Behandelter Abschnitt 1Joh 4,1-6
Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen. Hieran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt, ist aus Gott; und jeder Geist, der nicht Jesus [Christus im Fleisch gekommen] bekennt, ist nicht aus Gott; und dies ist der Geist des Antichrists, von dem ihr gehört habt, dass er komme, und jetzt ist er schon in der Welt.
Ihr seid aus Gott, Kinder, und habt sie überwunden, weil der, der in euch ist, größer ist als der, der in der Welt ist. Sie sind aus der Welt, deswegen reden sie aus der Welt, und die Welt hört sie. Wir sind aus Gott; wer Gott erkennt, hört uns; wer nicht aus Gott ist, hört uns nicht. Hieraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums.
Ehe der Apostel fortfährt, über das Bleiben Gottes in uns zu sprechen, das durch den uns gegebenen Geist bezeugt wird (Kap. 3,24), wendet er sich dem uns vorliegenden ernsten Thema zu. Er will uns dadurch vor den Angriffen des Feindes gegen die Fundamente des Glaubens schützen. Das tut er, indem er die Wahrheit über die Person Christi, Gottes maßgebliche Offenbarung über Ihn, vorstellt. Diese wurde durch den erhöhten Herrn den inspirierten Aposteln und Propheten mitgeteilt und bildet einen Bestandteil der neutestamentlichen Schriften.
Es sind im Gegensatz zu den bisherigen Belehrungen des Apostels nicht die Erkennungszeichen, die zur Scheidung der wahren Christen von den unechten oder von denen führen, die sich selbst betrügen. Unter der Anleitung des Heiligen Geistes schweift Johannes in der ihm eigenen, uns schon bekannten Art, zu einem Thema ab, das von fundamentaler Wichtigkeit ist, nämlich zu den von Gott gegebenen Prüfsteinen der Wahrheit selbst. Es gibt deren zwei: seine Person selbst als offenbart im Fleisch und die durch auserwählte Zeugen mitgeteilte Offenbarung über Ihn. Da Er wahrhaftiger Gott und vollkommener Mensch war, musste auch die Mitteilung dieser überaus herrlichen Wahrheit durch die Autorität Gottes geprägt und durch eigens zu diesem Zweck inspirierte Männer niedergeschrieben, nicht weniger göttlich sein. Er ist es, von dessen Annahme das ewige Leben mit allen Vorrechten für den Gläubigen und für die Versammlung abhängt, deren Diener der Apostel Paulus vor allen anderen Aposteln war. Er ist auch der, durch dessen Verwerfung Gottes Zorn (Joh 3,35.36) auf allen Schuldigen bleibt. Gemäß dem Charakter, in dem Er als die Wahrheit selbst in unumschränkter Gnade vom Himmel kam, hat Gott auch für die zuverlässigste Offenbarung seines Sohnes durch den Menschen und für den Menschen gesorgt, ob dieser nun darauf hört oder sie ablehnt. Diese Offenbarung ist dem Gewissen und Herzen des Menschen angepasst, aber von Gott, der nicht irren kann, überwacht und eingegeben.
Wenn es Gott aufgrund der Erlösung gefiel, dem Gläubigen den Heiligen Geist in einem Umfang und in einer Weise mitzuteilen, wie es vor dem Tod, der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi nicht geschah und auch nicht möglich war, dann machte sich Satan sogleich daran, diese himmlische Gabe nachzuahmen, um dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist entgegenzuwirken. Er bedient sich dabei der Abtrünnigen, der vielen falschen Propheten, die nicht nur andere Menschen ins ewige Verderben führen, sondern auch eine schwerere Strafe auf sich laden als die schuldigen Juden und die verfinsterten Heiden. Deshalb wird mit so großer Sorgfalt das zweifache Kennzeichen der Wahrheit in der einfachsten und direktesten Weise vorgestellt, um jedem Gläubigen, der es benötigt, eine Hilfe darzureichen. „Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen“ (V. 1). Es ist eine Frage der Unterscheidung nicht der Gläubigen, sondern des wahren Charakters derer, die vorgeben, im Geist zu reden. Das nämlich ahmte der Feind nach, und die Macht seiner raffinierten Überredungskunst ist seit seiner ersten Verführung des Menschen im Paradies stets groß gewesen. Der Herr sagt von ihm: „Er war ein Menschenmörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ihr Vater“ (Joh 8,44). Böse Geister waren mehr denn je am Werk, um dem Geist der Wahrheit zu widerstehen, wie auch sehr viele böse Geister durch den Heiligen Gottes aus den Besessenen ausgetrieben worden waren, als Er auf der Erde umherging.
Im Markusevangelium, dem Evangelium des Knechtes Gottes und der Menschen, ist die Austreibung eines unreinen Geistes das erste Wunder, das berichtet wird. Christi Wort hatte Macht, Menschen zu segnen und Dämonen auszutreiben. Nachdem der unerschrockene, unnachgiebige Apostel der Nationen die Erde verlassen hatte, erfüllten sich seine warnenden Worte an die Ältesten der Versammlung in Ephesus zusehends: „Ich weiß, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20,29.30).
Diese Entwicklung des Bösen steigerte sich noch weiter vor den Augen des letzten noch lebenden Apostels. Er erinnert jeden Gläubigen an seinen Glauben an Christus und an das Wort Gottes. Er entkleidet die Frage, auf die es ankommt, von allem Schein der Beweisführungen und Emotionen, mit denen der Feind den wahren Sachverhalt zu verschleiern suchte. Es ging in Wirklichkeit darum, unter dem Vorwand neuer und höherer Wahrheit Gott und sein Wort aufzugeben. Manche Antichristen leugneten die wirkliche Menschheit Christi, andere leugneten seine wahre Gottheit, noch andere die Vereinigung beider in einer Person. Damit verließen sie alle die Wahrheit über seine Person und folglich auch über sein Werk und versuchten, sie umzustürzen. Die Geliebten kannten aber den Vater und den Herrn Jesus Christus, den Er gesandt hatte, und sie hatten den Geist zu ihrer Hilfe. So waren sie als einfache Kinder Gottes nicht nur verantwortlich, sondern durch die Gnade auch in der Lage, zu prüfen, welcher Geist in diesen „neuen Erleuchtungen“ wirksam war. Sie mussten sowohl um seinetwillen wie um ihrer selbst willen die neuen Lehren sorgfältig prüfen, „denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen“. Gehörten diese Lehrer auch dazu? Christus hatte wahre „Apostel und Propheten“ gegeben, die gemeinsam die lehrmäßige Grundlage der Versammlung bildeten. So haben wir Markus und Lukas, auch Jakobus und Judas, die keine Apostel, sondern Propheten waren. Satan ahmte sie nach und bediente sich dieser Ungläubigen, die in die Welt ausgingen, um irrezuführen und zu zerstören. Es gab bereits „viele falsche Propheten“.
Das erste Erkennungsmerkmal bezieht sich auf den Geist: „Hieran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt, ist aus Gott“ (V. 2). Manche Übersetzungen geben diesen Vers nicht entsprechend seiner wahren Bedeutung wieder. Die Einfügung der Wörter „dass“ und „ist“ („dass Jesus Christus ... gekommen ist“) ist nicht nur unangebracht sondern verändert diese Aussage in das reine Bekenntnis eine Tatsache, wohingegen das apostolische Wort auf das Bekenntnis seiner Person hinweist. Stimmt es, dass ein böser Geist die historische Tatsache, dass Jesus Christus im Fleisch gekommen ist, leugnen würde? Geben das nicht sogar die Anhänger Mohammeds ohne Zögern zu, während die Juden sich dagegen sträuben? Und ganz gewiss lassen einige der extremsten und bösartigsten Zweifler diese Tatsache bestehen und rühmen den Herrn nach ihren Vorstellungen als den besten Menschen. Doch ein wahres Bekenntnis der Person des Herrn, wie es hier durch den Apostel niedergelegt wird, ist nur durch den Geist Gottes möglich. Der Apostel gebraucht nur wenige Worte, aber sie enthalten den Kern der Sache. Zwischen den Tagen des Sohnes Nuns und denen des Sohnes der Jungfrau Maria war mancher Israelit „Jesus“ genannt worden. Der erste Mann dieses Namens, den die Schrift erwähnt, war in Wahrheit nur ein Vorläufer des unermesslich größeren „Josua“. Andere mögen den gleichen Namen getragen haben, doch als gänzlich Unwürdige, vor allem jener Mensch, den die Juden dem Herrn der Herrlichkeit vorzogen (wenn wir den etwa zwanzig Handschriften Glauben schenken wollen, die dieses bezeugen). Sicher ist, dass er den Zunamen Barabbas (d. h. Sohn des Vaters) hatte; er war Satans Gegenstück zum wahren „Sohn des Vaters“.
In Matthäus 1 gibt uns der Geist Gottes seine Auslegung des Namens unseres Herrn: „du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden“ (V. 21). Josua führte das Volk Israel in das Land Kanaan ein, angesichts der Feinde, von denen es dort wimmelte; aber nur der wahre Josua konnte sein Volk von ihren Sünden erretten. Er war Jah, der Herr, der Ewigseiende im absoluten Sinn, der Ewige in relativer wie in historischer Hinsicht. Und da es sein Volk war, sollte Er es von seinen Sünden erretten, weil kein anderer als Er es vermochte. Er war zugleich auch Immanuel, das heißt Gott mit uns; wer anders als Er könnte diesen Titel für sich beanspruchen? Wenn sein Volk Ihn zu seinem eigenen Schaden zeitweilig verwarf, dann wandte sich seine Gnade den törichten Nationen zu, zumindest denen, die auf seine Stimme hören. Das Heil ist in der Zwischenzeit den Nationen, aus denen auch wir stammen, gesandt worden. Die durch Unglauben und Stolz aufgeblasenen Heiden müssen abgeschnitten werden, wie es auch zum Teil mit den Juden geschah, damit wir eingepfropft werden konnten. Endlich werden sie zu ihrem gekreuzigten Messias umkehren, der dann erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein wird (Jes 52,13). Alle ihre innere und äußere Furcht wird gewichen sein, und so „wird ganz Israel errettet werden“ (Röm 11,26). Er hat in seiner Liebe lange gewartet; sie bleibt unermüdlich und ungeschmälert, bis sie ihre ganze Sünde und den Grund ihrer Leiden erkannt haben werden. seine Barmherzigkeit währt ewiglich, seine Gnadengaben und seine Berufung sind unbereubar (Röm 11,29).
