Denn das Fleisch begehrt gegen den Geist, der Geist aber gegen das Fleisch; denn diese sind einander entgegengesetzt, damit ihr nicht das tut, was ihr wollt (5,17).
Ich glaube, das ist es, was der Heilige Geist geschrieben und gemeint hat.2 Der Heilige Geist sagt also: „damit ihr nicht das tut, was ihr wollt“ – das ist der eigentliche Punkt des Verses. Er zeigt ihnen, warum sie aufgerufen sind, im Geist zu wandeln, und was das wahre Schutzmittel gegen die Begierden des Fleisches ist. Denn die beiden sind völlig entgegengesetzt: Sie sind in jeder Hinsicht konträr zueinander. Es wird nicht gesagt: Ihr habt das Gesetz, damit ihr nicht die Begierden des Fleisches erfüllt; sondern da ihr eine Natur habt, die immer geneigt sein wird, ihren eigenen Willen zu tun, habt ihr nicht nur das Gesetz, um sie zu zügeln, sondern euch ist der Heilige Geist gegeben; nicht wie das Gesetz, eine Sache außerhalb von jemand ist; sondern der Heilige Geist ist eine innere Kraft, die sich mit den Neigungen des Menschen einsmacht und den Begierden Kraft gibt, nach dem Guten zu streben, und gegen die natürlichen Begierden oder jede Art, in der sich das Fleisch zeigen kann.
Er gibt durchaus zu, dass da das Fleisch – Stolz, Eitelkeit, alles, was böse ist – am Werk war. Aber als Christen habt ihr den Heiligen Geist, und wenn ihr im Geist wandelt, werdet ihr „die Lust des Fleisches nicht vollbringen“ (V. 16). Obwohl die Begierden des Fleisches da sind, hast du auch den Geist, damit du diese Begierden nicht erfüllst3.
Eine Sache, die, wie ich annehme, zu Verwirrung über dieses Thema führt, ist, dass viele angenommen haben, dass die Lehre dieselbe ist wie in Römer 7. Aber in jenem Kapitel, nach den ersten sechs Versen, schildert uns der Heilige Geist die Erfahrung eines Menschen, der unter dem Gesetz leidet. Daher kommt dort den Geist Gottes überhaupt nicht zur Sprache. Das ist eine bemerkenswerte Tatsache, die den Unterschied zwischen jener Schriftstelle und dem, was wir hier haben, erklärt. Dort ist es ein erneuerter Mensch – jemand, der wirklich aus Gott geboren ist, der zwar die Sünde hasst, wie es kein unbekehrter Mensch tut, der die Gerechtigkeit liebt, weil sie von Gott ist, der Abscheu vor dem Bösen hat; aber trotz allem tut er das Böse, das er nicht will, und das Gute, das er sich wünscht, vollbringt er nicht. Er hat das Böse der Sünde kennengelernt, und sieht das Gute der Gerechtigkeit, aber er ist völlig kraftlos. Was ist die Ursache dafür? Der Heilige Geist zeigt, dass der Grund darin liegt, dass er nur das Gesetz vor sich hat. Es ist ein bekehrter Mensch, der aber unter dem Gesetz kämpft. Das Ergebnis ist, dass es den Menschen völlig entnervt. Weit davon entfernt, ihm Mut zu machen und das hervorzubringen, was in Christus ist, entlarvt es ihn nur hier und da, legt an einer Stelle eine Nadel an und sticht ihn an einer anderen, so dass er verwirrt ist, in sich selbst ein solches Maß an Bösem zu finden, von dem er nie dachte, dass es im Herzen eines bekehrten Menschen sein könnte. Wir alle kennen etwas davon. Selbst wenn wir noch nicht lange in der Nachfolge Christi sind, haben wir schon einige bittere Kämpfe erlebt. Die Folge ist, dass der Mensch nur noch sagen kann: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?“ (Röm 7,24). Man hätte meinen können, dass ein Christ sagen würde: „Ich bin schon längst erlöst.“ Aber beachte dies: Sein Auge ruht auf dem Erlöser. Er ist bekehrt, aber er kennt die Freiheit nicht. Er hat den Glauben an den Erlöser, aber er versteht nicht die Anwendung seines Todes und seiner Auferstehung auf seinen Zustand. Er weiß nicht, dass er nicht mehr im Fleisch, sondern im Geist gesehen wird – dass er das Recht hat, von seiner alte Natur abzusehen und sich in Christus vor Gott zu sehen. In dem Moment, in dem er zu dieser Entdeckung kommt, dass es ein Fehler ist, das Gesetz auf sich anzuwenden, dankt er. Bis dahin schreit er in der Intensität seiner Not: „Ich elender Mensch!“ Und doch, gerade dann kommt dieser neue Gedanke von Gott: „Wer wird mich retten?“ Ich habe es jetzt verstanden; ich sehe, dass es nicht mein eigenes Ringen mit dem Gesetz ist, um das Böse zu überwinden; ich sehe, dass es einen anderen gibt, einen Erlöser. –
