Es gibt eine bemerkenswerte Schroffheit in der Art und Weise, wie der Apostel sofort sein Thema beginnt. Er hatte sich gerade darauf bezogen, dass unser Herr sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat, damit Er uns aus dieser gegenwärtigen bösen Welt herausnehme; und dies hatte eine kurze Danksagung bewirkt: „nach dem Willen unseres Gottes und Vaters, dem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (V. 4.5). Aber nun wendet er sich sofort dem großen Thema zu, das er ansprechen wollte. Sein Herz war sozusagen zu voll davon, um mehr Worte als nötig zu verlieren. Es gab etwas, das selbst in Bezug auf die Grundlagen, auf denen die Versammlung oder vielmehr einzelne Christen vor Gott stehen müssen, so fatal war, dass er nicht zögern konnte.
Ich wundere mich, dass ihr euch so schnell von dem, der euch in der Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium umwendet (V. 6). „So schnell ... umwendet“ scheint mir ein etwas stärkerer Ausdruck zu sein als der, den der Geist Gottes normalerweise verwendet. Er deutet den Prozess des Entfernens an. Sie waren dabei, sich von dem abzuwenden, der sie in der Gnade Christi berufen hatte. Das Böse und die Gefahr hatten noch nicht Fuß gefasst, so dass er noch Gott ihretwegen vertraute. Wenn wir bedenken, dass der Apostel Paulus diesen Menschen das Evangelium verkündigt hatte, und dass dies erst vor kurzem geschehen war, kenne ich keinen betrüblicheren Beweis für die Leichtigkeit, mit der Satan es schafft, in die Irre zu führen. Kinder Gottes mögen noch so gut unterrichtet sein, und doch zeigen sich die Symptome, die kaum je ausbleiben: eine Neigung zu dem, was schwach und falsch ist, eine Bereitschaft, menschlichen Gefühlen in den Dingen Gottes zu folgen, abgelenkt von der Wahrheit durch den Schein, fernab von der Realität. Diese Dinge werden sich zeigen, es sei denn, es gibt eine außerordentliche Kraft des Heiligen Geistes, die dem Wirken Satans entgegenwirkt. Der Unrat, der in das Fundament eindringen kann, von dem der Apostel in 1. Korinther 3 spricht – das „Holz, Heu und Stroh“ –, all das zeigt uns, wie es dazu kommen kann, dass, obwohl Gott es war, der die Versammlung gebildet hatte, doch eine andere Seite der Versammlung zu berücksichtigen ist, und das ist der Mensch. Paulus spricht von sich selbst als einem weisen Baumeister. In einer Hinsicht ist es Gott, der die Versammlung baut; und darin gibt es kein Versagen. Was der Herr in seine Hand genommen hat, hält Er unfehlbar aus eigener Kraft aufrecht. Aber die menschliche Verantwortung tritt in dieses große Werk ein, wie in fast alles, außer der Schöpfung und der Erlösung, die Gott allein vorbehalten sind. Aber auf anderen Gebieten, wie gesegnet sie auch sein mögen, ob es darum geht Menschen mit dem Evangelium zu erreichen oder solche, die den Herrn erkannt haben, weiterzuführen, oder darum, die Kinder Gottes in eins – der Versammlung – zu versammeln, hat der Mensch seinen Anteil daran; und auch er bringt sicher die Schwachheit seiner Natur ein. Gott lehrt uns in der Bibel die Geschichte, die das, was auch immer Er in die Hände des Menschen gelegt hat, dieser dort schwach ist und versagt. „Ich wundere mich, dass ihr euch so schnell von dem, der euch in der Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium umwendet“ (V. 7). Nun ist dies ja nicht nur die Geschichte des Alten Testaments und der verschiedenen Wege, auf denen Gott den Menschen erprobt hat; sondern sogar bei dem weitaus gesegneteren Thema des Neuen Testaments (was Gott in seinem Sohn und in seinem Umgang mit den Menschen durch seinen Sohn ist, seit der Herr in den Himmel auffuhr und der Heilige Geist herabgesandt wurde), zeigt sich sogar bei diesen Dingen die Schwachheit des Menschen deutlich. Und es ist nicht nur so, dass es ungläubigen Menschen gelungen ist, sich in die Kirche einzuschleichen, sondern die Kinder Gottes haben auch das Fleisch in sich. Sie haben ihre menschlichen Gefühle und Schwachheiten, und das, was Satan in jedem Christen finden kann, um die Kraft Gottes zu behindern oder zu verdunkeln.