Das ist dieser „Jesus Christus“, den jeder Geist, der aus Gott ist, bekennt. Nur wird Er jetzt im Christentum viel tiefer und inniger gekannt, als bei seinem Offenbarwerden vor dem Volke Israel; es wird Ihn in der sichtbaren Herrlichkeit des kommenden Reiches erkennen. Er, der im Fleisch kam, war Jah, der Retter, zugleich auch der Gesalbte Gottes, der Christus. Er ist es, den der Geist der Wahrheit ehrt, ebenso wie der Geist des Irrtums Ihn hasst. Denn auch diese finstere Seite wird uns gezeigt: „und jeder Geist, der nicht [den] Jesus bekennt, ist nicht aus Gott“ (V. 3). Die auf vielen alten Handschriften beruhende verkürzte Lesart in diesem Satzteil wird dadurch bestätigt, dass im Griechischen vor „Jesus“ der Artikel steht. Er wird üblicherweise vor Namen im hinweisenden Sinne gebraucht. Doch der Sinn, der damit ausgedrückt wird, ist klar und eindeutig: „und jeder Geist, der nicht [den] Jesus [der eben beschrieben wurde] bekennt“. Da ist eine Wiederholung der hier ausgelassenen Worte unnötig, denn der Satz schließt diese Aussage über Ihn als wahrheitsgemäß in sich.
Der Name Jesus ist der Ausdruck alles dessen, was Er als von Gott offenbart ist; und alles, was unseren Bedürfnissen entspricht, ist uns in Ihm zu unserer ewigen Freude geschenkt. Sein Name steht auch nicht nur für die überragenden Vortrefflichkeiten alles dessen, was in Ihm und durch Ihn zu finden ist. Er, und nur Er allein, stellt uns die Wahrheit über jeden Menschen und jede Sache vor Augen und zeigt uns, wie sie wirklich beschaffen sind. Damit beweist Er, dass Er selbst die Wahrheit in objektiver Hinsicht ist, so wie der Geist die Wahrheit als inwendige Kraft ist, die uns befähigt, alles, was uns in und durch Christus geschenkt ist, zu verwirklichen und zu genießen (vgl. 1Joh 5,6). Er allein führt uns in eine wahrheitsgemäße Erkenntnis Gottes ein. Er zeigt uns den Vater. Er macht uns, aber nicht die Welt, mit dem Heiligen Geist bekannt. Er offenbart die Dreieinheit Gottes. In Christus allein erkennen wir das Licht, das Leben und die Liebe, die aus Gott sind. In Ihm erkennen wir Gehorsam, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Ehrfurcht, Abhängigkeit, Treue, Demut und Sanftmut in absoluter und vollkommener Weise. In Ihm sehen wir den Menschen als einen würdigen Gegenstand der Wonne Gottes.
Durch Ihn sehen wir aber auch, was der Mensch unter der Macht Satans in seiner Feindschaft gegen Gott ist; die Wahrheit über den natürlichen Menschen, so wie er ist. So wissen wir auch durch Ihn, wer Satan in seinem Hass und in seinem Betrug ist. Ohne Christus hätten wir nur die Schattenbilder des Erlösungs‑ und Sühnungswerkes, des Schlachtopfers und des Speiseopfers, des Priestertums und des Heiligtums. Er allein ist der Inhalt und die Erfüllung der Vorbilder; Er selbst ist der Mittelpunkt von allem, gibt allem seine rechtmäßige Stellung und bringt es in die wahre Beziehung zu Gott. Hast du in irgendeiner Sache Zweifel und suchst die Wahrheit? Bring Christus in deine Schwierigkeiten hinein, bring Ihn mit deinem Problem in Verbindung, und du wirst in jedem einzelnen Fall die Wahrheit finden. Ist Er nicht offenkundig und völlig zu Recht der Prüfstein der Wahrheit?
Während sich der Verstandesmensch auf der Suche nach der Wahrheit (die der schärfste menschliche Geist nicht fassen kann) im Labyrinth der Spekulation verliert, kann die Gnade dem einfachsten Gläubigen, der auf Ihn als sein ein und alles blickt, die Wahrheit in Christus darreichen. In Ihm finden wir die Lösung des Problems. Christus ist die objektive Wahrheit, der Heilige Geist ist die Wahrheit als Kraft für den Geist des Gläubigen. Jene selbstsüchtigen, eingebildeten „falschen Propheten“ mögen dem „Kindlein“ erzählen, dass es ohne sie nicht auskommen könne, dass nur sie den „Geist“ hätten, die „Kindlein“ nicht mehr als den „Buchstaben“ besäßen. Der Gläubige weiß, dass er Christus hat, den Sohn offenbart im Fleisch. Er weigert sich, das, was er „von Anfang an gehört hat“ und was jetzt in dem geschriebenen Wort Gottes zu finden ist, aufzugeben. Er gibt nicht vor, alles voll erfasst und verwirklicht zu haben. Doch er weiß, dass er Christus, die Wahrheit, besitzt und somit alles in Vollkommenheit in Ihm hat. Er verlässt sich auf die Salbung des Geistes und macht davon Gebrauch. Daher empfindet er, wie äußerst wichtig es ist, dass alles, was von Anfang an gehört worden ist, in ihm bleibt und dass auch er selbst in dem Sohn und in dem Vater bleiben muss. Wenn der so offenbarte Christus aufgegeben wird, dann ist es mit dem Christentum zu Ende. Und während der Feind unter dem Vorwand, höhere Wahrheiten zu bringen, die Wahrheit in Christus untergräbt, ruft der Geist Gottes Ihn ins Gedächtnis zurück, der die Wahrheit war und immer sein wird. Er lässt daher keinen Gedanken an eine Fortentwicklung der Wahrheit zu, die weiter nichts als eine Lüge Satans ist und nicht der Wahrheit entspricht. Sie verrät sich selbst als Lüge, indem sie das empfangene ewige Leben als seine gegenwärtige Gabe leugnet. Die Lüge kann als Ersatz nur „Ideen“ anbieten.
Die Gnade schenkt uns also ein sicheres Unterscheidungsmerkmal, damit wir erkennen können, ob der Geist Gottes die Wahrheit lehrt oder ob ein böser Geist seine großen Lügen unbemerkt verbreiten will. Der Heilige Geist verherrlicht den Herrn Jesus; der böse Geist dagegen rühmt die Welt, da er ein Werkzeug des Teufels ist, um die Menschen so weit wie möglich zu betrügen. Wenn er die Auserwählten nicht betrügen kann, dann beschuldigt er sie und lässt sie engherzig, beschränkt und frömmelnd erscheinen, weil sie sich nicht durch die schillernden Farben verleiten lassen, mit denen Satan seine bösen Irrtümer tarnt. Sie glauben Gott und seiner Aussage über seinen Sohn. Das ist etwas ganz anderes, als Glauben und Leichtgläubigkeit miteinander zu vermischen; Leichtgläubigkeit bedeutet nichts anderes, als menschlichen Behauptungen zu glauben. Mit Gott gibt es keine Beziehung als nur dadurch, dass man Gott glaubt, und zwar anhand seines Wortes. Seit dem Fortgang des Apostels handelt es sich um das geschriebene Wort. Der Heilige Geist hat dem Herrn als dem fleischgewordenen Sohn Gottes Zeugnis gegeben. Wir glauben daher an den Herrn Jesus Christus aufgrund des Wortes Gottes und erlangen dadurch ewiges Leben. Eine einzelne Ihn betreffende Tatsache anzuerkennen, so wahr und wichtig sie auch sein mag, heißt noch nicht, an Ihn zu glauben und Ihn sogar zu bekennen. Das Leben ist in seinem Sohn, und dieser kam im Fleisch; denn so war Er in Wahrheit der „Jesus“, das Wunder göttlicher Gnade, der Prüfstein der göttlichen Wahrheit. Ihn bekennen heißt, dass man die Wahrheit seiner Person – auf diese Weise im Fleisch gekommen – anerkennt. Der Unterschied ist nicht nur wesentlich, sondern lebenswichtig. Es geht nicht darum, nur die Tatsache seiner Geburt, sondern seine auf diese Weise geborene Person zu bekennen.
Viele meinen, es handle sich hier nur um die Tatsache seiner Fleischwerdung. Ganz gewiss wird auf seine Fleischwerdung der Nachdruck gelegt, denn sie ist eine Grundwahrheit des Christentums, voll reicher Gnade. Es gab schon damals einige, die sie leugneten und aus ihr eine Scheinwahrheit machen wollten. Kürzlich wurde ein kleines, sehr altes Büchlein entdeckt; es trug den Titel: „Evangelium des Petrus“. Dieses Buch ist nicht nur unecht, sondern enthält schädlichste Irrlehren und beweist damit, welch grober Irrtum bereits in den ersten Tagen verbreitet wurde. Es ist höchst bedauerlich, dass so etwas überhaupt jemals geschrieben wurde. Das Buch ist nicht nur völlig falsch in sich, es stellt auch einen gemeinen Betrug dar, denn weder Petrus noch irgendein anderer Gläubiger kann es je verfasst haben. Petrus war wegen seines Eifers bekannt und stand deswegen hoch in Gunst. Viele, die sich mit der Lehre des Apostels Paulus nicht völlig einsmachen konnten, waren über die Predigten des Petrus hoch erfreut. Der gewissenlose Fälscher machte sich dieses Ansehen des Apostels zunutze (wahrscheinlich erst nach dessen Tod), um für seine eigenen gnostischen Lügen Anklang zu finden. Diese Schrift behauptet, Christus sei nicht im Fleisch gekommen, um so am Kreuz zu sterben. Er habe lediglich Fleisch angenommen in der Art, wie jemand ein Haus betritt, um darin zu wohnen und es später wieder zu verlassen. Das Fleisch sei nie wirklicher Bestandteil seiner Person gewesen, und nachdem Er eine Zeit lang in dem Leib gelebt habe, habe Er bei dem Gang zum Kreuz den Körper verlassen und sei zum Himmel aufgefahren.
