William Kelly
Kommentar von William Kelly (übersetzt mit DeepL)
1Joh 3,18Kommentar zu 1. Johannes 3,18
Behandelter Abschnitt 1Joh 3,18-24
Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit. Und hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden vor ihm unser Herz überzeugen –dass, wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist als unser Herz und alles kennt. Geliebte, wenn unser Herz [uns] nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun.
Und dies ist sein Gebot, dass wir an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie er uns ein Gebot gegeben hat. Und wer seine Gebote hält, bleibt in ihm, und er in ihm; und hieran erkennen wir, dass er in uns bleibt, durch den Geist, den er uns gegeben hat.
Wir kommen nun zu einem neuen Thema, das bisher nicht berührt wurde, das aber mit der gegenseitigen Liebe der Kinder Gottes, über die wir bereits hörten, in Verbindung steht. Der Apostel wendet sich zuerst wieder an die geliebten „Kinder“ und redet damit wie überall in diesem Brief, die ganze Familie Gottes an. Der allgemeine Ausdruck seiner herzlichen Zuneigung für sie ist „geliebte Kinder“. Das Wort „Kinder“ allein würde diese zärtliche Liebe nicht genügend ausdrücken, daher sagt er „geliebte Kinder“ (vgl. S. 358–359). Beide Ausdrücke schließen die ganze Familie Gottes ein, sowohl die Väter als auch die Jünglinge und die Kindlein.
Hier fordert der Apostel uns also auf, in Tat und Wahrheit, nicht nur mit Worten und mit der Zunge zu lieben, und lenkt damit unsere Aufmerksamkeit auf ein neues Thema. Er fügt hinzu: „Und hieran werden wir erkennen“ (V. 19). Er sagt nicht, „wir erkennen“, sondern „werden wir erkennen“. Das ist insofern wichtig, als es sich nicht auf das bezieht, was sie bereits in Christus waren. Über den gegenwärtigen Besitz des ewigen Lebens in Christus zum Beispiel hatten die „Kinder“ bereits feste Kenntnis. Johannes hat aber nun die Freimütigkeit und das Vertrauen des Herzens vor Augen, die aus einem aufrichtigen Wandel vor Gott im täglichen Leben und besonders aus der Ausübung der Liebe erwachsen. Das ist nämlich eine Schuldigkeit, bezüglich derer sich viele selbst betrügen. Es ist sehr leicht, Liebe zu fordern und darüber zu klagen, dass andere so lieblos sind; aber die, die sich am lautesten darüber beklagen, zeigen oft den größten Mangel an Liebe. Sie möchten gern selbst Gegenstände der Liebe sein; wir müssen aber selbst lieben, wenn wir geliebt werden wollen. Wenn sich unser Herz ohne selbstsüchtige Absichten anderen gegenüber erschließt, so werden auch andere Herzen sich öffnen. Unsere Lippen reden leider nur allzu leicht von Liebe, ohne sie irgendwie zu verwirklichen.
Johannes wählt daher diese behutsamen Worte und verbindet durch sie das bisher Gesagte mit seinen folgenden Ausführungen. „Geliebte Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge“. Jeder Christ, unabhängig von seinem geistlichen Zustand, wird wohl zugeben, dass dies verwerflich wäre. Befindet er sich aber Gott gegenüber in keinem guten Zustand, so wird seine Liebe zwangsläufig oberflächlich und kraftlos sein. Darum wird hier gesagt: „Nicht mit Wort noch mit der Zunge“; so lautet die genaueste Wiedergabe des Schrifttextes. Im zweiten Teil des Verses sind die Artikel und das Wörtchen „mit“ fortgelassen: Wir sollen „in Tat und Wahrheit“ lieben. Der natürliche Mensch in der Christenheit spricht auf seine Weise von Liebe. Christus dagegen stellte seine Liebe in ihrer ganzen Echtheit unter Beweis, und wir, die wir Ihn bekennen, sollen in der gleichen Aufrichtigkeit und Wirklichkeit wandeln.
Das alles kommt klar erkennbar aus dem ewigen Leben hervor, das wir besitzen, wenn wir an Ihn glauben. Es wird in Epheser 4,18 in ungewöhnlicher Weise „Leben Gottes“ genannt; in Kolosser 3,3.4 dagegen heißt es „Christus unser Leben“. Einen ähnlichen Ausdruck finden wir auch in Galater 2,20: „Christus lebt in mir.“ Johannes vermengt in auffallender Weise die Namen „Gott“ und „Christus“ miteinander, so dass man manchmal kaum genau sagen kann, wer von beiden gemeint ist. Doch das geschieht absichtlich, und zwar aus einem erhabenen Grund: Der Sohn ist in gleicher Weise Gott wie der Vater, das dürfen wir nie vergessen. Johannes tat das nicht etwa aus Achtlosigkeit; er wusste genau was er tat und meinte es auch so, wie er es niederschrieb. Nur törichte Menschen, die allzu großes Vertrauen in sich selbst setzen, wagen es, anders über einen inspirierten Schreiber zu urteilen. Christus bleibt stets ebenso wahrhaftiger Gott wie die anderen Personen der Gottheit, obwohl Er Mensch wurde. Durch seine Erniedrigung, die Er zur Verherrlichung Gottes und zum Heil der Menschen auf sich nahm, gab Er für keinen Augenblick seine göttliche Herrlichkeit auf. Er war der wahrhaftige Gott, als Er sich herabließ, von einer Frau geboren zu werden. Wir wissen, wie völlig ein neugeborenes Kind auf seine Mutter oder Pflegerin angewiesen ist. Gibt es irgendein Geschöpf in der Welt, das die liebende Fürsorge so nötig braucht wie ein neugeborenes Kindlein? Aber sogar unter diesen Umständen war Christus ebenso vollkommen der wahrhaftige Gott wie zu der Zeit, wo Er Lazarus oder andere Tote auferweckte. Und als Er starb, war Er noch immer derselbe, obwohl unter entgegengesetzten Umständen. Er konnte nie aufhören, wahrhaftiger Gott zu sein; diese Tatsache wurde durch sein Sterben weder angetastet noch irgendwie beeinflusst. Sogar bei einem Menschen sind Seele und Geist durch den Tod nicht berührt; der Tod trennt nur die Verbindung zwischen dem Leib und dem inwendigen Menschen. So war es auch bei dem Herrn Jesus. Er blieb stets der Sohn. Jesus Christus ist zwar der Name, den Er nach seiner Menschwerdung erhielt, aber Er ist über allem, „Gott gepriesen in Ewigkeit. Amen!“ (Röm 9,5). Er ist im gleichen Maß Gott wie der Vater und der Heilige Geist, die niemals Fleisch annahmen.
Liebe ist es also, die das Wesen Gottes kennzeichnet. Wie gesegnet ist das in sich und für uns! Gericht entspricht nicht seiner Natur, es wurde auch niemals am Menschen ausgeführt, bis die Sünde in Erscheinung trat. Ein solches Handeln Gottes wurde erst durch die Sünde notwendig. Gott war aber immer Liebe. Und als der geeignete Augenblick gekommen war, seine Liebe in Tätigkeit zu setzen, insbesondere in der Fleischwerdung und dem Werk Christi, da strömte sie in ihrer ganzen beispiellosen Fülle aus. Sie übertraf weit seine Güte gegenüber seiner Schöpfung, seine weise und gütige Vorsorge für die Tiere, vom größten bis zum kleinsten, wie wunderbar sie auch ist, wurde durch diese Liebe überstrahlt. Das wird noch offensichtlicher, wenn wir an seine Güte und Fürsorge dem Menschen gegenüber denken.
Wir tun gut daran, das zu erwägen, was uns umgibt. Der Herr wies manchmal auf Dinge in der Natur hin, die einleuchtende Belehrungen enthalten. Denken wir nur an die bedeutsamen Unterweisungen, die der Herr seinen Jüngern über die Vögel des Himmels oder die Lilien des Feldes gab. Sie reden tatsächlich deutlich nicht nur von göttlicher Macht, sondern von seiner Weisheit, Güte und Fürsorge, die bis ins kleinste an sie denkt und die sich trotz der Sünde und Bosheit des Menschen noch immer auf die ganze Schöpfung erstreckt.
