Behandelter Abschnitt Gal 1,1-3
Ich hoffe, bei der Betrachtung des Galaterbriefes zeigen zu können, dass dieser Teil des Wortes Gottes von der gleichen Geschicklichkeit geprägt ist (wie es in der Tat bei einer Offenbarung Gottes der Fall sein muss), die wir in anderen Büchern des Alten und Neuen Testaments bemerkt haben; dass er mit den gleichen Beweisen für einen göttlichen Plan versehen ist; und dass der Heilige Geist, der einen besonderen Zweck verfolgt, alle Einzelheiten dem großen Gedanken und der Aufgabe unterordnet, die Er vor Augen hat.
Nun ist es bei einem sehr flüchtigen Blick klar, dass der Brief nicht in erster Linie zum Ziel hat, die grundsätzliche Wahrheit der Rechtfertigung durch den Glauben im Gegensatz zu den Werken des Gesetzes vorzustellen, sondern die Verteidigung dieser Wahrheit gegen die Bemühungen des Feindes, sie mit Verordnungen und menschlicher Autorität zu vermischen; mit anderen Worten, es ist das Gegengift gegen das judaisierende Gift vieler, die den Namen des Herrn bekannten.
Im Brief an die Römer wird mehr die positive Wahrheit hervorgehoben; im Galaterbrief die Wiederherstellung der Wahrheit, nachdem sie gelehrt und empfangen worden war, wobei der Feind versuchte, sie zu überschwemmen, indem er das Gesetz als gemeinsames Mittel der Rechtfertigung einführte. Der Heilige Geist setzt durch den Apostel Paulus alles daran, diese Kraft Satans zunichtezumachen; und das gibt dem Brief einen besonderen Ton.
Wie gewöhnlich tragen die ersten paar Verse den Stempel des Ganzen und zeigen, was der Heilige Geist in jedem Teil hervorbringen wollte. Wir haben natürlich die erlesenste Sammlung von Worten und die Vermeidung nebensächlicher Themen, um in kurzer Form die Beurteilung Gottes über den Zustand der Dinge in den Versammlungen in Galatien zu offenbaren. Das erklärt die vergleichsweise kühle Tonlage des Briefes – die Zurückhaltung, mit der der Apostel zu ihnen spricht, könnte man sagen. Ich denke, das ist in keinem anderen Teil des Neuen Testaments zu finden. Und der Grund dafür war Folgender: Der schlechte Zustand, in den die Galater geraten waren, entstand nicht so sehr aus Unwissenheit, sondern aus Untreue. Und das ist ein großer Unterschied. Gott ist sehr geduldig gegenüber dem bloßen Mangel an Licht; aber Er ist unduldsam gegenüber seinen Heiligen, die mit dem Licht, das Er ihnen gegeben hat, leichtfertig umgehen. Der Apostel war vom Geist Gottes durchdrungen und hat uns Gottes Gedanken in schriftlicher Form gegeben, ohne die geringste Beimischung von menschlichem Irrtum. Er hat uns nicht nur den Verstand, sondern auch die Empfindungen Gottes gegeben. Der Mensch spart nicht mit bitterem Tadel für das, was unmoralisch ist – für jemanden, der sich des Betrugs oder der Trunkenheit oder irgendeiner anderen groben Sünde schuldig macht: Jeder aufrichtige Mensch würde diese Dinge empfinden. Aber dieselben Personen, die sehr lebendig gegen einen moralischen Skandal auftreten, können gegenüber einem Übel tot sein, das in den Augen Gottes tausendmal schlimmer ist. Die meisten Menschen sind sicher, ein Empfinden für Unmoral zu haben, zum Teil weil es sie selbst betrifft; während sie bei dem, was den Herrn berührt, immer ernstlich ermahnt werden müssen; außerdem muss das Licht Gottes stark darauf angewandt werden. Satan tischt in der Regel nicht offensichtlichen und bloßen Irrtum auf, sondern garniert ihn im Allgemeinen mit mehr oder weniger Wahrheit, die für den Verstand attraktiv ist. So verleitet er die Menschen dazu, das Gute abzulehnen und das Böse zu wählen.