Das ähnelt der Lehre der Moslems, die sich vorstellen, dass Gott sich im entscheidenden Augenblick mit seiner Macht und vergeltenden Gerechtigkeit einschaltete, Judas Iskariot an die Stelle des Herrn Jesus setzte und den Herrn zu sich erhöhte. Kurz gesagt vertrat diese Klasse von Gnostikern, wie die Moslems, die Meinung, dass der Herr nie am Kreuz gestorben sei. Tatsächlich glauben die Moslems daran, dass der Herr wiederkommen wird, um die Welt zu richten, und dass Er dann die ganze Welt in einem Zustand des Abfalls antreffen werde. In der Christenheit gibt es überall unwissende Menschen, die verkehrte Dinge predigen; und sie erwarten, dass die Menschen auf der Erde ohne Christus in zunehmendem Maß einen Zustand der Vollkommenheit erreichen werden. Ist es nicht ein demütigender Gedanke, dass zahllose Menschen sowohl in den Staatskirchen als auch unter den Dissidenten (Freikirchen) in der Vorstellung leben, ein Königreich könne ohne den König aufgerichtet werden? Manche schauen zweifellos nach einer weiteren und größeren Ausgießung des Heiligen Geistes aus, die diesen Zustand herbeiführen soll. Aber der Heilige Geist wird auf diese Weise erst zur Verherrlichung der Regierung Christi auf dieser Erde ausgegossen werden. Die Moslems bekennen trotz ihrer Blindheit, dass sie in der zukünftigen Krise ihren Koran (ihr „heiliges Buch“) aufgegeben haben und die Juden das Alte Testament und die Christen das Neue Testament verworfen haben werden. Die Schrift zeigt uns, dass die Christenheit diesem Abfall mit großen Schritten entgegeneilt. Der stärkste Impuls hierzu sind die Theorien der Skeptiker, die die göttliche Inspiration der Schriften leugnen, und das ist bereits heute in der Christenheit weit verbreitet.
In unseren Versen haben wir das Erkennungsmerkmal, den Prüfstein für die Wahrheit: „Jeder Geist, der Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt, ist aus Gott“. Das ist die klare und richtige Wiedergabe der Worte des Apostels. Der wahre Geist bekennt die Person Christi. Es ist von größter Bedeutung, das zu verstehen, weil man bei zu starker Betonung des „Kommens im Fleisch“ leicht übersehen kann, wer so gekommen ist. Zweifellos ist sein Kommen im Fleisch äußerst wichtig, doch weit bedeutungsvoller ist Er selbst, der so kam. Wer war es, der so im Fleisch kam? Verständige Menschen würden nicht behaupten, dass du oder ich im Fleisch gekommen sind. Denken wir an die mächtigsten Monarchen, die Gründer der Weltreiche, an Nebukadnezar, Cyrus oder Kores, Alexander, Cäsar; oder denken wir an berühmte Namen in der Literatur, der Philosophie, der Rhetorik, der Wissenschaft und so weiter. Keiner könnte berechtigterweise von seinem „Kommen im Fleisch“ reden. Der Grund ist der, dass wir überhaupt nicht existierten, wenn wir nicht im Fleisch geboren wären. Das Wunder, die Wahrheit, die unendliche Gnade bestehen darin, dass Er im Fleisch kam. Er war eine göttliche Person, der Sohn Gottes, der Schöpfer. Dass Er im Fleisch kam, ist in moralischer Hinsicht eine herrliche Tatsache sowohl für Gott als auch für den Menschen. Mit dieser Tatsache kann nichts in der vergangenen Ewigkeit – ausgenommen sein Sterben am Kreuz – und auch nichts in der künftigen Ewigkeit verglichen werden.
Offensichtlich liegt die große Bedeutung nicht nur in dem, was Er wurde, sondern darin, wer es ist, der auf diese Weise kam. Er hätte sicherlich auch auf andere Weise kommen können. Er hätte in seiner eigenen Herrlichkeit oder in der Herrlichkeit der Engel kommen können (in einer solchen Gestalt verborgen, war Er ja öfter für kurze Zeit erschienen). Es gefiel Ihm aber, im Fleisch zu kommen, um den Vater zu verherrlichen, um für die Rechte Gottes einzutreten, um die Gläubigen zu segnen, um die, die Ihn verunehren, zu richten, um die Schöpfung wiederherzustellen und um den Teufel und seine Werke zu vernichten. Alles hängt mit seinem ewigen Sein und seiner göttlichen Herrlichkeit zusammen. Das ist die Lehre, die Johannes in dem ganzen Brief sowie in seinem Evangelium und in prophetischer Sicht in der Offenbarung bringt. An dieser Stelle ist sie in dem Merkmal enthalten, durch das der Geist Gottes vom Geist des Irrtums unterschieden werden kann.
Kein böser Geist wird Ihn jemals bekennen. Die bösen Geister denken an den Herrn Jesus nur mit Furcht und Schrecken. Diese Furcht ist nur zu verständlich, denn sie haben nie bezweifelt, dass Er eine göttliche Person ist und dass Er dazu ausersehen ist, nicht nur die Welt zu richten, sondern auch insbesondere sie selbst, die ständig aktiven, listigen Anstifter zur Feindschaft gegen Gott und die Urheber endlosen Unheils für die Menschen. Daher kam bei ihnen auch, sobald sie sich in der Gegenwart des Herrn befanden, das größte Entsetzen zum Ausdruck. Der Jakobusbrief sagt uns: „auch die Dämonen glauben und zittern“ (Jak 2,19). Leider tut das der Mensch nicht; weder glaubt er noch zittert er. Doch der Tag kommt, an dem er vor Gottes Richterstuhl zittern wird.
Wir haben also in der herrlichen Person dessen, der im Fleisch kam, das erste Erkennungszeichen. Die Wahrheit von dem Herrn Jesus Christus durchzieht den ganzen Brief vom ersten bis zum letzten Kapitel. An dieser Stelle wird sie in wenigen, klaren Worten vorgestellt als der Prüfstein für den Geist der Wahrheit, der herniederkam, um Christus zu verherrlichen.
Darauf folgt das Gegenstück: „und jeder Geist, der nicht den Jesus bekennt“, so lautet die kürzere und, wie ich glaube, richtige Lesart, der auch die besten Textkritiker zustimmen. Akzeptiert man diesen Text, so findet man darin die Bestätigung für den richtigen Sinn des vorangegangenen Versabschnittes. Er macht vollkommen deutlich, dass es sich um das Bekenntnis einer Person, nicht aber einer bloßen Tatsache handelt. Denn wenn es um das Erkennen eines bösen Geistes geht, so erwähnt das Wort nichts über das Kommen Christi im Fleisch, obwohl diese Tatsache natürlich angedeutet ist. Es lautet einfach „Jesus“, und zwar mit dem Artikel „den“ davor, also „den Jesus“, über den bereits soeben gesprochen wurde. „Jeder Geist, der nicht den Jesus bekennt, ist nicht aus Gott“. Er ist genügend, jeden bösen Geist zu entlarven. Hier geht es nicht nur darum, dass Er herniederkam, dass Er wahrer Mensch wurde und dass Er wiederkommen wird. Auch die Moslems glauben das alles und sind doch das, womit sie andere Menschen bezeichnen – Ungläubige, denn sie glauben nicht an die Herrlichkeit seiner Person. Ihr Unglaube veranlasst sie, die Christen zu hassen und sich in gewissem Sinn mit den Juden in ihrem Hass gegen die Christen zu vereinigen. Sie betrachten Ihn nur als einen Propheten, einen wunderbaren Menschen, der alle anderen Menschensöhne überragt und der auch dazu verordnet ist, der Richter der Welt zu sein, wenn Er wiederkommen wird, um sieben Jahre lang hier zu herrschen! Aber an seine göttliche Natur glauben sie ebenso wenig wie daran, dass Er seine göttliche Herrlichkeit verbarg, um die Gnade Gottes zu offenbaren.
Wenn der durch die Textkritik bestätigte Wortlaut der richtige ist, so verändert er im Endergebnis nicht den verneinenden Teil in seinem Bezug zu dem bejahenden Teil dieses Verses. Er bestätigt aber in überzeugendster Weise, dass sich das von dem Geist Gottes geforderte Bekenntnis nicht nur auf eine Tatsache, sondern auf die Person unseres Herrn bezieht. Denn im negativen Fall wird lediglich die Person genannt, obwohl die vollständigere Aussage angedeutet ist. Es ist vielleicht von Interesse zu erfahren, dass es nicht an Manuskripten mangelt, die von der richtigen Lesart in Vers 2 abweichen und lediglich eine Tatsache zum Ausdruck bringen. Die lateinische Vulgata sowie einige der ersten Kirchenväter haben diesen Irrtum in ihre griechischen und lateinischen Texte übernommen. Abgesehen davon ist kein Textherausgeber von irgendwelcher Autorität ihrem Fehler gefolgt.