Gott hätte ja nach dem Sündenfall des Menschen das Grün des Feldes in ein unangenehmes Rot verwandeln können, als ein alarmierendes Zeichen des kommenden Gerichts, aber Er führte keine solche Veränderung herbei. Das grüne Feld blieb grün, und die Blumen sind immer noch schön und duften lieblich. Damit will ich nicht sagen, dass alles noch so ist, wie es seinerzeit im Paradies war; denn durch den Sündenfall ist natürlich alles hier auf der Erde sehr stark betroffen worden. Aber es ist unbestreitbar ein so idealer Zustand erhalten geblieben, wie der Mensch ihn nie hätte schaffen können. Salomo war in all seiner Herrlichkeit nicht so gekleidet wie die Blumen des Feldes, die ohne jede menschliche Anstrengung wachsen und blühen.
Es ist aber wichtig zu erkennen, dass die göttliche Liebe gänzlich außerhalb der Schöpfung wohnt und ihrem Wesen nach über der rein menschlichen Natur steht. Sie ist ebenso übernatürlich wie das Leben, die neue Natur, auf die der Geist Gottes einwirkt. Es muss eine Natur da sein, die Frucht hervorbringt, die Gott anerkennen kann. Ohne eine lebendige Quelle in sich ist es unmöglich, Frucht zu tragen. Woher stammt die Quelle, die Empfindungen und Handlungen hervorrufen kann, die alles, was der Mensch zu tun vermag, bei weitem überragen? Aus welcher Quelle fließt alle Liebe, die der Gläubige zu Gott und zu den Menschen hat? Es ist das ewige Leben. Ohne dieses besitzen wir keine Natur, die gute Frucht hervorbringen könnte. Sind wir für diese Wahrheit nicht selbst der beste Beweis?
Wir waren einst als natürliche Menschen mit den erstaunlichen Eigenschaften ausgestattet, die Gott dem Menschen verleiht; sie sind beträchtlich, haben aber nichts mit der neuen Schöpfung und ihren besonderen Vorrechten zu tun. Von diesen besaßen wir damals kein einziges, und wir hätten nichts, was über die Gnade gesagt wurde, verstehen können. Dem natürlichen Menschen wäre das alles hochtrabend und sinnlos vorgekommen, wie es ja stets der Fall ist, obwohl er manchmal klug genug ist, den Mund zu halten und seine Meinung nicht zu äußern. Doch die Menschen empfinden, dass sie nicht in die Gedanken Gottes eingehen können. Nicht einmal der Geist des Menschen, das Höchste an ihm, kann Gottes Gedanken verstehen. Der Geist des Menschen erhebt sich unermesslich weit über seine niedrigeren Wesensteile, aber nicht einmal er kann je in die Dinge Gottes eindringen (vgl. Joh 3,3-6). Der Geist des Menschen kann sich nicht über die Dinge des Menschen erheben (siehe 1Kor 2,9-11), ebenso wenig wie ein Hund zum Beispiel den Mechanismus einer Uhr begreifen kann. Der Hund hat lediglich die Natur eines Hundes, nicht die eines Menschen. Der Mensch verfügt über eine weit höhere Intelligenz, mit deren Hilfe er sich weiterbildet, von anderen lernt, bewusst auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet und zum Beispiel bei der Anfertigung einer Uhr sowohl durch Überlegung geleitet wird als auch mechanische Energie in Anspruch nimmt. Im Lauf der Zeit arbeitet er vielleicht nur noch rein mechanisch, aber zunächst musste er viel Gedankenarbeit und handwerkliche Fähigkeit aufwenden, um die erste Uhr herzustellen. Wahrscheinlich war sie noch recht plump und umfangreich und bedurfte häufiger Reparaturen. Trotzdem erforderte die erste Uhr eine größere geistige Anstrengung als die spätere Fertigkeit, mit der die besten Uhren der Welt hergestellt werden können.
Die Hersteller haben heute den Vorteil, sich all die bisherigen zahlreichen Verbesserungen an den einzelnen Teilen des Werkes zunutze machen zu können, um meisterhafte Uhren bauen zu können. Doch mit aller Tätigkeit des menschlichen Geistes ist das Bewusstsein der Verantwortlichkeit vor Gott und ein weit höheres moralisches Empfinden als der reine Intellekt verbunden, über den auf der Erde nur der Mensch verfügt. Die Schlussfolgerung ist: Die Dinge Gottes sind dem besten natürlichen Menschen und selbst den wertvollsten Teilen seiner Persönlichkeit ebenso weit überlegen, wie eine Uhr oder andere Produkte des menschlichen Geistes einem Hund mit all seinem Instinkt überlegen sind. Welch ein moralischer Tiefstand, das vergessen zu wollen!
Dieser Unterschied ist wirklich ungeheuer wichtig; wo er tatsächlich empfunden wird, kann er nur unseren Dank gegen Gott hervorrufen. Er trägt auch dazu bei, die Tiefen der Gnade Gottes zu entfalten und in unserem Bewusstsein aufrechtzuerhalten. Er hat ja uns, den Gläubigen, ein Leben gegeben, das fähig ist, in seine Gedanken und Empfindungen einzugehen, seinen Ratschluss und seinen Sinn zu erkennen und durch den Heiligen Geist alle Dinge zu erforschen, auch die Tiefen Gottes.
Wir müssen zugeben, dass wir auch dafür den Geist Gottes benötigen. Es genügt nicht, aus dem Geist geboren zu sein. Die Gläubigen des Alten Testaments besaßen zwar diese Geburt, doch konnten sie damals noch nicht den innewohnenden Heiligen Geist aus dem Himmel empfangen. Er wurde keinem Gläubigen zuteil, bis Christus das Erlösungswerk vollbracht hatte. Nur der Bekehrte, der auf diesem Erlösungswerk ruht, empfängt jetzt die Gabe des Heiligen Geistes. Weil das bei vielen Bekehrten fehlt, sind sie in geistlicher Hinsicht so kraftlos. Sie kommen nicht über die Anfänge der göttlichen Wahrheit hinaus, weil sie trotz des Besitzes der neuen Natur noch nicht die Kraft des Heiligen Geistes haben. Bei genauerer Prüfung würde man feststellen, dass sie noch keinen gefestigten Frieden besitzen. Tatsache ist, dass sie noch nicht wirklich auf dem Erlösungswerk Christi ruhen und daher das Ergebnis dieser Erlösung auch nicht genießen können. Sie bemühen sich eifrig, wie sie sagen, das zu ergreifen, was sie noch nicht besitzen, und halten Ausschau danach. Dabei müssen sie aber lernen, dass die Freiheit in Christus nur dem zuteilwird, der sich selbst und seine Anstrengungen gänzlich aufgibt, um einzig und allein auf Christus und seinem Erlösungswerk zu ruhen, denn das Sühnungswerk ist endgültig vollbracht.