Wir lernen von Gott, wie wir uns gegenüber bösen Lehren verhalten sollen. Nehmen wir den Galaterbrief, verglichen mit dem ersten Korintherbrief, als Beweis für das, was ich behaupte. Dort hättest du, wenn du in eine Versammlung in Korinth gegangen wärst, eine Anzahl von Menschen gesehen, die sehr stolz auf ihre Gaben waren. Sie waren fleischlich und stellten die Macht zur Schau, mit der der Geist Gottes sie ausgestattet hatte. Denn man kann eine echte Gabe Gottes haben, die man auf eine sehr fleischliche Weise benutzt. In Korinth gab es auch vieles, was offen skandalös war. In den frühen christlichen Zeiten war es üblich, das zu haben, was man ein Liebesmahl nennt, was wirklich ein geselliges Mahl oder ein Abendessen war, wenn die Männer ihre Arbeit getan hatten oder davor, und sie zusammenkommen konnten. In Korinth, wenn nicht anderswo, verbanden sie dieses Liebesmahl mit dem Abendmahl des Herrn. Und man kann verstehen, dass sie leicht in Aufregung geraten konnten; denn wir müssen uns daran erinnern, dass diese Gläubigen gerade erst aus den Verderbtheiten und der Finsternis des Heidentums herausgekommen waren. Trunkenheit war bei den Heiden sehr verbreitet: Sie machten es sogar zu einer Ehrensache, sich zu Ehren ihrer Götter zu berauschen. Diese Gläubigen in Korinth dürfen nicht nach dem Licht beurteilt werden, das Menschen später erhielten; und in der Tat können wir durch das Abgleiten der frühen Gläubigen sehr lernen, was christliche Moral ist oder sein sollte. Sie waren wie kleine Kinder, die aus dem Kinderzimmer kamen, und ihre Schritte waren schwach und schwankend. Es gab zu oft natürliche Gefühlsausbrüche, die sich unter ihnen wie bei den Heiden zeigten.
Außerdem gab es Parteien unter den Gläubigen. Einige stellten sich unter diese Flagge, andere unter eine andere. Sie hatten ihre verschiedenen Lieblinge, denen sie folgten. Einige waren sogar in das schamloseste Übel verfallen, und andere wiederum traten für ihre Rechte ein und gingen miteinander vor Gericht. Es gab jede Art von Freizügigkeit in ihrem Wandel. Alle diese Dinge traten in ihrer Mitte auf. Da war eine niedrige moralische Ordnung der Dinge. Hätten wir nicht den Brief eines Apostels an solche wie diese, so hätten wir vielleicht gedacht, dass es sie unmöglich Christen sein könnten. Obwohl es in dem ganzen Brief den heiligsten Ton und die Verurteilung ihrer Sünde gibt, beginnt der Apostel auf eine Weise, die immer auffälliger wird, je mehr man darüber nachdenkt und sich den Zustand der Gläubigen in Korinth vor Augen führt. Er beginnt, indem er ihnen sagt, dass sie in Christus Jesus geheiligt und als Heilige berufen wurden. Er spricht zu ihnen auch von der Treue Gottes, durch die sie berufen wurden „in die Gemeinschaft seines Sohnes, Jesus Christus, unseres Herrn“ (1Kor 1,9). Welch ein Gegensatz zu dem natürlichen Impuls unseres Verstandes! Wir könnten bezweifeln, dass irgendjemand, außer ein paar wenigen von ihnen, sich bekehrt haben könnte.
Wie kommt es nun, dass es zu den unordentlichen Korinthern so starke Ausdrücke der Zuneigung gab und zu den Galatern keine? An die ersteren schreibt er und nennt sie die Versammlung Gottes. „Paulus, berufener Apostel Christi Jesu ... der Versammlung Gottes, die in Korinth ist, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen ... Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, dass ihr in ihm in allem reich gemacht worden seid, in allem Wort und aller Erkenntnis ... so dass ihr an keiner Gnadengabe Mangel habt, indem ihr die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus erwartet“ (1,1.2.4.5.7). Und dann fängt er an, das Falsche anzusprechen, und legt es ausführlich dar.
