Behandelter Abschnitt 2Kor 2,5-11
Der Apostel aber ergreift das, was gut war, durch das Wirken des Geistes in ihnen, um sich für noch mehr und Besseres einzusetzen. Die Genesung aus einem niedrigen Zustand erfolgt selten sofort. Korrekturen sind dort ebenso nötig wie hier; und allein die Tatsache, dass der Ruf zur Gerechtigkeit wieder zu hören war, kann jemanden für eine Zeit lang so sehr beschäftigen, dass die Liebe noch nicht frei wirken kann. So war es auch in Korinth, bis der, der den Meister auf solche gesegnet Weise darstellte, seine Hände wieder auf ihre Augen legte, die noch Menschen wie Bäume wandeln sahen (Mk 8,24), damit sie, vollständig wiederhergestellt, alles klar sehen konnten. Er hatte ihnen aus großer Bedrängnis und Herzensangst und mit vielen Tränen geschrieben, was den Vorwurf der Leichtfertigkeit oder der Überheblichkeit widerlegte; nicht damit sie betrübt würden, sondern damit sie seine überreichliche Liebe zu ihnen erkennen könnten. Nun wendet er sich dem Betreffenden zu, der ihn von der ersten Nachricht der Sünde an betrübt hatte, da der erste Brief dazu benutzt worden war, seine und ihre Sünde ihren Gewissen im Licht Gottes vorzustellen.
Wenn aber jemand traurig gemacht hat, so hat er nicht mich traurig gemacht, sondern in gewissem Maß (damit ich nicht beschwere) euch alle. Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den Vielen ist, so dass ihr im Gegenteil vielmehr vergeben und ermuntern solltet, damit nicht etwa ein solcher durch die übermäßige Traurigkeit verschlungen werde. Darum ermahne ich euch, ihm gegenüber Liebe zu üben. Denn dazu habe ich auch geschrieben, um eure Bewährung zu erkennen, ob ihr in allem gehorsam seid. Wem ihr aber etwas vergebt, dem vergebe auch ich; denn auch ich, was ich vergeben, wenn ich etwas vergeben habe, habe ich um euretwillen vergeben in der Person Christi, damit wir nicht vom Satan übervorteilt werden; denn seine Gedanken sind uns nicht unbekannt (2,5‒11).
Der Kummer, der das Herz des Apostels erfüllt hatte, hatte mehr oder weniger die Versammlung erfasst; und so ist auch das Empfinden, das dazu passt. Wenn schon der gottesfürchtige Israelit sich mit den Sünden des Volkes einsmachte und bekannte, wie viel mehr die, die in einer viel engeren Beziehung zum Herrn standen. Und doch sehen wir es auf besondere Weise bei Mose und Josua, bei Hiskia und Josia, bei Daniel und Esra. So hatte nun die Gnade den Gläubigen in gewissem Maß den Kummer des Apostels über den Skandal in Korinth mitgeteilt: nicht, dass sie, wenn überhaupt, so tief empfanden wie er, sondern dass er von ihnen allen als ähnlich betroffen wie von sich selbst sprechen konnte. So würden die Herzen aller versöhnt, und sogar der, der den Kummer verursacht hatte, würde empfinden, dass es im Apostel etwas anderes gab als den Wunsch, ihn zu überwältigen. Er fügt hinzu, dass die Zurechtweisung oder Bestrafung, die bereits von den vielen zugefügt wurde, genug war. Das wäre nicht so gewesen, wenn das Urteil des Ausschlusses nicht vollzogen worden wäre. Kein Wort deutet darauf hin, dass eine bloße Zurechtweisung das Übel aufgehalten und den Übeltäter zur Umkehr gebracht hätte. Die Vorstellung der französischen Reformatoren (Calvin, Beza usw.) oder anderer in dieser Richtung ist daher nicht nur unbegründet, sondern auch unwürdig; denn so wie der erste Brief mit Nachdruck auf dem Ausschluss des Übeltäters bestand, so ist auch der zweite klar, dass das gegenseitige Vertrauen durch ihre Entscheidung und ihr Selbstgericht gerade in diesem Fall in gewissem Maß wiederhergestellt wurde. Insbesondere Vers 9 ist mit allem anderen unvereinbar, ganz zu schweigen von den Versen 7 und 8 und auch anderen woanders. Auch Vers 6 ist nicht so zu verstehen, dass er eine andere Art von Zurechtweisung, die die Korinther ausgesprochen hatten, von dem Ausschluss unterscheidet, den er selbst angeordnet hatte, sondern dass das, was bereits gemäß den inspirierten Anordnungen getan wurde, seinen Zweck erfüllt hatte und nicht länger andauern sollte.
