Behandelter Abschnitt 5Mo 31; 32
Danach finden wir in Kapitel 31, wie Mose im Begriff steht, seinen Dienst zu beenden. Er hatte sozusagen seine letzte Rede gehalten und richtet eine höchst ernste Warnung an sie, indem er ihnen sagt, dass er die Rebellion kennt, derer sie sich schuldig machen würden. Josua wird ermutigt und auch die Leviten.
Aber Mose endet nicht ohne ein Lied in Kapitel 32; und dieses Lied gründet sich auf die geheimen Dinge der Gnade Gottes, obwohl es auch die Gerichte der letzten Tage erwähnt. Nicht unwissend über das Böse, blickt er vorwärts auf den Segen, den sie sicher empfangen würden. Er empfindet tief, was sie in ihrer halsstarrigen Torheit und Undankbarkeit gegen den Herrn tun würden; aber er sieht in prophetischer Vision, was Er für sie tun wird.
Daher sagt er: „Horcht, ihr Himmel, und ich will reden; und die Erde höre die Worte meines Mundes!“ (V. 1), Weil er den Namen des Herrn verkünden würde, sollten sie ihrem Gott Größe zuschreiben. Er ist der Fels, der in unerschütterlicher Kraft für sein Volk steht. Nicht sie, sondern Er ist dieser Turm der Stärke. „Der Fels: Vollkommen ist sein Tun; denn alle seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und ohne Trug, gerecht und gerade ist er!“ (V. 4). Was die Menschen betrifft, so war es offensichtlich, was sie waren. Die Verderbnis war die ihre, nicht die seine; es ist die seiner Kinder, die ihre ist der Fleck ‒ ein verkehrtes und verdrehtes Geschlecht. Der Gesetzgeber tadelt entrüstet ihre Undankbarkeit und verschärft sie noch, indem er sie daran erinnert, dass es kein neuer Gedanke Gottes war. Ihr Platz in der Welt zu seiner Ehre war nicht das letzte Mittel, das in den letzten Tagen aufgegriffen werden würde. „Als der Höchste [Elion] den Nationen das Erbe austeilte, als er voneinander schied die Menschenkinder, da stellte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Kinder Israel“ (V. 8).
Das hat allerdings nicht den ewigen Charakter unserer Erwählung als Christen (Eph 1). Der Unterschied ist gerecht und angemessen. Wenn Gott seine Pläne in Christus offenbart, die seine Kinder betreffen, wird seine Erwählung als vor Grundlegung der Welt bezeichnet. Nicht so bei Israel. Es wird immer gesagt, dass sie in der Zeit ist, obwohl sie genauso souverän ist wie in unserem Fall. Eine ewige Erwählung würde nicht zu der eines Volkes passen. Die Erwählung Israels ist lediglich mit der Erde verbunden. Das Besondere an unserer Erwählung durch Ihn ist, dass sie außerhalb der Schöpfung liegt. Sie hängt mit der Ewigkeit Gottes selbst zusammen und ist völlig getrennt von allem Geschaffenen, das im Begriff stand, durch den Menschen und Satan verdorben zu werden. Gott möchte Heilige haben, die seine Natur moralisch teilen und sich daran erfreuen, nicht weniger als die Engel, sein Wohlgefallen als seine Diener zu tun. Was hatte das mit der Schöpfung zu tun? Es geht darum, dass Gott nach seiner eigenen Weisheit und Liebe die formt, die in der Lage wären, seinen Geist zu teilen und seine Liebe zu genießen. Und das geschieht durch Christus, seinen Sohn, und wird durch den Heiligen Geist, der vom Himmel herabgesandt wird, bekanntgemacht. Es steht völlig über einer Frage des Zustandes des Geschöpfes. Niemand bezweifelt, dass die, die so gesegnet werden sollten, tatsächlich ein Teil der Schöpfung waren, ja, in ihrem tiefsten Verderben und ihrer Schuld. Wir hatten unseren Anteil an der Welt, die Jesus verworfen und gekreuzigt hat.
