Behandelter Abschnitt Heb 6,13-20
Auch hier wurde ein Versagen erkannt, wenn auch mit der Zartheit der Liebe darauf hingewiesen wird, damit sie den gleichen Fleiß an den Tag legten, wie bei dem, was er gern besaß. So sehnt er sich hier nach demselben, „zur vollen Gewissheit der Hoffnung bis ans Ende“ (V. 11). Nur so übt die Hoffnung ihre Macht aus. Irdische Hoffnungen, denen man sich hingibt, sind der göttlichen Hoffnung, die Gott schenkt, ebenso abträglich wie andere Dinge, auf die man vertraut, dem lebendigen Glauben gänzlich zuwiderlaufen. Nichts weniger als die volle Gewissheit der Hoffnung konnte das Herz des Apostels für die Gläubigen befriedigen, wie er hinzufügt, „damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Ausharren die Verheißungen erben“ (V. 12). Wir brauchen alles, womit der Heilige Geist auf uns einwirkt; und indem Er dabei das geschriebene Wort Gottes benutzt, verherrlicht Er immer Christus und macht Ihn unseren Herzen lieb. Wir können es uns nicht leisten, uns von dem, was offenbart ist, abzuwenden oder auch nur einen Teil dessen, was offenbart ist, so zu bevorzugen, dass wir den Rest vernachlässigen. Und gewiss ist die Herrlichkeit, die Christus schenkt, hell genug, um volle Gewissheit der Hoffnung zu verlangen und das gesegnete Ende im Blick zu behalten. Sonst werden wir träge oder stumpf, wo wir ernst und hellwach sein sollten, „Nachahmer“ der früheren Gläubigen, „derer, die durch Glauben und Ausharren die Verheißungen erben“ (V. 12). Das Gegenwärtige ist hier, wie oft anderswo, nicht nur die historische Kraft, sondern die ethische oder abstrakte. Die Erben der Verheißungen haben ihren Glauben unter Beweis gestellt und ihre Langmut in gewohnter Weise geübt. „Glückselig der Mann, der die Prüfung erduldet! Denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die er denen verheißen hat, die ihn lieben“ (Jak 1,12).
Der Wunsch, dass die Gläubigen die nachahmen, die durch Glauben und Ausharren die Verheißungen erben, erinnert sofort an den Vater der Gläubigen in einer Weise, die ihr Vertrauen stärken soll.
Denn als Gott dem Abraham die Verheißung gab, schwor er, weil er bei keinem Größeren zu schwören hatte, bei sich selbst und sprach: „Wahrlich, reichlich werde ich dich segnen, und sehr werde ich dich mehren.“ Und nachdem er so ausgeharrt hatte, erlangte er die Verheißung. Denn Menschen schwören bei einem Größeren, und der Eid ist ihnen das Ende allen Widerspruchs zur Bestätigung; worin Gott, da er den Erben der Verheißung die Unwandelbarkeit seines Ratschlusses überreichlicher beweisen wollte, sich mit einem Eid verbürgt hat, damit wir durch zwei unwandelbare Dinge – wobei es unmöglich war, dass Gott lügen würde – einen starken Trost hätten, die wir Zuflucht genommen haben zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung, die wir als einen sicheren und festen Anker der Seele haben, der auch in das Innere des Vorhangs hineingeht, wohin Jesus als Vorläufer für uns hineingegangen ist, der Hoherpriester geworden ist in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks (6,13–20).
