Abgesonderte Gefäße
Einleitung
Es gibt sieben Bücher des Alten Testaments, die aufs Engste miteinander verbunden sind: drei historische, drei prophetische und eines, das sowohl historisch als auch prophetisch ist. Ich beziehe mich auf Esra, Nehemia und Esther in der ersten Gruppe, Haggai, Sacharja und Maleachi in der zweiten; und Daniel steht allein als dritte Gruppe.1 Alle haben weitgehend mit einem besonderen Werk Gottes zu tun, das nach dem Ende der von Jeremia vorhergesagten siebzigjährigen Gefangenschaft stattfand, in der das Land Palästina seine verlorenen Sabbatjahre nachholen sollte (Jer 25,11-14; 2Chr 36,21; Dan 9,2). Während dieser Zeit der Verwüstung war das Volk zunächst dem König von Babylon und nach dessen Sturz dem König von Persien unterworfen. Babylon war die Quelle des Götzendienstes, und in seiner falschen, von Dämonen inspirierten Anbetung fand sich im Keim jede böse Lehre, die der satanische Einfallsreichtum je ersonnen hat, um ungläubige Menschen von der von Gott in seinem heiligen Wort gegebenen Offenbarung abzuwenden.
Um das Volk Juda von seiner tief verwurzelten Liebe zum Götzendienst zu heilen, gab der HERR es in den Dienst der Chaldäer, „das grimmige und ungestüme Volk“ (Hab 1,6). Mitten unter den Heiden wohnend, von allen Seiten umgeben von den abscheulichsten Schöpfungen des menschlichen Verstandes, die zum Teil von bösen Geistern inspiriert waren, lernten sie in vollem Umfang, wie töricht und erbärmlich es war, dass sie den „Vertrauten ihrer Jugend“ (Spr 2,17) für „viele Götter und viele Herren“ (1Kor 8,5) verlassen hatten. Ihre Erfahrungen in dieser Hochburg heidnischer Verdorbenheit heilten sie wirksam von der Verehrung von Bildern und führten zu einer gnädigen Erweckung unter Gottes guter Hand, die seinem Wort einen Platz in ihren Seelen gab, den es vorher nicht hatte. Unglücklicherweise verlor dieses segensreiche Werk des Geistes Gottes bald seine Kraft und entartete zu einer bloß kalten intellektuellen Bibelverehrung, in der man sich hartnäckig an den Buchstaben des Wortes klammerte, während man den Geist völlig ignorierte. Die pharisäischen Nachfolger der „Männer der großen Synagoge“ (wie Esra und seine Gefährten später genannt wurden) widmeten sich so sehr dem Studium der heiligen Schriften, dass sie sogar die Worte und Buchstaben des Gesetzes zählten, während eine große Menge an erläuternder Literatur entstand, von der das meiste extrem spitzfindig und äußerst phantasievoll war, die aber alle von der Verehrung zeugten, die man der Heiligen Schrift entgegenbrachte. Doch als derjenige, der selbst der Geist des gesamten Alten Testamentes ist und über den Mose und alle Propheten geschrieben haben, in ihrer Mitte erschien, wurde Er nicht durch den Glauben erkannt und von den Nachkommen ebenjenes Überrestes, dessen Eifer für Gott im Buch Esra gelobt wird, verworfen und gekreuzigt. Obwohl Er in Erfüllung der Schriften kam, die sie jeden Sabbat öffentlich und oft auch privat lasen, als das Kind von Bethlehem Ephrata, das Licht Galiläas unter den Völkern und der bescheidene Friedensfürst, der auf einem Esel reitet, erfüllten sie andere Prophezeiungen, indem sie Ihn ablehnten und seine Ansprüche verschmähten.