Auf diese Weise wurden die Gläubigen in Galatien in die Irre geführt, und alle sind in jedem Moment in der gleichen Gefahr. Daraus ziehe ich zwei wichtige Lehren. Die erste ist, dass wir uns nicht wundern müssen, wenn es bei den Heiligen Gottes zu Abweichungen kommt. Ich darf mir nicht einen Augenblick erlauben, zu denken, dass es die geringste Schwachheit in der Wahrheit selbst oder in dem uns anvertrauten Zeugnis zeigt, oder dass es einen Makel auf das legt, was von Gott ist; denn Gott mag das ertragen, was seiner eigenen Natur widerspricht, und für eine Zeit zulassen, dass der Mensch zeigt, was er ist.
Aber so sicher, wie es das gibt, was gottgemäß ist, wird Er sich darin rechtfertigen und zulassen, dass das, was nicht von Ihm ist, seinen wahren Charakter beweist. Aber eine andere Sache, die wir lernen, ist der Aufruf zur Wachsamkeit und zum Selbstgericht. An diese Galater, die einst so ernst waren, die sich in ihrer Liebe zu Paulus die Augen ausgerissen hätten, muss der Apostel jetzt schreiben: „Ich wundere mich, dass ihr so schnell von dem abgewichen seid, der euch in der Gnade Christi berufen hat“ (V. 6). Beachte die Wahl des Ausdrucks – „in der Gnade Christi“. Denn was Satan benutzte, war die Vermischung von Gesetz und Gnade, von Gesetzlichkeit und Christus. Das Merkmal ihrer Berufung war schlicht und einfach die „Gnade Christi“ gewesen.
Gott hatte den Galatern kundgetan, dass sie arme Sünder aus den Nationen waren, dass es für sie nichts anderes gab als Barmherzigkeit, und diese Barmherzigkeit war in der Person Christi zu ihnen gekommen. Und wenn Er Menschen einzig und allein dazu einlädt, die Barmherzigkeit zu empfangen, die Er ihnen in Christus schenkt, dann setzt das voraus, dass sie ihr Bedürfnis nach Barmherzigkeit empfinden und bereit sind, auf Christus und keinen anderen zu schauen. Aber dennoch bleibt es wahr, dass es allein die Gnade Christi war, die in den die Gläubigen in Galatien gewirkt hatte; und daran erinnert er sie. Wohin zogen sie nun aus? Zu einem anderen Evangelium, das kein anderes ist.
Es ist eine Art Paradox: „zu einem anderen Evangelium, das kein ein anderes ist“. Aber in der Sprache, in der der Heilige Geist schrieb, gab es genügend Fülle, um eine andere Schattierung der Sprache zuzulassen. „Ich wundere mich, dass ihr euch so schnell von dem, der euch in der Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium umwendet, das kein ein anderes ist“ (V. 6.7a). Wenn also die Gnade Christi die Quelle und Kraft ihrer Berufung war, so war das Evangelium das Mittel dazu. Aber nun hatten sie dies für etwas anderes verlassen. Beachte, er sagt nicht: „im Gegensatz dazu“, sondern „zu einem anderen“; und gerade darum sagt er: Es ist kein anderes. Es ist unwürdig, ein anderes Evangelium genannt zu werden. Gott besitzt nur ein einziges. Er lässt keinen Kompromiss im Blick das Evangelium zu; das sollten wir auch nicht tun.