Deshalb kann er sich im nächsten Augenblick voller Dankbarkeit an Gott wenden und sagen: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ (Röm 7,24). Danach ist er glücklich, vollkommen glücklich, trotz des Bewusstseins, dass die alte Natur noch in ihm ist. Was macht ihn glücklich? Er sieht, dass es zwei verschiedene Dinge gibt – die alte Natur, die, wenn man sie wirken lässt, immer dem Gesetz der Sünde dient, und die neue Natur, die immer den Willen Gottes sucht, was immer es auch sein mag.
Nun kann er also in die großen Wahrheiten von Römer 8,1 eintreten: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Das ist jetzt einsichtig, „denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2). Er belässt es nicht bei der unbestimmten Formulierung „hat alle freigemacht“, sondern „hat mich freigemacht“. Es ist kein allgemeines Glaubensbekenntnis, sondern die Wahrheit wird in der positivsten Weise auf die persönliche Not der einst kämpfenden Person angewandt. Es gibt keine Knechtschaft mehr, jetzt, wo er sieht, dass Christus auferstanden ist. Als wer ist Er auferstanden? Er ist auferstanden als Familienoberhaupt, um mir einen neuen Namen und einen ganz neue Stellung zu geben. Er ist unter das Meer meiner Sünden hinabgestiegen, und Er ist darüber auferstanden. Was von mir war, hat Ihn hinuntergeführt; und wenn Er danach auferstanden ist, so ist es, um auch mich mit Ihm zu erheben. Die Auferstehung Christi war nicht, um für sich eine Stellung zu haben, sondern um uns, um mir, eine Stellung zu geben. Der Tod Christi war für uns, um unsere Sünde wegzutun; die Auferstehung Christi war, um einen Segen zu bringen, der unantastbar ist. Die Auswirkung des ersten Kommens Christi ist, dass wir darin eintreten; die Auswirkung seines zweiten Kommens wird sein, dass unsere Körper, frei von jeder Spur der Sünde, vollkommen darin eintreten werden, wie es unsere Seelen jetzt sollten. Wenn wir auf Ihm ruhen, sollten wir nicht einen einzigen Zweifel haben.
Es ist überhaupt keine Frage, ob ich noch etwas Fleisch in mir finde; es wäre vielmehr ein Beweis, dass ich kein Christ bin, wenn ich es nicht täte. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. ... Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (1Joh 1,8.10). Dies ist ein dunklerer Fall, weil es eine klare, eindeutige Erklärung der Schrift dagegen gibt.
Was einen Christen kennzeichnet, ist also nicht, dass er keine Sünde in sich hat, sondern dass er durch den Heiligen Geist eine neue Natur hat, die nur der hat, der an Jesus glaubt. Durch Christus betrachtet Gott ihn als jemanden, der mit der Sünde als einer Sache des göttlichen Gerichts über uns ganz abgeschlossen hat. Gott hat damit ganz abgeschlossen; Er behandelt es nicht täglich neu. Hier geht es das Bekenntnis des Versagens; und so ist es für einen Christen gut und richtig, das Böse in sich zu richten und zu bekennen. Die Tatsache, dass einem Menschen alle Übertretungen völlig vergeben sind, hebt nicht die Notwendigkeit und die Pflicht und das Vorrecht auf, Gott Tag für Tag die Wahrheit über uns selbst zu bekennen. Es ist eine sehr gesegnete Sache, dass wir das in dem Vertrauen tun dürfen, dass Gott sich für uns interessiert und es liebt, dass wir wegen allem zu Ihm kommen. Wir sollten genügend Vertrauen in seine eigene Liebe haben, um unser ganzes Versagen hervorzuholen und es vor Ihm auszubreiten.