Damit ist das erste Erkennungszeichen des Geistes Gottes umrissen. Es besteht in dem Bekenntnis der Wahrheit: Jesus Christus im Fleisch gekommen. Jeder Geist, der Ihn bekennt ist aus Gott; jeder Geist, der Ihn nicht bekennt, ist nicht aus Gott. „Und dies ist der Geist [oder das Prinzip] des Antichrists, von dem ihr gehört habt, dass er komme, und jetzt ist er schon in der Welt“ (V. 3b). Nicht nur Menschen, sondern böse Geister waren am Werk. Der Apostel sagt es ihnen in wahrer Liebe, aber mit aller Entschiedenheit.
Wenn sich eine Person der Gottheit aus Liebe zu den Menschen soweit herabließ, von einer Frau geboren zu werden, wie konnte es dann diesbezüglich noch zweifelnde Fragen geben? Ihn nicht zu bekennen, heißt gegen Gott streiten.
Mit dem ersten Kennzeichen eng verbunden ist der zweite Prüfstein der Wahrheit, die dem Gläubigen mitgeteilt wurde. Ohne Frage ist Christus selbst die Wahrheit (vgl. Joh 14,6), das fleischgewordene Wort, das unter uns „zeltete“ (Joh 1,14). Gott hat aber eine weitere Offenbarung gegeben, deren Mittelpunkt Er ist, und das ist sein Wort und die Wahrheit. Das wird hier zur Sprache gebracht. Es ist das Wort des Vaters, das uns die Kenntnis über den Vater und den Sohn durch den Heiligen Geist vermittelt. Fragst du, wo wir das finden? In dem Buch, das man allgemein das Neue Testament nennt, die Zusammenfassung der Lehre seiner heiligen Apostel und Propheten. Bereits damals behaupteten falsche Propheten, die höhere göttliche Erleuchtung zu besitzen. Sie gaben nicht zu, dass die „Lehre der Apostel“ das Wort Gottes war. Diese sei für den Anfang gut genug, doch nur sie hätten die volle Wahrheit. Sie waren ähnlich wie die Quäker eingestellt, die so gern Zeugnis ablegen, doch nur ihre eigenen Worte und Gedanken vorbringen. Auch fehlt es nicht an solchen, die mehr Wert auf Träume legen, um Christus zu erkennen, oder auf ihre christlichen Pflichten, als auf das geschriebene Wort Gottes.
Jetzt gibt es außerdem das rationalistische Lehrsystem der modernen Theologie. Es leugnet, dass die Heilige Schrift Gottes Wort ist, obwohl manche einräumen, dass Worte Gottes in ihr enthalten sein mögen. Alle aber leugnen, dass die Heilige Schrift als Ganzes das Wort Gottes ist. Dieser Unglaube stellt alles, was die Schrift uns sagt, in Frage. Denn wer kann dann noch entscheiden, was sein Wort ist und was nicht, wenn wir nur auf ungewisse Aussagen angewiesen sind? Das jedoch gefällt gerade dem Skeptiker, denn er fürchtet sich vor der Autorität der Heiligen Schrift und vor dem Gericht, das sie allen denen ankündigt, die sich nicht vor Gott beugen wollen. Ist sie aber das Wort Gottes, wie sehr beleidigt man dann Gott und besonders den Heiligen Geist dessen Lästerung, wie der Herr sagte, keine Vergebung findet.
Die Empfänger des Briefes empfanden zweifellos den Ernst dessen, was Johannes bereits mitgeteilt hatte. Er fügt daher sogleich ein weiteres gleichartiges Kriterium hinzu. Es ist das neu gegebene Wort Gottes, seine letzte Mitteilung, die sich auf den Herrn Jesus und sein vollbrachtes und von Gott angenommenes Erlösungswerk gründet: „Ihr seid aus Gott, geliebte Kinder.“ Man sollte den griechischen Ausdruck teknia durch „liebe“ oder „geliebte Kinder“ wiedergeben. Wir alle werden als „Kinder Gottes“ bezeichnet, und das sind wir auch bereits jetzt. Es wäre falsch, in diesem Zusammenhang von „Söhnen Gottes“ zu reden, obgleich wir auch seine Söhne sind. Hier wird ausdrücklich von „Kindern Gottes“ gesprochen, nicht von einer empfangenen Sohnschaft. Wir sind aus Gott geboren und somit seine Kinder. Teknia ist die Verkleinerungsform von tekna und mit dem Wort „Kinder“ eng verbunden. Es ist ein Ausdruck der Zuneigung, und das ist der Grund für seine Anwendung an dieser Stelle. Man denke an einen Vater, dem es nicht genügt, sein kleines Töchterchen „meine Liebe“ zu nennen; er sagt dann etwa „mein Liebchen“ oder „mein Liebling“ zu ihm. So ist auch teknia ein Ausdruck der Zärtlichkeit (der von Johannes bei der Anrede stets benutzt wird: Kap. 2,1.12.28; 3,7.18; 4,4; 5,21), und das macht seine Bedeutung hier anschaulich. Daher scheint mir die Bezeichnung „geliebte Kinder“ die beste Wiedergabe zu sein, um einerseits von dem Wort „Kinder“ (tekna: Kap. 3,1.2.10; 5,2) und andererseits von den „Kindlein“ (paidia: Kap. 2,13.18, dort die Bezeichnung der dritten Gruppe innerhalb der Familie Gottes) unterscheiden zu können. „Ihr seid aus Gott, geliebte Kinder“, so redet er die ganze Familie an. Beachten wir das betonte Ihr. Die falschen Propheten behaupteten, die zuverlässigen Führer zu sein. Nein, sagt Johannes, sie sind die Feinde Christi, Abgesandte Satans. Ihr seid Gottes Kinder im Gegensatz zu jenen anmaßenden und irreleitenden Führern, die die „lieben Kinder“ verachten. Gott ist für euch in Christus die Quelle jeder Segnung, des ewigen Lebens, der Vergebung, der Beziehungen zu Ihm als dem Vater und der Gabe seines in euch wohnenden Geistes. „Ihr seid aus Gott, geliebte Kinder, und habt sie überwunden“, das heißt die falschen Propheten. Doch nicht etwa, weil ihr euch wegen eurer Weisheit, Macht oder Heiligkeit rühmen könntet, sondern „weil der, der in euch ist, größer ist als der, der in der Welt ist“. Die Kraftquelle des Gläubigen ist der in ihm wohnende Geist Gottes. Gott selbst bleibt in ihm, und zwar durch seinen innewohnenden Heiligen Geist. Daher kann Johannes sagen: „Weil der, der in euch ist, größer ist als der, der in der Welt ist“. Oder wie er in Kapitel 5,19 sagt: „Die ganze Welt liegt in dem Bösen“. Hier ist offensichtlich der Teufel gemeint, der durch seine bösen Geister tätig ist. So wirkt der auf Ihr liegende Nachdruck außerordentlich ermunternd und stärkend.
Wie musste es sie erfreuen zu hören, dass sie in Wahrheit „aus Gott“ waren, und zwar in dem Sinn, dass Er die Quelle all ihrer Segnungen war. Dazu kommt, dass Er, der Geber dieser Segnungen, sich nicht verändert. Die Gnadengaben Gottes sind für Ihn unbereubar. Wenn es sich nicht um eine Gabe oder Berufung Gottes handelte, so könnte Er vielleicht bereuen. So reute es Ihn im Blick auf die verderbte Schöpfung (1Mo 6,1), und Er vernichtete sie. Die Schöpfung stellte keine Gabe, sondern eine Handlung Gottes dar, wie gewaltig der Schöpfungsakt auch war. Wenn Er aber in göttlicher Liebe arme, schuldige Menschen zu sich ruft, um sie zu seinem Eigentum zu machen, wenn Er die Gabe des ewigen Lebens schenkt, Sündenvergebung oder die Kindesstellung verleiht, dann sind solche Gunsterweisungen die Gnadengaben und die Berufung Gottes und als solche unbereubar. Er wird niemals in dieser Hinsicht seinen Sinn ändern. Die Kinder mögen noch so oft töricht und verkehrt handeln. – Er ändert sich nie.
Was der Apostel hier mitteilt, hat zweifellos große Bedeutung. Sie hatten nicht nur alle diese Segnungen von Gott empfangen, sie waren auch selbst aus Gott: „Ihr [betont] seid aus Gott.“
Sie waren aus Gott geboren, wurden als solche von Ihm geliebt und ruhten in dieser neuen Stellung. Und wenn sie jene „überwunden“ hatten, die Werkzeuge satanischer Betrügerei, dann war es, „weil der, der in euch ist, größer ist als der, der in der Welt ist“, wenn letzterer auch ihr Fürst und Gott ist. Die falschen Propheten setzten ihr Werk geistlicher Bosheit unentwegt fort, aber „ihr habt sie überwunden“. Die Gläubigen wurden durch sie nicht angelockt, sondern blieben ihnen fern. Sie hörten auf die Stimme des guten Hirten und folgten Ihm. Sie wussten, dass nur Er Leben, Freiheit und Nahrung geben kann (Joh 10,9). Er war aus eigenem Antrieb und auf Wunsch des Vaters gekommen, um diesen Auftrag der Liebe Gottes sowie seiner eigenen Liebe zu ihnen auszuführen. Nur der Sohn Gottes konnte solche Worte aussprechen; nur Er hatte sein Leben als Sühnopfer für sie niedergelegt. Sie glaubten an Ihn, der seine eigenen Schafe mit Namen ruft, und sie folgen Ihm, weil sie seine Stimme kennen; die Stimme der Fremden kennen sie nicht, sondern sie fliehen vor ihnen und folgen ihnen nicht. Und nun, da sie auf dem Erlösungswerk Christi ruhten, war Gott selbst durch seinen Geist in ihnen und blieb in ihnen.