Diese Verflachung und Verkürzung des Glaubens brach nach dem Abscheiden der Apostel wie eine Flut herein. In den ersten Tagen der Versammlung konnte ihr niemand hinzugefügt werden, der nicht mit dem Heiligen Geist versiegelt war. Dann aber begann die Versammlung, in der Welt heimisch zu werden, Verfolgungen brachen nur noch gelegentlich aus, und viele Gebildete und Reiche, Mächtige und Edle schlossen sich ihr an. Daraus ergab es sich, dass die Gläubigen mit vielen Persönlichkeiten in Berührung kamen und durch die Bande der christlichen Liebe viel vertrauter mit ihnen wurden, als es in der Welt der Fall gewesen wäre. Das war für nicht wenige ein Beweggrund, sich solchen anzuschließen. Diese Erfahrung haben ja auch manche Leute unserer Tage aus dem gleichen Anlass gemacht. Die göttliche Liebe gerät unter solchen Umständen bald in Verfall. So können wir gut verstehen, wie nötig die Ermahnung ist: „Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit“ (V. 18). „Und hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind“ (V. 19), nämlich, wenn wir in der Liebe wandeln. Für den Gläubigen liegt darin ein gewaltiger Trost. Es wäre aber ein großer Fehler, diese Worte einem Unbekehrten vorzustellen, um ihm den Weg zur Sündenvergebung zu zeigen! Wer von denen, die das Evangelium kennen, könnte von einem Unbekehrten verlangen, derartige Früchte der Liebe hervorzubringen? Doch bei den Gläubigen sollten sich solche Empfindungen finden, und zwar als Ergebnis dessen, was man zurecht die moralischen Regierungswege Gottes nennt. Denn wenn wir zu Gott gebracht worden sind, handelt Er mit uns als Vater, der uns täglich ohne Ansehen der Person richtet (1Pet 1,17).
Der Herr stellt diese Seite bildlich in Johannes 15 dar. Er nennt sich dort den wahren Weinstock, während die Jünger die Reben waren. Dies ist kein Bild von der Wiedergeburt (davon hatte Er in Johannes 3,3-6) gesprochen; noch weniger hat dieses Bild mit der Einheit des Leibes zu tun, wie manche irrtümlich meinen. Weder kann jemand das ewige Leben, das er besitzt, wieder verlieren, noch als Glied am Leib Christi wieder abgeschnitten werden. Diese Tatsachen genügen, um solche falschen Anwendungen zu widerlegen. Der Weinstock lehrt uns die Notwendigkeit der praktischen Gemeinschaft mit Christus. Wenn wir in Ihm bleiben und Er in uns, dann haben wir die Kraft, Frucht zu bringen. Denn was befähigt den Jünger dazu, Frucht zu bringen? Ist es nicht die Abhängigkeit von Ihm, das Bewahren seiner Worte und das Gebet (vgl. Joh 15,7)? Christus ist die Quelle aller Frucht, und die Reben bringen diese Frucht, indem sie an Ihm bleiben. Außer Ihm können sie nichts tun. Der Vater reinigt die Reben, damit sie mehr Frucht bringen; doch allein der Weinstock liefert den nötigen Saft für die Reben, die mit Ihm verbunden sind.
Unser Herr hat noch weit mehr für uns getan; doch zum Hervorbringen der Frucht ist dies seine Tätigkeit. Wenn man die Rebe vom Weinstock abschneidet, was geschieht dann? Kann sie je wieder Trauben tragen? Kann es dann noch zur Bildung von Frucht kommen? Nicht im Geringsten. Da waren Personen, die einst Christus nachfolgten, aber dann nicht mehr mit Ihm wandelten. Sie hatten sich selbst abgeschnitten. Sie waren keine Reben am Weinstock mehr. Es soll nicht geleugnet werden, dass es hier und da solche geben mag, die ihren falschen Weg bereut und sich um Wiederherstellung bemüht haben. Niemand sollte je durch uns abgewiesen oder entmutigt werden. Doch die, die sich von Christus abwenden, werden bis zu einem gewissen Grad verhärtet und feindselig. Es kommt tatsächlich verhältnismäßig selten vor, dass Menschen, die Ihm den Rücken zugekehrt haben, wieder zu Ihm zurückkehren. Hat sich jemand jedoch wirklich gebeugt, wer ist dann so bereitwillig wie Er, sie wieder aufzunehmen? Seine Liebe kennt keine Grenzen. Aber hier ist von solchen die Rede, die sich nicht selbst verurteilen, sondern böse Gedanken über Christus hegen, ohne Ehrfurcht seine Person herabsetzen und sein Werk geringschätzen. Sie beweisen damit, dass sie nie ewiges Leben besaßen, sondern nur ihren Einbildungen gefolgt waren.
Es ist daher sehr wichtig, daran zu denken, dass Gott sich in seinen moralischen Regierungswegen mit den Menschen beschäftigt, und zwar mit einer zweifachen Wirkung. Einerseits wacht Gott über jeden seiner Heiligen und richtet jede Verfehlung, und zwar in Treue und Liebe. Andererseits gibt es solche, die Ihm misstrauen und die sein Handeln mit ihnen nicht ertragen können. Sie widersetzen sich den Übungen, die Gott als Mittel zur Wiederherstellung anwendet, oder achten sie gering. Gott züchtigt, und keine Züchtigung scheint für die Gegenwart angenehm zu sein. Freude würde seinem Charakter völlig widersprechen. Doch die Züchtigung ist zum Nutzen und gibt hernach die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind. Gott züchtigt jetzt als Vater jeden nach seinen Handlungen; es sind seine moralischen Regierungswege. Er befasst sich mit denen, die seine Kinder sind oder jedenfalls bekennen, seine Kinder zu sein. Denn Er befasst sich mit den Menschen entsprechend ihrem Bekenntnis und handelt daher ganz anders mit denen, die niemals den Namen des Herrn getragen haben.
Es ist daher die ernste Pflicht eines jeden, der den Namen des Herrn nennt, dass er absteht von der Ungerechtigkeit (2Tim 2,19). Ist er in Schlingen des Teufels gefangen, so muss er daraus erwachen, damit der Feind nicht einen dauernden und alles erdrückenden Einfluss auf jemanden gewinnt. Je länger man damit wartet, umso schlimmer wird es. Schlimm genug ist es um die bestellt, die angesichts von Übungen glauben, sich in die Isolation zurückziehen zu müssen. Leider geben sich nicht wenige mit einer solchen Selbstisolierung zufrieden, als ob sie sich dadurch ihrer Verantwortung bei der zunehmenden Unordnung entziehen könnten. Sie blicken auf die Fehler anderer Christen, um ihre Isolation zu rechtfertigen, und weichen dadurch den Übungen aus, die bei dem gemeinsamen Wandel mit den Geschwistern entstehen. Das Versagen der anderen geißeln sie sogleich in unbarmherziger Weise. Bezüglich ihres eigenen Zustandes aber haben sie kein wirkliches Bewusstsein davon, was zur Ehre Gottes gereicht. Wie erbärmlich ist es, wenn wir uns selbst rechtfertigen, indem wir die Fehler der anderen herausstellen! Wenn man ihren Wandel mit dem solcher Menschen vergleicht, die sich niemals zu Christus bekannt haben, ist er dann wohl besser zu nennen? Ist es nicht so, als wandelten sie in dem Licht ihres eigenen Feuers und in dem Glanz der Funken, die sie selbst entzündet haben? Mögen sie sich in achtnehmen, dass sie nicht einmal jammernd am Boden liegen. Ihr Weg ist weder durch Gerechtigkeit noch durch Liebe gekennzeichnet; das Christentum aber vereinigt beides in sich gemäß der Wahrheit des Christus.
Wenn wir zu Gott gebracht sind, dann liegt das Geheimnis der Kraft für unseren Wandel in der Abhängigkeit von Christus. Lehrt uns der Weinstock das nicht besser als alle anderen Beispiele? Im ganzen Reich der Natur findet man kaum ein Gewächs, das so eindrucksvoll wie der Weinstock zeigt, wie nötig es für die Reben ist, an ihm zu bleiben, damit sie Frucht bringen können. Zwischen Christus und dem Gläubigen besteht genau das gleiche Prinzip, und das wird uns in dieser Schriftstelle gezeigt.
