Behandelter Abschnitt Gal 2,1-2
Wir haben immer noch den Apostel, der sich auf bestimmte Tatsachen in seinem eigenen Leben und seiner eigenen Geschichte beruft, als schlüssigen Beweis für die große Frage, die aufgeworfen wurde: Ist das Gesetz in irgendeiner Form das, dem der Christ untersteht? Er behandelt sie im Blick auf die Rechtfertigung, aber sie ist nicht auf diese Frage beschränkt. Wir sehen in den Kapiteln 1 und 2 die göttliche Berufung zum Dienst, die der Apostel selbst so eindrucksvoll veranschaulicht, im Gegensatz zum Anspruch der Nachfolge; und wir werden gegen Ende des Briefes feststellen, dass er die Gnade in ihrem ganzen Umfang anwendet und beweist, dass Gott in Christus ein ganz anderes Prinzip eingeführt hat, das durchgreifend wirkt, während das Gesetz nur den Schuldigen verfluchen kann. Kurz, Gott hat die großartige Grundlage seiner eigenen Gnade geschaffen; und während seine Gnade vollkommen mit der moralischen Regierung Gottes übereinstimmt, setzt sie das Gesetz als durch den Zustand des Menschen machtlos völlig beiseite, obwohl das Gesetz an sich heilig und gerecht und gut ist. Aber in Christus hat Gott eine solche Lebenskraft in der Auferstehung und eine neue, rechtfertigende Gerechtigkeit aus sich selbst eingeführt, dass Er den Christen für immer auf den ganz anderen Grund der Gnade stellt. In diesem Brief geht der Apostel mit so viel größerer Kraft darauf ein, weil der Teufel versuchte, einen besonders bösen Missbrauch des Gesetzes einzuführen.
Das ist, wie ich meine, der Schlüssel zum Unterschied der Sprache in Römer und Galater. In Römer gibt es eine gewisse Zärtlichkeit im Umgang mit denjenigen Brüdern, die das Gesetz kannten, bevor sie Christus kannten, und die als Juden unter Gesetz standen. Daher zeigt der Apostel, wenn er von ihren Tagen, Speisen und Getränken spricht, dass der Geist Gottes die äußerste Nachsicht verlangt. „Wer den Tag achtet, achtet ihn dem Herrn. Und wer isst, isst dem Herrn, denn er danksagt Gott“ (Röm 14,6). Der Grund dafür war, dass die Gläubigen in Rom größtenteils aus den Juden waren, und natürlich auch aus vielen Heiden. Der wichtige Punkt war daher die Ermahnung zu gegenseitigem Respekt und Nachsicht untereinander. Der heidnische Bruder, der seine Freiheit kannte, sollte seinen jüdischen Bruder nicht verachten, weil er noch auf bestimmte Unterscheidungen achtete, Tage hielt und so weiter. Auch sollte der Jude seinen nichtjüdischen Bruder nicht verurteilen, weil er sich nicht des Fleisches enthielt und die Tage nicht einhielt. Denken wir daran, dass der Apostel, wenn er von diesen Tagen spricht, nicht auf den Tag des Herrn anspielt, denn er ist etwas völlig Neues und hat weder mit der Schöpfung noch mit dem Gesetz etwas zu tun.
Der Sabbat war die Ruhe der Schöpfung und auch das göttlich bestimmte und wohlbekannte Zeichen zwischen dem Herrn und dem jüdischen Volk für immer, das ihnen als ewiger Bund gegeben wurde und sie von allen anderen Nationen unterschied. Aber der Tag des Herrn hat einen völlig neuen Charakter, von dem in der Schrift als dem ersten Tag der Woche gesprochen wird. Er gehört nur dem Christen: Adam, der Mensch, der Jude, hatte damit nichts zu tun. Wenn also der Apostel sagt: „Wer den Tag achtet, achtet ihn dem Herrn“ (Röm 14,6), so sollten wir uns davor hüten, den bösen Gedanken zuzulassen, dass der Tag des Herrn eingeschlossen und seine Einhaltung eine offene Frage sei. Was die levitisch unterschiedenen Tage oder Mahlzeiten betrifft, so ist es der geistigen Einsicht überlassen, sie zu beachten oder nicht. Nicht so der Tag des Herrn; er mag nicht unter die Form eines ausdrücklichen Gebots fallen, aber er ist nicht weniger verpflichtend, weil er uns mit dem Willen und der Anerkennung des Herrn in verschiedenen feierlichen und ergreifenden Formen gegeben ist. Es ist der Tag, an dem Er vom Tod auferstanden ist, der Tag, an dem Er durch seine besondere Gegenwart das Zusammenkommen der Jünger bestätigte, wie der Heilige Geist sie danach regelmäßig zum Brotbrechen führte. Es sollte also keine Frage sein, dass der Tag des Herrn von größter Bedeutung ist, deren Verständnis immer mit rechten Gedanken über die wahre Gnade Gottes einhergeht, in der wir stehen. Die Verwechslung mit dem Sabbat mag angenommen worden sein, um seine Einrichtung zu stärken, indem man sie aus dem Gesetz ableitet; aber das ist ein völliger Irrtum, erniedrigt und schwächt seinen Charakter und ist die Frucht und der Beweis der Unwissenheit über den Grund, auf dem der Gläubige jetzt vor Gott steht. Im Galaterbrief gibt es statt der Ermahnung zur brüderlichen Nachsicht, die wir gegenüber den Gläubigen in Rom finden, im Gegenteil eine erstaunliche Stärke und Heftigkeit, wie es in den Kapiteln 3 und 4 deutlich wird. Doch dazu mehr, wenn wir uns mit diesen Stellen beschäftigen.
