Behandelter Abschnitt Jak 2,10-12
Es gibt kaum eine Tatsache, die für den natürlichen Menschen charakteristischer ist, als bei einem anderen das Böse zu verurteilen, in das man selbst nicht gefallen ist, während man seine eigenen Sünden mit jeder möglichen Entschuldigung als Kavaliersdelikt abmildert. Wahrlich, der Mensch ist nicht nur gefallen, sondern seine Natur ist völlig ungerecht, und Gott ist in keinem seiner Gedanken. Man mag sich auf das allgemeine Versagen der Menschheit und die Unbeständigkeit der Gläubigen berufen. Aber Christus macht alle solchen Entschuldigungen zunichte und zeigt uns den Menschen auf der Erde, in dem keine Sünde und in dessen Mund kein Trug war, der jetzt in der Herrlichkeit ist, den Herrn der Herrlichkeit. Er, nicht Adam, nicht Israel, ist der Maßstab hier auf der Erde wie im Himmel. Wer kann neben Ihm stehen, wie Er war, oder bei Ihm sein, wie Er ist?
Hier aber ist es das Gesetz, das benutzt wird, um die Selbstgerechtigkeit zu zerschlagen; und das Gesetz, da es von Gott ist, kann nicht anders als unnachgiebig sein und widersetzt sich allen Ausflüchten der Menschen.
Denn wer irgend das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden. Denn der gesagt hat: „Du sollst nicht ehebrechen“, hat auch gesagt: „Du sollst nicht töten.“ Wenn du nun nicht ehebrichst, aber tötest, so bist du ein Gesetzes-Übertreter geworden. So redet und so tut als solche, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen (2,10–12).
Gäbe es wahren Gehorsam, wäre ein Anspruch Gottes so verbindlich wie ein anderer, Gewalt so verhasst wie Verderben. In einem Punkt zu verstoßen, verletzt die Autorität Gottes und bringt uns unter die Schuld, alle gebrochen zu haben. Der Appell erinnert uns an die Argumentation des Apostels in Römer 2,17-29, wo der Jude der Torheit überführt wird, sich auf dem Gesetz auszuruhen und sich Gottes zu rühmen und andere wie Unmündige zu lehren, während er es versäumt, sich selbst zu lehren, und Gott durch die Übertretung des Gesetzes, in dem er sich angeblich rühmte, zu entehren. Jeder Versuch des sündigen Menschen (und ein Jude war keine Ausnahme), durch das Gesetz Gerechtigkeit zu erlangen und auf einem solchen Grund vor Gott zu stehen, ist nur eine fatale Unwissenheit über sich selbst wie auch über Gott. Durch Werke des Gesetzes wird kein Fleisch vor Gott gerechtfertigt werden.
Auf der anderen Seite wird der, der an den Herrn Jesus glaubt, durch das Wort der Wahrheit gezeugt. Es ist nicht nur eine Veränderung des Gewissens und des Herzens, sondern es wird eine neue Natur vermittelt, die von Gott ist, denn in der Tat werden die, die so glauben, als von Gott geboren und als seine Kinder erklärt. Wie das Leben des Geistes durch das Wort der Wahrheit vorhanden ist, so wird es durch dieses Wort geformt und genährt, entwickelt und ausgeübt, was für den, der so gezeugt ist, einen Charakter heiliger Freiheit hat, der in völligem Gegensatz zu der Wirkung des Gesetzes auf den natürlichen Menschen steht. In diesem Fall ist es ein Werkzeug der Knechtschaft, denn das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig und gerecht und gut; doch die Gesinnung des Fleisches, der natürliche Mensch, ist Feindschaft gegen Gott; denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht (Röm 8,7). Nur der Eigenwille ist das Gesetz seines Seins. Das Gesetz, wenn es daher wirklich angewendet wird, verdeutlicht dem Sünder seine wesentliche Entfremdung und ist das Mittel, ihn zu verurteilen und zu töten. Das Fleisch ist in denen, die aus Gott geboren sind, nicht besser als in allen anderen, wie die letzte Hälfte von Römer 7 ausführlich zeigt. Fleisch verwandelt sich nicht in Geist. Das, was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch (Joh 3).
Aber wie das Wort nach Gottes Willen gebraucht wurde, um den Gläubigen durch die Vermittlung einer ihm und seinem Wort verwandten Natur zu zeugen, so bleibt es durchweg gültig und bestimmt für die Notwendigkeit und Ermahnung, Erfrischung, Leitung und Stärkung des neuen Lebens. Dies ist es, was das „Gesetz der Freiheit“ genannt wird. Seine Autorität wurde von dem Gläubigen erkannt, als er das Wort Christi hörte und vom Tod zum Leben überging. Dann folgte die Umkehr zu Gott wie der wahre Glaube an den Herrn Jesus Christus: Das Ich wurde als böse verurteilt, die Gnade und Wahrheit in Christus war höchst willkommen. Dann wird das Wort, das die Erkenntnis eines solchen Segens vermittelte, geschätzt und anvertraut, um den Gläubigen durch die Labyrinthe einer verlassenen Welt zu führen und die Machenschaften des Feindes, der sie auf dem Weg umgarnen will, zu entlarven. Das göttliche Licht umgibt den eigenen Wandel. Es ist demnach ein „Gesetz der Freiheit“, das wir lieben; wie wir ja nun den Gott, der es uns zuerst und zuletzt gegeben hat, als unseren besten und wahrhaftigsten Freund kennen, der sich in dem Herrn Jesus bewiesen und offenbart hat.