Den Galatern hingegen schreibt er:
Paulus, Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn aus den Toten auferweckt hat, und alle Brüder, die bei mir sind, den Versammlungen von Galatien: Gnade euch und Friede von Gott, dem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus (1,1‒3).
Kein Wort darüber, dass sie in Christus oder in Gott, dem Vater, waren! Kein Wort darüber, dass sie Heilige in Christus Jesus und treue Brüder sind. Er sagt einfach nur das Allergeringste, was man über die Christen auf der Erde allgemein sagen kann. Er spricht von ihnen als „den Versammlungen von Galatien“. Er bringt sie nicht mit anderen in Verbindung, sondern sie werden sozusagen als unanständig für sich selbst hingestellt. Andererseits achtet der Apostel darauf, zu sagen: „und alle Brüder, die bei mir sind, den Versammlungen von Galatien“ (V. 2). Wenn er nicht von den Gläubigen im Allgemeinen spricht, so doch von den Brüdern, die damals bei ihm waren, seinen Gefährten im Dienst, die er mit sich vereint, um den Galatern zu schreiben. Er hatte einen Grund dafür. Er war nicht allein in seinem Zeugnis, was auch immer die Irrlehrer ihm unterstellen möchten. Alle Brüder, die bei ihm waren, identifizierten sich sozusagen mit seiner jetzigen Mitteilung.
Wenn man sich die Art und Weise ansieht, wie er von sich selbst spricht, so liegt darin etwas sehr Bemerkenswertes. „Paulus, Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (V. 1).
Er beginnt sofort eine Kontroverse. Schon die ersten Worte sind ein Schlag an die Wurzel ihrer jüdischen Vorstellungen. Sie tadelten den Apostel, weil er nicht mit dem Herrn Jesus zusammen war, als dieser auf der Erde war. Was antwortet Paulus? Er sagt: Ich nehme das, was ihr meint, als Vorwurf an; ich bin kein Apostel von Menschen noch durch Menschen. Er schließt jede menschliche Ernennung oder Anerkennung in irgendeiner Weise völlig aus. Sein Apostelamt war nicht von Menschen als Quelle, noch durch Menschen als Medium in irgendeiner Weise. Nichts hätte leichter sein können, als dass Gott den Apostel Paulus in Jerusalem bekehrt hätte: Dort wurde er zu den Füßen von Gamaliel erzogen; dort brach seine erste Gewalt gegen die Christen aus. Aber als Gott ihm begegnete, war er weit weg von Jerusalem, um seine feurige Verfolgung der Gläubigen fortzusetzen; und dort, außerhalb von Damaskus, am hellen Tag, offenbart sich der Herr vom Himmel, ungesehen von anderen, dem erstaunten Saulus von Tarsus. Er wurde nicht nur ein Heiliger, sondern ein Apostel genannt, ein Apostel „nicht von Menschen, noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat“ (V. 1).
Und um es noch auffälliger zu machen, als er getauft wurde, wen wählte der Herr, das Werkzeug zu seiner Taufe zu werden? Einen Jünger, der uns nur dieses eine Mal als ein gottesfürchtiger alter Mann vorgestellt wird, der in Damaskus wohnte. Gott achtete besonders darauf, zu zeigen, dass der Apostel, der zu einem bedeutsamen Platz berufen wurde, der bedeutsamsten Funktion irgendeines Mannes, der jemals berufen wurde, dem Herrn Jesus Christus im Evangelium zu dienen ‒ dass Paulus so berufen wurde, ohne das Eingreifen, die Ermächtigung oder die Anerkennung eines Menschen in irgendeiner Form oder eines gewissen Musters. Seine Taufe hatte nichts damit zu tun, dass er ein Apostel war. Jeder Mensch wird als Christ getauft, nicht als Apostel. Er geht sofort nach Arabien, er predigt das Evangelium, und Gott erkennt ihn sofort als Christi Diener im Evangelium an, ohne irgendeine menschliche Einmischung. Das ist in der Tat das wahre Prinzip des Dienstes, das in der Berufung und dem Wirken des Saulus von Tarsus, der fortan ein Knecht Jesu war, völlig zum Ausdruck kommt.