Dann beschreibt der Apostel die falschen Propheten mit den schärfsten Ausdrücken und setzt einen weiteren erschreckenden Akzent im Hinblick auf sie: „Sie sind aus der Welt“ (V. 5). Die Quelle aller ihrer Lehren, ihres Wandels und ihrer Zielsetzung war nicht Gott, sondern die Welt, die Feindschaft gegen Ihn bedeutet. Somit geschah ihre Wirksamkeit auf Betreiben Satans, der hinter allen Lügen steht, die angeblich die Wahrheit sind. „Deswegen reden sie aus der Welt“. Die Welt, die Gott in Christus hinaustat und kreuzigte, war der Ursprung alles dessen, was sie lehrten. Der Sinn ist nicht, dass sie „über“ die Welt sprachen; die Welt war die Quelle, nicht der Gegenstand ihrer Lehren. „Und die Welt hört sie“. Die Welt liebt das Ihre. Da sie keine Kenntnis über Gott noch über die Sünde hat, die sein Eingreifen in der Person des Herrn Jesus nötig machte, um ewiges Leben und ewige Erlösung zu bringen, gibt sie sich mit den großsprecherischen Spekulationen blinder Menschen zufrieden, die Gott ausschalten und den Menschen in seinem sündigen Zustand erheben. Sie haben die Stimme des Sohnes Gottes niemals wirklich gehört. Sie sind geistlich tot und stützen sich auf tote Lehren.
Dann setzt Johannes einen weiteren Schwerpunkt: „Wir sind aus Gott“ (V. 6). Es ist eine andere Aussage und unterscheidet sich von „Ihr seid aus Gott“. Unter der Anrede ihr ist die Gesamtheit der wahren Gläubigen gemeint. Abgesehen von dem gemeinsamen Teil, das wir mit euch zusammen besitzen, benutzt Gott als Quelle der göttlichen Macht, uns als Sprachrohr seines Wortes, so dass ihr in Wahrheit Ihn hört, wenn ihr auf uns hört. Wir – das sind die Apostel und Propheten, die Christus zum Segen für seine Heiligen gegeben hat. Sie waren von Gott inspiriert und lehrten daher die Wahrheit, wie sie in dem Jesus ist (Eph 4,21). Das Neue Testament enthält diese göttlichen Mitteilungen in einer schriftlich festgehaltenen Form. Die inspirierten Männer schrieben das nieder, was sie lehrten; und wie sie niederschrieben, so brachten sie es auch mündlich zum Ausdruck. Da das Neue Testament aus einer Anzahl von Schriften besteht, die nach und nach aneinandergefügt wurden und damals noch nicht wie heute in einem einzigen Band zusammengefasst waren, mögen sich für manche Schwierigkeiten ergeben haben.
Die Autorität des Herrn war hinsichtlich des Alten Testaments für alle Gläubigen das Ende allen Widerspruchs. In der ersten Zeit der Versammlung mag vielleicht Befremden darüber geäußert worden sein, dass die neuen Worte so anders waren als die des Alten Testaments, dass sie an manchen Stellen so einfach klangen, an anderen wieder so tiefgründig. So mögen manche Schwierigkeiten gehabt haben, all die kleinen Bücher, die damals im Umlauf waren, die Evangelien und Briefe, als tatsächlich von Gott inspiriert anzusehen. Der Apostel spricht an dieser Stelle von diesen „neuen Worten“ Gottes, welche Bestandteil des sogenannten Neuen Testaments sind. Das ist ein weiteres Kriterium. Was die Apostel und Propheten durch den Heiligen Geist von dem Vater und dem Sohn bezeugten, ergab zu gegebener Zeit diesen neuen Beitrag zu dem inspirierten Wort. Der Apostel bezeichnet dieses Zeugnis als die Wahrheit im gleichen Maß, wie Christus selbst die Wahrheit ist. Christus ist die Wahrheit in Person. Das Neue Testament, das das mündliche Zeugnis dieser auserwählten Zeugen wiedergibt, stellt die Wahrheit in geschriebener Form dar. Von diesen Zeugen sagt Johannes daher: „Wir sind aus Gott“. Wir haben euch durch den Heiligen Geist die Wahrheit des Christus von Anfang bis Ende vorgelegt. Wir sind „aus Gott“ in diesem Werk und aufgrund dieses Werkes: „Wer Gott erkennt, hört uns“.
Es wäre wohl ein verhängnisvoller Irrtum, dasselbe auf jeden Gläubigen anzuwenden, der das Evangelium, sei es noch so rein, predigt, oder auf jeden Lehrer der Wahrheit, ganz gleich, wie gut er auch unterwiesen ist. Welcher Evangelist oder Lehrer könnte ein solches Zeugnis für sich beanspruchen? Möge doch niemand die Gaben, die der Herr in unserer Zeit noch gibt, auf die Ebene des inspirierten Wortes erheben wollen! Ich habe auch nie einen wahren Diener des Herrn gekannt, der so etwas von sich behauptet hätte, was nur auf die inspirierten Männer zutrifft. Bedenken wir ernstlich, was der Apostel sagt: „Wer Gott erkennt, hört uns“.
Könnte das irgendein Diener des Herrn im absoluten Sinn auf sich anwenden? Nicht nur die Trennungen in der Christenheit machen das heute unmöglich; diese Feststellung ging auch in Wahrheit niemals über die Aussprüche der Apostel und Propheten hinaus. Johannes spricht nur von denen, die in jener Zeit, als die Grundlagen des Christentums gelegt wurden, mit ihm selbst die gleiche Stellung einnahmen. Es war richtig und notwendig, dass die Gläubigen von Anfang an die göttliche Autorität erkennen würden, die Gott ausdrücklich der Lehre der Apostel verliehen hat. Diese ist jedoch auf die inspirierten Schreiber des Neuen Testaments beschränkt, ebenso wie seinerzeit auf die des Alten Testaments. Heute wie damals kann jeder, der das Evangelium verkündigt oder die Wahrheit lehrt, der gnädigen Leitung des Heiligen Geistes gewiss sein. Die Inspiration aber trägt den besonderen Charakter, dass alle mitgeteilten Grundsätze des Glaubens völlig frei von jeglichem Irrtum sind.
Beachten wir ferner: Obwohl die inspirierten Schreiber nicht mehr da sind, hat Gott dafür Sorge getragen, dass wir in den Besitz ihrer vom Geist gelehrten Worte kamen. Wir besitzen nicht nur ihr allgemeines Zeugnis, sondern die genauen Worte, die der Geist ihnen auszusprechen eingab. Was sie, durch Gottes Kraft, in jener Zeit darstellten, sollte uns erhalten bleiben, zum Nutzen für die Gläubigen, solange es noch solche auf der Erde geben wird. So haben wir zum Beispiel diesen Brief des Johannes in der gleichen Weise in Händen, wie damals die Empfänger, an die er ursprünglich gerichtet war, dazu besitzen wir denselben Geist wie sie, der in uns bleibt in Ewigkeit (Joh 14,16). Damals, am Anfang des christlichen Zeugnisses, musste die Grundlage durch Männer gelegt werden, die von Gott inspiriert wurden. Heute haben wir keine derartige Klasse von Dienern Gottes mehr auf der Erde. Doch wir besitzen das durch inspirierte Schreiber vollendete Werk, die niedergeschriebenen Grundsätze des Christentums und der Versammlung.
Johannes spricht einfach von dem, was die Apostel aussprachen und niederschrieben und die Gläubigen aufnahmen. Das Wort lag zu jener Zeit schon zum größten Teil in geschriebener Form vor, einiges musste noch von Johannes selbst hinzugefügt werden. Er konnte aber ohne Bedenken sagen: „Wer Gott erkennt [d. h. jeder Gläubige], hört uns“. Er verwarf die falschen Propheten, da sie aus dem Satan und nicht aus Gott waren. Er „hört uns“, das heißt er hört die Männer, die Gott ausdrücklich berufen hatte, die Wahrheit zu bezeugen, die jetzt im Neuen Testament enthalten ist.
Die Worte des Apostels sind wichtig und von höchstem Interesse. Menschen haben zu behaupten gewagt, dass das Neue Testament nichts enthalte, was die Autorität Gottes für sich in Anspruch nehmen könne. Ihre Unwissenheit hat sie blind gemacht für das, was Gott gerade in diesem Brief sagt. Dieses Zeugnis über die Wahrheit ist übrigens nicht das einzige im Neuen Testament, es gibt noch andere. Die erste Schriftstelle, die wir heranziehen wollen, finden wir in 1. Korinther 2. Bereits zu jener frühen Zeit des Christentums waren dämonische Mächte am Werk, weshalb der Apostel Paulus sich bemühte, in Kapitel 12 seines Briefes die Korinther vor jedem Geist zu warnen, der Jesus nicht als Herrn bekannte. Aber in Kapitel 2,13, schreibt er über das, was Gott uns gegeben hat. Es sind die Dinge, die von alters her selbst den Propheten des Alten Bundes verborgen waren, jetzt aber durch seinen Geist „offenbart“ worden sind. Jetzt war die Zeit da – denn der Sohn Gottes war erschienen, uns durch den Geist sogar die „Tiefen Gottes“ zu enthüllen.