Es ist von großem Interesse, zu beachten, wie der Apostel Paulus in Römer 8,3.4 zeigt, wie er dem Gesetz, das Zorn wirkt und den tötete, der auf diese Weise seinen Stand zu begründen suchte, das gegenüberstellt, was er „das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus“ nennt (Röm 8,2), das durch Befreiung und nicht durch Knechtschaft gekennzeichnet war und in einem Gott wohlgefälligen Leben des Gehorsams mündete. Jeder inspirierte Schreiber hat seine unterschiedlichen Punkte; beide stimmen darin überein, ein ähnlich gesegnetes Ergebnis zu bezeugen.
Die Menschen sind leicht vor einem Gott zufrieden, der sich nicht mehr sichtbar zeigt, der jetzt nicht mehr so handelt, wie zu der Zeit, als das Gesetz herrschte oder die Regierung sich in unmittelbarer Belohnung und Bestrafung zeigte. Und der Irrtum der Menschen ist umso größer, wenn sie das Evangelium als eine Abschwächung der gesetzlichen Strenge ansehen. Sie bilden sich ein, dass eine kleine Sünde hier und da eine milde Behandlung erfährt, so dass es keinen Bedarf an gesteigerter Gerechtigkeit gibt. Die Umstände derer, die in diesem Brief angesprochen werden, würden die Menschen natürlich dieser Schlinge aussetzen, die in den Versen vor uns selbst entlarvt und zerrissen wird. Kein Gedanke war abfälliger gegenüber seiner Autorität, die am Sinai zum Ausdruck kam, keiner untergräbt mehr das Gesetz selbst, das notwendigerweise unnachgiebig ist. Wenn es in einem einzigen Punkt gebrochen wird, ist die Gerechtigkeit unter ihm dahin, und die Ehre des Ganzen ist gefährdet. Wenn die Übertretung in einem Punkt geduldet würde, würde das Zugeständnis immer mehr erwarten, bis vielleicht jeder Punkt außer einem aufgegeben würde, wenn überhaupt einer nach einem solchen Prinzip dem eindringenden Willen des Menschen entgehen könnte. Aber alle solche Toleranz ist dem Gesetz unbekannt, das nichts weniger als absolute, kompromisslose Unterwerfung verlangt.
Wird also behauptet, dass der Zustand des Menschen unter dem Gesetz, ganz gleich, welche Privilegien und Hilfen er hat, hoffnungslos ist und sein muss? Die Antwort ist, dass dies mit Sicherheit so ist, weil der Mensch ein Sünder ist. Das Böse ist seit dem Sündenfall in seiner Natur, ein Gesetz in seinen Gliedern, das dem entgegensteht, was heilig, gerecht und gut ist. Der Apostel Paulus geht an die Wurzel und zeigt, dass der Tod des alten Menschen die einzige göttliche Befreiung ist, dass die allmähliche oder plötzliche Besserung unserer selbst ebenso menschlich und eitel ist, die Neuheit der theologischen Erkenntnis, und nicht das Heilmittel, das dem Glauben im Wort Gottes verkündet wird. Wäre es nur unser Tod, so wäre es für uns hier auf der Erde unerreichbar, und die gesegnete Frucht käme erst nach dem Tod, wenn wir bei Christus sein würden; und so wäre der Sieg, den Gott jetzt durch unseren Herrn Jesus beabsichtigt, eines großen Teils seines Glanzes und seiner Kraft beraubt. Aber es ist nicht so. Der Tod und die Auferstehung Christi gibt jetzt viel mehr, als die meisten Christen denken, zu ihrem eigenen Schaden. Denn es ist nicht nur so, dass Er für uns gestorben ist – für unsere Sünden, die damit getilgt und vergeben sind –, Er ist auch der Sünde gestorben, Er selbst, der völlig ohne Sünde war. Er kannte keine Sünde; und doch hat Gott Ihn für uns zur Sünde gemacht; und wir, die wir glauben, sind mit Ihm verbunden in diesem Tod der völligen Befreiung von der Sünde im Prinzip, von der Wurzel und nicht nur von den Früchten, wie der Apostel so ausführlich in Kapitel 5,12 und 8 darlegt. Unsere Taufe bedeutet sogar nicht nur, dass unsere Sünden abgewaschen sind, sondern dass wir der Sünde gestorben sind und sowohl von der Sünde als auch von den Sünden gerechtfertigt sind. Daher sind wir aufgerufen, uns der Sünde für tot halten, Gott aber lebend in Christus Jesus (Röm 6,11).