Infolge dieses gewaltigen Fehlers wird die Masse der Juden an einem noch kommenden und zweifellos sehr nahen Tag auf eine noch niedrigere Form des Götzendienstes herabsinken als je zuvor, wenn sie den Antichristen der Zukunft als Messias Israels und Diener eines Gottes, den ihre Väter nicht kannten, empfangen und das römische Tier anerkennen, das von den abgefallenen Juden und der Christenheit gleichermaßen als „Gott der Festungen“ (Dan 11,38) angebetet werden wird (siehe dazu Daniel 11,36 bis Ende und Offenbarung 13).
Es ist daher sehr heilsam, unter Gebet einige der Handlungen Gottes mit einem Überrest aus alter Zeit nachzuvollziehen, damit wir von neuem erfahren, was Er mit seinem Volk heute vorhat. In diesem Sinne wollen wir uns dem Bericht des Schriftgelehrten Esra zuwenden, einem Teil der Heiligen Schrift, der einen äußerst praktischen Charakter hat und für Gläubige aller Zeitalter eine Fülle von anregenden Lektionen enthält.
Die ersten zweieinhalb Verse des ersten Kapitels werden aus dem Schluss von zweite Chronika zitiert, was darauf hindeutet, dass Esra vielleicht das auserwählte Instrument war, um den früheren Bericht zu vervollständigen, den Gott nicht ohne eine Verheißung der Wiederherstellung abgeschlossen hätte.
Daniel verstand „in den Schriften“ (Dan 9,2) dass die siebzig Jahre der Trübsal fast abgelaufen waren. Er war ein Student der Prophetie, und als er die ernsten Botschaften Jeremias studierte, erkannte er, dass die Zeit für ihre Erfüllung des Wortes über die Wiederherstellung nahe war. Was ist die Folge? Es zwingt ihn auf die Knie. Er war kein bloßer intellektueller Bibelstudent wie so viele heutzutage. Die Heilige Schrift hatte Macht über seine Seele und brachte ihn zu Gebet und Buße. Er machte die bevorstehende Befreiung zu einer Angelegenheit des ernsten Flehens, verbunden mit einer Selbstverurteilung, die das Ergebnis der Gegenwart Gottes war. Er bekannte seine eigene Sünde und die Sünde seines Volkes. Es gab keine harsche Kritik an anderen, während er sich selbst zu seiner eigenen Treue beglückwünschte. Er war zweifellos treu gewesen, aber er erhebt darauf keinen Anspruch. Er bekennt das Versagen des Volkes, dem er angehört, und erkennt ihre Sünde als seine eigene an. „Wir haben gesündigt“ (Dan 9,5) ist sein Ausruf, nicht: „Sie haben gesündigt.“
Und was ist das erfreuliche Resultat von all dem? Wir erfahren es am Anfang von Esra:
Esra 1,1: Und im ersten Jahr Kores’, des Königs von Persien – damit das Wort des HERRN aus dem Mund Jeremias erfüllt würde – erweckte der HERR den Geist Kores’, des Königs von Persien; und er ließ einen Ruf ergehen durch sein ganzes Königreich, und zwar auch schriftlich, indem er sprach: …
So hatte Gott begonnen, das Gebet seines Dieners zu erhören und zu beantworten, in Erfüllung seines eigenen Wortes, das Er durch Jeremia verkündet hatte.
Die Menschen sind oft verunsichert, was die Beziehung zwischen dem Gebet und den Absichten Gottes betrifft. Wenn Gott einen Ratschluss gefasst hat, wird Er ihn dann nicht in die Tat umsetzen, ob wir nun beten oder nicht? Die Antwort ist, dass das Gebet ein Teil von Gottes Absicht ist. Er will handeln, wenn sein Volk betet. Einer der ersten Beweise dafür, dass Er im Begriff ist, etwas Bestimmtes zu tun, ist, dass der Geist des Gebets und des Flehens in Bezug auf dieses besondere Werk über sein Volk ausgegossen wird. Hier bewegt Er das Herz eines Königs in seinem Palast, um sein Wort zu erfüllen, nachdem Daniel es zu einem Gebetsanliegen gemacht hatte.