Paulus kommt dann auf ihre Inspiration beziehungsweise ihre Mitteilung an die Gläubigen zu sprechen: „die wir auch verkündigen [wörtlich: reden], nicht in Worten gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist“ (1Kor 2,13). Der Geist gab somit nicht nur die Gedanken ein. Durch diese Vorstellung haben viele die wörtliche Inspiration zu untergraben versucht. Sie unterstellen, dass wohl die Gedanken vom Geist Gottes eingegeben wurden, es dann aber den Menschen überlassen wurde, sie nach bestem Vermögen in Worte zu kleiden. Kein Wunder, wenn manche durch diese Annahme Irrtümern zum Opfer gefallen sind. Doch gerade diese Behauptung ist ganz und gar falsch. Paulus sagt an dieser Stelle, dass sie die offenbarten Dinge in den Worten verkündeten oder redeten, die durch den Geist gelehrt worden waren. Keineswegs blieb die Formulierung der Worte der menschlichen Unzulänglichkeit überlassen. Kurz gesagt, der Geist, der die Wahrheit offenbarte, wachte auch ebenso sorgfältig über die Worte, in die sie gekleidet wurden. Er sorgte dafür, dass die geistlichen Dinge durch geistliche Mittel mitgeteilt wurden. Die Mittel zur Weitergabe, die Worte, waren vom Heiligen Geist gelehrt und blieben nicht dem schwachen Menschen überlassen. So wird uns an dieser Stelle ausdrücklich bezeugt, dass auch die Worte inspiriert waren, nicht nur die Gedanken.
Nehmen wir ein weiteres Zeugnis im gleichen Sinn aus dem letzten Brief, den der Apostel Paulus geschrieben hat, nämlich aus seinem zweiten Brief an Timotheus. Dort zeigt er, dass in den gefahrvollen Zeiten der letzten Tage die wirksame Sicherheit nicht in ungewissen Traditionen unbekannter Herkunft liegt, sondern im Verharren in der Wahrheit, die wir mit völliger Überzeugung angenommen haben und deren Quelle wir kennen. Sie ist für uns heute das geschriebene Wort. Wir müssen die, die zu uns reden, betrachten, wie sie sich betragen, wie ihr Wandel, wie ihr ganzes Leben beschaffen ist. Paulus sagt daher: „Du aber hast genau erkannt meine Lehre, mein Betragen, meinen Vorsatz, meinen Glauben, meine Langmut, meine Liebe, mein Ausharren, meine Verfolgungen [nicht: meine Popularität], meine Leiden: was für Leiden mir widerfahren sind in Antiochien, in Ikonium, in Lystra; was für Verfolgung ich ertrug, und aus allen hat der Herr mich gerettet. Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden“ (2Tim 3,10-12). Das sind die Hauptmerkmale des wahren Christen, sowohl heute wie zu allen Zeiten. „Böse Menschen aber und Gaukler werden im Bösen fortschreiten, indem sie verführen und verführt werden. Du aber [wendet er sich dann an Timotheus] bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist, da du weißt, von wem du gelernt hast“ (2Tim 3,13.14). Der Punkt von entscheidender Bedeutung ist der Charakter dieser Männer; sie müssen von der Wahrheit durchdrungen sein. Was ein Mensch auch sagen mag, wie begabt, gewandt und mit feinen Empfindungen er auch reden mag – alles Reden ist wertlos, wenn er nicht die Wahrheit vor den Gewissen der Auserwählten Gottes auslebt. „Und weil du von Kind auf die Heiligen Schriften kennst“ – so bezeichnet Paulus in Vers 15 das Alte Testament –, „die imstande sind, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist.“ In Vers 16 kommt er dann auf „alle Schrift“ zu sprechen: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben“ beziehungsweise eingehaucht. Damit ist ohne Zweifel auch das Neue Testament gemeint; darum auch absichtlich der Ausdruck „alle“ Schrift, denn ein Teil des Neuen Testaments, zumindest die Schriften des Johannes, waren damals noch nicht geschrieben. Hätte er „alle Schriften“ gesagt, dann wäre darunter alles zu verstehen, was bereits geschrieben war. Aber mit dem Ausdruck „alle Schrift“ blieb die Tür für alles, was noch inspiriert werden sollte, offen. „Alle Schrift“ ist daher die richtige Lesart, wenn dem Kanon des Neuen Testamentes noch etwas hinzugefügt werden sollte.
Es geht auch nicht nur darum, dass die Schreiber inspiriert wurden. Der Apostel bezeugt hier, dass jede Aussage, die den Charakter der Heiligen Schrift trug, inspiriert war. Auch hier kommt wieder klar zum Ausdruck, dass nicht nur die Gedanken, sondern die niedergeschriebenen Worte inspiriert waren. Unter der Heiligen Schrift müssen wir ihre Worte verstehen. Die Worte wurden ebenso inspiriert wie die Wahrheit, die sie ausdrückten. Wäre es nicht so, dann wären die Schriften nicht vollkommen. Kümmern wir uns nicht um die, die zu Kompromissen zwischen Inspiration und Irrtümern und Widersprüchen bereit sind. Wir, die wir an die göttliche Inspiration glauben, die solche Fehler ausschließt, werden aufgefordert, menschliche Meinungen über Bord zu werfen und uns an die Tatsachen zu halten. Wir verneinen aber ganz entschieden, dass solche Einwände begründet seien, obwohl wir die Schwierigkeiten keineswegs verkennen, die vielfach durch die Abschreiber verursacht worden sind und daher mit Inspiration nichts zu tun haben.
Von allen derartigen Theorien ist sicher keine so ungereimt und unehrerbietig wie die Ansicht, dass ein so wichtiger Teil des Neuen Testaments wie die Evangelien und die Apostelgeschichte aus einer Mischung zwischen göttlicher Inspiration und Irrtümern oder Widersprüchen bestehe. Wie könnte ein so buntes Gemisch die Autorität Gottes in sich tragen oder das Recht für sich in Anspruch nehmen, Wort Gottes genannt zu werden? Die scheinbaren Widersprüche entspringen, wie nachgewiesen werden kann, in Wirklichkeit den unterschiedlichen Absichten, die Gott bei jedem seiner Werkzeuge verfolgte. Er hat jedes einzelne durch die Gnade für seine Aufgaben entsprechend ausgestattet. Alle zusammen stellen ein umso reichhaltigeres gemeinsames Zeugnis zur Verherrlichung des Herrn Jesus dar, das über die Gedanken der einzelnen Schreiber selbst hinausgeht, aber in dieser Form dem Gebrauch der Christen nun zur Verfügung steht. Einerseits aber zuzugeben, dass Gott die verschiedenen Schreiber nach seinem Willen inspirierte, um Christus in der Kraft des Heiligen Geistes zu verherrlichen, und andererseits zu argumentieren, dass es den Schreibern möglich war, sich öfters zu irren (u. a. grobe und fahrlässige Irrtümer niederzuschreiben), ist von allen Theorien wohl die unbefriedigendste und auch in logischer Hinsicht am wenigsten haltbare, ganz abgesehen davon, dass sie des Heiligen Geistes und dessen, der die Wahrheit ist, ganz und gar unwürdig ist.
Diese Theorie der Halbheit kann sich, wie alle Kompromisse in göttlichen Dingen, niemandem empfehlen als nur ihren eigenen Erfindern und sehr wahrscheinlich nicht einmal diesen. Wir alle wissen, dass der Herr die Kraft des Heiligen Geistes verhieß, der die Apostel über alles belehren und sie an alles erinnern würde, was Er ihnen gesagt hatte. Doch diese armselige Hypothese besagt nichts anderes, als dass der Geist die Apostel nur insoweit an die Worte des Herrn erinnern konnte, dass sie vielen angeblichen Fehlern ausgesetzt waren. Ohne von sich behaupten zu wollen, dass er alle Schwierigkeiten aufklären könnte, hat der Gläubige doch die Gewissheit, dass der Heilige Geist das auch ausgeführt hat, was der Herr seinerzeit verhieß, und dass jede Schrift nicht nur ihrer Schreiber, sondern auch Gottes, des wahren Verfassers, würdig ist.
Wenn es also so ist, dass „wer Gott erkennt, hört“, dann wird jeder Gläubige das Neue Testament als von Gott gegeben anerkennen. Wer das nicht tut, ist kein wahrer Gläubiger, sondern ein Skeptiker. Denn das Hören der Apostel und Propheten in den Schriften des Neuen Testaments kann nicht von der Kenntnis Gottes getrennt werden. Dieser zweite Prüfstein der Wahrheit geht weiter als die Frage, ob jemand ein Christ ist. Christus zu bekennen und die volle Inspiration des Wortes zu verwerfen, lässt die Wirksamkeit böser Geister erkennen. Der Unglaube beginnt meistens bei dem Alten Testament, doch greift er dann auch ganz gewiss das Neue Testament an und verwirft es.
Ein in der Welt hoch angesehener Herr in sehr bedeutender Stellung, der sich in der Sonntagschularbeit betätigte und als aufrichtiger Christ galt, enthüllte mir erstaunlicherweise eines Tages bei einer Unterhaltung plötzlich, dass er wohl völlig an das Alte Testament, aber nicht an das Neue Testament glaube. Dieses Geständnis musste einen Gläubigen natürlich tief verletzen. Es erschien mir als eine weitaus größere Sünde gegen Gott, als wenn er einen Menschen mit dem Revolver getötet hätte. Ist es nicht schrecklich, einen derartigen Unglauben bei einem Menschen zu finden, der als christlicher Lehrer anerkannt war? „Hieraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums.“ Wir sollten die Tragweite des hier mit aller Entschiedenheit vorgebrachten Grundsatzes gut beachten: „Wer Gott erkennt, hört uns; wer nicht aus Gott ist, hört uns nicht“. Das ist eine Ermunterung für den Gläubigen, der seine reichlichste geistliche Nahrung nicht im Alten Testament findet, obwohl dieses ebenso wirklich inspiriert ist, sondern im Neuen Testament, in dem Christus nicht mehr verhüllt oder fern von uns ist. Hier wird Er in all der Fülle seiner Herrlichkeit und Gnade vorgestellt, in göttlicher Majestät und zugleich in der Sanftmut und Demut des demütigsten Menschen, der je über diese Erde schritt. Durch die Propheten, seine Knechte, hören wir Gott reden; aber als Vater redet Er im Sohn zu uns – als sein Vater und unser Vater, als sein Gott und unser Gott. Dadurch wird sowohl der religiöse Mensch als auch der Weltmensch verurteilt; Gott wird an seinen Platz gerückt und ich an den meinigen. Der fromme Aberglaube ebenso wie der weltliche Unglaube werden vollständig verurteilt, aber auch jede der vielen Schattierungen des Unglaubens, der nicht auf die Stimme Gottes in den Worten der inspirierten Schreiber, hier insbesondere der Apostel und Propheten Christi, hören will.