Muss es Gott nicht missfallen, wenn wir nur mit Worten und mit der Zunge lieben und nicht in Tat und Wahrheit? Bedeutet das nicht eine Beleidigung des Geistes Gottes? Wenn wir als Kinder des Lichts wandeln, dann verwirklichen wir auch das göttliche Prinzip der Liebe, das heißt wir suchen einander Gutes zu tun, ohne selbstsüchtige Absichten zu haben. So haben wir die Liebe Gottes kennengelernt. Christus wurde ja Mensch, um diese Liebe in einer Weise darzustellen, wie es Gott selbst nicht tun konnte. Kann es uns dann wundern, dass Er die geringste Herabsetzung des Namens seines Sohnes, Jesu, unseres Herrn, so tief empfindet? Christus zeigte diese Liebe, indem Er sich erniedrigte, Mensch wurde und die Leiden ertrug, die seine Hingabe als Schlachtopfer mit sich brachte. Sie ging so weit, dass Er das Gericht Gottes über die Sünde auf sich nahm. Gott konnte als Gott die Liebe nicht sichtbar zum Ausdruck bringen; aber Er hat es in Christus und seinem Sühnungswerk getan. Von diesem Werk strahlt die ganze Fülle des Lichtes, der Liebe und der Wahrheit Gottes in einer Weise aus, die das Denken des Menschen übersteigt. Und das ist wahres Christentum.
Zum praktischen Christentum gehören nicht nur Gerechtigkeit und Gehorsam, wie wir schon gesehen haben, sondern auch die Liebe. Johannes betont, dass die Liebe echt sein muss. Ist das der Fall, dann „werden wir erkennen“. Er stellt sich hier auf einen Boden mit den übrigen Gläubigen; das erhöht die Schönheit seiner Worte. „Und hieran werden wir erkennen, dass wir [ihr und ich, der Apostel und die Gläubigen] aus der Wahrheit sind.“ Ist das Gewissen aber verunreinigt, dann schwinden die Ausübung der Liebe und alles andere, was dem göttlichen Leben entspringt, dahin. Das bezieht sich hier natürlich auf die Kinder Gottes, nicht auf Weltmenschen. Seine Kinder sind es, die unter diesen Umständen verkümmern und Mangel leiden durch das, was sie eingebüßt haben. Immer, wenn die Gemeinschaft mit Ihm auf solch eine Weise unterbrochen worden ist, geht auch die Freude verloren.
Vielleicht wundern sich manche darüber, dass das von Gott in Christus geschenkte Leben ewig bleibt, die dadurch genossene Gemeinschaft aber so leicht durch Böses unsererseits gestört werden kann. Lassen wir in unserem Wandel die geringste Torheit zu, so ist im gleichen Augenblick die Gemeinschaft unterbrochen. Weshalb? Gemeinschaft bedeutet, in Bezug auf Segen ein gemeinsames Teil mit Gott zu haben. Wie aber könnte Gott an der geringsten Torheit bei uns Anteil haben? Er kann mit keiner einzigen Sünde Gemeinschaft haben, und wir können mit ihr auch nicht in Christus wandeln. Die Freude der Gemeinschaft wird durch Sünde augenblicklich unterbrochen. Gott ist aber weit davon entfernt, sie als unwiederbringlich verloren anzusehen; wir können sie wiedergewinnen. Aber wie dankbar können wir Ihm dafür sein, dass das ewige Leben nicht wiedererlangt werden muss, denn es besteht ewig. Doch in Bezug auf die Gemeinschaft besteht die Notwendigkeit der Wiederherstellung, wenn sie durch irgendetwas Böses unterbrochen wurde. Das kann bereits ein böser Gedanke oder ein böses Empfinden sein; dadurch wird die Gemeinschaft solange unterbrochen, bis das Selbstgericht darüber stattgefunden hat. Hat man so etwas bei sich geduldet, so verhindert es die Gemeinschaft in gleicher Weise wie eine nach außen offenkundige Sünde.
Johannes sagt also: „Und hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden vor ihm unser Herz überzeugen“. Die Grundlage für die praktische Wahrhaftigkeit ist, dass man „aus der Wahrheit“ ist. Verliert oder vernachlässigt man die Wahrheit, so gerät man bald in einen unaufrichtigen Wandel. Man kommt dahin, mit Worten oder mit der Zunge zu lieben, anstatt in Tat und Wahrheit. Johannes geht es hier nicht darum zu untersuchen, ob sie bekehrt oder noch weniger, ob sie getauft waren. Durch keines dieser beiden Dinge will Gott uns Trost darreichen, wenn Er durch solche Umstände derart verunehrt worden ist; Er muss uns vielmehr dadurch beschämen. Ist es nicht beschämend, dass ich, der ich zu Ihm gebracht worden bin und nicht nur ein äußeres Merkmal seiner Annahme an mir trage, mich so schlecht benommen habe? Wandeln wir dagegen wachsam und aufrichtig vor Gott, sowie in Liebe und Demut, dann „werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind“. Das verleiht uns Kühnheit oder Freimütigkeit vor Gott. Das ist der eigentliche Sinn dieses Verses. Hier ist nicht unsere Stellung oder die Gewissheit des Glaubens gemeint, sondern die Freimütigkeit des Herzens vor Gott, die sich in einem Wandel uneingeschränkter und tätiger Liebe kundtut. „Und hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden [nicht wissen, sondern] vor ihm unsere Herzen überzeugen“. Dies ist die einfache und wörtliche Bedeutung des Wortes. Dieses „Überzeugen“ wirkt trefflich auf uns ein und drückt die Freimütigkeit aus, die ein lebendiger christlicher Wandel in Einfalt und Aufrichtigkeit des Herzens verleiht.
In diesen Schriftworten liegt viel, das einem gottesfürchtigen Methodisten Ermunterung und Stärkung schenken kann. Der wunde Punkt bei den Methodisten ist, dass sie das ewige Leben in Christus nicht voll erfassen und ihren Gefühlen zu viel Bedeutung beimessen. Die im Evangelium dargebotene Gnade Gottes bietet genügend Raum für die wärmsten und tiefsten Gefühle. Geistliche Gefühle haben ihre Berechtigung. Aber die Gnade und Wahrheit, die durch Christus geworden sind und diese Gefühle verursachen und ans Licht bringen, haben Vorrang. Alle Gläubigen sollten sich stets in einem gesunden Zustand gemäß dem Wort und dem Geist Gottes befinden.
Auf der anderen Seite kennen wir die strengen Ansichten der Calvinisten, denen die Erkenntnis am wichtigsten ist, auserwählt zu sein und damit Anrecht auf jeden göttlichen Trost zu haben. Dadurch, dass sie sich so in die Auserwählung vertiefen, verhindern sie jeden Gedanken an die moralischen Regierungswege Gottes mit uns. Nun ist die Auserwählung eine wunderbare Wahrheit, für die wir Gott preisen können. Sie soll aber nicht als Schutz gegen die schmerzliche Erkenntnis dienen, dass wir Gott verunehrt haben.
Warum sollten wir Trost begehren angesichts der Tatsache, dass wir Gott betrübt haben? Er möchte, dass wir darüber gedemütigt werden. Und das drückt der unmittelbar folgende Vers aus: „dass, wenn unser Herz uns verurteilt“. Genau das tut unser Herz, wenn wir gefehlt haben, wenn Dinge vorliegen, die den Geist Gottes betrüben und wir nicht vor Ihm in angemessenem Selbstgericht gewesen sind. Und wenn wir schon erkennen, dass unser Herz uns verurteilt, wie viel mehr hat Gott dann Grund, uns tadeln zu müssen! „Gott ist größer als unser Herz“ und kennt alles.
Manche Calvinisten verändern den Sinn wie folgt: „Wenn unser Herz uns verurteilt – Gott in seiner Gnade verurteilt uns nicht.“ Wie schade, wenn man durch solch ein systematisches Abweichen von dem klaren Sinn des Wortes sich um den Gewinn bringt, der in seinem Wort liegt! Was Gott hier meint, ist Folgendes: Wenn ich mich selbst verurteile, so ist Gott größer als ich und weiß alles, während ich nur einen Teil erkannt habe. Die Calvinisten fürchten, dass durch diese Auslegung unsere Stellung erschüttert werden könnte. Das hat jedoch überhaupt nichts mit unserer Stellung in Christus zu tun, sondern mit unserem täglichen Zustand.