Wenn der Glaube schwächer wird, treten irdische Dinge an die Stelle der himmlischen Dinge, die einst das Herz erfüllten. Die Gefahr für diese gläubigen Juden besteht auch für andere und ist in der Tat im gegenwärtigen Zustand der Christenheit vorrangig. Eine Religion aus dem Altertum übt auf die einen eine große Anziehungskraft aus, ebenso wie eine gesellschaftliche Stellung auf andere. Beide sind von der Erde und unvereinbar mit dem, der von Priestern und Statthaltern gekreuzigt wurde (das Höchste, was die Welt damals kannte), jetzt aber mit Herrlichkeit im Himmel gekrönt ist. Der so dargestellte Glaube an Ihn (und das ist der Kern des Evangeliums) soll das Herz und das Leben aller prägen, die seinen Namen tragen. Wenn die Wahrheit nach dem Wort in ihrem Innern hell leuchtet, stärkt der Heilige Geist sie; und die Welt wird sowohl in ihrem religiösen Anspruch als auch in ihrem äußeren Fall und ihren Ehren beurteilt. Zweifellos ist durch und in dem Heiland weit mehr offenbart, als die Patriarchen je wussten. Dennoch war der Anblick Abrahams als Fremdling, wie die Heilige Schrift betont, ein nicht unbedeutender Appell an einen gläubigen Juden, der in der Gefahr stand, zu dem zurückzufallen, was einst sein Stolz war, weil er den Blick auf Christus in der himmlischen Herrlichkeit und die Hoffnung, alles mit ihm zu teilen, verloren hatte. Abraham besaß nichts in Kanaan, er musste sogar ein Grab kaufen; er hing an der Verheißung Gottes. Die christlichen Juden befanden sich bisher in einer ähnlichen Lage; sie warteten darauf, die Verheißungen zu erben. Abraham und sein Sohn und dessen Sohn (der nach allgemeiner Auffassung der verehrungswürdigste der Väter und sicherlich alt genug, um die eifrigsten derer zu befriedigen, die sich für das Altertum interessierten), sie alle starben im Glauben, nicht im Besitz. Sie sahen und begrüßten die Verheißungen aus der Ferne und bekannten sich als Fremde auf der Erde. Warum sollten die Christen zurückschrecken, wenn sie auf einen ähnlichen Weg gerufen werden? Es ist der Unglaube, der die Hoffnung verachtet und sich nach einem gegenwärtigen, irdischen Vergnügen sehnt.
Nun hatte Gott schon damals Abraham, dem Wegbereiter, eine gute Grundlage für die Gewissheit gegeben. Er hatte seiner Verheißung seinen Eid hinzugefügt: eine gesegnete Bestätigung für die Bewährten, auch wenn sie weit davon entfernt waren, Ungläubige zu sein. Nur Theoretiker würden leichtfertig über eine solche gnädige Bestimmung nachdenken, nur die, die von einer Pilgerreise in einem Palast träumen und keine Absicht haben, die Wahrheit zu leben. Wenn das Gewissen ernsthaft ist, spüren wir unsere eigenen Schwachheiten, und der Weg Christi erscheint uns schwierig, gefährlich und abstoßend. Daher gab die gnädige Weisheit Gottes seinen Schwur zusätzlich zu seiner Verheißung, wie wir in 1. Mose 22,17.18 lesen können: eine wertvolle Aufmunterung für den, der gerade zu dieser Zeit seinen Sohn im Gleichnis von den Toten zurückerhielt.
Gott gab diese zweifache feierliche Garantie nicht nur um Abrahams willen oder um derer willen, die unmittelbar darauf folgten. Er wollte damit den Erben der Verheißung die Unveränderlichkeit seines Willens noch deutlicher zeigen. Deshalb hat Er mit einem Eid vermittelt oder eingegriffen, um die Augen aller, die glauben, von den gegenwärtigen und sichtbaren Dingen zu der Hoffnung zu erheben, die auf seinem durch seinen Eid bestätigten Wort ruht. Welch liebevolle Herablassung gegenüber denen, die durch das Land des Feindes ziehen! Das sind eindeutig die „durch zwei unwandelbare Dinge – wobei es unmöglich war, dass Gott lügen würde“, deren Anwendung nicht auf die Väter von einst, sondern auf die Kinder von heute zutrifft, „damit wir ... einen starken Trost hätten, die wir Zuflucht genommen haben zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung“ (V. 18).