Das Gesetz sagte: Haltet Abstand. Wenn auch nur ein armes Tier den Berg berührte, sollte es gesteinigt oder mit einem Pfeil durchbohrt werden. Was das Gesetz zu einem sagte, das sagte es zu allen. Es sagte nicht: Jeder von euch, der gläubig ist, kann herzutreten. Das Gesetz macht keine Unterschiede zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Es nimmt keine Rücksicht auf die menschliche Schwachheit. Sind die Menschen Sünder? Wenn ja, dann sind sie verflucht. Das ist der Grundsatz des Gesetzes. Es hat nie einen Menschen gerecht gemacht, genauso wenig wie ein menschliches Gesetz Ehrlichkeit hervorbringt. Es wurde noch nie ein Mensch durch ein Gesetz ehrlich gemacht, seit die Welt besteht. Was die Menschen zum Gehorsam bringt, ist Christus, der ganz über dem Gesetz steht. Die gerechte Furcht vor dem Zorn mag erwecken, aber sie gibt keine Kraft. So muss es in irdischen Dingen ein Prinzip geben, das über der Furcht steht, ins Gefängnis geschickt zu werden. Wenn es nur diese Furcht ist, die einen Menschen vom Stehlen abhält, ist er ein Schurke. Genau so ist es mit dem Gläubigen. Was einen Menschen zum Christen macht, hält ihn als Christen am Leben. Es ist die Kraft des Geistes Gottes, der Christus offenbart. Beabsichtigst du zum Gesetzt zurückzukehren, um zur Ruhe zu kommen?
Es wäre viel besser für dich, mit Christus erfüllt zu sein und im Geist zu wandeln. Denn was tut der Geist? Er verherrlicht Christus. Das ist immer der wahre Test. Die Macht einer Sache ist nicht die Prüfung für sie. Wenn ein Mann viel über den Geist redete und gleichzeitig der Sünde diente und nicht Christus, wer könnte dann in dieser Sache Vertrauen zu ihm haben? Er würde sich selbst täuschen. Ein Mann mag die maßlosesten Behauptungen aufstellen, dass die Kraft des Heiligen Geistes in ihm oder im Leib wirkt; aber woher soll ich wissen, dass der Anspruch echt ist? Schauen wir uns die Briefe des Johannes an, der uns auffordert, die Geister zu prüfen. Das große Kriterium ist eben dies: Der Heilige Geist verherrlicht immer Christus. Es geht nicht darum, die Versammlung oder einen Geistlichen zu verherrlichen. All diese Dinge entstehen durch den Missbrauch der Dinge Gottes durch den Menschen. Ich leugne nicht, dass die Versammlung einen sehr wichtigen Platz einnimmt; aber sie ist das untergeordnete Gefäß des Geistes Gottes, der Ort, wo der Heilige Geist Christus verkündigt. Wenn man menschliche Ansprüche zulässt oder der Welt viel Platz einräumt, ist es nicht die vom Geist geleitete Versammlung Gottes. Es mag eine Versammlung der Menschen oder die Weltkirche sein, aber es ist nicht die Versammlung Gottes. Was die Versammlung charakterisiert, ist, dass sie die anerkannte, ausgeführte Wahrheit der Gegenwart des Geistes besitzt.