Durch eine Sünde verlieren wir nicht unsere Stellung, sondern unsere Gemeinschaft mit Ihm. Wir werden daher aufgefordert, uns vor seinem Angesicht zu verurteilen, anstatt deswegen unsere Auserwählung oder unsere Stellung in Frage zu stellen. Sowohl Auserwählung auch unsere Stellung bleiben unangetastet. Es ist völlig verkehrt, wenn ein Gläubiger das eine oder das andere anzweifelt. Wenn sein Herz ihn aber verurteilt, dann können wir sicher sein, dass Gott viel mehr darüber weiß und alles erkennt. Er sollte deshalb vor Ihm im Staub liegen, damit Gott ihm alles zeigen kann und damit er seine Sorglosigkeit verabscheut, weil er ein Gegenstand solch großer Gnade ist. Wir sollen unseren bösen Zustand verurteilen, dabei aber an unserer Stellung in Christus, die Gott uns gegeben hat, festhalten. Diese bleibt unverändert bestehen. Unser Zustand aber war schlecht, und Gott will, dass wir ihn nicht zu verbergen oder zu entschuldigen suchen, sondern uns schonungslos verurteilen.
Welch ein Schaden, sich in diese menschlichen Systeme zu verstricken, wie man die Sonderlehren der Calvinisten und Arminianer bezeichnen muss. Ich tadle nur diese Sonderlehren, nicht aber die Wahrheit, an der auch sie als Christen festhalten. In beiden Richtungen gibt es geliebte Kinder Gottes. Doch leiden beide nicht wenig darunter, dass einerseits die Arminianer der Gnade Gottes bezüglich des ewigen Lebens nicht die gebührende Ehre geben, während die Calvinisten die Gemeinschaft nicht genügend würdigen, was oft zu einer Ungewissheit bezüglich der eigenen Auserwählung führt. So sagte einer von ihnen: „Wenn du keine Zweifel über dich selbst hast, dann muss ich deinethalben zweifeln.“ Sie neigen dazu, ihre Sünden zu verschleiern oder ein System des Zweifelns aufzurichten. Der Mann, der das sagte, war gottesfürchtig und hat viele geistliche Lieder geschrieben. Ich kann nur hoffen, dass die Lieder besser sind als seine Lehre. Solches Zweifeln ist verwerflich und nicht nur eines Christen, sondern vor allem Christi selbst unwürdig. Man leugnet dadurch praktisch das Evangelium, das das Heil durch Gottes Gnade verkündigt und uns auffordert, uns dessen mit einem friedevollen Herzen zu erfreuen. Es ist daher eine Tatsache, dass die Calvinisten im Allgemeinen hinsichtlich des Evangeliums auf schwachen Füßen stehen, wenn es auch leuchtende Ausnahmen gibt. Sie sind mehr mit der Auserwählung beschäftigt als mit Gottes Liebe zur Welt, geschweige mit der Vorsorge der Gnade für sich selbst.
Die Auserwählung nimmt in ihrem Glaubensbekenntnis eine beherrschende Stellung ein und wird dadurch zu einem Nothelfer für alle Lagen. Das ist aber ein trauriges Versagen bezüglich der Gnade und Wahrheit Gottes. Christus bietet Raum für jedes Element der Wahrheit, an dem Calvinisten und Arminianer festhalten, und darüber hinaus für vieles andere, was beiden Bekenntnissen fehlt. Wie schade, dass Kinder Gottes solche einseitigen Lehrschemata nicht fallen lassen und sich stattdessen allein an die göttliche Offenbarung klammern, sie allein anerkennen und jeglichen Ersatz ablehnen. Wahres Christentum bietet genügend Raum für die umfassendsten Empfindungen und das gesündeste Urteil, ja, für alles, was der Glaube von Gott empfangen soll und die Liebe zu seiner Verherrlichung vollbringen darf.
Das Verurteilen unserer Herzen in Vers 20 entsteht aus dem Bewusstsein unseres Versagens auf dem Weg und aus der Überzeugung, dass Gott in seiner moralischen Regierung das ganze Ausmaß unseres Fehltrittes kennt. Dieser Grundsatz ist auch in der Bitte enthalten: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben“ (Mt 6,12). Auch hier handelt es sich nicht um die Vergebung unserer Gesamtschuld durch den Glauben an das Evangelium, sondern um das ständige und aufmerksame Wachen Gottes über die Wege seiner Kinder. Das hat gar nichts mit den Bedürfnissen des Sünders in seinem elenden Zustand zu tun. Es ist doch klar, dass das Evangelium keine Sündenvergebung zusagt unter der Bedingung, dass man seinerseits zu vergeben gewillt ist. Die Gnade schenkt die Sündenvergebung aufgrund des Glaubens an den Herrn Jesus. Davon ist hier aber nicht die Rede. Wenn du als Gläubiger nicht die Gesinnung zeigst, anderen willig zu vergeben, so ist Gott betrübt über dein Verhalten. Dadurch kannst du dich nicht mehr der Gemeinschaft mit Ihm erfreuen, und Er wird dich nicht eher wiederherstellen, bis du dich aufrichtig wegen deines Unrechts verurteilt hast. Die mangelnde Vergebungsbereitschaft führte dazu, dass du dich selbst verurteilen musstest und Gottes Missbilligung empfandest.
Es ist offensichtlich also äußerst wichtig, zwischen dem Boden der Gnade zu unterscheiden, auf dem wir stehen bezüglich des ewigen Lebens und der Erlösung, und dem täglichen Handeln Gottes mit uns in moralischer Hinsicht, wenn Er unsere verkehrten Wege richten muss. Er züchtigt uns deswegen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Das bringt uns dazu, unseren Mangel an Übereinstimmung mit Ihm aufrichtig zu verurteilen und unseren Wandel mit Gottes Gedanken bezüglich seines Hasses gegenüber der Sünde in Einklang zu bringen, so dass wir in Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit Fortschritte machen.
Der Apostel sagt: „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun“ (V. 21.22). Er hat jene im Auge, die im ungetrübten Zustand vor Gott wandeln. Jetzt heißen sie nicht mehr nur „geliebte Kinder“. Es erfreut den Apostel, die Liebe verwirklicht zu sehen, und er ermuntert sie dazu, die Liebe im Gebet zu betätigen, sofern bei ihnen alles in Ordnung ist. Wir können nicht Freimütigkeit haben, weitere Gunsterweisungen von Ihm zu erbitten, solange der Geist Gottes sich mit unserem Versagen beschäftigen muss. Wir müssen uns der demütigenden Erkenntnis unterwerfen, dass, wenn wir uns selbst wegen unseres falschen Tuns verurteilen müssen, Gott uns noch mehr verurteilen muss. Genießen wir aber durch seine Macht die ruhige Freude der Gemeinschaft, dann können unsere Herzen ernstlich weitere Gnade erbitten. „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir bitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun.“ Ist das der Fall, so gibt es nichts, was die Tätigkeit der Liebe beschränkt. Die Gnade kann sich ungehindert zu allem Guten auswirken, weil wir glücklichen Herzens im Licht Gottes wandeln, so dass das Herz sich keine Vorwürfe machen muss. Wir können dann unser eigenes Ich völlig vergessen und uns am Herrn erfreuen.
Das sollte bei einem Gläubigen der gesunde Zustand in seinem täglichen Wandel sein. Wir müssen danach trachten. Doch wie leicht kommt es leider vor, dass wir versagen. Wir sind durch die Gnade berufen, in Frieden, Herzenseinfalt und Vertrauen vor Ihm zu wandeln; und das ist nur möglich, wenn wir uns in Übereinstimmung mit unserem Leben in Christus befinden. Im Fall von Verfehlungen uns selbst zu trösten, dass wir ja das ewige Leben besitzen, entspricht nicht dem, was Gott und unserem Zustand in solchen Umständen angemessen ist. Wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch den Geist wandeln (Gal 5,25). Zu der Nachfolge des Herrn gehört nicht nur der Glaube, sondern auch die täglich erfahrene Wirklichkeit dieser Dinge, wie sie beim Apostel Paulus gefunden wurde und die er folgendermaßen ausdrückt: „ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Traditionen sind nichtig und kirchliche Formen kraftlos. Die Macht des Kreuzes Christi wird uns hier eindringlich vor Augen geführt.