Einige mögen jedoch einwenden, dass wir im Neuen Testament von menschlicher Aussonderung und Handauflegung lesen. Wir geben das voll und ganz zu. Aber in einigen Fällen handelt es sich um eine Person, die bereits ihre Qualifikation für das Werk gezeigt hat, die in einer formellen Weise durch apostolische Autorität für eine örtliche Aufgabe ausgesondert und in den Augen der Gläubigen mit einer gewissen Würde bekleidet wurde, vielleicht weil es nicht viel Begabung gab. Denn vom Ältesten wird nicht gesagt, er sei „ein Lehrer“, sondern einfach „lehrfähig“. Wo es einen hohen Grad an Macht gibt, braucht man nicht notwendigerweise ein äußeres Amt. Die Macht wird wahrgenommen. Heilige Gottes werden auf lange Sicht immer gezwungen sein, sie zu besitzen. Wenn also ein Mensch eine Gabe vom Herrn empfangen hat, sollte er sich um diese Gabe um seiner selbst willen am wenigsten Sorgen machen: Gott weiß, wie Er es respektieren kann, wenn die Menschen nicht sehen oder hören. Aber wenn es Männer gibt, die ernste und gottesfürchtige Qualitäten haben, ohne dass die Macht für alle offensichtlich ist, müssen sie mit Autorität ausgestattet werden, wenn sie bei ungeistlichen Menschen Gewicht haben sollen. Deshalb, so scheint es, lesen wir von einem Apostel oder einem durch die Apostel Gesandten, der umherging und die Führung beim Leiten, Ernennen und Beraten übernahm, wo es unter den Gläubigen einen Mangel gab.
Tatsache ist, dass die Menschen Ältestenschaft mit Dienst verwechseln. Älteste wurden von denen eingesetzt, die selbst eine höhere Autorität direkt von Christus hatten; aber es gab nie so etwas wie die Ordination eines Mannes, das Evangelium zu predigen. In der Heiligen Schrift beruft der Herr, und nur der Herr, Männer zum Predigen. Es gibt im gesamten Neuen Testament keinen einzigen gegenteiligen Fall. Es ist geradezu unordentlich und widerspricht dem Wort Gottes, wenn ein Mann einen menschlichen Auftrag sucht, um das Evangelium zu predigen oder um den Platz eines Lehrers in Bezug auf die christlichen Versammlungen einzunehmen. In den Tagen der Apostel gab es nie so etwas wie eine Person, die zum Lehrer ernannt wurde, genauso wenig wie einen Propheten. Aber unter den Ältesten konnte es einige geben, die Evangelisten, Lehrer und so weiter waren. Deshalb heißt es: „Die Ältesten, die wohl vorstehen, lass doppelter Ehre für würdig erachtet werden, besonders die, die in Wort und Lehre arbeiten“ (1Tim 5,17). Die Aufseher oder Ältesten, deren Aufgabe es war, zu führen auch wenn sie keine Lehrer waren, waren in Gefahr, verachtet zu werden. Aber sie sollten doppelter Ehre würdig sein, wenn sie gut vorstanden. Sie sollten als Klasse geehrt werden, und besonders die, die im Wort und in der Lehre arbeiteten. Einige von ihnen könnten nicht nur Älteste sein, sondern auch Lehrer, und solche hätten einen zusätzlichen Anspruch auf die Wertschätzung der Gläubigen. Ich möchte die Tatsache nicht beiseiteschieben, dass es Personen gab, die von Menschen ausgesondert wurden; aber was ich bestreite, ist, dass dies bei den gewöhnlichen Klassen des Dienstes – Hirten, Lehrer und so weiter – der Fall war. Diese wurden niemals von Menschen in irgendeiner Form eingesetzt. Der ganze Körper der biblischen Amtsträger ist völlig unabhängig von der Ordination. Die Wahl der Versammlung