Wir sollten übrigens beachten, was der Apostel Paulus für sich in nicht geringerem Maß als der Apostel Johannes für alle in Anspruch nimmt: „Wenn jemand meint, ein Prophet zu sein oder geistlich, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist. Wenn aber jemand unwissend ist, so sei er unwissend“ (1Kor 14,37.38). Welch eine Rüge für alle Christen, die sich, wie die Korinther, in großspuriger Weise auf solch schlüpfrigen Boden begeben, ohne es zu merken! „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Überlegungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Heb 4,12.13). Bedürfen wir der Kirche, damit sie uns erklärt, dass das Schwert des Geistes das Wort Gottes ist, wenn dieses uns durchbohrt wie sonst nichts anderes? So sagte unser Herr in seiner letzten Rede zu den ungläubigen Juden: „und wenn jemand meine Worte hört und nicht bewahrt, so richte ich ihn nicht, denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu erretten. Wer mich verwirft und meine Worte nicht annimmt, hat den, der ihn richtet: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am letzten Tag“ (Joh 12,12.13).
Und hier in 1. Johannes 4,6 hat der Heilige Geist den Apostel dahingehend inspiriert, das in Bezug auf das Wort davon zeugen, das von den Aposteln und Propheten ausging. Benötigen wir die Kirche, um zu erkennen, dass Er die Wahrheit Gottes aussprach, dem Gläubigen zum Segen, aber zum Verderben der falschen Propheten und aller Menschen, die das verachten, was den Stempel der göttlichen Autorität trägt? Die inspirierten Männer waren Knechte Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes, und die Worte, die sie sprachen oder schrieben waren nicht weniger die Worte Gottes, als wenn Er selbst sie jedem Hörenden zugerufen hätte. Sowohl die Versammlung als auch der einzelne Gläubige sind durch sein Wort direkt angesprochen. Das ist auf den ersten Blick aus den Briefen des Neuen Testaments ersichtlich. Sie wurden mit wenigen Ausnahmen an die allgemeine Menge der Gläubigen geschrieben. Nur einige kürzere Briefe waren an Mitarbeiter gerichtet als Unterweisung für das Werk, das von der Menge der Gläubigen nicht getan werden konnte, sondern nur von einzelnen Männern, die mit der erforderlichen Autorität bekleidet waren.
Diese Briefe richten sich ebenso wirklich an die Gläubigen der jetzigen Zeit, wie an die der damaligen Zeit. Wenn Schwierigkeiten auftreten, wie sie bei den ersten Christen ebenfalls gefunden wurden, dann wissen wir, dass wir denselben lebendigen Ausleger haben wie unsere Brüder in der damaligen Zeit. Der wesentliche Grundsatz des Glaubens besteht darin, dass Gott durch sein Wort unmittelbar zu seinen Kindern redet. Die Kirche oder „die Geistlichkeit“ als Vermittler zwischen sein Wort und seine Kinder einzuschalten, bedeutet Auflehnung gegen Gott. Es ist grundlegend falsch (was man häufig im Protestantismus findet), das Recht des Menschen zu betonen, wenn es um das Hören seines geschriebenen Wortes geht. Dagegen ist es völlig richtig, Gottes Recht zu bezeugen, zu seiner Familie zu reden, um sie zu unterweisen, zu trösten oder zu tadeln, ja, noch mehr, das Gewissen jedes Menschen anzusprechen, wie es ja auch der Herr und seine Apostel sowie seine Knechte ganz allgemein taten.
Es gibt kaum einen irrigeren Grundsatz als den, der kürzlich durch die Oxford‑Erweckungsbewegung über das ganze Land verbreitet wurde, nämlich den eines Papsttums ohne Papst. Man beruft sich dabei auf einen Ausspruch des berühmten Augustinus, des Bischofs von Hippo, dessen Aussage aber seiner Frömmigkeit unwürdig war. Er hatte gesagt, dass er dem Evangelium nicht glauben würde, wenn die Autorität der katholischen Kirche ihn nicht dazu geführt hätte; doch damit raubte er Gott das, was Ihm zukommt. So groß er auch als Mensch war, so wusste er hier offenbar nicht, was er sagte. Denn wenn man dem Wort Gottes nicht glaubt, weil Er es durch inspirierte Männer gesprochen hat, dann glaubt man auch Gott nicht wirklich, sondern eher seinen menschlichen Gewährsleuten, und das ist tatsächlich eine offensichtliche Beleidigung Gottes. Glaube ich Gott selbst, dann ist mein Glaube göttlichen Ursprungs und hat göttlichen Charakter. Einen andersartigen Glauben kann Gott nicht anerkennen.
Die Menschen, die an Christus glaubten, weil sie seine Zeichen sahen, hatten einen rein menschlichen Glauben, der von Gott nicht anerkannt werden konnte. Daher heißt es: „Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an“ (Joh 2,24). Es ist eine grobe Sünde gegen Gott, Personen oder Körperschaften das Recht zuzusprechen, sein Wort beglaubigen zu müssen. Auch begeht man damit ein schweres Unrecht an Menschen. Ja, es könnte sich verhängnisvoll auswirken, wenn es nicht nur auf einem Irrtum beruhte und der Mensch nicht tatsächlich einen besseren Glauben besäße als den, der sich auf das Geschöpf gründet.
Wer zu dem Vorwand seine Zuflucht nimmt, der Apostel rede lediglich von dem gesprochenen Wort, der muss wissen, dass er sich in einem verhängnisvollen Irrtum befindet, wenn er das geschriebene Wort derart geringschätzt. Der Herr selbst hat bezeugt, dass die Heilige Schrift wegen ihrer Autorität jedem gesprochenen Wort überlegen ist, auch da, wo Er selbst der Redende war, der so sprach, wie nie jemand zuvor. Darum sagte Er zu den streitenden Juden: „Meint nicht, dass ich euch bei dem Vater verklagen werde; da ist einer, der euch verklagt, Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt. Denn wenn ihr Mose glaubtet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ (Joh 5,45-47). Beides, Moses Schriften und die Worte des Herrn, waren das unanfechtbare Wort Gottes, das eine geredet, das andere niedergeschrieben durch den Heiligen Geist. Doch was die Autorität Gottes dem Menschen gegenüber betrifft, so räumt der Herr unleugbar dem geschriebenen Wort den höchsten Platz ein.
Es ist das bleibende Zeugnis der Gedanken Gottes und ermöglicht viel besser als das gesprochene Wort ein Nachsinnen und Bewegen vor Gott in unseren Herzen. Wir können damit die Worte des Apostels Paulus in Römer 16,26 vergleichen. Manche Übersetzer geben diese Stelle fälschlicherweise mit: „durch der Propheten Schriften“ wieder; doch das steht in krassem Widerspruch zu der unmittelbar vorangehenden Mitteilung, dass sie „jetzt aber offenbart“ sind; ebenso dazu, dass sie „allen Nationen kundgetan worden“ sind. Auch steht hier die griechische Form ohne Artikel, so dass es richtig heißen muss: „durch prophetische Schriften“ (im Gegensatz zu Röm 1,2). Die ganze Aussage dieses Verses bezieht sich tatsächlich auf die Schriften des Neuen Testaments, die in der am weitesten verbreiteten Sprache unter den Nationen (Griechisch) erschienen und sich in dem Maß ausbreiteten, wie das Evangelium zu allen Nationen gebracht wurde.
Mit diesen Worten beendet der Apostel dieses Thema; sie bilden einen bewundernswerten Abschluss. Ob es darum geht, Christus so zu bezeugen, wie Er wirklich ist, die Wahrheit über seine Person, oder um die Autorität des Wortes, das Ihn offenbart, – hier finden wir die Wahrheit, die in Ihm ist und von Ihm ausging, in ihrer einfachsten Form. Dies ist der Geist der Wahrheit. Aber auch der Geist des Irrtums ist vorhanden. Seine tatkräftige Quelle in der tödlichsten Form ist der Teufel. Es ist nur natürlich, dass die Menschen, die nicht an die Gegenwart des Geistes Gottes in Gnaden glauben, sich ebenso ungläubig erweisen hinsichtlich des gewaltigen Anteils, den Satan an allem Unheil in der Welt hat, sowohl im Allgemeinen als auch am Elend einzelner Menschen, ganzer Nationen und der unzivilisierten Völker. Doch der schlimmste Teil seiner bösen Tätigkeit spielt sich innerhalb der Christenheit ab durch das, was er im Geheimen gegen Christus und die offenbarte Wahrheit Gottes unternimmt und einschleust.
Hier wird nicht von dem Geist der Bosheit, sondern von „dem Geist des Irrtums“ gesprochen, und dieser ist am gefährlichsten. Er zeigt sich nicht in grobem Verderben oder blutiger Gewalt, sondern in einer Form, die äußerlich überzeugend wirkt, innerlich aber voller List und Tücke ist. Hinter einem bisschen Wahrheit versteckt sich eine große Lüge. Dem Eigenwillen sind Tür und Tor geöffnet, für das Gewissen ist kein Raum. Jesus wird nicht bekannt, sondern man versucht, seine Person zu verdrehen, und der Vater ist unbekannt. So wirkt der Geist des Irrtums sich aus, und daraus werden der Abfall und der „Mensch der Sünde“ hervorgehen. Das christliche Zeugnis ist im Verfall begriffen, sein völliges Versagen und sein Gericht sind im Wort offenbart, ohne dass eine einzige Verheißung Aussicht auf eine Wiederherstellung gibt. Wie groß ist da doch die Gnade Gottes, dass Er angesichts dieser Tatsachen für die Sicherheit und Freude der Treuen Vorsorge getroffen hat, welchen Übungen sie auch ausgesetzt sein mögen: Sie liegt im treuen Bekennen und Glauben an den Herrn Jesus, im Wort Gottes, und beides durch die Wirksamkeit des Geistes der Wahrheit. Das ist der wesentliche Inhalt des eingeschalteten ernsten Abschnitts, den wir vor uns haben.