Der Apostel war hinsichtlich seines alten Lebens durch den Glauben Christus gleichgemacht worden, der deswegen gelitten hatte. Nun lebte er in Ihm, der immerdar lebt, und zwar ein Leben des Glaubens in seiner Liebe. Eine derartige Beziehung auf eine Einzelperson kommt in der Schrift nicht häufig vor. Üblicherweise werden Ausdrücke wie „Christus hat geliebt“ oder „Christus hat sich hingegeben“ auf die Gesamtheit der Gläubigen angewandt, wie zum Beispiel in Epheser 5,1.2. Doch es ist sehr eindrucksvoll, dieses Teil auch persönlich zu kennen, obwohl die rein persönliche Anwendung allein nicht ausreicht, denn dadurch würde uns die Wertschätzung unserer Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn innerhalb der gesegneten Verbindung der ganzen Familie Gottes verloren gehen.
So unentbehrlich der Friede mit Gott und der Friede des Gewissens auch sind, so stellen sie doch nicht die gesamte Segnung dar, mit der uns seine Gnade erfreuen will. Noch weniger erschöpft sie sich in der Gewissheit, dass alle unsere Sünden vergeben sind. Diese haben wir aufgrund unseres Glaubens an Gottes Frohe Botschaft erlangt. Doch davon ist in den Versen 19–22 nicht die Rede. Die Sündenvergebung stand am Anfang des Weges jedes Gläubigen als die notwendige und große Gabe von Seiten Gottes. Wenn dieser Glaube vorhanden ist, dann wäre es verkehrt, die Frage aufkommen zu lassen, ob man wirklich glaubt oder nicht. Die Schrift kennt keinen derartigen Gedanken, dass jemand, der an Christus glaubt, solche Zweifel in sich hegt. Niemals wird sein Blick auf das gerichtet, was in ihm selbst ist. Solange jemand verloren ist, weist Gott ihn auf seinen Sohn als den Retter hin. Hier geht es um die Blickrichtung der Gläubigen in ihrem täglichen Wandel, und es handelt sich um praktisches Vertrauen in ihren Herzen. Durch die Gnade sind wir Ihm so nahegebracht worden, dass alles, was nicht in die Gegenwart unseres Gottes und Vaters passt, unerträglich für uns sein und sorgfältig verhütet werden muss.
Viele von uns, die Familien haben, wissen, was es bedeutet, wenn ein Kind manchmal unartig ist. Merkt man dann nicht sofort, dass das Kind anders ist als sonst, wenn es die Eltern wirklich lieb hat? Selbst wenn Vater und Mutter nicht wissen, was vorliegt – das Kind zeigt sich unruhig und unzufrieden. Es kann nicht wie sonst seinen Eltern unbefangen gegenübertreten; etwas ist nicht in Ordnung, und je aufrichtiger das Kind ist, umso stärker empfindet es dies. Genauso geht es uns unserem Gott und Vater gegenüber, mit der Ausnahme, dass Er nie versagt und stets alles weiß.
Daher ist das Selbstgericht so immens wichtig; wir haben es um unserer selbst willen nötig. Wenn es bei einem Fehltritt stattfindet, kehrt die Seele in die Freude der Gemeinschaft zurück, in der wir Freimütigkeit vor Gott haben. Es geht nicht um die Stellung, die der Gläubige unveränderlich besitzt, sondern um die herzliche Beziehung zu Ihm, die leider durch Sorglosigkeit unterbrochen werden kann. Solange wir im Geist wandeln, ist diese Freimütigkeit Gott gegenüber unser glückliches Teil; sie ist der einzige Zustand, der sich für einen Gläubigen geziemt. Wie traurig, wenn ein Herzenszustand, der dieses Teil nicht hat, zur Gewohnheit geworden ist! Wie sollte jemand doch dann ernsthaft zu Gott schreien, um herauszufinden, was die Ursache dieses Mangels ist. Geschieht das, dann wird man nicht lange zu Gott rufen müssen. Es entspricht der Liebe des Vaters, uns ihren Trost zu schenken, aber auch ihren Verlust fühlen zu lassen, wenn sie durch einen nicht gerichteten Fehltritt verlorengegangen ist. Wir haben in dem Herrn Jesus als dem Sachwalter bei dem Vater die nötige Hilfsquelle und brauchen keinen irdischen Anwalt zu suchen, der den Herrn nur verdrängen und niemals fähig sein würde, eine derart schwierige Aufgabe mit dem nötigen Zartgefühl zu lösen. Wir haben das Vorrecht, freimütig und sofort durch Christus vor den Thron der Gnade zu treten, ja, zu der Liebe des Vaters Zuflucht zu nehmen in der Gewissheit, dort keine Absage zu erhalten.
Daher wird hier so schön hinzugefügt: „und was irgend wir erbitten, empfangen wir von ihm“. Es ist ein weiteres Beispiel der absoluten Ausdrucksweise, derer sich Johannes so gern bedient. Er beschäftigt sich nicht mit irgendeiner Einschränkung durch gelegentliche Umstände oder besondere Hindernisse, die entstehen könnten. Er deutet auch nicht die Möglichkeit eines Zustandes an, der nicht mit Ihm in Übereinstimmung ist. Er geht davon aus, dass das Herz sich nicht verurteilen muss, dass Freimütigkeit zu Gott vorhanden ist und dass wir uns seiner Gemeinschaft erfreuen. Und was ist die Folge dieser Gemeinschaft mit Ihm? Sie schließt verkehrte Bitten aus. Wir trachten dann nicht nach Dingen, die dem Willen Gottes widersprechen. Wir bitten um das, was nach seinem Willen ist, und Er wird uns nichts Gutes vorenthalten. Es ist seine Wonne, wenn wir uns all dessen erfreuen, was zu seiner Verherrlichung dient. Und das haben wir alles in Christus gefunden; Er zieht unsere Herzen stets an und ist das tragende Verbindungsglied zum Vater. Christus ist es, der alles für uns auswählt. In unserem Herzen ist weder Licht noch eine sprudelnde Quelle, wenn wir uns nicht auf Christus stützen. Darum hat unser Gott uns das in Christus geschenkt. Was irgend wir erbitten, empfangen wir, denn in diesem Zustand werden wir nie unverständig bitten. Der Apostel gibt den Grund dafür an: „Weil wir seine Gebote halten“. Die, die nicht erkennen, dass es sich hier um Gottes moralische Regierung über den praktischen Zustand des Gläubigen handelt, verfallen in den Fehler, es mit der Grundlage des Heils zu vermengen und somit das Halten seiner Gebote zur Bedingung für die Errettung zu machen. Dadurch würde aber die unumschränkte Gnade Gottes zur Errettung der Sünder zunichtegemacht. Hier geht es nicht um Gnade, sondern um Gottes Regierungswege, und da müssen zwangsläufig Bedingungen erfüllt werden. Aber die Gnade Gottes hinsichtlich unserer Errettung und der Tilgung unserer Sünden ist bedingungslos, umsonst und unumschränkt. Die einzige Bedingung dabei – wenn man das eine Bedingung nennen will – ist, dass wir uns selbst als gottlos aufgeben und das annehmen, was seine Liebe uns willig in Christus schenkt.