Dann folgt der Triumph der Gnade. Es war notwendig, dass wir in Christus nicht nur das ewige Leben empfingen, sondern auch die Erlösung. Das Leben wäre genug gewesen, wenn wir keine Sünder gewesen wären. Aber wir waren schuldig und verloren, und deshalb kommt Christus, um zur Sühnung zu sterben. Er hat unser Gericht auf sich genommen und für unsere Sünden gelitten, der Gerechte für den Ungerechten, um uns zu Gott zu bringen (1Pet 3,18). Die Folge ist, dass Er in seinem Tod am Kreuz versöhnte, was sonst nicht versöhnt werden konnte, und Er hat sie für Gott gerecht gemacht, um uns zu erlösen. Dadurch war Er frei, jene ewigen Ratschlüsse zu verwirklichen, die Er in Christus hatte, bevor die Welt war. Mit Israel ist der Fall anders. Dort finden wir, wie gesagt, die Erwählung in der Zeit, das Volk inmitten der Grenzen, die den anderen Nationen unter den Söhnen Adams zugewiesen wurden, für den Herrn abgesondert; denn es geht hier nicht um die göttliche Natur, sondern um das menschliche Geschlecht: „da stellte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Kinder Israel. Denn des Herrn Teil ist sein Volk, Jakob die Schnur seines Erbteils“ (V. 8.9).
Dann singt Moses von seiner wunderbaren Liebe und Güte und Geduld zu diesem Volk und ihrem Fall in jede Art von Ungerechtigkeit, wobei sie sogar Dämonen opferten („Ziegenböcke“ werden sie zeitgenössisch genannt), nicht Gott, sondern „Göttern, die sie nicht kannten, neuen Göttern, die vor kurzem aufgekommen waren, die eure Väter nicht verehrten. Den Felsen, der dich gezeugt hat, vernachlässigtest du, und vergaßest den Gott, der dich geboren hat“ (V. 17.18). Was für eine Schande! Da muss der Herr Pfeile gegen sein Volk vorbereiten, muss seine Rache sogar über sein geliebtes Israel ausgießen ‒ schuldiger als alle anderen, und zwar, um sie einem Nicht-Volk (den Heiden) zu überlassen, durch das er die Juden zur Eifersucht reizen wollte.10 Dann nutzen die Heiden Gottes Zorn gegen sein Volk aus, bis Er sich endlich in Barmherzigkeit zu Israel erhebt, um mit ihren Feinden zu verfahren. „Denn der Herr wird sein Volk richten, und er wird es sich gereuen lassen über seine Knechte, wenn er sehen wird, dass geschwunden die Kraft, und der Gebundene und der Freie dahin sind. Und er wird sagen: Wo sind ihre Götter, der Fels, bei dem sie Zuflucht suchten, die das Fett ihrer Schlachtopfer aßen, den Wein ihrer Trankopfer tranken? Sie mögen aufstehen und euch helfen, mögen ein Schirm über euch sein! Seht nun, dass ich bin, der da ist, und kein Gott neben mir! Ich töte, und ich mache lebendig, ich zerschlage, und ich heile; und niemand ist da, der aus meiner Hand errettet! Denn ich erhebe zum Himmel meine Hand und spreche: Ich lebe ewig! Wenn ich mein blitzendes Schwert geschärft habe und meine Hand zum Gericht greift, so werde ich Rache erstatten meinen Feinden und Vergeltung geben meinen Hassern. Meine Pfeile werde ich berauschen mit Blut, und mein Schwert wird Fleisch fressen – mit dem Blut der Erschlagenen und Gefangenen – vom Haupt der Fürsten des Feindes.11 Jubelt, ihr Nationen, mit seinem Volk! Denn er wird das Blut seiner Knechte rächen und Rache erstatten seinen Feinden, und seinem Land, seinem Volk, vergeben“ (V. 36–43).
Dann wird Gott nicht nur sein Volk Israel erlösen, sondern Er wird auch die Nationen selbst veranlassen, sich mit seinem Volk in dem sich erweiternden Kreis seiner Gnade zu erfreuen; denn obwohl das Prinzip unter dem Evangelium gilt, wird erst in der tausendjährigen Herrschaft die volle Bedeutung ihrer vorhergesagten gemeinsamen Freude verwirklicht werden.