trat im Fall der Diakone ein, die sich um äußere Dinge kümmerten: Sie wurden durch Zustimmung der Apostel ernannt – zumindest war das die Praxis, als die sieben Männer über das Bedienen der Tische in Jerusalem gesetzt wurden (Apg 6). So auch die Verwalter des Geldes der Versammlungen aus den Nationen, von denen in 2. Korinther 8,19.23 die Rede ist. Sie wurden von den verschiedenen Versammlungen, deren Gelder ihnen anvertraut wurden, für diese Arbeit ausgewählt. Die Ältesten waren eher dazu berufen, die Leitung zu übernehmen und am Ort vorzustehen, obwohl nirgends angedeutet wird, dass sie von der Versammlung gewählt wurden. Trotzdem wurden sie formell von Aposteln oder durch die von einem Apostel Beauftragten gewählt; und das Gewicht derer, die sie wählten, sollte ihnen zweifellos den rechten Wert in den Köpfen der Gläubigen im Allgemeinen verleihen.
Der Fall von Timotheus ist zweifellos ein besonderer. Er wurde durch die Prophezeiung zu einem bestimmten, sehr besonderen Werk bestimmt – dem der Bewahrung der Lehre. Und der Apostel und die Ältestenschaft legten ihm die Hände auf, wodurch ihm eine geistliche Gabe vermittelt wurde, die er vorher nicht besaß. Es ist offensichtlich, dass heute kein Mensch mehr lebt, der in ähnlicher Weise ausgestattet und zu einem solchen Werk berufen worden ist.
Man kann sagen, dass es im Fall des Apostels Paulus die Handauflegung gab, die wir in Apostelgeschichte 13 haben. Was zeigt das? Sicherlich nicht, dass er ein von Menschen erwählter Apostel war; denn der Heilige Geist erklärt hier, dass er „ein Apostel war, nicht von Menschen noch durch einen Menschen“. Das, was in Antiochien geschah, machte ihn in keiner Weise zu einem Apostel. Es ist aus vielen Schriften ersichtlich, dass er schon mehrere Jahre, bevor ihm die Hände aufgelegt wurden, gepredigt hatte und einer der anerkannten Propheten und Lehrer in Antiochien war (V. 1).
Ich glaube, dass es damals darum ging, ihn und Barnabas für die besondere Mission auszusondern, zu der sie gerade ausziehen sollten – um das Evangelium in neuen Ländern zu pflanzen. Wenn der Heilige Geist sagte: „Sondert mir Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie berufen habe“ (Apg 13,2), so bedeutet das gewiss nicht, dass der eine oder der andere bis dahin aus eigenem Willen und ohne die Autorität des Herrn gepredigt hätte, und noch weniger, dass der große Apostel der Nationen nun von seinen Untergebenen zu einem solchen gemacht wurde. Es war also schlicht und einfach eine Empfehlung an die Gnade Gottes für das neue Werk, das sie in Angriff nehmen wollten. So etwas könnte auch in der heutigen Zeit getan werden. Angenommen, einem Mann, der bereits in England das Evangelium gepredigt hat, liegt es auf dem Herzen, die Vereinigten Staaten von Amerika zu besuchen, und seine Brüder empfinden, dass er genau der richtige Mann für dieses Werk ist, dann könnten sie, um ihre Zustimmung und Sympathie zu zeigen, zusammenkommen, mit Gebet und Fasten, um ihre Hände auf den Bruder zu legen, der dorthin geht. Das wäre meiner Meinung nach ganz biblisch. Es ist das, was in solchen Fällen getan wurde. Aber es ist keine Ordination. Es ist lediglich ein Anbefehlen der Gnade Gottes von Personen, die bereits für das Werk begabt sind und für die ein neuer Weg vorgezeichnet ist.