Dies wird durch die folgende Aufforderung, lieber zu vergeben und zu trösten, völlig bestätigt, damit er nicht, wenn er unter einem so schrecklichen Urteil blieb, zusammengebrochen wäre, wie er war, vielleicht von übermäßigem Kummer verschlungen würde. Deshalb bittet er die Gläubigen, die Liebe zu bestätigen, da sie bereits Abscheu vor der Sünde bezeugt hatten, durch eine formelle Handlung der Versammlung. So würden die Gläubigen auch ihren Gehorsam in jeder Hinsicht beweisen, in der gnädigen Wiederherstellung dessen, der Buße getan hatte, wie zuvor in der ernsten Verurteilung seiner abscheulichen Sünde; und der Apostel hatte auch dies alles im Blick, als er beide Briefe schrieb.
Doch es ist von großer Bedeutung, zu beachten und zu lernen, dass er die Versammlung zwar sowohl zum Gericht als auch zur Wiederherstellung aufrütteln muss, weil sie in beiden Hinsichten versagt hatten, aber er will sie dazu bringen, richtig zu empfinden und zu handeln, indem er sie in ihren Handlungen begleitet und in keiner Weise für sie handelt. Daher spricht er keineswegs wie ein geistlicher Diktator, wie real und groß auch immer die Autorität sein mochte, die ihm vom Herrn gegeben worden war, wie er sowohl in der Lehre als auch in der Zucht zu betonen bemüht ist. „Wem ihr aber etwas vergebt, dem vergebe auch ich; denn auch ich, was ich vergeben, wenn ich etwas vergeben habe, habe um euretwillen vergeben in der Person Christi, damit wir nicht vom Satan übervorteilt werden; denn seine Gedanken sind uns nicht unbekannt“ (V. 10.11).
Es wäre keine angemessene Heilung der Versammlung gewesen, dem Übeltäter in Korinth zu vergeben, weil der Apostel es getan und befohlen hatte. Als das offenkundige Übel nicht gerichtet wurde, befahl er den Ausschluss. Doch wenn die Gnade sowohl in der Einschätzung als auch im Umgang mit dem so Gedemütigten gewirkt hatte, wird er sie dazu bewegen, zu vergeben, und mit ihnen darin gehen. Es heißt also nicht: „Wem ich vergebe, dem vergebe auch ihr“, sondern: „Wem ihr etwas vergebt, dem vergebe auch ich“. Er ist sehr darauf bedacht, ihre eigene Stelle der bestätigenden Liebe zu betonen, sogar wenn er ihnen als Apostel ihre Pflicht vorstellt, damit er durchgehend Gemeinschaft mit ihnen hat. Im Vorrecht der Barmherzigkeit würde er folgen, und was er vergeben hatte, wenn er etwas vergeben hatte, es auf ihre Rechnung in der Person Christi tun. Wie gesegnet das Siegel der Autorität, und wie gnädig die Bestätigung! Mögen wir eine solche Begebenheit göttlicher Zuneigung in Gegenwart des Guten und des Bösen pflegen. Unsere Schwachheit ist unermesslich, die Schwierigkeit so vielfältig wie menschlich unüberwindlich, die Gefahr durch Satans List beständig; aber größer ist der, der in den Gläubigen ist, als der, der in der Welt ist; und wir wissen, dass die Gedanken und Pläne des Feindes in erster Linie auf die Versammlung Gottes, die einzige göttliche Gemeinschaft auf der Erde, gerichtet sind.