Behandelter Abschnitt Jes 18
Jesaja 18
„Welch wunderbarer Abschnitt!“, werden wir nach dem Lesen dieses Kapitels sagen. Er übertrifft in der Tat jede menschliche Ausdrucksweise. Es ist Gott selbst, der diese Zeilen geschrieben hat. Der Prophet war nur ein Werkzeug in seiner Hand, um sie uns weiterzugeben. Kein Mensch wäre fähig, Derartiges, wie uns hier vor Augen geführt wird, niederzuschreiben. Alles darin ist bewundernswert: die uns gegebene Offenbarung; das Volk, von dem gesprochen wird; die Art und Weise, wie uns diese Gegenstände vorgestellt werden. Möchten unsere Herzen beim Lesen solch wunderbarer Worte von Anbetung erfüllt werden!
Der Prophet unterbricht den Lauf seiner Aussprüche, um von zwei Ländern zu reden, die er mit wenigen Worten beschreibt, deren Namen er aber verschweigt. Das erste Land nimmt den Charakter eines Beschützers an: Es ist ein „Land des Flügelgeschwirrs“. In Psalm 57,1 lesen wir – um nur eine Stelle zu zitieren, die diesen Charakter näher ausführt –: „Ich will Zuflucht nehmen zu dem Schatten deiner Flügel, bis vorübergezogen das Verderben.“ Unter den Flügeln ist man also geborgen und vor äußeren Gefahren geschützt. Es ist ein weit entferntes Land, denn es befindet sich „jenseits der Ströme Kuschs“: des Nil und des Euphrat. Im Weiteren liegt dieses Land am Meer: Es entsendet seine Boten auf dem Meer und in Schiffen.
Das andere Volk ist ein „wunderbares Volk, seitdem es ist und hinfort, die Nation von Vorschrift auf Vorschrift und von Zertretung“, und dessen Land beraubt ist. Diese Beschreibung genügt, um uns sofort auf das Land und das Volk hinzuweisen, von dem der Prophet, ohne es zu nennen, in solch bewegenden Worten spricht. Wo findet sich ein Volk, das Gottes Gesetzesvorschriften besitzt, aber zertreten ist, dessen Land jahrhundertelang von Fremden verwüstet worden ist? Es ist wirklich das wunderbare Volk, dem Gott Verheißungen gegeben hat und das nun den Beginn ihrer Erfüllung sieht. Wo kann man ein Volk finden, das einzigartiger wäre als Israel? Wunderbar in der Vergangenheit, ist es dies auch in der Gegenwart und wird es noch mehr in der Zukunft sein.
Es ist nicht mehr schwierig, das andere, eben erwähnte Volk, das sich für das Volk Israel interessiert, zu erkennen und zu benennen, seitdem nämlich das Land Israel vom Joch der Mohammedaner befreit wurde und ihre Söhne in ihr Land zurückzukehren begannen. Diese außergewöhnliche Rückkehr beginnt die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zu ziehen.1
Das Erstaunen wird noch weit größer sein, wenn die Israeliten in Scharen in ihr Land zurückkehren werden. Die Fahne, das Zeichen zum Sammeln, wird auf den Bergen erhoben. Die Posaune wird im Land der Verheißung erschallen.
Zu jenem Zeitpunkt wird es scheinen, als ob die Erwartung Israels erfüllt sei und der Segen auf dem Volk ruhe. Glänzende Hoffnungen werden die Herzen erfüllen. Aber genau in dem Augenblick, da sie glauben, ihr Ziel erreicht zu haben, wird eine plötzliche Zerstörung sie überfallen und all diese schönen Aussichten wegnehmen. Die Raubvögel der Berge und die Tiere der Erde, schreckliche Bilder der ausführenden Werkzeuge des Gerichts Gottes, werden sie unaufhörlich verfolgen.
Wir können uns fragen: Weshalb diese Unglücke? Die Antwort ist sehr einfach: Gott wurde hier nicht miteinbezogen. Er bleibt sozusagen in seiner Wohnstätte verborgen, von wo Er alles beobachtet, was sich in seinem Land abspielt, wo niemand Ihn anruft und niemand mit Ihm rechnet. Es ist die befreundete Nation, von der Israel das Land der Verheißung erhält; durch seine Klugheit lässt es sich darin nieder und richtet sich dort ein. So denkt es, glücklich zu leben, glücklich ohne seinen Gott.
Seitdem Kain und seine Nachkommen sich so gut wie möglich auf der Erde eingerichtet haben, um hier das Glück ohne Gott zu finden, wiederholt sich die gleiche Geschichte hier unten. Durch ein solches Handeln wird das Volk Gottes nie auf einen grünen Zweig kommen und nie von Dem gesegnet werden, den es vergessen hat. Israel wartet, aber diese Erwartung muss einzig und allein auf den Herrn gegründet sein. „Verflucht ist der Mann, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arm macht.“ Das Volk wird bald diese schmerzhafte Erfahrung machen. Israel braucht nicht die Unterstützung einer mächtigen Seefahrernation, sondern den Schutz der Flügel des Allmächtigen. Einst wollte Er die Kinder Jerusalems unter seine Flügel versammeln, aber dieses unglückliche Volk hat dies zurückgewiesen.
Wenn der Winter vergangen sein wird und der ewige Frühling begonnen haben wird, wird das Volk, das jetzt weithin geschleppt und gerupft ist, dem Herrn wie ein Geschenk dargebracht werden. Die Zeit der Prüfungen, die dann ihre Früchte tragen werden, wird vorüber sein. Dieses Volk wird selbst mit einem Geschenk zum Herrn der Heerscharen kommen, an den Ort, wo Er seinen Namen hingesetzt hat: nach Jerusalem, zum Berg Zion, dahin, wo der König der Herrlichkeit diesem wunderbaren Volk Gnade und Segen schenken wird.
Dann wird Israel nicht mehr warten. Die zwölf Stämme werden das, was ihnen seit langem verheißen war, erhalten haben. Nachdem sie mit sich selbst zu Ende gekommen sind, mit ihren eigenen Hilfsquellen, mit aller Art von menschlicher Unterstützung, werden sie sich an Dem erfreuen, dessen Treue sich bis zu den Wolken erhebt und dessen Name der Ewige ist.
1 Anm. d. Red.: Der Artikel wurde im Jahr 1937 geschrieben.↩︎