Was ich aber für unbiblisch, ja geradezu sündhaft halte, ist das Beharren auf einer bestimmten Zeremonie, die ein Mann durchlaufen muss, bevor er als richtiger Diener Christi anerkannt wird. Dies, so verbreitet es auch sein mag, ist traditionelle Anmaßung, ohne die geringste Grundlage in der Schrift zu haben. Es ist lediglich etwas, das der Mensch hinzugefügt hat, hauptsächlich begründet auf dem jüdischen Priestertum. Wenn jemand der priesterlichen Familie angehörte, musste er, bevor er seine priesterlichen Funktionen ausüben konnte, eine Reihe von Zeremonien durchlaufen. Diese ahmt vor allem die römisch-katholische Kirche in ihrem Maß nach. Aber das Erstaunliche ist, dass Menschen, die das Papsttum mit Worten anprangern, weiterhin einen der schlimmsten Teile desselben nachahmen; ich glaube nämlich, dass der Heilige Geist gerade in dieser Sache am meisten betrübt wird. Die Wirkung davon ist, dass es eine Anzahl von Männern anerkennt, die keine Diener Christi sind, und eine Anzahl von Männern aberkennt, die seine Diener sind, weil sie nicht durch diese besondere Neuerung gehen. Das Ergebnis ist, dass dadurch alles Unheil angerichtet und alles Gute verhindert wird, das möglich ist. Das ist ein Übel, das, aus dem Kern des Judentums abgeleitet, die größte denkbare Hemmung für das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche ist, sowohl heute als zu irgendeiner anderen Zeit. Manche mögen diese Bemerkung ernst betrachten und sagen, sie sei sozusagen nicht wohltätig; aber solche Personen wissen nicht, was Wohltätigkeit bedeutet. Sie verwechseln sie mit Gleichgültigkeit. Und Gleichgültigkeit ist der Tod der Nächstenliebe. Wenn du sehen würdest, dass dein Kind seine Hände über brennende Kohlen hält, würdest du dich nicht durch Leute, die dir sagen, dass eine laute Stimme oder ein kräftiger Klaps für einen Christen falsch sei, von einem durchdringenden Schrei oder einem anderen energischen Mittel, es zu retten, abhalten lassen. Dieses Thema ist also mit dem Segen der Kirche auf der einen Seite und dem Fluch der Christenheit auf der anderen Seite verbunden. Wie viele Schrecken gehen daraus hervor? Der Papst selbst ist ein Produkt davon: Denn wenn man Priester hat, so will man natürlich einen Hohenpriester haben; wenn man die Söhne Aarons hat, so muss auch Aaron vertreten sein. Der Papst wurde genau auf diesem Grund errichtet, und das ganze System des Papsttums hängt davon ab. Leider ist es ein Dämon, den der Protestantismus nicht ausgetrieben hat. „Paulus, Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen“, schließt den Menschen als Quelle seines Dienstes oder als Mittler, der in irgendeiner Weise mit ihm verbunden ist, völlig aus. Die große Sache, an die wir uns in Bezug auf den Dienst erinnern müssen, ist, dass seine Quelle in den Händen Christi liegt; wie er hier sagt, „durch Jesus Christus.“ Er sagt nicht von Jesus Christus. Ich halte „durch Jesus Christus“ in diesem besonderen Zusammenhang für viel stärker, und zwar aus dem Grund, dass die judaisierenden Lehrer gesagt hätten: „Wir lassen es durchaus zu, dass es von Jesus Christus ist, aber es muss von denen sein, die vom Herrn selbst auserwählt und eingesetzt wurden, als Er auf der Erde war; die Apostel müssen der Kanal sein.“ Gott versetzte der Vorstellung einer apostolischen Nachfolge den Todesstoß. Er schloss auf gnädigste Weise für jeden geistlichen Menschen jede Vorspiegelung dieser bösen Sache aus. Die Galater waren wahrscheinlich beunruhigt und verwirrt, dass Paulus erklärtermaßen ein Apostel sein sollte, ganz unabhängig von den anderen Zwölfen. Warum haben sie nicht alle das Los über Paulus geworfen, wenn er einer der Apostel im höchsten Sinn sein sollte? Das ist es, was er hier trifft. Er verbindet sein Apostelamt nicht nur mit Gott und unserem Herrn als Quelle, sondern auch als Medium – „durch Jesus Christus und durch Gott den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat.“
