Wenn wir mit dem geschriebenen Wort Gottes nur vertraut sind, dann macht uns das nur noch schuldiger, wenn das Wort Gottes nicht alle unsere Wege bestimmt. Die Bibel zu lesen; die verschiedenen Linien der Wahrheit darin zu erforschen; in der Lage zu sein, die großen lehrmäßigen Grundsätze der Schrift zu verstehen und darüber zu reden und doch dieses Wort nicht in einem aufrichtigen Herzen aufgenommen zu haben (Lk 8,15), damit das Wort uns führt und leitet – das ist in der Tat furchtbar!
Über die recht verbreitete und durchaus nützliche Praxis, Verse in der Bibel zu markieren, hat jemand einmal gesagt: „Es ist eine kleine Sache, wie du deine Bibel kennzeichnest, aber es ist von allergrößter Bedeutung, dass sie dich kennzeichnet.“