10 Es ist schwer, sich einen größeren Mangel an geistlicher Einsicht vorzustellen, als in den Bemerkungen von Dr. Davidson (Introd. O. T. i. 391‒393) und den deutschen Autoren, denen er widerspricht, gezeigt wird. Die Wahl liegt zwischen tieferen oder seichteren Gruben des Irrtums. „Das zweiunddreißigste Kapitel bis zu Vers 43 enthält das Lied des Mose, auf das in 31,19.22.30 Bezug genommen wird. Es ist ziemlich klar, dass das Lied nicht vom Deuteronomisten selbst geschrieben wurde, der nie als Dichter auftritt und von dessen Stil es sich stark unterscheidet. Es kann auch nicht vom Jehovisten geschrieben worden sein, denn der Unterschied in der Ausdrucksweise und der Art und Weise ist zu groß. Es stammt von einem unbekannten Dichter, dessen historische Anspielungen und sprachliche Eigenheiten zeigen, dass er nach Mose (!) und sogar nach Salomo (!!) gelebt hat. So setzt der fünfzehnte Vers voraus, dass die Israeliten sehr blühende und friedliche Zeiten durchlebt hatten; und im einundzwanzigsten Vers ist von den Assyrern die Rede, die den Höhepunkt ihrer Macht erreicht hatten und im dreiunddreißigsten Kapitel des Jesaja beschrieben werden. Alle internen Beweise deuten auf das letzte Viertel des achten Jahrhunderts als die Zeit, in der das Lied geschrieben wurde, wie Ewald nachgewiesen hat (!!!). Der Deuteronomist, der es Moses zuschrieb, obwohl es nicht zu dem Zweck geschrieben wurde, als mosaisch durchzugehen, nahm es an und legte es in seinen Mund. Wir können nicht mit Ewald übereinstimmen […] Diese Beobachtungen zeigen, dass wir uns von Knobel unterscheiden, der das Lied der syrischen Zeit zuordnet. Statt die Verse 21.30.31.35 auf die Assyrer zu beziehen, nimmt er an, dass die Syrer gemeint sind, hauptsächlich weil er meint, dass von den ersteren in einer stärkeren Sprache gesprochen worden wäre, und dass die Gefangenschaft angekündigt worden wäre. Aber Knobel stützt sich sehr auf den siebten Vers [hier gibt es eine Verwechslung: es muss sich um 5. Mose 33 handeln], der sich auf Juda bezieht, als Beweis dafür, dass das Kapitel zu einer viel früheren Zeit gehört, als ihm gemeinhin (!) zugewiesen wird. Er nimmt die Anspielung im ersten Vers als Anspielung darauf, dass David in der Verbannung weit weg von Saul lebte, während er den zwölften Vers auf Gibeon bezieht, wohin die Stiftshütte gebracht worden war, nachdem Nob von Saul zerstört worden war. Das sind prekäre Anspielungen, auf die man sich verlassen kann. Wir glauben nicht mit Knobel, dass das Gedicht in die Zeit Sauls gehört, und sind überrascht, den Kritiker zu finden, der behauptet, dass die Schreiber von 1. Mose 49 und 5. Mose 33 unabhängig voneinander waren, ohne erkennbare Nachahmung von Seiten der beiden.
Die Verse, die dem Lied unmittelbar folgen, nämlich 5. Mose 32,44‒47, gehören dem Deuteronomisten selbst, wie die Anspielung in Vers 46 auf alle Worte des Mose deutlich zeigt. Der Rest des Kapitels, nämlich V. 48‒52, ist elohistisch, er wurde vom Elohim-Schreiber übernommen und vom Deuteronomisten hier eingefügt. Es ist teilweise eine Wiederholung von 4. Mose 27,12‒23, wie Bleek betont hat.“
Ich habe diesen langen Auszug nicht nur als Beispiel für die spekulative Manie gegeben, die diese Schule charakterisiert, sondern auch für ihre Bereitschaft, den heiligen Männern Gottes, die von Ihm sprachen, wie sie vom Heiligen Geist getragen wurden, die gemeinste Unredlichkeit zuzuschreiben. Sie denken wenig daran, ihrem imaginären Deuteronomisten den Betrug zu unterstellen, Mose in den Mund zu legen, was er ihrer Meinung nach nie gesagt hat. Welch ein Betrug am Wort Gottes! Aber genug davon. Der Apostel Paulus widerlegt sie alle im Voraus mit wenigen Worten, die die Kraft und das Licht der Wahrheit haben, wie die ihren von widersprüchlichen Unsinnigkeiten. Er erklärt, dass Vers 21 die Sprache Moses ist, und dass die Anspielung auf die Heiden ist, die genannt werden, während Gott Israel als Lo-Ammi zählt (Röm 10,19). Weder Syrer noch Assyrer sind da im Blickfeld, sondern, während des zeitweiligen Ausschlusses des alten Volkes, die Berufung derer, die kein Volk sind, um Israel zur Eifersucht zu bewegen (vgl. Röm 11).↩︎
11 Wörtlich: „vom gespaltenen [o. behaarten] Haupt des Feindes“.↩︎