Von denen, die sich bezüglich ihrer Sicherheit und Führung auf äußerliche Satzungen und offizielle Ämter stützen und nicht auf die Worte der Schrift, wird man oft aufgefordert „auf die Kirche zu hören“. Man muss aber merkwürdigerweise feststellen, dass sie nie daran denken, diese Worte unseres Herrn gemäß seiner Anweisung in Matthäus 18,17 anzuwenden. Er schreibt dort die Zuchthandlung vor für den Fall, dass ein Bruder gegen den anderen sündigt. Dabei geht es offensichtlich um eine persönliche Angelegenheit zwischen den beiden Betroffenen, von denen kein anderer etwas weiß. Infolge der Widerspenstigkeit des Schuldigen wird die Sache schließlich doch bekannt, so dass die Versammlung als letzte Instanz eingeschaltet werden muss. Ist dies aber die Anwendung, die solche Leute von den Worten in Matthäus 18,17 machen? Sie wenden die Stelle in einer Weise an, die der Herr weder hier noch irgendwo sonst in der Schrift beabsichtigt hat. Wie jedermann weiß, verstehen sie unter dem „Hören auf die Versammlung [Kirche]“, das Hören auf den Priester oder die Priesterschaft, oder bei Extremen das Hören auf den „Erzpriester“, den Papst. Doch das ist entweder krasser Irrtum, oder – wenn sie seine Worte bewusst falsch anwenden – ein Betrug.
Die Schrift geht jedoch noch viel weiter. Sie zeigt uns, dass der Verfall schon vor dem Tod des letzten Apostels solch starke Fortschritte machte, dass der Herr Johannes beauftragen musste, im Geist an die sieben ausgewählten Versammlungen in Kleinasien seine letzten Briefe an die Gläubigen auf der Erde zu schreiben. Der erste war an die Versammlung in Ephesus gerichtet, die in den ersten Tagen so leuchtend dastand, der aber der Herr nun drohen musste, ihren Leuchter aus seiner Stelle wegzurücken. Im letzten Brief spricht Er davon, die Versammlung in Laodizea als etwas unerträglich Ekelhaftes aus seinem Mund auszuspeien. Der Herr wird dort nicht als Diener in Gnade, sondern als Richter inmitten der sieben Leuchter gesehen. Er erscheint daher als der Sohn des Menschen mit einem bis an die Füße reichenden Gewand bekleidet: Er hat es nicht gelöst oder abgelegt, um zu dienen.
An jede der sieben Versammlungen, die dazu bestimmt waren, die Versammlung als Gesamtheit auf der Erde in einem Geheimnis darzustellen, ehe sie weggenommen und hier nicht mehr geschaut wird, richtet der Herr die Schlussworte (mit einer vorausgehenden oder nachfolgenden Verheißung): „Wer ein Ohr hat, höre was der Geist der Versammlung sagt!“ Seit den Tagen der Apostel musste der Herr sich sehr ernst mit den Versammlungen beschäftigen. Bereits damals trieben sie als örtliche Versammlungen dem Verfall entgegen, und der Herr musste ihnen schließlich die Verweigerung seiner Anerkennung androhen. Die Prophezeiung im unmittelbar folgenden Kapitel 4 zeigt, dass das äußere Gebilde der Kirche nun nicht mehr Gegenstand seiner Mitteilungen ist. Wir sehen die Überwinder im Himmel verherrlicht um einen Thron geschart, von dem göttliche Gerichte über Juden und Nationen ausgehen. Nur jeweils ein Überrest aus ihnen wird verschont. Auf der Erde tritt keine Kirche ferner in Erscheinung, sondern Schläge des Gerichts treffen die Nationen. All dieses steht noch bevor und muss sich ereignen, nachdem die Periode der Versammlung („das, was ist“) ihren Abschluss gefunden hat.
Wie außerordentlich ernst und kraftvoll ist eine solche Botschaft des Herrn an den, „der ein Ohr hat zu hören“. Sie verkehrt den schriftwidrigen Ruf: „Hört auf die Versammlung (Kirche)“ ins Gegenteil und fordert jeden treuen Gläubigen auf, „zu hören, was der Geist den Versammlungen [Kirchen] sagt“. Die Versammlung war niemals ein Maßstab der Wahrheit, das ist allein Gottes Wort. Unzweifelhaft ist die Versammlung (nicht Israel noch der Islam, noch das Heidentum) die verantwortliche Zeugin der Wahrheit, indem sie diese in Wort und Tat treu darstellt. In keinem anderen Bereich und keinem anderen Zeitalter wird das anerkannt große „Geheimnis der Gottseligkeit“ bezeugt als in dem der Versammlung. Sie ist nicht selbst die Wahrheit, sondern ihr Pfeiler und Grundfeste. Christus ist in sich selbst die Wahrheit und der Geist die inwendig wirkende Kraft, um sie uns nahezubringen. Als aber Verfall und Irrlehren Eingang fanden, hörte die äußerlich noch bekennende Kirche auf, auch nur eine zuverlässige Zeugin zu sein. Seitdem gebietet der Herr denen, die ein gehorsames und williges Ohr haben, zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt.
Die Autorität der Wahrheit ist in Ihm verkörpert, dessen Worte göttlichen Charakter tragen, nicht in dem Pfeiler und der Grundfeste, der Versammlung, die seine Worte einstmals aufrecht hielt, damit sie gesehen und gehört werden konnten (vgl. 1Tim 3). Der Pfeiler mag beschädigt oder entstellt werden, doch die Wahrheit bleibt unveränderlich in Christus, im Geist und im Wort. In 2. Timotheus 3 ist die Rede von Menschen, die eine Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen; wir werden ermahnt, uns von diesen abzuwenden. Im Verlauf des christlichen Zeugnisses entstanden schon bald Kirchensysteme, die nicht nur miteinander im Streit lagen, sondern sich gegenseitig sogar mit Bannflüchen belegten. Das zwang alle Christen, mit Ausnahme der Oberflächlichen, zu der Einsicht, wie notwendig die Kenntnis der Wahrheit ist, um beurteilen zu können, welche der beiden Kirchen8 (die wahre, oder ob vielleicht keine von beiden im Recht sei). Auf diese Weise gewann die siebenfache Aufforderung des Herrn, zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt, erheblich an Bedeutung. Sie ist zwar für alle Zeiten wahr, wurde aber jetzt richterlich und individuell angewandt. Auch nach der Reformation blieb die Notwendigkeit durchaus bestehen, die Mahnung des Herrn aufrechtzuerhalten und anzuwenden, als nicht nur Könige und Staaten das Recht für sich in Anspruch nahmen, ihre eigenen Kirchen als separate religiöse Körperschaften zu gründen, sondern sogar führende Männer ein ähnliches Recht für ihre Gemeinschaften forderten. Auf diese Weise ging in dem allgemeinen Durcheinander innerhalb der Christenheit der wahre Begriff der Versammlung weitgehend verloren.
Es überrascht uns nicht, dass Menschen, die schon seit langem nicht mehr an die Anwesenheit und Tätigkeit des Heiligen Geistes in der Versammlung glaubten, als Folge auch die Autorität des Wortes Gottes praktisch und im Prinzip preisgaben. Sie leugneten das Licht, das sich an dem Gewissen des Menschen so überzeugend erweist, und behaupteten, dass die schwache, im Verfall begriffene Kirche erforderlich sei, um der Autorität des Wortes Geltung zu verschaffen. Ihr Irrtum in diesem Punkt ist genauso offensichtlich wie ihre Vermessenheit. Sie bedienen sich jedes trügerischen Scheins, der durch ein falsches Verständnis der Schrift begründet wird, um ihren eigenen Religionssystemen Vollmacht zu verleihen. Das Prinzip, die Kirche müsse Gottes Wort beglaubigen, ist reiner Unglaube. Alle, die vorsätzlich darauf bestehen, beweisen damit, dass sie sich von der Autorität Gottes entfernt haben. Bereits am Pfingsttag benutzte der Apostel Petrus das Wort Gottes, um die Gabe des Heiligen Geistes zu bezeugen. Es fiel weder ihm noch einem anderen Apostel ein, sich diesbezüglich auf die Versammlung zu berufen. Gottes Wort hat keine menschliche Rechtfertigung nötig; bejaht man eine solche Notwendigkeit, so grenzt das an Lästerung. Der Apostel Paulus würdigte das Alte Testament, als er die Juden in Beröa lobte, weil sie nicht nur das Wort bereitwillig aufnahmen, sondern auch die Schriften untersuchten, „ob dies sich so verhielte“. Sie wussten, dass die alten Aussprüche von Gott kamen und handelten richtig, indem sie die mündliche Verkündigung eines Menschen, den sie nicht kannten, prüften. Durch beständiges Forschen in den Schriften fanden sie sein Zeugnis bestätigt. Das alte, niedergeschriebene Wort war die Richtschnur, das sie darin bestärkte, das neue Wort mit aller Bereitwilligkeit aufzunehmen.
8 Das war damals die griechisch-orthodoxe Kirche einerseits und die römische Kirche andererseits (Anm. d. Üb.).↩︎