Das Kapitel beginnt also mit einer sehr ernsten Warnung. Auf der einen Seite sind das hellste Licht, das höchste Zeugnis, das Teilhaben am Heiligen Geist, die Lieblichkeit des Evangeliums, „die Wunderwerke des kommenden Zeitalters“ (V. 5) als Zeichen des Triumphes Christi die wichtigsten äußeren Vorrechte des Christentums. Und doch können die Menschen sie alle haben und völlig abfallen, so dass keine Erneuerung zur Umkehr möglich ist. Sie sind nicht das Leben, das ewige Leben in Christus; sie beinhalten nicht die Liebe Gottes, die durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wurde, in unsere Herzen ausgegossen wird. Weder die Erleuchtung noch die Kraft ist dasselbe wie die Wiedergeburt, von der hier nicht die Rede ist oder die vorausgesetzt wird. Andererseits weisen diese Schlussverse, wenn die frohe Botschaft der göttlichen Gnade folgt, auf den niedrigsten Glauben hin, der je in den Tagen des Evangeliums beschrieben wurde, „die wir Zuflucht genommen haben“ (eine Anspielung auf das schöne Bild des Totschlägers, der gerade noch vor seinen Verfolgern gerettet wurde), befähigt, die Hoffnung zu ergreifen, die vor uns liegt: ein wahrhaft „starker Trost“ für die schwachen und furchtvollen Gläubigen.
Und das ist noch nicht alles. Die Hoffnung, die jetzt vor dem Gläubigen steht, geht weit über alles hinaus, die die Gläubigen in alttestamentlicher Zeit haben konnten. Wir haben sie als einen sicheren und festen Anker der Seele, „der auch in das Innere des Vorhangs hineingeht, wohin Jesus als Vorläufer für uns hineingegangen ist, der Hoherpriester geworden ist in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks“ (V. 19.20). Hier wird die Sicherheit verstärkt und gekrönt durch, der nicht weniger Gott als Mensch ist, Jahwe-Messias, den Retter, der für uns in den Himmel zurückgekehrt ist, nachdem Er die Reinigung von den Sünden bewirkt und eine ewige Erlösung erfunden hat.
In Ihm und seinem Werk ist alles sicher. Die Gerechtigkeit Gottes ist mit seiner Gnade versöhnt. Die Sünde ist so gerichtet worden, dass sie die schönste Achtung vor der verletzten Majestät und Heiligkeit rechtfertigt. Die Barmherzigkeit kann frei fließen, doch auf der Grundlage der Gerechtigkeit, die nicht mehr vergeblich vom Fleisch und vom schuldigen Menschen gesucht wird, sondern von Gott als Christus gebührend festgesetzt (Joh 12) und vom Geist im Evangelium ausgeteilt wird (2Kor 3). Er, der im Himmel erhöht ist, ist der verheißene Messias, der Gegenstand, Garant und Spender aller Verheißungen Gottes. So wird die Erde zu gegebener Zeit am besten gesegnet werden; doch inzwischen sind die, die an Ihn glauben, bevor Er erscheint, mit Ihm in einer himmlischen Beziehung verbunden, noch während sie hier sind, so dass auch sie auf einem klareren und schöneren Boden, als Mose ihn einnehmen konnte, der die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens. Er ist als Vorläufer für uns in das Innere des Vorhangs – den Himmel selbst – hineingegangen, den niemand kennen oder beanspruchen konnte, bevor Er nicht dort eingegangen war, für die Sünden gelitten hatte und in die Herrlichkeit aufgenommen wurde. Wenn dies den Gläubigen nicht aus einem irdischen Denken, aus einem Heiligtum der Welt herausholt, kann es nichts anderes. Er, der uns geliebt hat, unser Vorläufer im Himmel, obwohl von den Menschen verworfen, zieht und bindet unsere Herzen an sich, wo Er ist; und Gott offenbart Ihn uns dort zu diesem ausdrücklichen Zweck.