Es mag Versagen geben, wie bei einem einzelnen Christen, der Temperament, Stolz oder Eitelkeit zeigen mag; dennoch wird er es spüren, wenn er zur Vernunft gebracht wird, obwohl der Herr einem Menschen manchmal die Gebeine brechen muss, wie Hiob, damit er erkennt, was er ist. Das wahre Wirken des Heiligen Geistes, ob in einer Person oder in der Gesamtheit, besteht in der Verherrlichung Christi. Und ob der Einzelne versagt oder die Versammlung, es wird auf dasselbe hinauslaufen. Gott wird niemals zulassen, dass eine Versammlung, die Ihm gehört, im Bösen verharrt. Er weiß, wie Er eine Versammlung von Christen ebenso züchtigen kann wie einen einzelnen Christen. Er wird mit ihnen handeln, wenn sie ehrlich sind. Wir sollen um nichts besorgt sein, sondern in allem durch Gebet und Flehen unsere Bitten vor Gott kundwerden lassen. Wir brauchen nicht unruhig zu sein und uns um dies oder jenes zu bemühen. Wir denken oft nicht daran, was wir tun können, wenn wir zu den Menschen reden; wenn wir aber viel mehr zu Gott und weniger zu den Menschen reden würden, wären andere keine Verlierer, sondern wir wären alle Gewinner, und Gott würde viel mehr verherrlicht werden.
2 Was wir in unserer Übersetzung haben, ist, wie viele von uns schon lange wissen, eindeutig falsch. Ich will es nicht übergehen, auch nicht auf hinterhältige Weise einbringen: Doch wo immer etwas offensichtlich Falsches in dieser Übersetzung ist, die nur eine menschliche ist, ist es eine christliche Pflicht, darauf aufmerksam zu machen; und das umso mehr, als ich immer bereit bin, ihre allgemeine Vortrefflichkeit zu behaupten und die gemeinsame Bibel, die wir haben, gegen Widersacher zu verteidigen, die sie entehren wollen. Aber es ist nicht die Aufgabe eines Freundes, einen wirklichen Fehler zu rechtfertigen, der sich durch menschliche Schwachheit oder Schlimmeres eingeschlichen haben mag.
Hier liegt also praktisch einer der schwersten Fehler. Wenn ich darauf bestehe, dann ist das keine Sache, die ich in Frage stelle oder an der es irgendeinen Zweifel geben sollte. Kein Mensch, der die Sprache, in der der Heilige Geist geschrieben hat, auch nur annähernd kennt, könnte zögern, es sei denn durch die Wirkung eines starken Vorurteils. Ich möchte auch anmerken, dass die besten Männer – die fähigsten Gelehrten, die vielleicht in vielem, was ich für wichtig halte, von meinen eigenen Ansichten abweichen – ja, Personen, die Würdenträger in der Kirche selbst sind, die die Hauptanteil bei der Herstellung dieser Übersetzung hatten –, offen und einmütig zugeben, dass die Übersetzung, die ich gerade gegeben habe, die wahre ist. Es gibt keinen Zweifel in den Köpfen von Personen mit den meist entgegengesetzten Denkweisen in anderen Angelegenheiten, was die wahre Bedeutung dieses Verses ist.↩︎
3 Wenn das, was wir in unserer Übersetzung haben, „damit ihr nicht tun könnt, was ihr wollt“, richtig wäre, dann wäre es so, als ob er in dem einen Vers heiß und in dem anderen kalt bläst. Er würde ihnen in einem Vers sagen, dass sie im Geist wandeln müssen, und im nächsten, dass sie es doch nicht tun können. Eine solche Wiedergabe trägt ihre eigene Widerlegung in sich. Ich betone dies umso mehr, weil es ein praktischer Punkt für Christen ist. Bei bloßen kritischen Fragen würde ich niemals daran denken, die Gemüter der Menschen zu beunruhigen. Es gibt jeden Tag so viel von tiefster Bedeutung für uns mit Gott, dass es umso besser ist, je weniger wir mit Punkten neugierigen Lernens zu tun haben. Aber wenn es darum geht, etwas zu korrigieren, von dem jeder christliche Gelehrte weiß, dass es ein Irrtum ist, dann ist es offensichtlich, dass ich mich eines schweren Fehlers schuldig machen würde, wenn ich einen solchen Punkt wie den jetzigen übergehen würde.↩︎