Ein weiteres Beispiel wird aus dem Alten Testament zitiert, um den Glauben zu unterstützen, der nicht nur da ist, sondern der durch die Liebe wirkt, die so notwendig ist, um den jüdischen Geist zu beeindrucken. Rahabs Fall ist in seinen Umständen so verschieden, wie man es sich nur vorstellen kann, von dem des Vaters der Gläubigen; denn sie ist eine Frau, eine Heidin, von der verfluchten Rasse und von zuvor schlechtem Charakter; dennoch trat sie, nachdem sie gläubig geworden war, in die Linie des großen David ein und wurde somit eine Vorfahrin von Davids größerem Sohn. Das war nicht weniger wichtig und mächtig.
Ist aber ebenso nicht auch Rahab, die Hure, aus Werken gerechtfertigt worden, da sie die Boten aufnahm und auf einem anderen Weg hinausließ? (2,25).
Ohne Glauben war das Werk Rahabs nicht besser als die Versuchung Abrahams. Wenn es ohne Gott als Gegenstand und Quelle und Autorität getan wurde, waren beide nicht nur wertlos, sondern abscheulich. Menschlich betrachtet, war der eine bereit, seinen eigenen Sohn und Erben zu töten, die andere, ihren König und sein Land an seine Verderber zu verraten. Wie der Glaube den Charakter ihrer jeweiligen Taten völlig veränderte, so bewiesen diese Taten das göttliche Prinzip und die lebendige Kraft ihres Glaubens. Dies wurde im ersten Fall hervorgehoben. Worin bestand es im zweiten Fall?
Rahab glaubte, dass die beiden Männer die Boten des Volkes des Herrn waren. „Ich weiß“, sagte sie, „dass der Herr euch das Land gegeben hat und dass der Schrecken vor euch auf uns gefallen ist und dass alle Bewohner des Landes vor euch verzagt sind“ (Jos 2,9). Woher wusste sie das? Keine Stadt war in Kanaan eingenommen, kein Zentimeter seines Territoriums war erobert, noch nicht einmal ein Schlag war ausgeführt worden. Auf der anderen Seite des Jordans befand sich die Grenze zu Israel, und er trat zu dieser Zeit überall über die Ufer. Woher wusste Rahab, was weder der König noch das Volk von Jericho wussten? Es war durch den Glauben. „Denn wir haben gehört [und der Glaube kommt durch das Hören], dass der Herr die Wasser des Schilfmeeres vor euch ausgetrocknet hat, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter getan habt, die jenseits des Jordan waren, Sihon und Og, die ihr verbannt habt. Und wir hörten es, und unser Herz zerschmolz, und es blieb kein Mut mehr vor euch in irgendeinem Menschen; denn der Herr, euer Gott, ist Gott im Himmel oben und auf der Erde unten“ (Jos 2,10.11).
Die übrigen Einwohner hatten nicht weniger gehört als Rahab; aber das Wort des Berichts nützte ihnen nichts, da es bei denen, die es hörten, nicht mit Glauben vermischt war. Es erreichte Rahabs Gewissen, und sie beugte sich vor Gott, entgegen jeder natürlichen Vernunft und jedem natürlichen Empfinden. Sie beurteilte die Torheit und die Sünde und das Verderben richtig, gegen den Gott zu kämpfen, der sein Volk aus der Macht Ägyptens befreit und seine amoritischen Feinde unwiederbringlich zerschlagen hatte. Seine Absicht, Israel das Land Kanaan zu geben, war offenkundig; und deshalb verbarg sie die beiden Kundschafter als die Vertreter des Volkes, dem Gott das Land durch Verheißung und Eid gegeben hatte: zwei unveränderliche Dinge, bei denen es unmöglich war, dass Gott lügen sollte. Ihr Glaube gründete sich darauf. Könnte irgendein Anker sicherer und fester sein?
Doch Rahab verzweifelte weder für sich selbst noch für andere; sie rechnete mit der Barmherzigkeit des Herrn, wie es der wahre Glaube tut. „Und nun schwört mir doch bei dem Herrn, weil ich Güte an euch erwiesen habe, dass auch ihr an dem Haus meines Vaters Güte erweisen werdet; und gebt mir ein zuverlässiges Zeichen, und lasst meinen Vater und meine Mutter und meine Brüder und meine Schwestern und alle ihre Angehörigen am Leben und errettet unsere Seelen vom Tod!“ (Jos 2,12.13). Das Zeichen wurde so feierlich gegeben, wie es gehalten wurde. Wie sie die Boten im Glauben empfing, so sandte sie sie auf einem anderen Weg in demselben Glauben weg.
So war der Glaube Rahabs selbstverständlich fruchtbar. Sie hatte allen Patriotismus in ihrer Furcht vor dem Herrn überwunden. Da sie an das Band glaubte, das Ihn mit seinem Volk verband, hoffte sie nicht vergeblich, dass Er sie und die Seinen retten würde, wenn Er Jericho zerstören würde. Trotz ihrer bis dahin unreinen Gewohnheiten, trotz ihrer skrupellosen Bereitschaft, zu täuschen und zu verwirren, wo ihr Herz beschäftigt war, war der Glaube kräftig wirksam; und der herzenskundige Gott gab ihr Zeugnis. „Ist aber ebenso nicht auch Rahab, die Hure, aus Werken gerechtfertigt worden?“ (V. 25).
Für sie war es kein unfruchtbares Anerkennen, dass der Herr der Gott Israels war. Es war der lebendige, aktive Glaube, dass Er in Kanaan wie in Ägypten, in der Wüste und an den Grenzen des verheißenen Landes an ihrer Stelle wirken würde. Daher handelte sie in einem Glauben, der in Werken mündete, die genau und in hohem Maß seinem Zweck für sein Volk entsprachen. Unglaube könnte sowohl für sie selbst als auch für sein Volk ein Versagen bedeuten. Aber ihr Glaube überwand alle Ängste und erhob sich über alle Schwierigkeiten. Es war leicht, sich Schwierigkeiten vorzustellen und die entrüstete und grausame Vernichtung zu befürchten, die auf die Entdeckung ihres Verrats folgen musste. Aber ihr Glaube war einfach und stark an das, was der Herr für sein Volk war; und der Glaube drückte sich nicht nur in Worten, sondern in Taten aus, von denen sie wohl wusste, dass sie sie natürlich dem leidvollsten und schmachvollsten Tod aussetzte. Ihr Glaube hielt an dem gesunden Grundsatz fest, dass das höchste aller Rechte darin besteht, dass Gott sein Recht hat. Deshalb fürchtete sie nicht den Zorn des Königs oder des Volkes, gab ihre Ängste auf und ertrug sie, als sähe sie den Unsichtbaren. Wurde nicht auch sie durch Werke gerechtfertigt?