Hier gibt es einen weiteren Schlag gegen die Aufeinanderfolge. Sie hatten einen Gegensatz zwischen Paulus und den anderen zwölf Aposteln gezogen, zum Nachteil des Ersteren. Aber der Apostel zeigt, dass, wenn es einen Unterschied zwischen ihm und ihnen gab, es der war, dass er ein Apostel von dem war, der Christus von den Toten auferweckt hat. Die anderen wurden nur berufen, als unser Herr hier auf der Erde war und seinen Platz als Mensch hier auf der Erde einnahm. Paulus wurde von Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist, berufen. In der Berufung des Paulus zum Apostel lag eine größere Macht, eine größere Herrlichkeit, eine größere Auszeichnung, als in der Berufung irgendeines der anderen. Der Apostel wirft alle ihre Theorien über den Haufen und bringt seine eigene besondere Stellung mit großer Kraft ein. Paulus ist das Muster der Amtsträger bis zum heutigen Tag. Wenn er über den Dienst spricht, liebt er es, ihn auf diesen Grund zu stellen, den Grund, auf dem er selbst berufen wurde. Wenn es um seine Verkündigung geht, sagt er: „Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet“ (2Kor 4,13). Er legt die einfachste und beste Grundlage dar – wenn ein Mensch die Wahrheit kennt, soll er davon reden. Es war nicht nötig, auf irgendetwas zu warten. Der Herr wirkt in der Versammlung. Wenn er also im Epheserbrief, wo wir die Versammlung in seiner höchsten Form finden, von einem Amt spricht, worauf gründet er sie dann? Auf Christus, der in die Höhe gestiegen ist, und darauf, dass Er den Menschen Gaben gibt: „Und er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (Eph 4,11‒13). Das ganze Amt, von seinen höchsten Funktionen bis zu seinen niedrigsten, ist auf dasselbe Prinzip gestellt. Wenn man einwendet: Die Ausführungen des Paulus sind gut, aber das gilt nicht für gewöhnliche Amtsträger, so antworte ich, dass es doch gilt; denn der Heilige Geist lehrt uns durch den Apostel Paulus, dass, wenn man von den Aposteln und Propheten zu den Hirten, Lehrern oder Evangelisten herabsteigt, sie alle auf dieselbe Grundlage gestellt sind; alle sind Gaben von demselben Herrn, ohne das Eingreifen des Menschen in irgendeiner Form oder in irgendeinem Grad.
Aber dann werden einige sagen: Was ist mit den Ältesten? Da seid ihr im Unrecht, denn ihr habt keine. Ich antworte: Wir haben formell keine Ältesten, weil wir keine Apostel haben und keine sind. Es ist klar, dass wir darin, gelinde gesagt, nicht schlechter dran sind als irgendeine der so genannten Kirchen oder Sekten; denn mir ist nicht bekannt, dass irgendeine Apostel hat. Der wahre Unterschied zwischen denen, die sich zum Namen des Herrn Jesus Christus versammeln, und den anderen ist also, dass wir nicht vorgeben, etwas zu haben, was wir nicht haben, während sie es tun, indem sie Älteste ernennen. Man kann keine ernannten Ältesten haben ohne Apostel; dennoch können wir bestimmte Personen haben, die die Qualifikationen von Ältesten besitzen, und solche sollte man besitzen; aber die Ernennung von Ältesten nachzuahmen, jetzt, wo es keine Apostel mehr gibt, ist sündhaft. Das mag für das Thema des Amtes genügen.