Der Apostel zieht vor den Augen der zwölf Apostel und aller anderen mit diesem Griechen, der nie beschnitten worden war, nach Jerusalem hinauf. Er handelte in der kühnsten Weise auf die Freiheit hin, von der er wusste, dass er sie in Christus hatte. Und er fügt weiter hinzu: „Ich zog aber hinauf infolge einer Offenbarung und legte ihnen das Evangelium vor, das ich unter den Nationen predige, im Besonderen aber den Angesehenen, damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre“ (2,2). Und dann fügt er nur nebenbei, in einer seiner bedeutungsschweren Klammern, ein:
(aber auch Titus, der bei mir war, wurde, obwohl er ein Grieche war, nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen) (2,3).
Achten wir auf die Art und Weise, in der der Heilige Geist darauf hinweist, dass Paulus sein Evangelium denen in Jerusalem mitgeteilt hat; denn das war ein Todesstoß für die Unterstellung, dass Paulus es auf irreguläre Weise erhalten hätte. Er fügt auch hinzu: „damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre“ (V. 2). Es gab genügend Fortschritte in der Wahrheit in dem, was der Apostel lehrte, aber er wollte nicht das Risiko eingehen, eine Spaltung unter den Gläubigen in Jerusalem zu verursachen. Wäre ihm der Zustand der Gläubigen gleichgültig gewesen, hätte er die ganze himmlische Wahrheit vorgestellt, in der er den anderen so weit voraus war. Aber es gibt zwei Dinge, die bei der Übermittlung der Wahrheit berücksichtigt werden müssen. Es sollte nicht nur die Gewissheit bestehen, dass es die Wahrheit Gottes ist, sondern es muss auch die passende Wahrheit für die sein, die man anspricht. Und je wertvoller die Wahrheit ist, desto größer ist in gewissem Sinn der Schaden, wenn sie denen vorgestellt wird, die nicht in der Lage sind, daraus Nutzen zu ziehen. Nehmen wir an, es gäbe Menschen, die unter dem Gesetz stehen, was würde es nützen, ihnen die Hoffnung auf das Kommen Christi oder auf die Vereinigung mit Christus zu vermitteln? In einem solchen geistlichen Zustand wäre für diese Wahrheiten kein Platz. Wenn Menschen noch unter dem Gesetz stehen, ohne zu wissen, dass sie in Christi Tod und Auferstehung dem Gesetz gestorben sind, müssen sie in der Gnade Gottes gegründet werden. Das scheint ein Grund zu sein, warum der Apostel im Galaterbrief diese gesegneten Wahrheiten nie berührt. Es ist offensichtlich Weisheit, sie auszulassen. Solche Wahrheiten wären für Menschen in diesem Zustand unverständlich oder zumindest unpassend. Sie zu entwickeln, hätte ihnen nicht gut getan. Es gilt zuerst zu verstehen, dass das Gesetz vollständig abgelegt wurde und wir in Christus in eine völlig neue Atmosphäre eingeführt wurden. Der Herr hatte den Jüngern viele Dinge zu sagen, als Er bei ihnen war, aber sie waren damals nicht in der Lage, sie zu ertragen (Joh 16,12).
So sagt der Apostel den Hebräern, dass sie Milch brauchten und nicht feste Speise: „Denn jeder, der noch Milch genießt, ist unerfahren im Wort der Gerechtigkeit, denn er ist ein Unmündiger; die feste Speise aber ist für Erwachsene, die infolge der Gewöhnung geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“ (Heb 5,14). Aber sie mussten die ersten Elemente von neuem gelehrt werden; doch dieser Brief wurde nicht lange vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben. Nichts hemmt das Wachstum der Gläubigen so sehr wie gesetzliche Grundsätze. Die Korinther waren noch nicht lange bekehrt, so dass ihre Unwissenheit nicht verwunderlich war. Aber die Hebräer waren schon viele Jahre bekehrt, und doch waren sie nur mit dem ABC des Christentums beschäftigt. Der wahre Grund, der diese hebräischen Gläubigen hinderte, war also, dass sie nicht in den Tod des Gesetzes und die Vereinigung mit dem auferstandenen Christus eingetreten waren. Sie standen nicht einmal fest auf dem vollen Fundament der christlichen Wahrheit – der vollständigen, ewigen Vergebung der Sünden durch das Blut Christi.