Doch hier haben wir einen völlig anderen Gegenstand. Es ist der übliche Irrtum der sogenannten Theologie, ihn mit der Gnade zu vermengen. Es ist daher kein Wunder, dass einfältige, treue und einsichtige Gläubige einem solch unzuverlässigen Führer misstrauen und ihn ablehnen. Sie haben auch allen Grund, vor ihren Lehren auf der Hut zu sein; denn gewöhnlich verwirrt und verfinstert sie die Gläubigen, die in der Wahrheit noch unbefestigt waren und meinten, von ihr auf den rechten Weg geleitet zu werden. Systematische Gottesgelehrtheit erweist sich als ein hortus siccus, das heißt Blüten, Blätter und so weiter sind von einer Pflanze abgerupft und getrocknet worden, so dass sich kein Krümelchen Frische oder Leben mehr in ihnen zeigt.
Das ist das Wesen der sogenannten Theologie, wohingegen die Heilige Schrift „Geist und Leben“ ist. Das finden wir auch bei dem Herrn Jesus, dem Lebendigen, der starb, aber wieder lebendig ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ebenso verhält es sich mit dem Heiligen Geist, dem Geist der die Wahrheit lebendigmacht, der nicht nur zum Leben gegeben wird, sondern auch jede Wahrheit frisch und kraftvoll erhält; und so ist es auch mit der nie versiegenden Liebe Gottes, des Vaters. Der Mensch macht aus der Offenbarung eine Wissenschaft, zumindest bemüht er sich, das zu tun. Könnte es jedoch zwei Dinge geben, die sich so grundlegend voneinander unterscheiden? Wer hat jemals Leben oder Frieden in der systematischen Theologie gefunden? Sie ist ständig bemüht, dieses und jenes mit menschlichen Waffen zu verteidigen und ihre ungewissen und anfälligen Lehren zu eingebildeten Bollwerken des Glaubens aufzutürmen. Dabei kann Christus allein das in uns durch sein Wort und Gottes Geist bewirken. Nur in der Bibel besitzen wir die Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Wir haben den Heiligen Geist, der alles niederschreiben ließ, um uns in die ganze Wahrheit zu leiten. Daher haben wir Vertrauen zu Gott und zu dem Wort seiner Gnade.
Die Schrift ist die göttliche Grundlage, der Geist Gottes die Kraft, die herniedergesandt wurde, um für immer in uns und bei uns zu bleiben. Welche weitreichenden Vorrechte haben wir doch, wenn wir noch an die Gaben für den Dienst denken, von den größten bis zu den geringsten, die Christus in seiner Gnade gegeben hat! Sie sind uns anvertraut worden, und Gott möchte, dass wir alles verurteilen, was ihnen im Weg steht. Das hat der Apostel auch hier im Sinn. Und wenn wir im Glauben und in der Liebe Fortschritte machen, dann gilt auch uns das Wort: „und was irgend wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun“.
Und nun stelle man sich vor, diese Worte auf das Evangelium anzuwenden! Der letzte Satzteil drückt genau das aus, was unser gepriesener Herr, wie Er bezeugt, allezeit tat: „weil ich allezeit das vor ihm Wohlgefällige tue“ (Joh 8,29). Er war in allem, was Er tat, vollkommen. Darin aber versagen wir. Weder tun noch sagen wir stets das, was Ihm wohlgefällt. Gott sieht und hört alles, und Er achtet in besonderer Weise auf seine Kinder; nicht als wäre Er gegen uns, nein, Er ist für uns. Wenn aber Gott für uns ist, wer gegen uns? Weil Er nun gar nichts bei uns übersieht, so können wir uns nicht hinter Schriftstellen wie Johannes 17 oder Römer 8 zu verbergen suchen, sondern tun gut daran, uns wegen jeder Sache zu demütigen, mit der wir den Heiligen Geist Gottes betrübt haben, durch den wir versiegelt worden sind auf den Tag der Erlösung. Dadurch kehrt unser Herzen in den Genuss der Freimütigkeit vor Gott zurück. Das gibt uns wieder Freudigkeit und Kraft zum Gebet, wie auch hier gesagt wird: „und was irgend wir erbitten“. Wenn wir uns mehr Abhängigkeit von Christus erbitten, so wird Gott uns sicherlich erhören. Bitten um mehr Anhalten im Gebet, um mehr Nutzen aus seinem Wort zu ziehen, um Befähigung, dem ewigen Leben gemäß zu leben und in seinem Genuss zu stehen, sind in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Das ewige Leben ist die eigentliche Grundlage von allem, was dieser Brief enthält. „Und dies ist sein Gebot, dass wir an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie er uns ein Gebot gegeben hat“ (V. 23). Dieser Vers wird manchmal durch „an den Namen … glauben“ übersetzt; aber die griechische Form lässt kein an zu. Es mag Schwierigkeiten bereiten, die Stelle so zu verstehen, wie der Geist Gottes sie fraglos niederschreiben ließ. Aber wenn wir diese Ausdrucksweise auch nicht verstehen sollten, müssen wir nicht dennoch uneingeschränkt das anerkennen, was geschrieben steht? Wir brauchen keine besondere Deutung in diese Ausdrucksweise hineinzulegen. Wir können uns mit ihr begnügen, auch ohne sie gleich zu verstehen, und abwarten, bis wir Verständnis darüber erlangen. Aber diese Worte stehen da und wurden an die Familie Gottes geschrieben, obwohl die Ausdrucksweise ungewöhnlich erscheint. Die Schrift redet gewöhnlich von „Gott glauben“ und Gott bezüglich seines Sohnes glauben. Wenn Christus genannt wird, dann heißt es „an Christus glauben“; so drückt sich die Schrift gewöhnlich aus. Hier aber wird die Form „seinem Namen glauben“ gebraucht. Wenn gesagt wird, dass jemand Gott bezüglich seines Sohnes glaubt, so bedeutet das, Gottes Zeugnis über seinen Sohn zu glauben, das anzunehmen, was Gott mir über seinen Sohn mitteilt. Wenn es nun aber heißt, dass wir dem Namen seines Sohnes glauben, ist damit nicht gesagt, all dem zu glauben, was dieser Name in sich birgt? Der Name ist Gottes Offenbarung über den Herrn, das heißt von dem, was Er ist und was Er getan hat; das ist eine wunderschöne Ausdrucksweise. Das bedeutet nicht nur, dass Er als Mensch den Namen Jesus trug (das brauche ich wohl kaum zu erwähnen), noch handelt es sich nur um seinen Titel als Herr oder irgendeine seiner amtlichen Würden. Hier bedeutet es, dem Namen, der göttlichen Offenbarung, dem Zeugnis Gottes über seinen Sohn Jesus Christus zu glauben.
Der Herr Jesus ist in dieser Eigenschaft der hervorragende Gegenstand des Glaubens, und hier auf der Erde und in dieser Zeit sollen wir seinem Namen glauben, als wäre er die Personifizierung seiner selbst. Es ist nicht nur das, was wir anfangs glaubten, als wir zur Bekehrung kamen. Damals glaubten wir an den Herrn Jesus. Der Apostel spricht aber mit Vorliebe von seiner Person und allem, was dem Gläubigen in und durch seine Person geschenkt wird. Darum wählt er diese eigenartige Ausdrucksweise: „dass wir dem Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben“. Wir kennen die Abhängigkeit von Christus; hier geht es jedoch darum, dem „Namen seines Sohnes Jesus Christus“ zu glauben, das heißt allem, was dieser hochgelobte Name in sich birgt gemäß der Offenbarung Gottes in seinem Wort. So glauben wir seinem Namen.
In Bezug auf das Wort „glauben“ möchte ich noch auf einen Unterschied in der Lesart hinweisen, der allerdings nur geringfügig ist. Üblicherweise finden wir in dem auf sicheren Quellen beruhenden Schrifttext die Form, die eine Fortdauer des Glaubens ausdrückt. Andere bedeutsame Texte benutzen „glauben“ im Sinn einer abgeschlossenen Handlung; die Tatsache des Glaubens wird in ihrem Ergebnis zusammengefasst. Bei dem Wort „Liebe“ hingegen ist die Bedeutung stets: Tag für Tag Liebe üben. Beide Begriffe sind aber in einem Gebot zusammengefasst; es ist das erhabene Gebot der christlichen Lehre, im Gegensatz zu den Geboten des Gesetzes. Nach dem Gesetz sollte man Gott und seinen Nächsten lieben. Jetzt aber heißt es, dem Namen seines Sohnes Jesus Christus zu glauben und einander, das heißt die Kinder Gottes, zu lieben.
