Behandelter Abschnitt Jud 10-11
Diese aber lästern, was sie nicht kennen; was irgend sie aber von Natur wie die unvernünftigen Tiere verstehen, darin verderben sie sich. Wehe ihnen! Denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Bileams hingegeben, und in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen (V. 10.11). „Diese aber lästern“ bezieht sich jetzt auf die Personen, die, obwohl sie getauft waren und ihren Platz in der Versammlung einnahmen, nun jeder Form von Verderbnis nachgaben und die Dinge, die sie einmal bekannt hatten, aufgaben. Ich sage nicht, dass sie draußen waren. Das ist der Unterschied zwischen den Schriften des Judas und des Johannes. Wenn wir zum ersten Brief des Johannes kommen, sind sie hinausgegangen; aber das Verderbliche in Judas ist, dass sie bleiben und dort andere vergiften.
Nun ist es bemerkenswert, dass wir im zweiten Petrusbrief nur Bileam finden, und Michael überhaupt nicht erwähnt wird; so dass nichts oberflächlicher sein kann als die Vorstellung, dass einer vom anderen abgeschrieben hat. Es ist wahr, dass es vieles gibt, was beiden Briefen gemeinsam ist, aber die Unterschiede zwischen Judas und Petrus sind auffällig; die ähnlichen Punkte sind leicht zu erklären. In der Stellung, in der sich Judas und Petrus befanden, muss es die engste Freundschaft und eine sehr enge Kameradschaft gegeben haben; und es muss starke Bande der Liebe zwischen diesen beiden älteren Dienern des Herrn gegeben haben. Würden sie sich nicht gegenseitig ihre Gedanken und Beurteilungen mitteilen, auch wenn sie als Diener Gottes angesehen werden? Dies ist also überhaupt nicht überraschend. Nichts ist wahrscheinlicher, als dass Petrus Judas eine Menge mitteilt und umgekehrt Judas Petrus eine Menge mitteilt; und außerdem würde der Geist Gottes, der ihnen gibt, dass sie dasselbe oder ein ähnliches Übel sehen, ihnen ähnliche Beurteilungen und Gedanken geben. Man findet, dass Menschen, die sich nie getroffen oder miteinander gesprochen haben, wenn sie mit demselben Übel zu tun haben, oft sehr ähnliche Dinge sagen; wesentlich ähnlich sind sie sicher, wenn sie vom Geist Gottes geleitet werden, aber es gibt oft überraschende verbale Ähnlichkeiten. Aber das ist nicht der Punkt, an dem sich die Schönheit und das Auffällige der beiden Briefe des Judas und des zweiten Briefes des Petrus zeigen. Es liegt in den Unterschieden zwischen ihnen.
Nun beschäftigt sich Petrus besonders mit bösen Lehrern – Männern, die heimlich Irrlehren oder Sekten einführten, wie er es nennt. Das Wort „Häresie“ bedeutet in der Heiligen Schrift „eine Sekte“. Es bedeutet niemals falsche Lehre, wie wir das Wort in seinem modernen Sinn verwenden. Das ist überhaupt nicht der biblische Sinn. Zweifellos kann es in einer Sekte falsche Lehre geben, und es kann eine Sekte ohne falsche Lehren geben, oder es kann eine mit viel falscher Lehre geben. Diese „Sekte“ lässt also alle Arten oder Schattierungen des Bösen und des Irrtums zu; aber Petrus hat besonders die Irrlehrer im Blick, und diese sind begehrliche Menschen; Profitgier ist ein markantes Merkmal, das er anführt. Nun, wo könnte man ein alttestamentliches Beispiel für derart ausgeprägte Habgier finden wie Bileam? Folglich finden wir Bileam im Petrusbrief, genau dort, wo es sein sollte. Es passt völlig zu seinem Anliegen und zu diesem zweiten Brief und dem zweiten Kapitel.
Aber hier, in diesem sehr viel kürzeren Brief – und viel kompakter, viel komprimierter und viel vehementer – schreibt Judas wie in einem Sturm des Hasses über alle diese schlechten Menschen. In der Tat, ich kenne keine deutlichere Sprache. Manche mögen keine deutliche Sprache. Aber das sollte ganz davon abhängen, wie sie verwendet wird. Deutliche Sprache gegen das Gute ist schändlich, aber gegen das Böse ist sie völlig angebracht; und ich kenne nirgends eine deutlichere Sprache als in diesem Brief des Judas, in dem er sich gegen das Lästern ausspricht. Aber deutliche Sprache und Lästern sind nicht dasselbe. Lästern ist hier Lästerung des Guten; aber hier haben wir die schärfste, heftigste und schneidendste Entlarvung des Bösen; und statt dass dies eine Sache ist, die man bedauern sollte, ist es eine Sache, die wir empfinden und mit dem Herzen mitgehen sollten. Aber ich weiß, es passt nicht in die heutige Zeit. Die gegenwärtige Zeit ist eine Zeit, in der man zu denken versucht, dass nichts so gut ist, wie das Schlechte, und nichts so schlecht, wie das Gute darin. Die Folge ist, dass alle moralische Kraft in einer Sackgasse landet und die Menschen keine echte, brennende Liebe für das Gute haben, sondern nur einen ruhigen, stillen, lauwarmen Zustand. Sie sind weder entschieden für das Gute noch entschieden gegen das Böse; und das ist ein Zustand, den, wie glaube ich, der Herr hasst – jedenfalls stimmt dieser Zustand weder mit Petrus noch mit Judas überein. „Wehe ihnen! Denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Bileams hingegeben, und in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen“ (Jud 11). Im Petrusbrief gibt es kein Wort über Kain, kein Wort über Korah. Aber hier sehen wir, dass Judas, der einen anderen Zweck verfolgt, in diesem wirklich höchst wunderbaren Vers eine Menge moralischer Wahrheit, geistlicher und göttlicher Wahrheit zusammenfasst, von der hier völlig abgewichen wurde, wobei die Gnade ganz und gar gehasst und missbraucht wurde. All das findet sich in diesem kurzen Vers. Er geht zurück bis zu Kain.