Der Apostel bezieht sich auf sein Hinaufgehen nach Jerusalem. Wenn er sagt: „Darauf, nach drei Jahren, ging ich nach Jerusalem hinauf“ (Kap. 1,18), so bezieht sich das, wie ich annehme, auf seine Bekehrung als Ausgangspunkt; und das „nach vierzehn Jahren“ in diesem Kapitel würde aus derselben Zeit stammen. Für den Geist Gottes war es wichtig, jeden Vorwand zu beseitigen, um die Mission oder den Dienst des Paulus mit Jerusalem zu verbinden. Das Prinzip der apostolischen Nachfolge wird damit stillschweigend abgeschnitten. Die Jahre, die vor diesen Besuchen verstrichen sind, und noch mehr ihr Charakter, als er Jerusalem besuchte, schließen jeden Gedanken an eine Ableitung absolut aus.
Darauf, nach vierzehn Jahren, zog ich wieder nach Jerusalem hinauf mit Barnabas und nahm auch Titus mit. Ich zog aber hinauf infolge einer Offenbarung und legte ihnen das Evangelium vor, das ich unter den Nationen predige, im Besonderen aber den Angesehenen, damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre (2,1.2).
Dieser letzte Besuch wird in der Apostelgeschichte nicht erwähnt. Es ist derselbe Anlass, der dort erwähnt wird (Apg 15), wenn auch auf eine andere Art und Weise. In der Apostelgeschichte heißt es: „Und einige kamen von Judäa herab und lehrten die Brüder: Wenn ihr nicht beschnitten werdet nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht errettet werden. Als aber ein Zwiespalt entstand und ein nicht geringer Wortwechsel zwischen ihnen und Paulus und Barnabas, ordneten sie an, dass Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen sollten wegen dieser Streitfrage“ (V. 1.2).
Als sie aber in Jerusalem ankamen, fanden sie dort die gleiche Partei. „Einige aber von denen aus der Sekte der Pharisäer, die glaubten, traten auf und sagten: Man muss sie beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz Moses zu halten“ (V. 5), was deutlich zeigt, dass sie sich im Schoß der Versammlung befanden. Und dann haben wir das Konzil der Apostel und Ältesten in Gegenwart der ganzen Versammlung über diese Angelegenheit. In Galater 2 bringt der Heilige Geist die in der Apostelgeschichte nicht ausdrücklich erwähnte Tatsache hervor, dass Paulus bei dieser Gelegenheit Titus mitnahm und infolge einer Offenbarung hinaufzog: Er hatte eine deutliche Mitteilung von Gott darüber. In der Apostelgeschichte haben wir die christlichen Motive, die durch andere auf ihn einwirkten; aber im Galaterbrief lässt er uns noch etwas Tieferes wissen, nämlich dass er infolge einer Offenbarung hinaufzog, und dass er außerdem Titus mitnahm.
Was auch immer bei den anderen der Fall gewesen sein mag, auch dies war eine Tatsache von immenser Bedeutung, denn Titus war in keiner Weise ein Jude. Er war nicht einmal wie Timotheus, dessen Mutter eine Jüdin war. Titus war ein Grieche. Timotheus war etwas zwischen den beiden; und deshalb scheint es Weisheit und Gnade gewesen zu sein, dass der Apostel in Bezug auf Timotheus eine ganz andere Linie verfolgte. Er stopfte in gewisser Weise denen den Mund, die Fragen über diesen jungen Jünger hätten stellen können, die auf dem Gesetz beruhten, obwohl ich nicht sage, dass Timotheus streng genommen darunter gefallen wäre. Man muss zugegeben, dass es für eine Jüdin nicht nach dem Gesetz war, mit einem Heiden verheiratet zu sein. Titus jedoch war ohne Zweifel ein Grieche.