Welch ein bedauerliches Missverständnis ist es, die Kinder Gottes mit unserem Nächsten zu verwechseln! Das ist nicht die Bedeutung dieser Schriftstelle. Wir sollen jene lieben, die die Welt nicht erkennt, wie sie Ihn nicht erkannt hat, Ihn, dessem Namen wir glauben. Das alles geht weit über das Denken des Menschen hinaus. Was würdest du von jemandem halten, der von dir verlangte, alle Kinder in London genauso zu lieben, wie deine eigenen Kinder? Du würdest ihn für geistesgestört halten. Diese Illustration mag dazu dienen, uns zu zeigen, wie viel erhabener „sein Gebot“ ist. Wie bereits gesagt, besteht zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels der größtmögliche Unterschied. Jemand mag vielleicht mein Wohnungsnachbar und doch einer der ärgsten Feinde Christi sein. Einem solchen gegenüber findet dieses Gebot, ich solle lieben, keine Anwendung. Man sollte liebende Teilnahme für ihn empfinden und wünschen und beten, dass er das Wort der Wahrheit, das Evangelium des Heils, annehmen möge. Gerade sein hartnäckiger Widerstand und sein Trotz gegen Gott mögen unsere Fürbitte verstärkt hervorrufen, dass er doch ein Denkmal der Gnade Gottes werden möge. Und Gott hat in solchen Fällen schon oft die Gebete erhört. Das in Glauben und Demut beharrliche Rufen und Flehen für einen schuldigen Menschen wurde belohnt. Es erfordert allerdings keinen geringen Mut, sich für einen Nachbarn mit solch einem Charakter in wirksamer Fürbitte einzusetzen. Trotzdem fällt dieser Nachbar keineswegs in den Anwendungsbereich des vorliegenden Gebotes. Es bezieht sich vielmehr nur auf die, die „einander lieben, wie er uns ein Gebot gegeben hat“. Es handelt sich hier einzig und allein um die gegenseitige Liebe der Gläubigen.
Wir haben hier ein weiteres Beispiel dafür, wie Johannes Gott und Christus fast nicht unterscheidet. Am Anfang des Verses ist Gott die Person, die zuletzt erwähnt wurde. Von Ihm sollen wir erbitten und empfangen, und das vor Ihm Wohlgefällige tun. „Und dies ist sein Gebot, dass wir dem Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie er uns ein Gebot gegeben hat.“ Nun wissen wir sehr gut, dass es Christus war, der dieses Gebot gab (vgl. Joh 15,17). Und doch wird durchgehend offenbar auf denselben Er Bezug genommen. Solch ein Schreibstil wäre nie möglich, wenn Christus nicht in derselben Weise Gott wäre wie der Vater. Darin besteht das Geheimnis dieser Eigentümlichkeit. Johannes schreibt absichtlich so, um den Sohn wie auch den Vater dadurch zu ehren; es handelt sich dabei nicht etwa um eine Nachlässigkeit in der Ausdrucksweise. In der Heiligen Schrift gibt es keine Flüchtigkeitsfehler, wie sie selbst bei den berühmtesten Klassikern vorkommen können; im geschriebenen Wort Gottes herrscht überall göttliche Absicht und vollkommene Weisheit. „Und wer seine Gebote hält, bleibt in ihm, und er in ihm; und hieran erkennen wir, dass er in uns bleibt, durch den Geist, den er uns gegeben hat“ (V. 24). Johannes geht hier zu dem neuen Thema über, nämlich dass wir in Gott bleiben und Gott in uns. Es besteht keinerlei Unklarheit darüber. Ohne Gehorsam können wir dieses wunderbare Vorrecht nicht besitzen. Dem Zusammenhang nach heißt es, dass wir in Gott bleiben und Gott in uns bleibt. Dasselbe ist aber auch auf Christus anwendbar und wird auch an anderen Stellen von Ihm gesagt. In sich selbst ist daher beides vollkommen wahr, ob es heißt, dass wir „in Christus bleiben“ oder „in Gott bleiben“. Wenn du in Christus bleibst, dann bleibst du auch in Gott; und wenn du in Gott bleibst, bleibst du auch nicht minder in Christus. Bei genauer Auslegung mag aus dem Zusammenhang heraus der einen Ausdrucksweise vor der anderen der Vorzug gegeben werden. Es ist oft wichtig, das zu erkennen, doch bereitet es keine Schwierigkeiten. Es verhilft aber zu besserem Verständnis, wenn man in Bezug auf die Schrift Fehler vermeidet und keine spitzfindigen Unterscheidungen vornimmt. „Und hieran erkennen wir, dass er in uns bleibt, durch den Geist den er uns gegeben hat“. Hier ist die Gabe des Geistes die Kraft und der Beweis dafür, dass Gott in dem Gläubigen bleibt. Auf diese Weise bleibt Gott in ihm; Er hat ihm seinen Geist gegeben. Umgekehrt ist das Bleiben in Gott in der täglichen Praxis eine Frage der geistlichen Abhängigkeit von Ihm. Sie wäre nicht möglich, wenn nicht der in dem Gläubigen wohnende Geist ein ungetrübtes Aufblicken zu Ihm und Empfangen von Ihm bewirkte. Betrübe ich den Herrn, dann bleibe ich nicht mehr in Ihm. Ich habe mich unversehens von Ihm entfernt und folge vielleicht eine Zeit lang meinen eigenen Gedanken und meinem Willen und geh einen eigenen Weg. Ob es nur ein kurzes Ausgleiten oder ein längeres Abweichen von Ihm ist – ich habe den Genuss seiner Gegenwart verloren und bin nicht in Ihm geblieben.
Beachten wir, dass im Gegensatz zum ersten Teil von Vers 24, wo beide Seiten der Wahrheit genannt werden, der zweite Teil nur von dem Bleiben Gottes in uns spricht. Er bleibt in uns einfach durch den Geist, den Er uns gegeben hat. Nur von der Innewohnung seines Geistes hängt sein Bleiben in uns ab. Es ist auf die Erlösung gegründet und bleibt ebenso bestehen, wie auch unsere Erlösung bestehen bleibt. Unser Bleiben in Ihm aber ist eine Frage unseres geistlichen Zustandes; es wird hier nur erwähnt; im letzten Teil von Kapitel 4 wird es ausführlicher erläutert. Die ersten sechs Verse von Kapitel 4 bilden eine äußerst wichtige Einschiebung und stellen für die Erklärung dieser beiden Seiten die Ausgangsbasis dar.
In den Versen 23 und 24 des dritten Kapitels legt der Apostel die wahre und vollständige Stellung des Gläubigen dar. Dabei berührt er so wenig wie möglich die negative Seite, die in den vorangegangenen Versen so stark hervorgehoben wurde. Mit der gleichen Schlichtheit, aber auch der gleichen Tiefe, wie sie für diesen Brief von Anfang bis Ende charakteristisch ist, wird hier allen Gläubigen der positive Reichtum unserer Vorrechte vor Augen geführt. Vers 23 zeigt uns die klaren und leicht zu erkennenden Merkmale des Gläubigen. In Vers 24 ist es die weniger leicht wahrnehmbare, aber nicht weniger wirkliche innere Tätigkeit des ewigen Lebens durch die Kraft des innewohnenden Geistes Gottes, der auf dieses Leben einwirkt, oder besser gesagt, sich in diesem Leben auswirkt. Wie wir gesehen haben, wird besonders auf den verderblichen Einfluss hingewiesen, den ein nachlässiger Wandel auf die Freimütigkeit des Herzens vor Gott ausübt, die doch ständig unser Teil sein sollte.